Normen
EMRK Art2
EMRK Art3
WaffGG §2
WaffGG §7
Gendarmeriedienstinstruktion §72
VfGG §88
EMRK Art2
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WaffGG §2
WaffGG §7
Gendarmeriedienstinstruktion §72
VfGG §88
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben, ferner darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, hielt sich am 14. August 1992 gegen 9.00 Uhr mit mehreren Personen in Traiskirchen in der Nähe der Schwechatbrücke auf. Um sich der (fremdenpolizeilichen und paßrechtlichen) Kontrolle durch näherkommende Gendarmeriebeamte zu entziehen, flüchteten der Beschwerdeführer und die übrigen Personen in den naheliegenden, dicht bewachsenen Auwald; ihnen folgten 10 Gendarmeriebeamte. Im Zuge der Nacheile durch diese Exekutivorgane wurden mehrere Schüsse abgegeben, wobei der Beschwerdeführer von einem Projektil getroffen wurde. Die dadurch herbeigeführte Verletzung des Beschwerdeführers wurde in einem später, im Zuge eines Amtshaftungsprozesses eingeholten Gutachten eines medizinischen Sachverständigen wie folgt umschrieben:
"Durchschuß des Bauches mit Einschuß in der rechten Hüftregion und Ausschuß am rechten Oberbauch."
Gegen dieses Einschreiten der Exekutivorgane erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS), in der er die Verletzung in seinen verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, und zwar durch die aus mehreren Richtungen erfolgte Nacheile mehrerer Beamter des Gendarmeriepostens Traiskirchen und Traiskirchen-Lager von der B 17 in den angrenzenden Auwald der Schwechatau (Gemeindegebiet Traiskirchen) und durch die Abgabe von Schüssen (zusammenfassend: durch eine von den Gendarmeriebeamten veranstaltete "Treibjagd") behauptete; dabei sei der Beschwerdeführer durch ein angeblich abprallendes Projektil getroffen worden. Der UVS wies diese Beschwerde nach einem umfangreichen Ermittlungsverfahren mit Bescheid vom 11. März 1994 mit der Begründung ab, der Gebrauch der Schußwaffen während der rechtmäßigen Nacheile habe der Abgabe von Signalschüssen - einem geeigneten Verständigungsmittel - gedient; der Beschwerdeführer sei von einem "Geller" (abprallenden Projektil) getroffen worden.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid des UVS an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluß vom 28. November 1994, B819/94, abgelehnt und über nachträglich gestellten Antrag gemäß Art144 Abs3 B-VG in Verbindung mit §87 Abs3 VerfGG 1953 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Dieser wies die Beschwerde mit Beschluß vom 8. November 1995, 95/01/0025, im Hinblick darauf zurück, daß der Beschwerdeführer in seiner an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde ausschließlich die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht habe (Art2 Abs1, Art3 und Art5 EMRK) und dementsprechend - im Rahmen des gestellten Begehrens - in der Hauptsache mit dem angefochtenen Bescheid nur über die Verletzung derartiger Rechte eine Entscheidung getroffen worden sei.
In der Folge stellte der Beschwerdeführer unter Vorlage neuer Beweismittel einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Diese Beweismittel waren im Amtshaftungsverfahren, das der Beschwerdeführer angestrengt hatte, hervorgekommen. Sie bestanden in einem Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für gerichtliche Medizin, wonach sich aus den medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür ergäben, daß ein deformiertes Projektil bzw. nur Geschoßteile den Beschwerdeführer getroffen hätten, und in einem Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für Schießwesen, wonach die Verletzung des Beschwerdeführers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem "Freiflieger" zuzuordnen und ein "Geller" als Ursache für die Verletzung des Beschwerdeführers auszuschließen ist.
Im wiederaufgenommenen Verfahren hat der UVS den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt gewürdigt:
"Die Gendarmeriebeamten des Postens Traiskirchen und Traiskirchen-Lager sind im gegenständlichen Fall im Rahmen einer fremdenpolizeilichen und paßrechtlichen Kontrolle für die Bezirkshauptmannschaft Baden als unterste staatliche Sicherheitsbehörde tätig geworden. Sie ist daher belangte Behörde.
Die Beamten waren zum Einschreiten in fremdenpolizeilichen und paßrechtlichen Angelegenheiten befugt und durften unter den im §35 VStG geregelten Voraussetzungen auch Personen, die sie auf frischer Tat betreten, zum Zwecke ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen. Mit der Flucht in den Auwald war der Verdacht begründet, daß sich jene zu kontrollierenden Personen, unter denen sich auch der Beschwerdeführer befunden hat, der Strafverfolgung zu entziehen versuchen. Damit war die Nacheile gerechtfertigt.
Bekämpft wird vom Beschwerdeführer die Art der Nacheile ('Treibjagd') und der Gebrauch der Schußwaffe mit Verletzungsfolge als lebensgefährlich, sicherheitsgefährlich, unmenschlich und erniedrigend.
Treibjagden im jagdlichen Sinn sind Jagden, bei denen Treiber nach einer Vereinbarung den Schützen Wild zutreiben. Das Vorgehen der Exekutivorgane im konkreten Fall war nicht von langer Hand vorbereitet, sondern - das haben die Aussagen der im wiederaufgenommenen Verfahren einvernommenen Exekutivorgane neuerlich deutlich gezeigt - spontan und planlos. Die bei der Verfolgung abgegebenen Schüsse waren - auch wenn einer direkt zur Verletzung des Beschwerdeführers geführt hat - wie das Beweisverfahren nicht zu widerlegen vermocht hat, dazu gedacht, 'den im Außendienst befindlichen Gendarmen die Unterstützung der etwa in der Nähe befindlichen Gendarmen zu sichern' (Gendarmeriesignal gemäß §72 Abs1 GDI).
Der Gebrauch der Schußwaffe zur Abgabe von Signalschüssen war, wie einerseits dem Gutachten des zweiten Schießsachverständigen zu entnehmen ist, insoferne ein geeignetes Verständigungsmittel, als Zurufe nicht gehört worden wären und andererseits die Verwendung von Trillerpfeifen, weil sie nicht zur Ausrüstung der eingesetzten Exekutivorgane gehören, praktisch nicht möglich war. Signalschüsse waren auch unter Bedachtnahme auf die Örtlichkeit laut zweitem Schießsachverständigen sicherheitstechnisch grundsätzlich vertretbar. Die Schußabgabe mit Verletzungsfolge stellt sich auch nach dem ergänzenden Beweisverfahren als eine vom Schützen nicht gewollte Handlung dar. Allein schon aus diesem Umstand ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß ein Verstoß gegen Art2 und Art5 MRK nicht vorliegt.
Dasselbe gilt auch für die behauptete Verletzung von Art3 MRK:
Der bekämpfte Schußwaffengebrauch stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art3 MRK dar, weil er, wie dargelegt, rechtmäßig erfolgte und als Signal weder eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung der Person des Beschwerdeführers bildet. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Nacheile und der Gebrauch der Schußwaffe rechtmäßig erfolgt sind. Dem Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers kommt daher kein normativer Charakter zu und kann daher mit Beschwerde nicht bekämpft werden."
Mit dieser Begründung wies der UVS die Beschwerde im wiederaufgenommenen Verfahren mit Bescheid vom 30. September 1996 ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der eine Verletzung der gemäß Art2, 3 und 5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet wird.
Der UVS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er den bekämpften Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer begründet seine Beschwerde im Hinblick auf die behauptete Verletzung der gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte insbesonders damit, daß der UVS die von ihm zur Grundlage der Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens herangezogenen Gutachten übergangen und daß er die als "Treibjagd" zu qualifizierende Verfolgung nicht als eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung seiner Person beurteilt habe. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) sieht der Beschwerdeführer darin, daß keine ausreichende gesetzliche Grundlage für das Vorgehen der Exekutivorgane bestanden habe, da die involvierten Beamten eine Verwaltungsübertretung lediglich "vermutet" hätten.
2.1. Vorab ist festzuhalten, daß hier in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) durch den angefochtenen Bescheid bzw. durch die seinen Gegenstand bildende, vor dem UVS bekämpfte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht eingegriffen wird. Der angefochtene Bescheid spricht ausschließlich über die erfolgte Nacheile und die Abgabe von Schüssen, insbesondere über die Abgabe jenes Schusses ab, der den Beschwerdeführer getroffen hat. Ein Entzug der persönlichen Freiheit, wonach unter Anwendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen überhaupt verhindert oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, eingeschränkt wird (vgl. VfSlg. 13063/1992), lag nicht vor und wurde auch vom Beschwerdeführer im Verfahren vor dem UVS nicht behauptet. Vielmehr befand sich der Beschwerdeführer gerade nicht in Gewahrsam der Exekutivorgane und konnte sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) nicht verletzt werden.
2.2. Die Beschwerde ist aber im übrigen im Ergebnis begründet. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden gesetzlichen Grundlagen sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.
Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte dieser die gemäß Art2 und Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nur verletzen, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung derselben nicht wahrnimmt, aber auch dann, wenn er auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn der Behörde grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (VfSlg. 13837/1994, 13897/1994).
2.3. Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer durch einen Schuß aus einer Dienstwaffe eines Exekutivorganes einen Bauchdurchschuß erlitten hat. Dieser Waffengebrauch könnte unter bestimmten Umständen den Beschwerdeführer in seinem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzen, etwa wenn der Einsatz der Waffe entgegen dem Waffengebrauchsgesetz unverhältnismäßig und nicht maßhaltend war.
Das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK kann durch eine "Gewaltanwendung", die als nicht angestrebtes Ergebnis zu einer Tötung führen kann (vgl. EGMR 27.9.1995, McCann ua., ÖJZ 1996, 233ff), verletzt werden, und zwar dann, wenn diese nicht gemäß Abs2 leg.cit. gerechtfertigt gewesen ist. Führt die Gewaltanwendung nicht zum Tod, liegt ein Eingriff in das Recht auf Leben nur vor, wenn er von einer solchen Gravität und Intensität ist, daß er das Leben des Betroffenen ernsthaft zu gefährden geeignet ist (vgl. Ermacora/Nowak/Tretter (Hg), Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte, Wien 1983, 124). Der lebensgefährdende Gebrauch einer Dienstwaffe kann eine solche Gewaltanwendung darstellen (vgl. VfSlg. 8082/1977).
2.4. Dem UVS ist insofern ein schwerer, in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen, als er den nicht maßhaltenden Einsatz einer Schußwaffe nicht aufgegriffen und eine Verletzung des Beschwerdeführers in den gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht festgestellt hat.
In dem umfangreichen, im Amtshaftungsverfahren vor dem Landesgericht Wiener Neustadt eingeholten Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen für Schießwesen Rat I W wurde etwa ausgeführt:
"... Die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Schuß auf einen unter einen äußert flachen Winkel abgegebenen Schuß durch einen Abpraller verursacht wurde, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sowie des Standortes des Klägers als auch des Schützen äußert gering, jedoch ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, daß der den Kläger verletzende Treffer durch einen Freiflieger verursacht wurde. ... Eine Verständigung mit anderen Mittel als durch die Abgabe von Signalschüssen wäre möglich gewesen. Zurufe wären keine geeigneten Mittel gewesen, jedoch die Verwendung von Trillerpfeifen wäre als geeignetes Mittel einzustufen."
In dem ebenfalls im Amtshaftungsverfahren eingeholten Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen für gerichtliche Medizin Dr. W D heißt es:
"Aus den Behandlungsunterlagen, insbesondere aber auch aus dem zu erhebenden Röntgenbefund lassen sich keine Hinweise dafür gewinnen, daß ein Kontakt mit einem anderen Primärziel (Stein mit anschließendem Geller) vorgelegen hätte. Bei Kontakt mit einem derartigen Primärziel wäre wohl bereits eine weitgehende Zerstörung und Deformierung eines Projektils zu erwarten, aus den medizinischen Unterlagen ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß ein deformiertes Projektil bzw. nur Geschoßteile den ... (folgt Name des Beschwerdeführers) getroffen hätten. ..."
Der UVS geht in seiner Begründung auf diese neu hervorgekommenen Beweismittel nicht wirklich ein. Es ist unter den gegebenen Umständen schlicht nicht nachvollziehbar, wenn die Abgabe eines Schusses, der nach den die Grundlagen des hier bekämpften Bescheides bildenden Sachverständigengutachten weder "in die Luft" noch in die Erde, sondern direkt in den Körper eines fliehenden Menschen gefeuert wurde, durch ein geschultes Exekutivorgan als mit Blick auf Art2 und 3 EMRK unbedenklichen Signalschuß gedeutet wird. Im seinerzeitigen Verfahren zu B819/94 ließ die damalige Beweislage das Vorliegen eines "Gellers" nicht unplausibel erscheinen und der schicksalhafte Verlauf der abgefeuerten Munition schien auf eine Verkettung unglücklicher Zufälle rückführbar. Nunmehr liegen aber grundlegend neue Beweisergebnisse durch die beiden Sachverständigengutachten vor.
Der UVS folgte dem Vorbringen der vor ihm belangten Behörde, das Vorgehen der Gendarmeriebeamten sei nicht von langer Hand vorbereitet, sondern "spontan und planlos" gewesen; die Abgabe der Schüsse sei zu - durch §72 der Gendarmeriedienstinstruktion vorgesehenen - Signalzwecken erfolgt.
Der UVS ging also davon aus, daß sich der Einsatz der Schußwaffen nicht auf das Waffengebrauchsgesetz, BGBl. 149/1969 idF des BG BGBl. 422/1974, stützte. Dem ist jedenfalls insoferne zu folgen, als die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Waffengebrauchsgesetzes hier nicht vorgelegen sind: Gemäß §2 Z3 leg.cit. dürfen u.a. die Organe der Bundesgendarmerie in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe des WaffengebrauchsG zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme von Dienstwaffen Gebrauch machen. Gemäß §7 Z3 leg.cit. ist der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen nur zur Erzwingung u.a. der Festnahme einer Person zulässig, "die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, die für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme (oder Entweichung) sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet".
Die Gendarmeriebeamten führten eine fremdenpolizeiliche bzw. paßrechtliche Kontrolle u.a. gegen den Beschwerdeführer durch. Schon das Vorliegen einer gerichtlich strafbaren Handlung wurde von keiner Seite angenommen; eine solche lag unbestritten ebensowenig vor wie die weiteren, in der genannten Rechtsvorschrift angeführten Tatbestandselemente.
Im angefochtenen Bescheid wird als rechtliche Grundlage für die Abgabe der - insgesamt neun - Signalschüsse §72 der Gendarmeriedienstinstruktion angeführt; diese Bestimmung lautet:
"Gendarmeriesignale
§72. Gendarmeriesignale dienen dazu, um einzelnen Gendarmeriebediensteten oder Streifen die gegenseitige Unterstützung zu ermöglichen oder das Zusammenwirken zu erleichtern. Sie sind nach Möglichkeit generell oder im Einzelfall festzulegen. Die Abgabe von Signalschüssen ist auf den unumgänglich notwendigen Bedarf zu beschränken, wobei jedenfalls eine Gefährdung von Personen nicht zu erwarten sein darf."
Die Gendarmeriedienstinstruktion stellt ganz allgemein nicht darauf ab, Rechte und Pflichten der Rechtsunterworfenen zu gestalten. Dies gilt jedenfalls für §72 der Gendarmeriedienstinstruktion. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine ausschließlich an Verwaltungsorgane in dieser ihrer Funktion gerichtete verwaltungsinterne Anordnung, die den allgemein in der Rechtsordnung verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit jeden staatlichen Handelns konkretisiert. Signalschüsse sind danach auf den unumgänglich notwendigen Bedarf zu beschränken; eine Gefährdung von Personen darf jedenfalls nicht erwartet werden.
Es kann nun auf sich beruhen, wie es zu erklären ist, daß von den zehn Gendarmeriebeamten, deren Einsatz nach Auffassung der belangten Behörde "spontan und planlos" gewesen ist, überhaupt als Signalschüsse zu deutende Schüsse abgegeben werden konnten. Denn unter der Voraussetzung fehlender Absprachen ist zu fragen, wieso die übrigen Beamten das Vorliegen eines Signalschusses und nicht etwa eines Schusses zur Abwehr unmittelbar drohender Gefahr oder zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes (§2 Z1 und 2 WaffengebrauchsG) annehmen konnten. Ungeachtet dessen kann es sich bei jenem Schuß, der den Körper des Beschwerdeführers getroffen und durchdrungen hat, nicht um einen Signalschuß gehandelt haben. Daß dieser Schuß nach oben "in die Luft" abgegeben wurde, wird von niemandem behauptet und ist auszuschließen. Nach dem Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen für Schießwesen ist eine Gellerwirkung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen; mögliche Rückpraller hätten einen Gefährdungsbereich von nicht mehr als 5 Meter erzielt.
Es ist also davon auszugehen, daß dieser Schuß in Richtung des Beschwerdeführers abgegeben wurde. Es fand somit ein lebensgefährdender Waffengebrauch gegenüber dem Beschwerdeführer statt, ohne daß die Voraussetzungen des §7 WaffengebrauchsG gegeben waren. Unter den gegebenen konkreten Umständen muß darin eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Beschwerdeführers als Person und demnach ein Verstoß gegen Art3 EMRK erblickt werden (s. VfSlg. 9385/1982, 10546/1985, 12747/1991).
Der Schuß gefährdete laut dem Akteninhalt das Leben des Beschwerdeführers. Daß es sich bei der Verwendung der Dienstwaffe im Sinne des Art2 Abs2 EMRK um eine unbedingt erforderliche Gewaltanwendung gehandelt habe, ist weder behauptet worden noch im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hervorgekommen. Der Waffengebrauch widersprach daher auch dem Art2 EMRK.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles hätte deshalb der UVS den durch das WaffengebrauchsG nicht gedeckten und offensichtlich nicht maßhaltenden Einsatz einer Schußwaffe aufgreifen und eine Verletzung des Beschwerdeführers in den gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten feststellen müssen.
3. Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben, ferner darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.
Der Bescheid war deshalb aufzuheben.
III.1. Die Kostenentscheidung stützt
sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten. Ein Anspruch auf Streitgenossenzuschlag bestand nicht, da belangte Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich der UVS ist.
Die belangte Behörde wird darauf hingewiesen, daß im verfassungsgerichtlichen Verfahren ein Kostenzuspruch an sie überhaupt nicht - also auch nicht für den Fall des Obsiegens, der hier nicht gegeben ist - vorgesehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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