Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Wirtschaftstreuhänder-BerufsO §10 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Wirtschaftstreuhänder-BerufsO §10 Abs1
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Landeshauptmann von Steiermark wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 2. April 1991 das Ansuchen des Beschwerdeführers um Zulassung zur Fachprüfung für Steuerberater gemäß §10 Abs1 der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung, BGBl. 125/1955, idF der Novelle BGBl. 380/1986, (im folgenden kurz: WTBO), ab. Es mangle dem Beschwerdeführer an einem unabdingbaren Erfordernis für die Zulassung zur erwähnten Fachprüfung, nämlich einer mindestens 2 1/2-jährigen Berufsanwartschaft. (Diese zweieinhalb Jahre errechnen sich folgendermaßen: Mindestens vierjährige Berufsanwartschaft abzüglich etwaiger Anrechnungszeiten im Höchstausmaß von eineinhalb Jahren.) Er habe durch die sechsjährige Tätigkeit bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband und die 1 1/2-jährige Tätigkeit in einer Steuerberatungskanzlei die Voraussetzungen für die Zulassung zur Fachprüfung für Steuerberater nicht erfüllt.
Aus der Bescheidbegründung geht hervor, daß die belangte Behörde die Meinung vertritt, eine Tätigkeit als Revisor bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband könne bei der Zulassung zur Fachprüfung für Steuerberater keinesfalls auf die Tätigkeit als Berufsanwärter in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei angerechnet werden.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Die Beschwerde wird der Sache nach damit begründet, daß entweder §10 Abs1 WTBO dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, oder aber daß die Behörde dieser Bestimmung fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe; die Anrechnungsbestimmungen der Abs1 und 2 des §10 WTBO träfen nämlich - folge man der Auslegung der belangten Behörde - eine sachlich nicht zu rechtfertigende Differenzierung.
3. Der Landeshauptmann von Steiermark legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat am 12. Dezember 1991 beschlossen, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 und 2 WTBO zu prüfen.
Mit Erkenntnis vom 15. Juni 1992, G1/92, hob er diese Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig auf.
III. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
1. Eines der tragenden Begründungselemente des angefochtenen Bescheides ist die Annahme, daß §10 Abs1 WTBO hinsichtlich der Zulassung zur Fachprüfung für (bloße) Steuerberater die Anrechnung einer Tätigkeit als Revisor in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband auf die Tätigkeit als Berufsanwärter in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei absolut ausschließe.
Wie der Verfassungsgerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis G1/92 dargetan hat, verstieße das Gesetz - hätte es tatsächlich diesen Inhalt - gegen den Gleichheitsgrundsatz; eine verfassungskonforme Auslegung ist aber, wie sich weiters aus diesem Erkenntnis ergibt, möglich. Sie führt dazu, daß eine Tätigkeit als Revisor bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband dann als "praktische Tätigkeit in Wirtschaft oder Verwaltung" iS des §10 Abs1 Z1 WTBO anzusehen und daher im Höchstausmaß von eineinhalb Jahren auf die für die Zulassung zur Fachprüfung für (bloße) Steuerberater vorgesehene vierjährige Tätigkeit als Berufsanwärter in einer Wirtschaftstreuhandkanzlei anzurechnen ist, wenn sich der Bewerber dabei "die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen eines Wirtschaftstreuhänders aneignen konnte", und zwar - wie sich aus dem Sinn des Gesetzes ergibt - insbesondere jene, die für einen (bloßen) Steuerberater nötig sind.
Die Behörde hat sohin dem §10 Abs1 WTBO fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Der angefochtene Bescheid war deshalb aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
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