Normen
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §28 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §28 Abs2
Spruch:
Die in §28 Abs2 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, enthaltene Wortfolge ", sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht" wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2001 in Kraft.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Das Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75 (im folgenden: FremdenG 1997), bestimmt in §14 unter der Rubrik "Verfahren bei der Erteilung der Einreise- und Aufenthaltstitel" in Absatz 2 folgendes:
"§14. ...
(2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist, und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; ..."
Der Absatz 2 des mit der Überschrift "Sonstige Ausnahmen von der Sichtvermerkspflicht" versehenen §28 FremdenG 1997 hat folgenden Wortlaut:
"§28. ...
(2) In Österreich geborene Kinder Fremder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sind während ihrer ersten drei Lebensmonate von der Sichtvermerkspflicht befreit, sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht."
2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1998 wurde der am 18. November 1997 eingebrachte Antrag des durch seinen (über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügenden) Vater vertretenen mj. Beschwerdeführers der Beschwerdesache B1017/98 (eines am 29. September 1997 in Wien geborenen chinesischen Staatsangehörigen) auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung abgewiesen. Dies wurde - sinngemäß zusammengefaßt - damit begründet, daß eine Inlandsantragstellung gem. §14 Abs2 FremdenG 1997 nicht zulässig sei, da die (mit einem Touristensichtvermerk eingereiste) Mutter des Beschwerdeführers über keinen Aufenthaltstitel verfüge; der Beschwerdeführer könne somit keinen Rechtsanspruch im Sinne des §28 Abs2 FremdenG 1997 ableiten. Dieser Berufungsbescheid ist Gegenstand der unter B1017/98 protokollierten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie im "Grundrecht der Gleichheit von Mann und Frau" geltend macht und bezüglich §28 Abs2 FremdenG 1997 die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens anregt.
II. Aus Anlaß der beschriebenen Beschwerdesache beschloß der Verfassungsgerichtshof, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", sofern die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt oder Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießt; dies gilt jedoch nur, solange das Aufenthaltsrecht der Mutter weiterhin besteht" in §28 Abs2 FremdenG 1997 einzuleiten.
Der Gerichtshof ging vorläufig davon aus, daß der meritorischen Erledigung der Beschwerde keine Verfahrenshindernisse entgegenstehen sowie daß er im Rahmen seiner Sachentscheidung die bezogene Gesetzesstelle anzuwenden hätte.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken legte der Gerichtshof wie folgt dar:
"Gegen die in Prüfung genommene Vorschrift hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß sie mit dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, welches auch den Gesetzgeber bindet, nicht im Einklang steht, weil sie Vater und Mutter eines minderjährigen Kindes anscheinend in einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Weise ungleich behandelt; er vermag - wie vorläufig angenommen wird - dem vom VwGH in seinem Erk. Zl. 99/19/0004 vom 20.4.1999 eingenommenen Standpunkt im Ergebnis deshalb nicht beizutreten, weil dieser Gerichtshof seiner verfassungsrechtlichen Beurteilung anscheinend im wesentlichen bloß Art8 und 14 EMRK als Maßstab zugrunde legte. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, BlgNR 685, 20. GP, S. 72, behaupten vorbehaltlos und ohne nähere Begründung, daß 'diese besondere Art der gesetzlich befristeten Aufenthaltsberechtigung untrennbar mit dem Aufenthaltsrecht der Mutter verbunden' sei. Sie nehmen weder darauf Bedacht, daß der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur früheren Gesetzeslage (§3 Abs1 Z2 AufenthaltsG) die damals von der Fremdenbehörde vertretene Ansicht abgelehnt hat, die 'Beziehung der (erg. damaligen) Beschwerdeführerin zu ihrer Mutter sei als näher anzusehen und für die weitere Entwicklung des Kindes auch erforderlich(; es) widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, ein Kleinkind von seiner Mutter zu trennen' (VwGH 14.5.1996, Zl. 95/19/0674), noch auf die vom Verfassungsgerichtshof in bezug auf dieselbe Gesetzesstelle bekundete Auffassung, die Fremdenbehörde könne nicht '- ohne nähere Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse - davon aus(gehen), daß der Kindesvater die Obsorge nicht übernehmen könne und einzig die Mutter-Kind-Beziehung ausschlaggebend sei' (VfSlg. 15074/1998). Indem §28 Abs2 FremdenG 1997 das Aufenthaltsrecht des Kindes in den ersten drei Lebensmonaten ausnahmslos an jenes der Mutter knüpft, dürfte dieser Bestimmung eine ausschließlich nach dem Geschlecht differenzierende, sachlich nicht zu rechtfertigende Regelung zugrunde liegen. Der schon erwähnten Argumentation, daß die Beziehung eines Säuglings zu seiner Mutter näher als zu seinem Vater und für die weitere Entwicklung des Kindes auch erforderlich sei und es jeglicher Lebenserfahrung widerspreche, ein Kleinkind von seiner Mutter zu trennen (s. VwGH 14.5.1996, Zl. 95/19/0674, der diese Auffassung mit der Begründung ablehnte, die damals belangte Behörde verkenne ihre Aufgaben, wenn sie meine, sie sei dazu berufen, zu entscheiden, ob für die Beschwerdeführerin das Leben in Gemeinschaft mit ihrer Mutter jenem in Gemeinschaft mit ihrem Vater im Interesse des Kindeswohles vorzuziehen ist), ist (auch unter Bedachtnahme auf die naturgegebene besondere Beziehung des Säuglings zu seiner Mutter) wohl entgegenzuhalten, daß auch der Vater, wenn er über die entsprechenden Möglichkeiten verfügt, von Geburt seines Kindes an die Obsorge übernehmen kann, dies etwa dann, wenn ihm - was keineswegs auszuschließen ist - die Obsorge gerichtlich übertragen wird. Auch muß etwa im Fall des Todes der Mutter bei der Geburt die Verantwortung für das Kind jedenfalls dem Vater zukommen, was aber durch die vorbehaltlose Regelung des Gesetzes geradezu verhindert wird."
III. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie begehrt, die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall deren Aufhebung beantragt sie - hilfsweise -, für das Außerkrafttreten eine Frist von 18 Monaten zu setzen, um dem Gesetzgeber eine Ersatzregelung zu ermöglichen.
Im einzelnen hält die Bundesregierung den verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofs folgendes entgegen:
"Die in Prüfung gezogene Bestimmung des FrG bezweckt keine Besserstellung bestimmter in Österreich geborener Fremder, sondern dient der Erleichterung der Abwicklung des Titelerwerbs mit dem Ziel einer Quotenfreistellung, einer Inlandsantragstellung und einer zeitlichen Flexibilisierung; der Gesetzgeber war jedoch auch aufgerufen, Missbrauchsmöglichkeiten hintanzuhalten. Da in Österreich geborene Kinder nicht von vornherein über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügen, jedoch nicht auch von vornherein als nicht rechtmäßig in Österreich niedergelassen gelten sollten, wurde diese Bestimmung in das FrG aufgenommen. In Ausübung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes hat der Gesetzgeber hiebei die Sichtvermerksfreiheit der in Österreich geborenen Kinder an das Aufenthaltsrecht der Mutter gebunden. Die Bundesregierung vermeint aus folgenden Gründen, dass die vom Verfassungsgerichtshof angenommene Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist.
Eingangs ist darzustellen, welche Gruppen von Kindern Fremder unter die in Prüfung gezogene Bestimmung fallen:
a) Sind beide Elternteile Drittstaatsangehörige, ist das in Österreich geborene Kind gemäß §28 Abs2 in seinen ersten drei Lebensmonaten von der Sichtvermerkspflicht befreit, wenn die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt.
b) Ist die Mutter Drittstaatsangehörige und der Vater EWR-Bürger und erwirbt das Kind nicht kraft Geburt die EWR-Staatsangehörigkeit, dann 'folgt' das Kind rechtlich der Mutter. Es bedarf einer Niederlassungsbewilligung, hat allerdings als begünstigter Drittstaatsangehöriger einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der weiteren Niederlassungsbewilligung.
c) Ist die Mutter EWR-Bürgerin und der Vater Drittstaatsangehöriger und erwirbt das Kind nicht kraft Geburt die EWR-Staatsangehörigkeit, so 'folgt' das Kind ebenfalls der Mutter. Aufgrund der Niederlassungsfreiheit ist die Mutter zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
d) Ist der Vater österreichischer Staatsbürger und die Mutter Drittstaatsangehörige und erwirbt das Kind nicht kraft Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist das Kind in seinen ersten drei Lebensmonaten dann von der Sichtvermerkspflicht befreit, wenn die Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt.
Dies hat zur Folge, dass ein in Österreich geborenes Kind Fremder, das die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, dann nicht sichtvermerksfrei ist und auch nicht in Österreich niedergelassen gilt, wenn beide Elternteile Drittstaatsangehörige sind und lediglich der Vater rechtmäßig mit einem Aufenthaltstitel in Österreich niedergelassen ist. Der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ist im Gegensatz zu einem Kind, dessen Mutter über einen Aufenthaltstitel verfügt, im Ausland zu stellen; dieses Kind bedarf eines Quotenplatzes und gilt auch nicht als bereits niedergelassen (arg. §14 Abs2). Die Erteilung des Aufenthaltstitels ist im Ausland abzuwarten.
Diese Ungleichbehandlung findet ihre sachliche Rechtfertigung darin, dass das österreichische Fremdenrecht insgesamt auf einem quotenbedingten Zuwanderungssystem beruht. Auch der Familiennachzug bereits in Österreich niedergelassener Drittstaatsangehöriger ist dem Quotensystem unterworfen. Wäre es für die Sichtvermerksfreiheit des in Österreich geborenen Kindes ausreichend, dass nur der Vater über einen österreichischen Aufenthaltstitel verfügt, wäre es ein Leichtes das österreichische Zuwanderungssystem zu durchbrechen. Der Vater wäre rechtmäßig in Österreich niedergelassen, das Kind die ersten drei Lebensmonate von der Sichtvermerkspflicht befreit und in der Folge - wenn beantragt und die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung erfüllt sind - mit einer weiteren Niederlassungsbewilligung ausgestattet. Die Mutter hingegen wäre entweder nicht rechtmäßig oder mit einem Einreisetitel in Österreich; dieser Einreisetitel kann kraft Gesetzes im Inland nicht von einem Aufenthaltstitel 'ersetzt' werden. In der Folge hätte entweder die Ausweisung der Mutter zu erfolgen oder es wäre eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis gemäß §10 Abs4 FrG von Amts wegen 'zwingend' zu erteilen, da die nicht rechtmäßig in Österreich aufhältige Mutter eines Sichtvermerksfreiheit genießenden (und somit rechtmäßig in Österreich aufhältigen) Neugeborenen im Hinblick auf Art8 EMRK wohl kaum ausgewiesen werden würde. Dadurch würde das österreichische Zuwanderungs- und Quotensystem gleichsam durch die geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten deutlich geschwächt, wenn nicht gar außer Kraft gesetzt."
IV. 1. Die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge im §28 Abs2 FremdenG 1997 wird weder von der Bundesregierung bestritten noch sind sonst in dieser Richtung Zweifel entstanden. Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs erweisen sich als gerechtfertigt.
Die Bundesregierung erhebt unter Bezugnahme auf das sogenannte Quotensystem den ihre gesamte Argumentation tragenden Einwand, das österreichische Zuwanderungssystem könnte leicht durchbrochen werden, wenn es für die Sichtvermerksfreiheit des in Österreich geborenen Kindes ausreichend wäre, daß nur der Vater über einen österreichischen Aufenthaltstitel verfügt. Dieser Einwand verfehlt aber den verfassungsrechtlichen Vorwurf des Einleitungsbeschlusses, weil der Gerichtshof keineswegs das Prinzip in Frage gestellt hat, die befristete Sichtvermerksfreiheit des Kindes an die fremdenrechtliche Stellung der Mutter zu knüpfen, sondern die gleichbehandlungsrechtlichen Bedenken bloß wegen der Ausnahmslosigkeit der getroffenen Regelung geäußert hat. Der Verfassungsgerichtshof hält am Grundgedanken des Prüfungsbeschlusses fest, daß es besondere Fallkonstellationen gibt, in denen der Vater die (alleinige) Obsorge über das Kind zu übernehmen hat, wie etwa dann, wenn ihm diese gerichtlich übertragen wird, im Fall des Todes der Mutter bei der Geburt, oder der die Betreuung des Kindes hindernden schweren Erkrankung der Mutter, darüberhinaus in ähnlichen das Wohl des Kindes gefährdenden Situationen, die praktisch möglich sind. Solche Fälle können im Hinblick auf die ansonsten für das Kind eintretenden besonders gravierenden Rechtsfolgen nicht als Härtefälle hingenommen werden (vgl. zB VfSlg. 8871/1980, S 593). Die angeführten sowie weitere für das erst vor kurzem zur Welt gekommene Kind in ihrer Bedeutung gleich zu bewertende Sachverhalte zeigen deutlich, daß die in Prüfung gezogene Regelung ob ihrer absoluten Vorbehaltlosigkeit dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander widerspricht; sie ist sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
V. Die übrigen Entscheidungen stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG. Die antragsgemäße Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Vorschrift soll die Schaffung einer Ersatzregelung ermöglichen und damit die von der Bundesregierung befürchtete Durchbrechung des Zuwanderungssystems verhindern.
VI. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
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