VfGH G176/2016

VfGHG176/201622.9.2016

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des VerbandsverantwortlichkeitsG mangels Vorliegens einer entschiedenen Rechtssache

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VerbandsverantwortlichkeitsG §3 Abs2, Abs3
StPO §212, §108
VfGG §62a Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VerbandsverantwortlichkeitsG §3 Abs2, Abs3
StPO §212, §108
VfGG §62a Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt führt gegen die antragstellende Gesellschaft nach ihrem Vorbringen seit Mai 2014 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung nach §177 Abs1 und 2 (§170 Abs2 dritter Fall) StGB iVm §3 Abs1 Z1 und 2, Abs2 und 3 VbVG. Gegenstand der Ermittlungen bildet die Frage der Verbandshaftung der antragstellenden Gesellschaft iSd Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes im Zusammenhang mit einem Hochwasserereignis an der Drau im November 2012, insbesondere für Abweichungen von damals vorgesehenen Stauregelungen bei der Hochwasserabfuhr bzw. für Handlungen und Unterlassungen im Rahmen von Betriebs- und Überwachungsordnungen.

1.1. Am 9. Mai 2016 stellte die antragstellende Gesellschaft bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt einen Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 Abs1 Z1 StPO mit der Begründung, dass die dem Verfahren zugrunde liegende Tat nach Auffassung der antragstellenden Gesellschaft zufolge Verfassungswidrigkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes, im Besonderen des §3 VbVG, nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht sei. Das Landesgericht Klagenfurt wies den Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab, weil es die von der antragstellenden Gesellschaft vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilte. Dagegen erhob die antragstellende Gesellschaft mit Schriftsatz vom 1. Juni 2016 Beschwerde.

1.2. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 1. Juni 2016 stellte die antragstellende Gesellschaft beim Verfassungsgerichtshof gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG (neben weitergehenden Eventualanträgen) den Hauptantrag, §3 Abs2 und 3 VbVG als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2.1. Zu ihrer Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft vor:

Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 3. Juli 2015, G46/2015, die Stellung von Parteianträgen im Ermittlungsverfahren (entgegen den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien) grundsätzlich für zulässig erachtet. Nach diesem Erkenntnis sei ein Parteiantrag des Beschuldigten im Stadium des Ermittlungsverfahrens nur dann unzulässig, wenn er die Möglichkeit habe, "die im Ermittlungsverfahren behaupteten Rechtsverletzungen" im Fall seiner Verurteilung aus Anlass der Bekämpfung des Urteils mittels Parteiantrages "(nachträglich) zu rügen".

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sei von der Zulässigkeit des vorliegenden Parteiantrages auszugehen, weil der Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO zur (endgültigen) Erledigung des Verfahrens führen könne; mit dem abweislichen Gerichtsbeschluss werde über das Recht des Beschuldigten auf Einstellung eines unberechtigt geführten Ermittlungsverfahrens entschieden. Die Frage der Zulässigkeit der (Weiter-)Führung des Ermittlungsverfahrens könne im Hauptverfahren nicht mehr aufgegriffen werden, es liege daher eine eigenständige, in erster Instanz entschiedene Rechtssache vor.

Beschuldigter in einem Strafverfahren und "damit den gegen die eigene Person gerichteten staatsanwaltschaftlichen und kriminalpolizeilichen Ermittlungen 'ausgesetzt'" zu sein, könne auch ohne Hinzutreten besonderer Zwangsmaßnahmen per se als Eingriff gewertet werden, gegen den zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit der Einbringung von Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen gegeben sein müsse. Es sei für die antragstellende Gesellschaft unzumutbar, dem weiteren Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu sein, obwohl sie beim Landesgericht Klagenfurt die gegen die Verfassungsmäßigkeit (von Teilen) des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes sprechenden Bedenken umfassend dargelegt habe. Das Landesgericht Klagenfurt habe sich mit diesen Bedenken nicht näher auseinandergesetzt, sondern die antragstellende Gesellschaft durch Abweisung des Antrages auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens (implizit) an den Verfassungsgerichtshof zur Stellung eines Parteiantrages "verwiesen". Der vorliegende Parteiantrag sei aus Sicht der antragstellenden Gesellschaft der einzige ihr offenstehende "Rechtsbehelf", mit dem sie gegen die auf Grund der Verfassungswidrigkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes unzulässigen Ermittlungen vorgehen könne.

1.2.2. In der Sache behauptet die antragstellende Gesellschaft mit näherer Begründung, dass die (im Hauptantrag) angefochtene Bestimmung des §3 Abs2 und 3 VbVG gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz, den Gleichheitsgrundsatz, die Unschuldsvermutung, den Grundsatz "nulla poena sine lege" sowie gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoße.

1.3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie primär beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, im Übrigen den von der antragstellenden Gesellschaft dargelegten Bedenken mit näherer Begründung entgegentritt.

2. Gemäß dem mit BGBl I 114/2013 in das B‑VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

§62a Abs1 VfGG idF BGBl I 78/2016 ordnet an, dass "[e]ine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, […] einen Antrag stellen [kann], das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG)".

3. Der Antrag ist nicht zulässig, weil mit der den Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 StPO abweisenden Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt keine "in erster Instanz entschiedene Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG bzw. §62a Abs1 VfGG vorliegt:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, führen im strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren getroffene (rechtsmittelfähige) Entscheidungen nur dann eine eigenständige "in erster Instanz entschiedene Rechtssache" herbei, wenn das Gericht über eine Frage befindet, die im allfälligen Hauptverfahren von der Verfahrenspartei nicht mehr aufgerollt werden kann (VfGH 3.7.2015, G46/2015). Steht dieser hingegen die Möglichkeit offen, eine im Ermittlungsverfahren behauptetermaßen unterlaufene Rechtwidrigkeit durch Rechtsmittel gegen das auf Grund einer Anklage im Hauptverfahren ergehende (kondemnierende) Urteil (nachträglich) zu bekämpfen, ist ein Parteiantrag im Stadium des Ermittlungsverfahrens unzulässig (vgl. zB VfGH 7.10.2015, G372/2015; 22.9.2015, G341/2015; 25.2.2016, G659/2015).

3.2. Mit der Abweisung eines Antrages auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß §108 Abs1 Z1 StPO wird nicht endgültig über eine Rechtssache abgesprochen, sondern lediglich die Fortsetzung des Verfahrens ermöglicht (zum insoweit vergleichbaren Fall der Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift nach §212 StPO vgl. VfGH 7.10.2015, G372/2015). Die seitens der antragstellenden Gesellschaft ins Treffen geführte Verfassungswidrigkeit (von Teilen) des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes kann im Fall einer nach allfälliger Anklageerhebung erfolgenden urteilsmäßigen Verantwortlicherklärung des Verbandes (als eine in erster Instanz entschiedene Rechtssache) von dieser mittels Parteiantrages aus Anlass eines dagegen erhobenen Rechtsmittels geltend gemacht werden (vgl. VfGH 3.7.2015, G46/2015).

4. Der antragstellenden Gesellschaft fehlt mithin mangels Vorliegens einer entschiedenen Rechtssache die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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