Normen
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §34
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §34
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Kunduz, reiste gemeinsam mit seinen Großeltern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am 21. Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) gab der Großvater des Beschwerdeführers im Wesentlichen an, dass sein Sohn Mohammad der Vater des Beschwerdeführers sei und mittlerweile eine zweite Frau habe, mit der er ebenfalls zwei Kinder habe. Außerdem habe der Beschwerdeführer einen Bruder. Wo die Familie des Beschwerdeführers derzeit aufhältig sei, wisse der Großvater aber nicht. Der Beschwerdeführer habe immer schon bei den Großeltern gewohnt, um diesen zu helfen, und habe zudem mit dem Einverständnis seines Vaters seinen Herkunftsstaat verlassen.
1.1. Zum Fluchtgrund befragt gab der Großvater des Beschwerdeführers an, dass Kriminelle seinen Sohn, den Vater des Beschwerdeführers, entführt und Geld verlangt hätten. Zudem hätten diese Kriminellen auch den ältesten Sohn des Großvaters (den Onkel des Beschwerdeführers) getötet und ihm vor die Türe gelegt sowie mit der Tötung eines weiteren Sohnes des Großvaters gedroht. Der Beschwerdeführer selbst sei hingegen nie Übergriffen ausgesetzt gewesen. Weitere, eigene Fluchtgründe wurden für den Beschwerdeführer nicht vorgebracht.
1.2. Mit Bescheiden des BAA vom 24. Mai 2013 wurden die Anträge des Beschwerdeführers und seiner Großeltern auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) und auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 abgewiesen und der Beschwerdeführer und seine Großeltern gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen. Begründend führte das BAA aus, dass zwar ein Familienverfahren iSd §34 AsylG 2005 vorliege, das Fluchtvorbringen der Großeltern jedoch unglaubwürdig sei und zudem keine eigenen Fluchtgründe für den Beschwerdeführer vorgebracht worden seien.
1.3. Wie den vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden kann, wurde der den Beschwerdeführer betreffende Bescheid des BAA der Großmutter als gesetzlicher Vertreterin des Beschwerdeführers am 29. Mai 2013 zugestellt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Großmutter, gemeinsam mit seinen Großeltern fristgerecht Beschwerde an den damals noch zuständigen Asylgerichtshof.
1.4. Ende Jänner 2014 reiste der Vater des Beschwerdeführers mit seiner zweiten Frau, die nicht die Mutter des Beschwerdeführers ist, und den gemeinsamen drei Kindern nach Österreich ein. Von ihnen allen wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2014 wurde sowohl der Großmutter als auch dem Großvater des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Demgegenüber wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Vater des Beschwerdeführers als Zeuge einvernommen worden ist, mit Erkenntnis vom selben Tag ab (Spruchpunkt A) I.), erkannte ihm jedoch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt A) II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 8. Juli 2015 (Spruchpunkt A) III.). Gleichzeitig erklärte es die Revision für unzulässig (Spruchpunkt B).
2.1. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass ein Familienverfahren gemäß §34 AsylG 2005 nur unter "Familienangehörigen" zu führen sei, worunter gemäß §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 insbesondere nur Elternteile eines minderjährigen Kindes zu verstehen seien. Der Beschwerdeführer sei demgegenüber der minderjährige Enkel seiner Großeltern, denen der Status von Asylberechtigten zukomme. Sie seien somit kein Elternteil iSd §2 Abs1 Z22 AsylG 2005, weshalb auch kein Familienverfahren iSd §34 leg.cit. durchzuführen sei.
2.2. Aus dem Vorbringen des Großvaters sei keine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers ableitbar. Dass der Beschwerdeführer aus anderen in seiner Person gelegenen Gründen einer – ausreichend wahrscheinlichen – asylrelevanten Verfolgung maßgeblicher Intensität in Afghanistan ausgesetzt wäre, sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden und auch sonst nicht ersichtlich. Angesichts der Sicherheitslage in der Provinz Kunduz und des Umstandes, dass der Aufenthaltsort der Mutter und des Bruders des Beschwerdeführers nach wie vor unbekannt sei, sei dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
3. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einreise nicht von den Großeltern gesetzlich vertreten gewesen sei, weshalb der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger für die Vertretung des Beschwerdeführers zuständig gewesen wäre. Mangels Zustellung des Bescheides des BAA an diesen sei das BAA mit der Bescheiderlassung säumig und liege insoweit kein tauglicher Anfechtungsgegenstand vor dem Bundesverwaltungsgericht vor. Insoweit hätte das Gericht die Beschwerde zurückzuweisen gehabt.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2.1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Inter-nationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichts, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2.1.3. Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
2.2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht hier unterlaufen:
2.2.1. Der im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 15‑jährige Beschwerdeführer lebte in Afghanistan aber auch in Österreich gemeinsam mit seinen Großeltern. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Großeltern des Beschwerdeführers in einem gesondert geführten Verfahren als Asylberechtigte anerkannt wurden, wobei nach den gerichtlichen Feststellungen die zugrundeliegende Fluchtgeschichte des Großvaters in ihrer Substanz eine Erpressung der Taliban um Geld zum Gegenstand hat und die Terroristen – um der Erpressung Nachdruck zu verleihen – einen Sohn des Großvaters (also einen Onkel des Beschwerdeführers) getötet und mit der Tötung eines weiteren Sohnes (also des Vaters des Beschwerdeführers) gedroht hatten.
2.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht ist zwar mit seiner Auffassung im Recht, dass mit Großeltern kein Familienverfahren iS des §34 AsylG 2005 geführt werden musste, was aber nichts daran ändert, dass sich die asylrelevante Verfolgung des Großvaters, welcher dieser mangels staatlicher Schutzfähigkeit ausgeliefert gewesen ist und die ihn zur Flucht aus seiner Heimat gezwungen hat, insofern automatisch auch auf den minderjährigen Beschwerdeführer ausgewirkt hat, als dieser – der gemeinsam mit seinen Großeltern gelebt hat – mit ihnen auch mitziehen musste. Dies insbesondere wegen des Umstandes, dass auch der Vater des Beschwerdeführers (nach der Fluchtgeschichte des als asylberechtigt anerkannten Großvaters des Beschwerdeführers als von den Taliban am Leben Bedrohter) mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet ist und hier um Asyl angesucht hat. Jedenfalls unter diesen Umständen – wenngleich anders als nach §34 AsylG 2005 nicht automatisch, sondern nach Maßgabe der Prüfung im Einzelfall – hat sich die asylrelevante Bedrohung von Großvater und Vater auf den minderjährigen Beschwerdeführer insofern ausgewirkt, als auch dieser – es sei denn als allein lebendes Kind – nicht in seiner Heimat zurückbleiben konnte.
2.2.3. Vor allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht nicht erkannt, dass das Verfahren des Beschwerdeführers ab dem Zeitpunkt des Asylantrages des Vaters des Beschwerdeführers, dessen Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abgeschlossen gewesen ist, gemäß §34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam mit dem des Vaters (und dessen weiteren Kindern und seiner nunmehrigen Ehefrau) als Familienverfahren durchzuführen war (vgl. etwa auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den bei ihm angefochtenen Bescheid des BAA im Spruchpunkt der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens mit der Familie des Vaters anzuordnen gehabt.
3. Da das Bundesverwaltungsgericht sohin die Rechtslage mehrfach verkannt hat, hat es den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
Die angefochtene Entscheidung ist daher im Punkt der Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch Spruchpunkt A) I. der angefochtenen Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher im genannten Umfang aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
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