Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litb
StGG Art2
Tir BauO 2022 §6, §33, §71 Abs13, §59
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:G107.2024
Spruch:
§71 Abs13 Tiroler Bauordnung 2022 – TBO 2022, LGBl für Tirol Nr 44/2022, idF LGBl für Tirol Nr 64/2023 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E834/2024 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Der Bürgermeister der Gemeinde Wiesing hatte auf dem Grundstück Nr 963/159, KG Wiesing, mit Bescheid vom 2. September 1959 dessen damaligem Eigentümer den Neubau eines Wohnhauses und mit Bescheid vom 22. Mai 1984 den Anbau einer Garage baubehördlich bewilligt.
1.2. Mit einem weiteren Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Wiesing vom 28. Mai 2018 wurde der beteiligten Partei, der heutigen Eigentümerin des erwähnten Grundstückes, eine Baubewilligung für Zu- und Umbauten im bestehenden Wohnhaus sowie für weitere Baumaßnahmen erteilt.
1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer als Eigentümer des Nachbargrundstückes Nr 963/191, KG Wiesing, Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol, das die Beschwerde mit Erkenntnis vom 8. April 2019 als unbegründet abwies.
1.4. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art144 B‑VG wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. September 2019, E1900/2019, abgelehnt (Art144 Abs2 B‑VG). Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 31. Oktober 2019 wurde die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten (Art144 Abs3 B‑VG).
1.5. Der Verwaltungsgerichtshof hob das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 8. April 2019 mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2022, Ra 2019/06/0271, auf.
1.6. In der Folge erließ das Landesverwaltungsgericht Tirol die nunmehr angefochtene Entscheidung vom 30. Jänner 2024, mit der die Bescheidbeschwerde des Beschwerdeführers wiederum abgewiesen wurde.
Begründend führt das Landesverwaltungsgericht Tirol aus, dass mit der durch LGBl 64/2023 erfolgten Novellierung der Tiroler Bauordnung 2022 (TBO 2022) deren §71 Abs13 dahingehend geändert worden sei, dass nunmehr eine privilegierte lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage auf Grund der Baubewilligung von höchstens 120 cm unabhängig von der dafür maßgebenden Ursache jedenfalls rechtmäßig sei, wenngleich im vorliegenden Fall ohnehin von Planungenauigkeiten auszugehen sei. Dies bedeute, dass das Bestandsgebäude, wie es in den Planunterlagen zur Baubewilligung aus dem Jahr 1959 dargestellt sei, bis zu 120 cm von der Baubewilligung abweichen könne, ohne dass davon auszugehen sei, dass für dieses Gebäude keine Baubewilligung vorliege.
1.7. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §71 Abs13 TBO 2022 idF LGBl 64/2023 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 25. Juni 2024 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
2. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"3.1. In seinem den ersten Rechtsgang des vorliegenden Verfahrens betreffenden Beschluss vom 23. September 2019, E1900/2019, hatte der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen §71 Abs12 TBO 2018, wonach im Falle von Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, normiert war, dass eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage auf Grund der Baubewilligung von höchstens 120 cm die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht berührt. Vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialien (ErlRV 120/2011 BlgLT [Tir.] 15. GP, 77) war nämlich erkennbar, dass nicht Abweichungen jedes Ausmaßes privilegiert waren, sondern nur solche, die durch – historisch bedingt – ungenaue Pläne begründet wurden, weshalb die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Sanierung von Schwarzbauten nicht einschlägig war.
3.2. Die Rechtslage hat sich aber mittlerweile geändert:
3.3. So hat der Tiroler Landesgesetzgeber zunächst im Rahmen der Erlassung der TBO 2022 durch die Novelle LGBl 44/2022 §71 Abs12 TBO 2018 als §71 Abs13 TBO 2022 wiederverlautbart und dann mit der Novelle LGBl 64/2023 die Textierung der Bestimmung verändert. In den Erläuternden Bemerkungen zur betreffenden Regierungsvorlage (ErlRV 711/2023 BlgLT [Tir.] 18. GP, 6) heißt es dazu:
'Es soll klargestellt werden, dass eine nach Abs13 privilegierte lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm auch ohne Bezug auf eine allfällige Ursache die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht berührt. Somit sind künftig nicht nur Abweichungen privilegiert, die durch eine aus heutiger Sicht mangelhafte Qualität der damaligen Planunterlagen erklärbar sind.'
3.4. Vor diesem Hintergrund hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung des §71 Abs13 TBO 2022 dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen dürfte: Hatte der Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungsbeschluss vom 23. September 2019, E1900/2019, noch gegen §71 Abs12 TBO 2018 angesichts der Gesetzesmaterialien keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil demnach nur solche Abweichungen begünstigt waren, die durch die aus heutiger Sicht mangelhafte Qualität der damaligen Planunterlagen erklärbar waren, geht aus den Materialien zur Novellierung des nunmehrigen §71 Abs13 TBO 2022 durch LGBl 64/2023 hervor, dass deren Ziel gerade in der Beseitigung dieser Einschränkung bestand, was offenbar durch die neue Formulierung im Gesetz bewirkt werden sollte ('ist […] jedenfalls rechtmäßig').
3.5. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes benötigt der Gesetzgeber im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes (Art7 B‑VG, Art2 StGG) eine besondere Rechtfertigung, will er denjenigen, der sich rechtswidrig verhält, so behandeln, als hätte er das Gesetz beachtet (vgl VfSlg 14.681/1996). Diese Judikatur wurde vor allem im Zusammenhang mit der rechtlichen Sanierung bewilligungslos errichteter Bauwerke entwickelt; demnach benötigt der Gesetzgeber einen sachlichen Grund, Personen, die sich rechtswidrig verhalten haben, besser zu stellen als jene, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung auf eine konsenslose Bauführung verzichtet haben (vgl zur gesetzlichen Sanierung konsenslos errichteter Bauten etwa VfSlg 14.681/1996, 14.763/1997, 15.441/1999, 16.901/2003; zur Sanierung im Wege einer Verordnung zB VfSlg 12.171/1989, 15.104/1998, 17.211/2004; zum gleichheitswidrigen Vollzug [Sanierung einer Abweichung von einer Baubewilligung im Bescheidweg] zB VfSlg 9896/1983).
3.6. Ausgehend davon könnte §71 Abs13 TBO 2022 nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes gleichheitswidrig sein, weil damit möglicherweise auch Personen, die sich durch die Errichtung konsenswidrig ausgeführter Bauwerke rechtswidrig verhalten haben, ganz generell und unabhängig von bestimmten Gründen ('jedenfalls') besser gestellt werden als jene, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung gehandelt haben. Dies dürften auch die Materialien zu §71 Abs13 TBO 2022 (ErlRV 711/2023 BlgLT [Tir.] 18. GP) nahelegen, denen – anders als noch jenen zur Vorläuferbestimmung des §71 Abs12 TBO 2018 (vgl ErlRV 121/2011 BlgLT [Tir.] 15. GP, 69 ff.) – keinerlei Beschränkung der Privilegierung auf bestimmte Ursachen der lagemäßigen Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage auf Grund der Baubewilligung zu entnehmen ist.
3.7. Der Verfassungsgerichtshof verkennt allerdings auch nicht, dass §71 Abs13 TBO 2022 nicht die Errichtung eines Gebäudes ohne jegliche Bewilligung begünstigt, sondern lediglich eine lagemäßige Abweichung des tatsächlich ausgeführten Bauwerkes vom bewilligten im Ausmaß von höchstens 120 cm hinsichtlich Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist; dies alles vor dem Hintergrund, dass Planunterlagen in der Vergangenheit möglicherweise ungenauer waren als heute. Ob und inwieweit diese Umstände die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Vorschrift zu beseitigen vermögen, wird das Gesetzesprüfungsverfahren ergeben."
3. Die Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
"I. Anlass und Bedenken des Verfassungsgerichtshofes:
Das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren wurde vom Verfassungsgerichtshof aus Anlass einer Beschwerde nach Art144 B‑VG eingeleitet. In seinem den ersten Rechtsgang des zugrundeliegenden Beschwerdeverfahrens betreffenden Beschluss vom 23. September 2019 zu Zl E1900/2019 hegte der Verfassungsgerichtshof (noch) keine Bedenken gegen §71 Abs12 TBO 2018, wonach im Fall von Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, normiert war, dass eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht berührt. Vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialien (ErlRV 120/2011 BlgLT [Tir.] 15. GP, 77) war nämlich erkennbar, dass nicht Abweichungen jedes Ausmaßes privilegiert waren, sondern nur solche, die durch – historisch bedingt – ungenaue Pläne begründet wurden, weshalb die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Sanierung von Schwarzbauten nicht einschlägig war.
Mit der Novelle LGBl Nr 44/2022 wurde nunmehr §71 Abs12 TBO 2018 als §71 Abs13 TBO 2022 wiederverlautbart, mit der Novelle LGBl 64/2023 wurde die Textierung dieser Bestimmung verändert. Den Erläuterungen (ErlRV 711/2023 BlgLT [Tir.] 18. GP, 6) ist zu entnehmen, dass 'klargestellt werden [sollte], dass eine nach Abs13 privilegierte lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm auch ohne Bezug auf eine allfällige Ursache die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht berührt. Somit sind künftig nicht nur Abweichungen privilegiert, die durch eine aus heutiger Sicht mangelhafte Qualität der damaligen Planunterlagen erklärbar sind.'
Vor diesem Hintergrund hegt der Verfassungsgerichtshof nunmehr gleichheitsrechtliche Bedenken, weil damit möglicherweise auch Personen, die sich durch die Errichtung konsenswidrig ausgeführter Bauwerke rechtswidrig verhalten haben, ganz generell und unabhängig von bestimmten Gründen ('jedenfalls') besser gestellt werden als jene, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung gehandelt haben.
II. Zu den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes:
Die gegenständliche, vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogene Bestimmung des §71 Abs13 der Tiroler Bauordnung 2022 – TBO 2022, LGBl Nr 44/2022, in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 64/2023, ist nach Ansicht der Tiroler Landesregierung aus den im Folgenden angeführten Gründen nicht als verfassungs-, insbesondere nicht als gleichheitswidrig, anzusehen:
1. Die nunmehr in Prüfung gezogene Bestimmung wurzelt in einer Bestimmung der TBO 2001, konkret in §59 Abs13 leg. cit. in der Fassung der Novelle LGBl Nr 48/2011; dieser lautete wie folgt:
'Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl Nr 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, berührt eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht. Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach der seinerzeitigen Tiroler Bauordnung in der Fassung der Novelle LGBl Nr 10/1989 oder nach der Tiroler Bauordnung 1989, LGBl Nr 33, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 31/1997, erteilt worden ist, gilt dies nur, wenn deren Abstände gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken außer zu Verkehrsflächen im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung zumindest das doppelte der gesetzlichen Mindestabstände betragen haben.'
Die angeführte Bestimmung wurde mit der Novelle LGBl Nr 44/2022 wortident als §71 Abs12 TBO 2018 wiederverlautbart. Ziel dieser Bestimmung war es, unbillige Härtefälle, insbesondere in Bezug auf ältere Gebäude, deren tatsächliche Lage nicht bewusst fehlerhaft situiert wurde, die dadurch jedoch nicht der ursprünglich für sie erteilten Baubewilligung entsprachen, zu vermeiden. Derartige Lageabweichungen kommen oftmals erst im Zug von späteren Baumaßnahmen an diesen Gebäuden hervor, weil den im Bauverfahren vorzulegenden Planunterlagen in diesem Fall ein aktueller Vermessungsplan anzuschließen ist, aus dem sich die tatsächliche Situierung des Gebäudebestandes ergibt. Angesichts der strengen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zum Vorliegen eines rechtlichen 'Aliud' sind hierbei bereits vergleichsweise geringe Abweichungen relevant (siehe etwa VwGH 2005/05/0152).
Wenngleich dies in den Erläuterungen nicht hinreichend zum Ausdruck kommt, lag der Hintergrund der in Frage stehenden Neuregelung zum einen in praktisch häufig auftretenden Lageabweichungen aufgrund von Ungenauigkeiten der Katastralmappen, zum anderen in Unsicherheiten betreffend den Grenzverlauf, welche sich daraus ergeben, dass – insbesondere auch in Tirol – nur ein relativ geringer Prozentsatz der Grundstücke im verbindlichen Grenzkataster eingetragen ist (siehe dazu noch im Folgenden). Im Interesse der Darlegung der (wie zuvor erwähnt, in den Erläuterungen zwar nicht hinreichend dokumentierten, jedoch im Rahmen der Erstellung des Gesetzentwurfes in Betracht gezogenen) einschlägigen fachlichen Erwägungen wurde eine Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesens eingeholt, welche dieser Äußerung als Anlage beigeschlossen ist (Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen vom 22.8.2024, zu Zl 2024-0.583.926). In der Folge soll daher gezeigt werden, dass die in Frage stehende gesetzliche Regelung auf in der Praxis relativ häufig anzutreffende Fälle zugeschnitten ist, in denen sich die im Verhältnis zur Baubewilligung (geringfügig) fehlerhafte Situierung von Gebäuden aus historisch erklärbaren Unsicherheiten und nicht aus einem Fehlverhalten der Bauwerber ergibt.
Dabei spielt, wie erwähnt, zum einen die mangelnde Genauigkeit der – ursprünglich im 19. Jahrhundert im Zug der Anlegung des Grundsteuerkatasters angefertigten – Katastralmappen eine erhebliche Rolle: In den einen Bestandteil dieser Katastralmappen bildenden Katasterplänen wurden die in der Natur mehr oder weniger deutlich gezeichneten Grundstücksgrenzen für das gesamte damalige österreichische Staatsgebiet zunächst im Maßstab 1:2880 erfasst; Folgemaßstäbe waren 1:5760 im Hochgebirge, 1:1440 im dicht verbauten Gebiet und in Ausnahmefällen 1:720. Die ursprüngliche Genauigkeit war durch die damaligen technischen und methodischen Möglichkeiten begrenzt: So ist etwa hinsichtlich der zeichnerischen Genauigkeit der graphischen Ausfertigung auszuführen, dass die Strichstärke der Zeichnungen 0,15 mm betrug, was mit dem verwendeten Maßstab in der Natur etwa 43 cm entsprach. Der Genauigkeit der Darstellung der Gebäude wurde kein besonderer Wert beigemessen (Wirtschaftsgebäude wurden nur nach Schrittmaßen eingemessen und Grundrisse von Orten, welche aus älteren Vermessungen schon vorhanden waren, wurden übernommen. Bei gleichem Grundstückseigentümer wurden Grundgrenzen generalisiert, und insbesondere bei Waldgrundstücken wurde der Grenzverlauf unabhängig vom tatsächlichen Verlauf in der Natur vielfach einfach als Gerade eingezeichnet. Die Vermessung selbst erfolgte mittels Messtisch – in erster Linie durch die Schnittmethode (Vorwärtseinschneiden) aber auch mit der Polarmethode. Die Kartierung erfolgt direkt auf dem zu bearbeitenden Mappenblatt, das auf dem Messtisch aufgeklebt war (Näheres dazu siehe die angeschlossene Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen). Dass dabei nicht die mit den heutigen technischen Möglichkeiten erreichbare Genauigkeit gewährleistet war, bedarf keiner näheren Erläuterung.
Die ursprünglich ausschließlich als Steuerbemessungsgrundlage gedachten Katastralmappen wurden in weiterer Folge auch für andere Zwecke verwendet: So wurden etwa (nachgezeichnete) Auszüge aus den Katasterpläne bis in die Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts als Plangrundlagen im Bauverfahren herangezogen. Diese Plangrundlagen dienten jedoch nur der Veranschaulichung der Lage der Grundstücke zueinander und wurden zudem auf den auf den Maßstab von 1:500 vergrößert. Zudem wurde der Verlauf der Grundgrenzen nicht überprüft. Berechnungen der seinerzeitigen Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten für Tirol und Vorarlberg haben ergeben, dass sich hinsichtlich der lagemäßigen Situierung von Gebäuden beim Maßstab von 1:2880 ein mittlerer Fehlerwert von 80 cm ergibt, der sich aufgrund der durchgeführten Vergrößerung des Maßstabes auf bis zu 120 cm erhöht.
Erst in jüngerer Zeit kann aufgrund gesetzlicher Neuregelungen (vgl den bereits erwähnten §59 Abs13 TBO 2001 sowie nunmehr §71 Abs13 TBO 2022) davon ausgegangen werden, dass der jeweils erteilten Baubewilligung zentimetergenaue Planunterlagen zugrunde liegen: Mit der Novelle LGBl Nr 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung wurde nämlich für Gebäude, deren Abstände von den Grenzen gegenüber anderen Grundstücken als Verkehrsflächen weniger als das Doppelte der Mindestabstände nach (damals) §7 leg. cit. betrugen, bestimmt, dass der Lageplan mit den Katastergrenzen des Bauplatzes und den Schnittpunkten mit den Grenzen der angrenzenden Grundstücke von einem Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen verfasst sein musste. Für alle sonstigen Gebäude wurde die Vorlage eines Geometerplanes erst mit der Tiroler Bauordnung 1998, die am 1. März 1998 in Kraft getreten ist, gefordert. Lagepläne, die auf dem Grenzkataster beruhen, erfüllen die solcherart geforderten Voraussetzungen, sodass auf diese zurückgegriffen werden kann. Wo der Grenzkataster noch nicht besteht, ist dagegen eine Vermessung notwendig (Näheres dazu sogleich sowie unter Pkt. 2).
Zum anderen kann es, unabhängig von der dargestellten Fehleranfälligkeit der Planunterlagen, aufgrund des Grenzverlaufs zu Lageabweichungen kommen: In diesem Zusammenhang ist auszuführen, dass erst der 1968 eingeführte Grenzkataster (§8 Abs1 Z1 des Vermessungsgesetzes, BGBl Nr 306/1968) – soweit ein Grundstück bereits erfasst wurde – einen verbindlichen Nachweis über den Verlauf der Grundgrenzen liefert, wobei festzuhalten ist, dass die Vermessungen bis heute nicht abgeschlossen sind und diese auch künftig noch längere Zeit nicht abgeschlossen sein werden. Nach Auskunft des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen (siehe dazu auf S. 4 der angeschlossenen Stellungnahme) gibt es mit Stand Anfang August 2024 in Tirol ca 730.000 Grundstücke, wovon lediglich ca 153.000 und somit nur 21 %, im Grenzkataster eingetragen sind. Ein erheblicher Prozentsatz der Grundstücke ist daher potentiell von Unrichtigkeiten des Grenzverlaufes betroffen. Darüber hinaus kann es auch bei bereits im Grenzkataster eingetragenen – und somit eigentlich hinsichtlich ihres Grenzverlaufs verbindlichen – Grundstücken passieren, dass im Nachhinein mittels Verifikationsmessungen Bodenbewegungen nachgewiesen werden, welche sodann dazu führen können, dass die Bodenbewegung am betroffenen Grundstück angemerkt und dieses mit Bescheid wiederum aus dem Grenzkataster entlassen wird.
Hingewiesen wird weiters auch darauf, dass – abhängig davon, wann ein Grundstück vermessen wurde – unterschiedliche Messtoleranzen galten: Bei Einführung der ersten Vermessungsverordnung galt eine Messtoleranz von 20 cm (§3 Abs4 der Vermessungsverordnung, BGBl Nr 53/1969), ab 1994 wurde diese auf eine Messtoleranz von bis zu 15 cm reduziert (§4 Abs2 der Vermessungsverordnung, BGBl Nr 562/1994), und seit 2010 gilt eine Messtoleranz von 5 cm (§6 Abs2 der Vermessungsverordnung, BGBl II Nr 115/2010). Somit kann auch aus den bundesgesetzlich vorgegebenen Messtoleranzen der Schluss gezogen werden, dass ältere Unterlagen ungenauer bzw schlechter nachvollziehbar sind. Darüber hinaus kommt es in der Praxis regelmäßig zur nachträglichen Änderung (technisch als 'Verbesserung' bezeichnet) der Koordinaten von für die Vermessung bedeutsamen Festpunkten, woraus sich ebenfalls Lageabweichungen ergeben können.
Auch diese Aspekte sprechen für das Bestehen einer sachlichen Rechtfertigung der nunmehr in Prüfung gezogenen gesetzlichen Regelung, welche auf potentiell von Ungenauigkeiten betroffene Konstellationen abstellt. Zur Beurteilung, ob bei einer baulichen Anlage tatsächlich eine vom Bauwerber nicht zu vertretende lagemäßige Abweichung vorliegt, müsste aufgrund der geschilderten Umstände eine erhebliche historische Recherche betrieben werden, bei der der Zeitpunkt der jeweiligen Vermessung des Grenzverlaufes erhoben werden müsste. Der damit verbundene erhebliche Aufwand scheint unzumutbar und daher ebenfalls zur sachlichen Rechtfertigung der in Frage stehenden eine generelle Toleranzgrenze bestimmenden gesetzlichen Regelung geeignet.
Entgegen den Annahmen des Verfassungsgerichtshofes (siehe Pkt. 3.4. des gegenständlichen Prüfbeschlusses) sowie des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 19. Dezember 2022, Ra 2019/06/0271) waren daher nach ha. Auffassung durch die damalige Bestimmung des §59 Abs13 TBO 2011 bzw §71 Abs12 TBO 2018 nicht nur solche Abweichungen privilegiert, die durch die aus heutiger Sicht mangelhafte Qualität der damaligen Planunterlagen erklärbar waren, sondern auch solche, die aufgrund des Grenzverlaufes entstehen konnten.
Nichts anderes meint nunmehr die gegenständlich in Prüfung gezogene Bestimmung, wenn bei dieser mit der Novelle LGBl 64/2023 die Textierung derart angepasst wurde, dass 'eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm jedenfalls rechtmäßig' ist. Es handelt sich um eine Klarstellung dahingehend, dass rein das Abstellen auf historisch bedingte ungenaue Pläne zu kurz gegriffen ist. Die Beurteilung des §71 Abs13 TBO 2022, LGBl Nr 44/2022, in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 64/2023, hat jedoch unter Berücksichtigung der dargestellten (damaligen) Bestimmung des §59 Abs13 TBO 2001 zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Erläuterungen (ErlRV 711/2023 BlgLT [Tir.] 18. GP, 6) nicht als Beseitigung jeglicher Beschränkung der Privilegierung auf bestimmte Ursachen der lagemäßigen Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage auf Grund der Baubewilligung zu verstehen. Wie bereits dessen Vorläuferbestimmungen sollte daher mit §71 Abs13 TBO 2022, LGBl Nr 44/2022, in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 64/2023, der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen, dass nicht nur historisch bedingt ungenaue Planunterlagen zur Anwendung der privilegierenden Bestimmung führen können. Vielmehr wird dabei angemessen entsprechend der jeweiligen Messtechnik und Qualität der Unterlagen differenziert. Im Hinblick auf die zu erwartende Anzahl betroffener Fälle im Verhältnis zu dem zu erwartenden bürokratischen Aufwand, die Ursachen für lagemäßige Abweichungen, wie insbesondere Grenzverschiebungen, nachzuweisen, scheint es – wie bereits angedeutet – sachgerecht, abweichende Situierungen für Altbauten in dem der gegenständlichen Bestimmungen angeführten Ausmaß jedenfalls als rechtmäßig zu beurteilen.
Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass der Gesetzgeber mit der genannten Bestimmung ausschließlich die lagemäßige Abweichung des tatsächlich ausgeführten Bauwerkes vom bewilligten Ausmaß von höchstens 120 cm hinsichtlich Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl Nr 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt wurde, begünstigt. §71 Abs13 TBO 2022 begünstigt daher nicht die Errichtung eines Gebäudes ohne jegliche Bewilligung, sondern lediglich eine lagemäßige Abweichung des tatsächlich ausgeführten Bauwerkes vom bewilligten im Ausmaß von höchstens 120 cm hinsichtlich der soeben beschriebenen Gebäude, dies alles vor dem dargestellten Hintergrund, dass Planunterlagen in der Vergangenheit ungenauer waren als heute und auch der Grenzverlauf vielfach keinen verbindlichen Nachweis bringen kann.
2. Weiters ist unter Berücksichtigung des aktuellen Regelungsumfeldes der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung auszuführen, dass eine Nachverfolgung der Grundgrenzen künftig möglich sein wird, da mit §1 Abs2 litc und f der Bauunterlagenverordnung 2024, LGBl Nr 42/2024, erstmals Verpflichtungen eingeführt wurden, bei Lageplänen die Grundstücksnummer des Bauplatzes und die in der Natur überprüften Grenzen des Grundstückes samt den Schnittpunkten mit den Grenzen der an den Bauplatz angrenzenden Grundstücke (unter Angabe des Datums der Überprüfung und der Toleranzen der Grenzen basierend auf den ihnen zu Grunde liegenden Vermessungsurkunden) sowie die Koordinaten der Eckpunkte der Umrisse des Neu- bzw Zubaus anzugeben.
Die neuen Verpflichtungen zur Kontrolle der Richtigkeit der Grenzen in der Natur sind zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten und zur Qualitätssicherung des amtlichen Katasters erforderlich und somit sachlich geboten. Durch die zusätzliche Verpflichtung zur Angabe der für die dargestellten Grenzen geltenden Messtoleranzen werden die Baubehörden in die Lage versetzt, die Rechtmäßigkeit von Baubeständen auch im Fall von nach der Bauführung durch amtswegige Berichtigungen des Katasters erfolgte Grenzänderungen festzustellen. Die ebenfalls neue Verpflichtung zur Angabe der Koordinaten der Eckpunkte der Umrisse des Bauvorhabens ermöglicht den Baubehörden unabhängig von späteren Veränderungen der Grenzverläufe die Feststellung der lagerichtigen Ausführung des Neu- oder Zubaus.
Festzuhalten ist jedoch, dass, wenngleich künftig die Baubehörden die Rechtmäßigkeit von Baubeständen auch nach amtswegigen Katasterbereinigungen prüfen können, eine derartige Prüfung für die Vergangenheit, wie dargestellt, nicht möglich bzw zumutbar wäre.
Basierend auf den obigen Ausführungen ergibt sich, dass Unterlagen umso ungenauer bzw schlechter nachvollziehbar sind, je älter sie sind. Die Befugnis des Gesetzgebers, entsprechend korrigierend einzugreifen und Rechtssicherheit zu schaffen, ist daher unter Berücksichtigung der dargestellten fachlichen Grundlagen umso stärker gegeben, je älter die den jeweiligen Konstellationen zugrundeliegenden Unterlagen sind, dies unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei älteren Gebäuden die Rechtsfolgen bei geringen, nicht bewusst herbeigeführten und damit vom Bauwerber nicht zu vertretenden Lageabweichungen mit baupolizeilichen Beseitigungsaufträgen massiv wären. Der Wille des Gesetzgebers, historisch bedingte unbillige Härten betreffend nicht bewusst fehlerhaft situierte Gebäude zu beseitigen, ist unter Berücksichtigung der dargestellten Rechtsentwicklung erkennbar und indiziert somit nach ha. Auffassung keine Gleichheitswidrigkeit der in Frage stehenden Regelung.
3. Abschließend ist auch darauf hinzuweisen, dass in anderen Bundesländern vergleichbare bzw teils weitergehende Regelungen bestehen, deren Verfassungsmäßigkeit, soweit ersichtlich, bislang nicht in Frage gestellt wurde:
In der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 (LGBl Nr 66/1994 in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 14/2024) ist in §49a vorgesehen, dass Abweichungen vom Baukonsens, auch hinsichtlich der Situierung, bei bestehenden Gebäuden im Bauland […] als rechtmäßig gelten, wenn ursprünglich eine Baubewilligung erteilt wurde oder ein Baukonsens vermutet werden kann, die Abweichungen seit mindestens 40 Jahren bestehen und dies bescheidmäßig festgestellt wurde.
In der Kärntner Bauordnung 1996 (LGBl Nr 62/1996 in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 77/2022) wird in §54 Abs1 geregelt, dass das Vorliegen der Baubewilligung für Gebäude vermutet wird, die seit mindestens 30 Jahren bestehen und für die eine Baubewilligung im Zeitpunkt ihrer Errichtung erforderlich war, welche jedoch nicht nachgewiesen werden kann.
Ähnlich wird in §23a Abs1 des Burgenländischen Baugesetzes 1997 (LGBl Nr 10/1998 in der Fassung des Gesetzes LGBl Nr 42/2024) vorgesehen, dass bestehende Bauwerke, für die eine Baubewilligung zum Zeitpunkt ihrer Errichtung erforderlich gewesen wäre und diese aber nicht nachgewiesen werden kann, als rechtmäßig gelten, wenn sie bereits vor dem 1. Jänner 1970 errichtet wurden.
III. Die Tiroler Landesregierung vertritt aus den dargelegten Gründen die Ansicht, dass §71 Abs13 TBO 2022, LGBl Nr 44/2022, idF Nr 64/2023 nicht verfassungswidrig ist. Die Tiroler Landesregierung stellt daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren einstellen."
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Tiroler Bauordnung 2022 – TBO 2022, LGBl 44/2022, idF LGBl 85/2023 lauten wie folgt (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):
"§6
Abstände baulicher Anlagen von den übrigen Grundstücksgrenzen und von anderen baulichen Anlagen
(1) Sofern nicht aufgrund der in einem Bebauungsplan festgelegten geschlossenen Bauweise oder aufgrund einer darin festgelegten besonderen Bauweise zusammenzubauen oder ein anderer Abstand einzuhalten ist oder aufgrund der in einem Bebauungsplan festgelegten Baugrenzlinien ein anderer Abstand einzuhalten ist, muss jeder Punkt auf der Außenhaut von baulichen Anlagen gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken mindestens einen horizontalen Abstand aufweisen, der
a) […]
b) im übrigen Bauland, auf Sonderflächen nach den §§47a, 48, 48a, 49 und 49b des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2022 und auf Vorbehaltsflächen das 0,6fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber vier Meter,
c) – d) […]
(2) – (9) […]
(10) Erfüllt ein nach früheren baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehendes Gebäude die Voraussetzungen nach den Abs1, 3 bis 5 oder 7 nicht, so sind ein Umbau, ein geringfügiger Zubau, eine sonstige Änderung dieses Gebäudes oder eine Änderung seines Verwendungszweckes auch dann zulässig, wenn
a) von den betreffenden Voraussetzungen nicht weiter als bisher abgewichen wird; dies gilt auch im Fall des Bestehens einer besonderen Bauweise,
b) den Erfordernissen des Brandschutzes entsprochen wird,
c) bei einer Änderung des Verwendungszweckes weiters keine zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen auf die angrenzenden Grundstücke, insbesondere durch Lärm, zu erwarten sind und
d) kein Widerspruch zum Bebauungsplan besteht. An jener Seite des Gebäudes, an der die Mindestabstände unterschritten werden, darf die Wandhöhe gegenüber dem bestehenden Gebäude nicht vergrößert werden. Dieser Absatz gilt sinngemäß für die Änderung sonstiger baulicher Anlagen.
(11) – (12) […]"
"§33
Parteien
(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber, die Nachbarn und der Straßenverwalter.
(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke,
a) die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 15 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen und
b) deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 50 m zu einem Punkt der baulichen Anlage oder jenes Teiles der baulichen Anlage, die (der) Gegenstand des Bauvorhabens ist, liegen.
Nachbarn sind weiters jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt.
(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:
a) – d) […],
e) der Abstandsbestimmungen des §6,
f) […]
(4) – (9) […]"
"§71
Übergangsbestimmungen
(1) – (12) […]
(13) Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl Nr 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, ist eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm jedenfalls rechtmäßig. Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach der seinerzeitigen Tiroler Bauordnung in der Fassung der Novelle LGBl Nr 10/1989 oder nach der Tiroler Bauordnung, LGBl Nr 33/1989, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 31/1997, erteilt worden ist, gilt dies nur, wenn deren Abstände gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken außer zu Verkehrsflächen im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung zumindest das Doppelte der gesetzlichen Mindestabstände betragen haben.
(14) – (21) [...]"
2. Die maßgebliche Bestimmung der Tiroler Bauordnung 2001 – TBO 2001, LGBl 94/2001 (WV), idF LGBl 48/2011 lautete:
"§59
Übergangsbestimmungen
(1) - (12) […]
(13) Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl Nr 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, berührt eine lagemäßige Abweichung des Gebäudes gegenüber der Lage aufgrund der Baubewilligung von höchstens 120 cm die Rechtmäßigkeit des Baubestandes nicht. Bei Gebäuden, für die die Baubewilligung nach der seinerzeitigen Tiroler Bauordnung in der Fassung der Novelle LGBl Nr 10/1989 oder nach der Tiroler Bauordnung 1989, LGBl Nr 33, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 31/1997, erteilt worden ist, gilt dies nur, wenn deren Abstände gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken außer zu Verkehrsflächen im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung zumindest das Doppelte der gesetzlichen Mindestabstände betragen haben."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hegte in seinem Prüfungsbeschluss das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung des §71 Abs13 TBO 2022 dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen dürfte, weil damit möglicherweise auch Personen, die sich durch die Errichtung konsenswidrig ausgeführter Bauwerke rechtswidrig verhalten haben, ganz generell und unabhängig von bestimmten Gründen besser gestellt würden als jene, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung gehandelt haben.
2.2. Dem hält die Tiroler Landesregierung entgegen, dass es Ziel des §71 Abs13 TBO 2022 sei, unbillige Härtefälle zu vermeiden, insbesondere in Bezug auf ältere Gebäude, deren tatsächliche Lage nicht bewusst fehlerhaft, aber dennoch abweichend von der für sie erteilten Baubewilligung situiert wurde. Hintergrund der Neuregelung seien zum einem praktisch häufig auftretende Lageabweichungen auf Grund von Ungenauigkeiten der Katastralmappen und zum anderen Unsicherheiten betreffend den Grenzverlauf. Die Bestimmung sei auf jene in der Praxis häufig anzutreffenden Fälle zugeschnitten, in denen sich die im Verhältnis zur Baubewilligung geringfügig fehlerhafte Situierung von Gebäuden aus historisch erklärbaren Unsicherheiten und nicht aus einem Fehlverhalten der Bauwerber ergebe.
Zur Beurteilung, ob bei einer baulichen Anlage tatsächlich eine vom Bauwerber nicht zu vertretende lagemäßige Abweichung vorliege, müsste auf Grund der geschilderten Umstände im Einzelfall eine historische Recherche durchgeführt werden, um den Zeitpunkt der Vermessung des Grenzverlaufes zu erheben. Im Hinblick auf die zu erwartende Anzahl betroffener Fälle im Verhältnis zu dem zu erwartenden bürokratischen Aufwand scheine es sachgerecht, abweichende Situierungen für Altbauten im angeführten Ausmaß als jedenfalls rechtmäßig zu beurteilen.
2.3. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren zerstreut werden:
2.3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes benötigt der Gesetzgeber im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes (Art7 B‑VG, Art2 StGG) eine besondere Rechtfertigung, will er denjenigen, der sich rechtswidrig verhält, so behandeln, als hätte er das Gesetz beachtet (vgl VfSlg 14.681/1996). Diese Judikatur wurde vor allem im Zusammenhang mit der rechtlichen Sanierung bewilligungslos errichteter Bauwerke entwickelt; demnach benötigt der Gesetzgeber einen sachlichen Grund, Personen, die sich rechtswidrig verhalten haben, besser zu stellen als jene, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung auf eine konsenslose Bauführung verzichtet haben (vgl zur gesetzlichen Sanierung konsenslos errichteter Bauten etwa VfSlg 14.681/1996, 14.763/1997, 15.441/1999, 16.901/2003; zur Sanierung im Wege einer Verordnung zB VfSlg 12.171/1989, 15.104/1998, 17.211/2004; zum gleichheitswidrigen Vollzug [Sanierung einer Abweichung von einer Baubewilligung im Bescheidweg] zB VfSlg 9896/1983).
2.3.2. Ein solcher sachlicher Grund liegt hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Bestimmung vor:
2.3.3. §71 Abs13 TBO 2022 erlaubt zwar Abweichungen ausgeführter Gebäude gegenüber der jeweiligen Baubewilligung; dies jedoch nur in Bezug auf deren Lage, lediglich im Ausmaß von 120 cm und ausschließlich hinsichtlich solcher Gebäude, für die die Baubewilligung nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Novelle LGBl 10/1989 zur seinerzeitigen Tiroler Bauordnung erteilt worden ist, sohin Bauwerke, die bereits seit geraumer Zeit bestehen.
Die Tiroler Landesregierung konnte mit ihrer Stellungnahme darlegen, dass die in Rede stehende fehlerhafte Situierung von Gebäuden offenbar in vielen Fällen auf die Ungenauigkeit der infolge der Erlassung des Allerhöchsten Patents (Grundsteuerpatents) vom 23. Dezember 1817, PGS 162/1817, erstellten Katastralmappen zurückzuführen ist: Nach Angaben des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen liegt der mittlere Fehlerwert bei Katastralmappen zwischen 80 cm für Urmappen und 120 cm für reproduzierte Mappen. Diese Mappen wurden jedoch lange Zeit als Grundlage zur Erstellung von Einreichplänen herangezogen, woraus Unsicherheiten betreffend den Grenzverlauf resultieren. Diesem Umstand korrespondierte auch die Rechtslage: So sah noch §13 des Gesetzes vom 20. Mai 1974, mit dem eine Bauordnung für Tirol erlassen wird (Tiroler Bauordnung – TBO), LGBl 42/1974, bei Grundstücksänderungen als Regelfall eine planliche Darstellung im Maßstab der Katastralmappe vor, die überdies erst seit der Novelle LGBl 10/1989 von einem Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen erstellt werden musste (vgl nunmehr §15 Abs3 erster Satz TBO 2022 iVm §1 Abs1 und 2
Liegenschaftsteilungsgesetz – Lieg. Teil. G., BGBl 3/1930, idF BGBl I 190/2013). Ausgehend davon erscheint es nachvollziehbar, dass ein erheblicher Teil der Grundstücke in Tirol von Unrichtigkeiten des Grenzverlaufes betroffen sein könnte, zumal die Vermessungen für den – wesentlich genaueren – Grenzkataster (vgl §§8 ff. Vermessungsgesetz – VermG, BGBl 306/1968 idF BGBl I I 116/2022) in Tirol erst hinsichtlich etwa eines Fünftels der Grundstücke fertiggestellt sind.
2.3.4. Daher ist es nicht unsachlich, wenn §71 Abs13 TBO 2022 lagemäßige Abweichungen älterer Gebäude vom bewilligten Konsens im Ausmaß von 120 cm, also des mittleren Fehlerwertes für reproduzierte Katastralmappen, legalisiert, ohne dies auf bestimmte Gründe zu beschränken; dies nicht zuletzt auch angesichts des zu erwartenden administrativen Aufwandes, der betrieben werden müsste, um die jeweilige Ursache der fehlerhaften Situierung nachzuweisen.
2.4. Vor diesem Hintergrund vermag der Verfassungsgerichtshof eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu erkennen.
IV. Ergebnis
1. §71 Abs13 Tiroler Bauordnung 2022 – TBO 2022, LGBl 44/2022, idF LGBl 64/2023 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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