Normen
StGG Art8
StPO §175 Abs1 Z3
StPO §177 Abs1 Z2
StGG Art8
StPO §175 Abs1 Z3
StPO §177 Abs1 Z2
Spruch:
Der Bf. ist am 1. April 1987 in Wien durch seine polizeiliche Festnehmung (um 2 Uhr 40) und anschließende Anhaltung (bis 11 Uhr 40) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit
11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Dkfm. P M beantragte mit seiner an den VfGH gerichteten Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 1. April 1987 in Wien dadurch, daß ihn Sicherheitswachebeamte der dortigen Bundespolizeidirektion festgenommen und mehrere Stunden in (Verwaltungs-)Haft gehalten hätten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt worden. Hilfsweise wurde die Abtretung dieser Beschwerde an den VwGH beantragt.
1.1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß (Sicherheitswache-)Inspektor J E von der Bundespolizeidirektion Wien den Bf. am 1. April 1987 um 2 Uhr 40 früh in Wien ..., wegen des Verdachtes des Vergehens des Diebstahls (nach §§127 Abs1, 128 Abs1 Z4 StGB), und zwar wegen Diebstahls des PKWs mit Kennzeichen N ..., aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§175 Abs1 Z3 StPO) ohne richterlichen Befehl festnahm:
Laut schriftlicher Anzeige stellte der wegen eines Verkehrsunfalls herbeibeorderte Beamte fest, daß ein alkoholisierter Fahrzeuglenker den im Besitz des Bf. befindlichen PKW (Kennzeichen N ...) beschädigt hatte. Dkfm. M führte aber den Zulassungsschein nicht mit sich und gab im wesentlichen an, seine Arbeitgeberin (Firma I) habe das Fahrzeug von einem in der Folgezeit verstorbenen G M, ihrem ehemaligen Geschäftsführer, erworben; er selbst habe es von namentlich nicht bekannten Bevollmächtigten zur Benützung übernommen und sei um "Ummeldung" bemüht.
Der nach seiner Festnahme in Polizeigewahrsam gehaltene Bf. wurde noch am 1. April 1987 um 11 Uhr 40, und zwar nach "Priorierung" und Einvernahme zur Sache, wieder aus der Haft entlassen.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8146/1977, 9836/1983).
2.1.2.1. Demgemäß ist festzuhalten, daß sich die vorliegende Beschwerde gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG wendet.
2.1.2.2. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde in vollem Umfang zulässig.
2.2.1. Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iS des §4 leg. cit. sind ua. die §§175 bis 177 StPO.
2.2.2.1. Der VfGH geht bei der rechtlichen Beurteilung der Sache unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit davon aus, daß der Bf. - der nach Behauptung der bel. Beh. im Verdacht einer mit Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren bedrohten strafbaren Handlung stand - im Dienste der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurde. Gemäß §177 Abs1 (§10 Z1) StPO dürfen ausnahmsweise auch Organe der Sicherheitsbehörden aus eigener Macht die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in dem hier vom einschreitenden Sicherheitswachebeamten und von der bel. Beh. ausdrücklich herangezogenen und damit allein in Betracht kommenden (s. VfSlg. 5232/1966, 10229/1984; VfGH 8.6.1984 B288/80 (teilveröffentlicht unter VfSlg. 10019/1984), 27.9.1985 B643/82, 12.6.1987 B1143/86; vgl. auch VfSlg. 9393/1982 und VfGH 26.9.1986 B468/85) Fall des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr nach §175 Abs1 Z3 StPO zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter verfügen.
2.2.2.2. Doch lag Kollusionsgefahr schon nach dem Inhalt der schriftlichen Anzeige damals keinesfalls vor:
Denn nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist Verdunkelungsgefahr dann zu bejahen, wenn es wirklich zu einem Verdunkelungsversuch kam oder konkrete Anhaltspunkte darauf hinweisen, daß ein Versuch, die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen, unternommen werden würde (vgl. VfSlg. 3770/1960, 6560/1971, 6910/1972, 9836/1983).
Daß der Bf. bereits versucht habe, die Wahrheitsfindung zu stören, behauptet die bel. Beh. selbst nicht. Bestimmte Umstände, die darauf hindeuteten, daß ein solcher Versuch bevorstand, brachte die bel. Beh. gleichfalls nicht vor. (Der (einzige) vage Hinweis des Sicherheitswachebeamten in der Anzeige, es sei "möglich", daß der Bf. das Fahrzeug "aus der Erbmasse" entferne, mochte unter Umständen für eine vorläufige Beschlagnahme des PKWs iS des §143 Abs1 StPO von Bedeutung sein, konnte aber nicht eine Festnahme des Verdächtigen wegen Verabredungsgefahr rechtfertigen).
Die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung aber stellt noch nicht den Haftgrund nach §175 Abs1 Z3 StPO her (vgl. VfSlg. 3770/1960, 3780/1960, 9836/1983).
Der VfGH vermag hier unter voller Zugrundelegung der Sachverhaltsschilderung der bel. Beh. das Vorliegen des - nach dem bereits Gesagten allein relevierten - Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr nicht zu erkennen.
(Den Haftgrund des §175 Abs1 Z1 StPO machte das Wacheorgan im Hinblick auf das Erfordernis des engen zeitlichen Zusammenhanges zwischen Tat und Betretung (s. VfSlg. 7277/1974, 8816/1980, 9267/1981, 9916/1984; VfGH 27.2.1986 B144/83; vgl. dazu auch das in VfSlg. 7277/1974 zitierte Erkenntnis VfSlg. 3657/1959 <richtig: 3656/1959>; s. ferner Mayer, Commentar zu der Österreichischen Strafproceß-Ordnung, 1. Teil, Wien 1881, S 645 iVm S 477; Foregger-Serini, Die österreichische Strafprozeßordnung, 3. Aufl., Wien 1982, S 209, Anm. II 1) offensichtlich wegen des anscheinend längeren Zurückliegens des mutmaßlichen Diebstahls nicht geltend).
2.2.3. Schon daraus folgt, daß die Festnahme und die Anhaltung des Bf. gesetzwidrig waren, ohne daß es der Prüfung der Frage bedurfte, ob alle übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die bekämpfte Amtshandlung vorlagen.
2.2.4. Demgemäß wurde der Bf. - durch seine Festnahme und Anhaltung - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
2.3. Aus diesen Erwägungen mußte spruchgemäß entschieden werden.
2.4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.
2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
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