VfGH B585/84

VfGHB585/8421.2.1985

Art9 StGG; Gesetz zum Schutze des Hausrechtes; §2 Abs2 iVm. §141 Abs2 StPO; dieses Recht steht auch der Inhaberin durchsuchter Räume zu; Verletzung des Hausrechtes - mangelnde "Betretung (der Verdächtigen) auf der Tat" durch ein Sicherheitsorgan

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art9
HausRSchG §2 Abs2
StPO §141 Abs2
VStG §35
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art9
HausRSchG §2 Abs2
StPO §141 Abs2
VStG §35

 

Spruch:

Die Bf. ist dadurch, daß Organe des Gendarmeriepostens Hallein am 1. Juni 1984 in ihrer Wohnung in Hallein, K-Gasse, eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Z G beantragte mit ihrer auf Art144 (Abs1) B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, sie sei am 1. Juni 1984 dadurch, daß Organe des Gendarmeriepostens Hallein (Bezirk Hallein, Land Sbg.) ihre Wohnung in Hallein, K-Gasse, durchsuchten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht (Art9 StGG) verletzt worden.

1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Hallein als bel. Beh. (vgl. VfSlg. 7509/1975, 8146/1977) erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Zunächst geht aus den Verwaltungsakten - im wesentlichen unbestritten - hervor, daß die Bf. Z G und ihre Tochter H G am 1. Juni 1984 nachmittags im Bekleidungshaus "T" in Hallein in den Verdacht des (versuchten) Diebstahls von Handelsware gerieten. Daraufhin versperrten Geschäftsbedienstete die Eingangstür und verständigten den Gendarmerieposten Hallein, doch konnte H G noch vor dem Eintreffen eines Gendarmen (Inspektor J) durch einen Hinterausgang flüchten.

Inspektor J befragte Z G - die sich jedenfalls im Zeitpunkt seines Eintreffens nicht (mehr) im Besitz von Fremdgut befand - zum Sachverhalt und durchsuchte im weiteren Verlauf mit einem hinzubeorderten zweiten Gendarmeriebeamten aus eigenem Antrieb die Wohnung dieser Verdächtigen und ihres Ehemannes A G in Hallein, K-Gasse, nach Diebsgut.

2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen zutrifft, die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vornehmen (zB VfSlg. 7943/1976, 8680/1979, 9389/1982, 9766/1983).

2.2.2. Die Bf. ist als (Mit-)Hauptmieterin und Mitbenützerin (Inhaberin) der durchsuchten Wohnung zur Beschwerdeführung legitimiert (VfSlg. 1906/1950, 5182/1965, 9389/1982).

2.2.3. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.

2.3.1. §1 des gemäß Art149 Abs1 B-VG im Verfassungsrang stehenden Gesetzes zum Schutz des Hausrechtes (HausrechtsG), RGBl. 88/1862, bestimmt, daß eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der Wohnung oder der sonstigen zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, in der Regel nur kraft eines (mit Gründen versehenen) richterlichen Befehls unternommen werden darf.

2.3.2. Es steht fest, daß die bekämpfte Hausdurchsuchung (im Dienst der Strafjustiz) nicht aufgrund eines richterlichen Befehls stattfand; sie wurde auch nicht kraft einer suppletorischen behördlichen Anordnung iS des §2 Abs1 HausrechtsG, vielmehr von den Beamten des Gendarmeriepostens Hallein - ersichtlich gestützt auf §2 Abs2 HausrechtsG - aus eigener Machtvollkommenheit vorgenommen.

2.3.3.1. Die bel. Bezirkshauptmannschaft macht zur Rechtfertigung der angefochtenen Amtshandlung lediglich - sinngemäß - geltend, daß Z G als (Mit-)Hauptmieterin der durchsuchten Wohnung von Angestellten des geschädigten Unternehmens "auf frischer Tat", nämlich im Besitz eines Damenrocks aus Geschäftsbeständen, betreten worden sei.

2.3.3.2. Diese Einrede ist jedoch aus folgenden Erwägungen nicht zielführend:

§2 Abs2 HausrechtsG und §141 Abs2 StPO lassen eine Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht dann zu, wenn a) gegen jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn b) jemand auf der Tat betreten, c) durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder

d) im Besitz von Gegenständen betreten wird, welche auf die Beteiligung an einer solchen (Tat) hinweisen (s. VfSlg. 6488/1971, 6528/1971).

Der hier allein in Betracht zu ziehende Anwendungsfall b) - insbesondere von Tatverdacht zufolge öffentlicher Nacheile oder öffentlichen Rufs kann, da es sich um eine individuelle Anzeige handelt, nicht die Rede sein (vgl. VfSlg. 3108/1956) - setzt nun der Meinung der bel. Beh. zuwider zwingend voraus, daß der Verdächtige von einem Sicherheitsorgan "auf der Tat betreten" wird:

Wie der VfGH zur im Kern inhaltsgleichen Wendung "auf frischer Tat betreten" in §35 VStG 1950 bereits wiederholt aussprach und festhielt (so etwa VfSlg. 6102/1969, 8045/1977, 8364/1978), muß das Sicherheitsorgan, sollen die gesetzlichen Bedingungen erfüllt sein, die Tatbegehung unmittelbar (selbst) wahrnehmen, ohne daß es noch weiterer Erhebungen (Befragungen) bedarf. Gleiches gilt - sinngemäß übertragen - für die Wortfolge "auf der Tat (bzw. im Besitz von Gegenständen - s. litd)) betreten" in §2 Abs2 HausrechtsG iVm. §141 Abs2 StPO: Wer sich nicht gleichsam vor den Augen eines Sicherheitsorgans strafbar macht, sondern, wie hier Z G, nur aufgrund der Angaben dritter Personen (der Geschäftsbediensteten) in Verdacht gerät, eine strafbare Handlung verübt zu haben, wird nicht "auf der Tat" ("auf frischer Tat") betreten, wie es die Bestimmung des §2 Abs2 HausrechtsG versteht.

Ganz unabhängig von der nicht näher zu erörternden Frage, ob im konkreten Fall Gefahr im Verzug vorlag, fehlte es also aus den dargelegten Erwägungen schon an der einleitend behandelten, von der bel. Beh. zu Unrecht bejahten notwendigen gesetzlichen Voraussetzung der bekämpften Amtshandlung, nämlich an der "Bewertung (der Verdächtigen) auf der Tat", weshalb die Bf. durch die (ohne richterlichen Befehl) gesetzlos vorgenommene Hausdurchsuchung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt wurde.

2.3.4. Der Beschwerde war darum stattzugeben.

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