Normen
B-VG Art18 Abs1
EMRK Art10 Abs1
RL-BA 1977 §45
B-VG Art18 Abs1
EMRK Art10 Abs1
RL-BA 1977 §45
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit € 2.664,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind Partner einer Rechtsanwaltsgesellschaft, die eine Werbekampagne mit Inseraten in österreichischen Tageszeitungen durchgeführt hat.
Das erste Inserat bestand aus einem grafisch gestalteten, in die Länge gezogenen rosa Kaugummi mit der Überschrift "Wenn sich die Verhandlungen ziehen, sind die Anwälte schuld.", dem Textteil "Ein guter Anwalt ist mindestens so zäh wie das Problem, das er zu lösen hat." sowie dem Hinweis auf die Rechtsanwaltsgesellschaft.
Die zweite Anzeige enthielt die Grafik eines überfahrenen Frosches mit einer Reifenspur, neben der die Überschrift "Was ist Ihre liebste Verhandlungstaktik?" zu lesen war. Darunter befand sich der Text "Überfahren oder Aussitzen, Dampfwalze oder Charme-Attacke, laut oder leise?" sowie der Hinweis auf die Rechtsanwaltsgesellschaft.
2. Mit Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 20. Mai 2005 wurden die Beschwerdeführer der Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zu einer Geldbuße in Höhe von € 1.000,-
sowie zur Tragung der anteiligen Kosten des Verfahrens verurteilt, weil sie
"durch die Schaltung von Inseraten unzulässige Werbung betrieben [haben], und zwar
a) am 14. Februar 2003 durch ein Inserat ... mit dem Schlagwort 'Wenn sich die Verhandlungen ziehen, sind die Anwälte schuld' und der bildlichen Darstellung eines auseinandergezogenen Kaugummis, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass Anwälte für eine lange Verhandlungsdauer verantwortlich sind;
b) am 14. März 2003 durch Inserate ... mit dem Schlagwort 'Was ist Ihre liebste Verhandlungstaktik' verbunden mit der Darstellung eines von einem Autoreifen überfahrenen Frosches, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass es zur Taktik von Anwälten gehört, den Gegner zu überfahren."
3. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 20. November 2006 teilweise Folge gegeben und die Beschwerdeführer vom Vorwurf, sie hätten durch die Schaltung von Inseraten am 14. März 2003 mit dem Schlagwort "Was ist Ihre liebste Verhandlungstaktik?" verbunden mit der Darstellung eines überfahrenen Frosches eine mit Ehre und Ansehen des Standes nicht im Einklang stehende Werbung betrieben, freigesprochen (Spruchpunkt I.b). Begründend führt die OBDK im Wesentlichen aus, dass die im Inserat getroffenen Aussagen "als Fragesätze gestaltet [seien], welche fallbezogen auch unter Berücksichtigung der dabei befindlichen Abbildung ... bloß eine Geschmacksfrage betreffen" würden.
Wegen des Disziplinarvergehens gemäß Spruchpunkt I.a) wurden die Beschwerdeführer hinsichtlich des "Kaugummi-Inserats" zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.
4. Gegen diesen Spruchpunkt des als Bescheid zu wertenden Erkenntnisses der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Gesetzwidrigkeit des §45 Abs2 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: RL-BA 1977) behauptet, die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
5. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die Beschwerdeführer behaupten die Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "Ehre und Ansehen des Standes" in §45 Abs2 RL-BA 1977. Die Bestimmung sei ihrer Auffassung nach nicht ausreichend bestimmt.
1.2. §45 RL-BA 1977, in der Fassung vom 3. Oktober 2006, lautete:
"§45
(1) Der Rechtsanwalt wirbt vornehmlich durch die Qualität seiner anwaltlichen Leistung.
(2) Werbung ist zulässig, sofern sie wahr, sachlich, in Einklang mit Ehre und Ansehen des Standes, den Berufspflichten sowie der Funktion des Rechtsanwaltes im Rahmen der Rechtspflege ist.
(3) Unzulässig ist insbesondere
a) Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung;
b) vergleichende Werbung gegenüber Standesangehörigen;
- c) Mandatsakquisition unter Ausnützung einer Zwangssituation;
- d) Überlassung von Vollmachtsformularen an Dritte zwecks Weitergabe an einen unbestimmten Personenkreis;
e) Nennung von Mandanten ohne deren Einwilligung;
- f) das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für Mandatszuführungen;
g) Bezugnahme auf Erfolgs- oder Umsatzzahlen."
1.3. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 12.467/1990 ausgesprochen hat, ist §10 Abs2 Rechtsanwaltsordnung, der inhaltlich die Verordnungsbestimmung des §45 RL-BA 1977 determiniert, verfassungskonform der Inhalt zu unterstellen, dass Rechtsanwälte auch bei Werbemaßnahmen die Ehre und die Würde des Standes soweit zu wahren haben, dass das Ansehen der Rechtsprechung gewährleistet ist. Eine solche verfassungskonforme Interpretation des Gesetzes hat auch der Verordnungsgeber zu beachten. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass der Verordnungsgeber durch §45 Abs2 RL-BA 1977 diesen durch die Verfassung vorgegebenen Rahmen überschritten hat (VfSlg. 12.467/1990, 16.555/2002, 17.290/2004).
Zur Verfassungskonformität der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" vgl. die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §1 Abs1 Disziplinarstatut 1990 (VfSlg. 12.915/1991, 16.265/2001, 17.713/2005).
§45 Abs2 RL-BA ist daher ausreichend bestimmt, die Beschwerdeführer wurden nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
2.1. Unter dem Titel des Art10 EMRK behaupten die Beschwerdeführer, dass Werbung grundsätzlich erlaubt sei, nur in bestimmten Bereichen dürfe die Meinungsäußerungsfreiheit hinsichtlich der anwaltlichen Werbung beschränkt werden. Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles, was eine zulässige Werbung darstelle, seien persönliche Geschmacksfragen ausschlaggebend gewesen. Ziel des Inserats sei gewesen, das Interesse der Leser auf sich zu ziehen. Ein legitimes und in der Werbelandschaft gängiges Mittel zur Erreichung dieses Ziels sei der Einsatz ironischer Aussagen.
2.2. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse unter anderem des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ 1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg. 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).
Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 ERMK missachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10.386/1985, 10.700/1985, 12.086/1989, 13.122/1992, 16.792/2003).
2.3. Die Beschwerdeführer wurden in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt, weil die belangte Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift einen dem Art10 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt hat:
Die Schaltung von Inseraten, die nach §45 RL-BA 1977 zulässige Angaben enthalten, sind Tatsachenmitteilungen, die dem Schutz des Art10 Abs1 EMRK unterliegen (VfSlg. 16.220/2001).
Der Verfassungsgerichtshof vermag in der inkriminierten Werbung keine unsachliche oder durch Art10 EMRK nicht mehr gedeckte Werbung zu erkennen. Eine Äußerung ist im Zweifel so zu verstehen, dass sie vom Schutzbereich des Art10 EMRK umfasst ist. Die Wortwahl und die Gestaltung des "Kaugummi-Inserats" steht nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im Einklang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung.
Der Gerichtshof ist nämlich der Ansicht, dass eine demokratische Gesellschaft das in Rede stehende Inserat hinnehmen kann, ohne dass der Schutz des guten Rufes oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung Schaden erleiden. Die Werbung ist weder unsachlich noch irreführend, sodass eine verfassungskonforme Auslegung der angewendeten Rechtsvorschrift zu dem Ergebnis führen muss, dass die Werbung mit Ehre und Ansehen des Standes im Einklang steht und ein Disziplinarvergehen somit nicht vorliegt.
Die Beschwerdeführer wurden daher in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
Der Bescheid war aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In dem zugesprochenen Betrag ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 270,- und USt. in Höhe von € 414,- enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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