Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Allg
Nö ROG 1976 §14 Abs2 Z2
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z5
Nö BauO §62 Abs2
GewO 1973 §79 Abs2
ABGB §364 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Allg
Nö ROG 1976 §14 Abs2 Z2
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z5
Nö BauO §62 Abs2
GewO 1973 §79 Abs2
ABGB §364 Abs2
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird daher abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. Dezember 1995, Z R/1-V-94157/03, wurde die Vorstellung der beschwerdeführenden Nachbarn gegen den die Baubewilligung zur Errichtung eines Einfamilienhauses den mitbeteiligten Parteien erteilenden Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde Winklarn vom 24. Oktober 1995 als unbegründet abgewiesen.
In der auf Art144 B-VG gestützten, gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde erachten sich die Beschwerdeführer in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein gerichtliches Verfahren im Sinne des Art6 Abs1 EMRK sowie in ihren Rechten durch die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Winklarn vom 29. Juni 1987/TOP 5, genehmigt mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 28. Dezember 1987, Z R/1-R-535/8, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 14. bis 29. Jänner 1988 (im folgenden kurz: örtliches Raumordnungsprogramm), soweit darin die GP 559/1 als Bauland-Agrargebiet ausgewiesen ist, als verletzt.
Begründend wird von den Beschwerdeführern dazu vorgebracht, daß sie Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes seien. Infolge einer gleichheitswidrigen Auslegung des §62 Abs2 NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200 idF 8200-13 (im folgenden: NÖ BauO 1976), durch die belangte Behörde hätten die auf das geplante Wohnobjekt wirkenden Immissionen keine Berücksichtigung gefunden. Es sei im Hinblick auf die vom Verfassungsgerichtshof zum "umgekehrten Immissionsschutz" ergangenen Erkenntnisse eine gleichheitskonforme Auslegung des §62 Abs2 NÖ BauO 1976 geboten, da die Beschwerdeführer nunmehr in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb "z.B. insbesondere in Bezug auf Silolagerung und Tierhaltung unzumutbar eingeschränkt (seien) und (mit) erheblichen Auflagen, wenn nicht mit einer Stillegung (ihres) landwirtschaftlichen Betriebes zu rechnen" hätten, ihnen aber "auch Stallzubauten nach Errichtung des geplanten Einfamilienhauses gänzlich verwehrt" seien.
Die aus einem Bauverfahren abgeleiteten subjektiven Rechte seien im Sinne der Rechtsprechung des EGMR als Zivilrechte zu qualifizieren, über welche Tribunale gemäß Art6 EMRK zu entscheiden haben. Dadurch, daß eine Verwaltungsbehörde in einem nichtöffentlichen Verfahren entschieden hätte, sei ein Verstoß gegen Art6 EMRK zu erblicken.
Gemäß §14 Abs2 Z2 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 (NÖ ROG 1976), LGBl. 8000 idF 8000-9, seien die für die landwirtschaftliche Produktion wertvollen Flächen, soweit nicht andere Ziele Vorrang haben, für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung sicherzustellen. Im gegenständlichen Bereich befänden sich rein landwirtschaftlichen Zwecken dienende Gebäude. Die gegenständliche Widmung als Bauland-Agrargebiet, in welcher auch Wohngebäude zugelassen sind, widerspreche daher dem im §14 Abs2 Z2 NÖ ROG 1976 idF LGBl. 8000-9 festgelegten Grundsatz.
2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Sie bringt vor, daß die bisherigen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zum "umgekehrten Immissionsschutz" nicht zu Angelegenheiten aus dem Geltungsbereich der NÖ BauO 1976 ergangen seien. Die zentrale Immissionsschutzbestimmung der NÖ BauO 1976, §62 Abs2, lasse - auf Grund ihrer detaillierten Fassung - keinen Interpretationsspielraum dahingehend offen, daß sie einen Schutz vor auf das geplante Wohnobjekt wirkenden Immissionen gewähren will. Selbst wenn man vom Bestehen des "umgekehrten Immissionsschutzes" im Bereich der Nö BauO 1976 ausgehe, sei aus §62 Abs2 NÖ BauO 1976 "lediglich ein Anspruch der Nachbarn darauf abzuleiten, daß auf ihrem Grundstück keine das örtlich zumutbare Maß übersteigenden Belästigungen entstehen". Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei das "Ausmaß der zumutbaren Immissionen aus einem Rinder- und Schweinemastbetrieb im Bauland-Agrargebiet höher anzusetzen ... als im Bauland-Wohngebiet". Daraus gehe hervor, "daß im Bauland-Agrargebiet von den Nachbarn sehr wohl ein gewisses Maß an Immissionen hinzunehmen ist, sodaß der Argumentation der Beschwerdeführer, durch die Errichtung eines Einfamilienhauses würden sie in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb unzumutbar eingeschränkt, nicht gefolgt werden kann". Überdies hätten im Falle eines späteren, den landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführer betreffenden Baubewilligungsverfahren die Bauwerber auch ohne Errichtung eines Einfamilienhauses die Möglichkeit, hinsichtlich unzumutbarer Belästigungen Einwendungen zu erheben, da diese bereits an der Grundstücksgrenze nicht auftreten dürfen. Weiters seien den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes Beschwerden der Inhaber von Gewerbebetrieben zugrundegelegen, die mit nachträglichen Vorschreibungen von Auflagen gemäß §79 Gewerbeordnung 1973 rechnen mußten. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um einen landwirtschaftlichen Betrieb, der keiner gewerbebehördlichen Bewilligungspflicht unterliege.
Der NÖ BauO 1976 seien nachträgliche Auflagen fremd. Wenn die Beschwerdeführer davon ausgingen, daß es auf Grund des "umgekehrten Immissionsschutzes" zu einer gänzlichen Untersagung des Wohnobjektes hätte kommen müssen, so sei dem entgegenzuhalten, daß es bereits im Rahmen der direkten Anwendung des §62 Abs2 NÖ BauO 1976 nie zu einer gänzlichen Untersagung des geplanten Objektes kommen könne - dies entspreche auch der Rechtsprechung des VwGH - und daher auch eine erweiterte Anwendung des §62 Abs2 Nö BauO 1976 "logischerweise" zu keiner gänzlichen Untersagung führen könne.
Hinsichtlich der Verordnungsbedenken sei auszuführen, daß der gegenständliche Bereich den "klassischen Fall" des Bauland-Agrargebietes darstelle.
Unbestrittenermaßen komme weder den Gemeindeorganen noch der Niederösterreichischen Landesregierung als Vorstellungsbehörde Tribunalqualität zu. Mit der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1962, BGBl. Nr. 205, seien die Angelegenheiten der Baupolizei dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugewiesen worden und sei diese lex specialis auch aufrechterhalten worden, als durch das Bundesverfassungsgesetz vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, mit Verfassungsrang ausgestattet wurde. Es bestünden daher keine Bedenken unter dem Blickwinkel des Art6 Abs1 EMRK.
3. Der Bürgermeister der Gemeinde Winklarn führt in seiner Stellungnahme aus, daß vor Erstellung des örtlichen Raumordnungsprogrammes eine umfangreiche Grundlagenforschung betrieben worden sei. Im gegenständlichen Bereich hätten bereits immer landwirtschaftlich genutzte Gebäude und reinen Wohnzwecken dienende Gebäude nebeneinander bestanden. Dieses Gebiet sei überdies voll aufgeschlossen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Grundstück Nr. 559/1, KG Winklarn, ist ebenso wie das benachbarte Grundstück der Beschwerdeführer und das südlich angrenzende Grundstück kraft des örtlichen Raumordnungsprogrammes als "Bauland-Agrargebiet" gewidmet. Unter §2 Z4 dieses örtlichen Raumordnungsprogramms werden als Hauptfunktionen der Siedlungseinheit "Greinsfurth mit Hart" angegeben: "agrarischer Betriebsstättenstandort, Wohnort, Erwerbsstandort". Der Verfassungsgerichtshof hegt nach Einsichtnahme in den Erläuterungsbericht einschließlich Grundlagenforschung zum örtlichen Raumordnungsprogramm sowie in die Verhandlungsschrift über die Sitzung des Gemeinderats der Gemeinde Winklarn vom 29. Juni 1987 betreffend Beratung und Beschlußfassung dieses Berichts keine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit dieser Widmung.
2. §16 Abs2 NÖ ROG 1976 lautete (in der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung, LGBl. 8000-9):
"In Kern- und Agrargebieten sind auch Wohngebäude zuzulassen.
..."
Auf Grund der mittlerweile beschlossenen NÖ ROG-Novelle 1995,
LGBl. 8000-10, sind gemäß §16 Abs1 Z5 NÖ ROG 1976 in
Bauland-"Agrargebiete(n), die für Bauwerke land- und
forstwirtschaftlicher Betriebe ... bestimmt sind", auch
"Einfamilienhäuser und Kleinwohnhäuser im Sinne der
baurechtlichen Bestimmungen ... zuzulassen". Gegenüber der
ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung von "Wohngebäuden" (vor der NÖ ROG-Novelle 1995) bzw von Einfamilienhäusern (auf Grund der nunmehr geltenden Rechtslage) neben den Bauwerken land- und forstwirtschaftlicher Betriebe im "Bauland-Agrargebiet" muß die Planungsrichtlinie des §14 Abs2 Z2 NÖ ROG 1976 idF
LGBl. 8000-9, auf die sich die Beschwerdeführer berufen, in ihrer normativen Bedeutung zurücktreten: Die Sicherstellung der für die land- und forstwirtschaftliche Produktion wertvollen Flächen für eine entsprechende Nutzung gilt eben nur, "soweit nicht andere Ziele Vorrang haben". Wenn der Gesetzgeber die Errichtung bestimmter Wohnhäuser im "Agrargebiet" ausdrücklich zugelassen hat, verzichtet er insoweit auf die Verwendung der betreffenden Flächen für land- und forstwirtschaftliche Zwecke.
3. Die Beschwerdeführer erachten sich unter Berufung auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 12468/1990 und 13210/1992 durch den angefochtenen Bescheid aber auch im Gleichheitsrecht als verletzt, weil die belangte Behörde in gleichheitswidriger Auslegung des §62 Abs2 NÖ BauO 1976 die Einwendungen der Beschwerdeführer im Bauverfahren verwarf, die sich wegen der vom landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführer ausgehenden Emissionen gegen die Erteilung einer Baubewilligung für ein Wohnhaus, also gegen die heranrückende Wohnbebauung, richteten.
Der Verfassungsgerichtshof kann es im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt sein lassen, ob §62 Abs2 der NÖ BauO 1976 einen mit der Rechtslage in Wien (vgl. VfSlg. 12468/1990 zu §6 Abs8 Wiener Bauordnung) oder mit der (früheren) oberösterreichischen Rechtslage (vgl. VfSlg. 13210/1992 zu §23 Abs2 der ehemaligen OÖ Bauordnung) vergleichbaren Inhalt besitzt. Der Gesetzgeber ist nämlich kraft ausdrücklicher Zulassung von Wohngebäuden im Bauland-Agrargebiet neben den Baulichkeiten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und den dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäuden (§16 Abs2 iVm. §16 Abs1 Z5 NÖ ROG 1976 idF LGBl. 8000-9) davon ausgegangen, daß die Bewohner von Wohngebäuden im Agrargebiet die von benachbarten landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden Immissionen hinzunehmen haben. Schon kraft der mit der genannten Widmung zwangsläufig verbundenen Nutzung ist es sohin ausgeschlossen, daß einem landwirtschaftlichen Betrieb die Baubewilligung auf Grund von Einwendungen der Eigentümer benachbarter Wohnhäuser versagt wird. Mag auch bei besonderen, im Zuge der Massentierhaltung entstehenden Immissionen nicht ausgeschlossen sein, daß kraft §62 Abs2 NÖ BauO 1976 Nachbarn einen Anspruch darauf haben, durch baubehördliche Vorschreibungen für eine neu zu errichtende Baulichkeit, etwa ein neues Stallgebäude, vor Belästigungen geschützt zu werden, die das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigen (vgl. VwGH 9.12.1986, Zl. 86/05/0129), so ist doch davon auszugehen, daß im Bauland-Agrargebiet das Ausmaß der zumutbaren Immissionen entsprechend höher anzusetzen ist als im Bauland-Wohngebiet (ebenso VwGH 9.12.1986, Zl. 86/05/0129).
Dazu kommt, daß die aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Auslegung nachbarschützender Vorschriften des Baurechts in VfSlg. 12468/1990 und VfSlg. 13210/1992 zur Voraussetzung hat, daß ein bereits bestehender Betrieb gewerblicher Art auf Grund des gewerberechtlichen Immissionsschutzes im Falle heranrückender Wohnbebauung mit zusätzlichen Auflagen gemäß §79 Abs2 Gewerbeordnung 1973 zu rechnen hat. Dieses Risiko entfällt für einen landwirtschaftlichen Betrieb. Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß - gestützt auf §364 Abs2 ABGB - im konkreten Fall vergleichbare negative Auswirkungen zu erwarten wären.
Der belangten Behörde ist sohin kein gleichheitswidriges Verständnis des §62 Abs2 NÖ BauO 1976 vorzuwerfen, wenn sie das auf Verweigerung der Baubewilligung für die mitbeteiligten Parteien gerichtete Begehren der nunmehrigen Beschwerdeführer verwarf.
4. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 11500/1987 ausführlich dargetan hat, bestehen gegen die Zuständigkeitsvorschriften zur Entscheidung über Vorstellungen gegen Bescheide der Gemeindeorgane im Rahmen der örtlichen Baupolizei keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Grunde des Art6 Abs1 EMRK. Die Beschwerdeführer sind sohin auch in dem aus Art6 Abs1 EMRK erwachsenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt.
Die Beschwerdeführer sind (daher insgesamt) durch den angefochtenen Bescheid weder in den von ihnen geltend gemachten, noch in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden, noch wurden sie durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt. Die Beschwerde war sohin abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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