Normen
EnergieabgabenvergütungsG (Art 62 StrukturanpassungsG) §1, §2
AEUV Art92
AEUV Art93 Abs3 dritter Satz
AEUV Art177
EnergieabgabenvergütungsG (Art 62 StrukturanpassungsG) §1, §2
AEUV Art92
AEUV Art93 Abs3 dritter Satz
AEUV Art177
Spruch:
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Frage 1:
Sind gesetzliche Maßnahmen eines Mitgliedstaates, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie vorsehen, diese Vergütung aber nur Unternehmen gewähren, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht, als staatliche Beihilfe im Sinne des Artikel 92 EGV anzusehen?
Frage 2:
Bei Bejahung der ersten Frage: Ist eine derartige gesetzliche Maßnahme auch dann als Beihilfe gemäß Artikel 92 EGV anzusehen, wenn sie allen Unternehmen ohne Rücksicht darauf gewährt wird, ob deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht?
2. Die Beschwerdeverfahren werden nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über die ihm vorgelegten Fragen fortgesetzt werden.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt der Anlaßverfahren:
Beim Verfassungsgerichtshof sind zwei auf Artikel 144 Absatz 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) gestützte Beschwerden anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
1. A GmbH:
1.1. Gegenstand des Unternehmens der beschwerdeführenden Gesellschaft ist unter anderem der Bau und der Betrieb von Transportleitungen für Rohöl. Am 18. Juni 1996 brachte die beschwerdeführende Gesellschaft beim Finanzamt Klagenfurt einen auf das Energieabgabenvergütungsgesetz gestützten Antrag auf Vergütung von Energieabgaben auf elektrische Energie für das Jahr 1996 ein. Mit dem am 1. Juli 1997 zugestellten Bescheid wies das Finanzamt Klagenfurt diesen Antrag mit der Begründung ab, daß ein Anspruch auf Vergütung nach §2 Absatz 1 des Energieabgabenvergütungsgesetzes nur für Unternehmen bestehe, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter liege. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde von der Finanzlandesdirektion für Kärnten abgewiesen.
1.2. Mit der auf Artikel 144 Absatz 1 B-VG gestützten Beschwerde macht die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend.
1.3. Insbesondere rügt die Beschwerde, daß die Energieabgabe nur solchen Unternehmen vergütet wird, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter liegt, und nicht auch Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen.
2. W GmbH:
2.1. Die beschwerdeführende Gesellschaft mit Schwerpunkt in der Herstellung von Zement und Kalk wendet sich gegen den Berufungsbescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten, mit dem ihre Berufung gegen die Festsetzung des Energieabgabenvergütungsbetrages für 1996 abgewiesen wurde. Mit Antrag vom 12. März 1997 begehrte die beschwerdeführende Gesellschaft für das Kalenderjahr 1996 die Vergütung von Energieabgaben (sowohl Erdgas als auch elektrische Energie betreffend) im Umfang von S 8.675.202,- im Sinne der §§1 und 2 des Energieabgabenvergütungsgesetzes. Das Finanzamt gewährte die Abgabenvergütung nicht in voller Höhe und setzte den Betrag mit S 8.023.821,- fest. Die Berechnung des Nettoproduktionswertes zur Ermittlung des Energieabgabenvergütungsbetrages erfolgte auf der Basis des Gesamtjahresumsatzes 1996.
2.2. Die auf Artikel 144 Absatz 1 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit und auf Unverletzlichkeit des Eigentums, da der Nettoproduktionswert nur für jenen Zeitraum zu ermitteln wäre, ab dem Energieabgaben erhoben worden seien, also ab 1. Juni 1996. Daher ergebe sich ein um S 651.381,-
höherer Energieabgabenvergütungsbetrag als festgesetzt wurde.
II. Darstellung der Rechtslage:
1. Das Elektrizitätsabgabegesetz sieht eine Besteuerung der Lieferung von elektrischer Energie vor. §1 Absatz 1 Z1 des Elektrizitätsabgabegesetzes (Artikel 60 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, in der Fassung des Artikel IX des Abgabenänderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 797) lautet:
"Der Elektrizitätsabgabe unterliegen
1. die Lieferung von elektrischer Energie im Steuergebiet, ausgenommen an Elektrizitätsversorgungs-unternehmen,".
Gemäß §2 des Elektrizitätsabgabegesetzes sind von der Abgabe befreit:
"1. Elektrizitätserzeuger, die die elektrische Energie ausschließlich für den Eigenbedarf erzeugen, wenn die Erzeugung und der Verbrauch pro Jahr nicht größer als 5.000 kWh ist,
2. die für die Erzeugung und Fortleitung der elektrischen Energie verwendete elektrische Energie."
§3 Z1 leg. cit. lautet:
"Abgabenschuldner ist
1. im Falle des §1 Absatz 1 Z1 der Lieferer der elektrischen Energie,".
Der Lieferer der Elektrizität überwälzt die Elektrizitätsabgabe auf den Empfänger der Lieferung. §6 Absatz 3 leg. cit. lautet:
"(3) Der Empfänger der Lieferung der elektrischen Energie hat dem Abgabenschuldner die weiterverrechnete Elektrizitätsabgabe zu ersetzen."
2.1. Das Energieabgabenvergütungsgesetz sieht eine teilweise Vergütung der Energieabgabe auf Erdgas und Elektrizität vor. §1 Absatz 1 des Bundesgesetzes über die Vergütung von Energieabgaben (Artikel 62 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, (Energieabgabenvergütungsgesetz)) lautet:
"(1) Die Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie sind für ein Kalenderjahr (Wirtschaftsjahr) auf Antrag insoweit zu vergüten, als sie (insgesamt) 0,35% des Unterschiedsbetrages zwischen
- 1. Umsätzen im Sinne des §1 Abs1 Z1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (Leistungen) und
- 2. Umsätzen im Sinne des §1 Abs1 Z1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes 1994, die an das Unternehmen erbracht werden (Vorleistungen),
übersteigen (Nettoproduktionswert)."
2.2. Die Energieabgabenvergütung wird nicht allen Unternehmen gewährt, sondern nur solchen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern besteht. §2 Absatz 1 leg. cit. in dem zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung lautet:
"(1) Einen Anspruch auf Vergütung haben nur Unternehmen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern besteht."
III. Der Verfassungsgerichtshof
hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
Der Verfassungsgerichtshof hätte in den beiden Anlaßverfahren §2 Absatz 1 Energieabgabenvergütungsgesetz anzuwenden. In den Beschwerdeverfahren zu B2251/97 und B2594/97 stellt sich für den Verfassungsgerichtshof die Frage, ob es sich bei den Bestimmungen des Energieabgabenvergütungsgesetzes um eine Beihilfe im Sinne des Artikel 92 EGV handelt. Da - wie unten näher dargestellt - eine Notifikation dieser gesetzlichen Regelungen nicht erfolgte, ist für den Verfassungsgerichtshof zunächst entscheidungsrelevant, ob der Anwendung des Energieabgabenvergütungsgesetzes die sich aus Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV ergebende Sperrwirkung für nicht notifizierte Beihilfen entgegensteht.
Artikel 93 Absatz 3 EGV sieht nämlich für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung vor, die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, daß sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, daß ein derartiges Vorhaben nach Artikel 92 EGV mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Absatz 2 leg. cit. vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat.
Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, daß die Nichteinhaltung dieses Verfahrens derart auf das innerstaatliche Zustandekommen einer Beihilfenregelung selbst durchschlägt, daß ein ohne dieses Verfahren erlassenes Gesetz unwirksam ist.
Die unter Punkt 2 formulierte Frage könnte für den Verfassungsgerichtshof insofern entscheidungsrelevant sein, als er einerseits in die Lage kommen könnte, die Einschränkung der Vergütung auf solche Unternehmen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht, zu beseitigen, was im Effekt einer Ausdehnung der Energieabgabenvergütung auf alle Unternehmen gleichkäme, oder andererseits auch die angefochtenen Bescheide in einer den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes sowie der gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation zu beurteilen.
Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, daß eine derartige Ausdehnung der Energieabgabenvergütung auf alle Unternehmen nur dann zulässig wäre, wenn dieser im Effekt bewirkten Ausdehnung die Sperrwirkung des Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV für nicht notifizierte Beihilfen nicht entgegensteht.
2. In der Sache:
2.1. Das Energieabgabenvergütungsgesetz ist gleichzeitig mit dem Erdgasabgabegesetz und dem Elektrizitätsabgabegesetz in Kraft getreten und auf Vorgänge nach dem 31. Mai 1996 anzuwenden.
Sollte die Energieabgabenvergütung eine Beihilfe im Sinne des Artikel 92 EGV darstellen, wäre sie offenbar nicht als Altbeihilfe gemäß Artikel 93 Absatz 1 EGV anzusehen (vgl. Rawlinson, in Lenz (Hg), EG-Vertrag-Kommentar (1994), Rz 5 zu
Artikel 93; v. Wallenberg, in Grabitz/Hilf (Hg), Kommentar zur Europäischen Union, Rz 4, 60, 65 und 67 zu Artikel 93, mit Hinweisen auf die einschlägige Judikatur des EuGH; VfGH vom 12. April 1997, VfSlg. 14805/1997). Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV wäre daher anzuwenden.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof stellte dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die Frage, ob das Energieabgabenvergütungsgesetz im Sinne des Artikel 93 Absatz 3 EGV notifiziert wurde. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst antwortete am 7. Jänner 1999 wie folgt:
"Nach ho. Auffassung handelt es sich bei der Energieabgabenvergütung um keine staatliche Beihilfe im Sinne des Art92 EGV. Dennoch wurde vom Bundesministerium für Finanzen im Zuge der Vorbereitung der gegenständlichen Regelung informell bei der Europäischen Kommission angefragt, ob eine Notifizierung zweckmäßig wäre. Von der Europäischen Kommission wurde dies unter anderem mit der Begründung verneint, daß auch Dänemark keine Notifizierung seiner Energieabgabenvergütung vorgenommen hat."
2.3. Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV entfaltet unmittelbare Wirkung.
Die unmittelbare Anwendbarkeit des in diesem Artikel enthaltenen Durchführungsverbots betrifft jede Beihilfemaßnahme, die durchgeführt wird, ohne daß sie angezeigt ist, oder die im Falle der Anzeige während der Vorprüfungsphase oder - falls die Kommission ein förmliches Verfahren einleitet - vor Erlaß der abschließenden Entscheidung durchgeführt wird.
Die Verletzung von Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV durch die nationalen Behörden beeinträchtigt die Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung von Beihilfemaßnahmen.
Die nationalen Gerichte müssen daraus zugunsten der einzelnen, die sich auf eine solche Verletzung berufen können, entsprechend ihrem nationalen Recht sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Beitreibung der unter Verletzung dieser Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen (vgl. EuGH Rs C-354/90 , FNCE/Französische Republik, Slg. 1991, I-5505 (5527), Randnrn. 11 und 12).
2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat Veranlassung, den Begriff der Beihilfe auszulegen und anzuwenden, um bestimmen zu können, ob die gesetzliche Maßnahme der Energieabgabenvergütung dem Verfahren des Artikel 93 Absatz 3 EGV hätte unterworfen werden müssen. Im Zweifelsfall muß das nationale Gericht gemäß Artikel 177 Absätze 2 und 3 EGV dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EGV zur Vorabentscheidung vorlegen (vgl. EuGH Rs 78/76, Steinike und Weinlig, Slg. 1977, 595, Randnr. 14; EuGH Rs C-189/91 , Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185, Randnr. 14; EuGH Rs C-39/94 , SFEI/La Poste, Slg. 1996, I-3547 (3593), Randnrn. 49, 51).
IV. Zur Vorlage:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist im Sinne des Artikel 177 Absatz 3 EGV ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist daher für den Verfassungsgerichtshof verpflichtend.
2. Im Sinne der Judikatur des EuGH ist das nationale letztinstanzliche Gericht unter anderem dann von der Vorlagepflicht entbunden, wenn es feststellt, daß die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen (vgl. EuGH Rs 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415 (3431f)).
3. Zur Frage 1:
3.1. Die richtige Anwendung der genannten Bestimmung für den vorliegenden Fall ist aus folgenden Gründen nicht als derart offenkundig zu bezeichnen, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt:
3.2 Die "Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung", Amtsblatt C384/3 vom 10. Dezember 1998, gibt Anhaltspunkte bezüglich der Auslegung des Artikel 92 Absatz 1 EGV. Die Kriterien, um eine Maßnahme als Beihilfe iSd Artikel 92 EGV anzusehen, werden unter Punkt B angeführt:
"9. Erstens muß die Maßnahme dem Begünstigten einen Vorteil verschaffen, durch den seine normalerweise zu tragenden Belastungen vermindert werden. Ein solcher Vorteil kann durch eine Minderung der Steuerlast des Unternehmens auf verschiedene Weise gewährt werden, insbesondere:
- durch Minderung der Steuerbemessungsgrundlage (besonderer Steuerabzug, außergewöhnliche oder beschleunigte Abschreibung, Aufnahme von Rücklagen in die Bilanz usw.);
- durch vollständige oder teilweise Ermäßigung des Steuerbetrags (Steuerbefreiung, Steuergutschrift usw.);
- durch Zahlungsaufschub, Aufhebung der Steuerschuld oder außergewöhnliche Vereinbarung über die Abzahlung der Steuerschuld in Raten.
10. Zweitens muß der Vorteil vom Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Ein Steuereinnahmeverlust steht der Verwendung staatlicher Mitteln in Form von Steuerausgaben gleich. Dieses Kriterium ist auch anwendbar auf Beihilfen, die von regionalen und lokalen Einrichtungen der Mitgliedstaaten gewährt werden. Im übrigen kann sich das staatliche Handeln sowohl in Steuergesetzen, -verordnungen und verwaltungsvorschriften als auch in der Praxis der Steuerverwaltung manifestieren.
11. Drittens muß die betreffende Maßnahme den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dieses Kriterium setzt voraus, daß der Begünstigte unabhängig von seiner Rechtsform oder Finanzierungsweise eine Wirtschaftstätigkeit ausübt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Voraussetzung der Handelsbeeinträchtigung erfüllt, wenn das begünstigte Unternehmen einer Wirtschaftstätigkeit nachgeht, die Gegenstand eines Handels zwischen den Mitgliedstaaten ist. Schon die Tatsache, daß die Beihilfe die Stellung dieses Unternehmens gegenüber anderen im innergemeinschaftlichen Handel konkurrierenden Unternehmen verstärkt, berechtigt als solche zu der Feststellung, daß dieser Handel beeinträchtigt wurde. Weder die relativ geringe Bedeutung einer Beihilfe noch die geringe Größe des Beihilfeempfängers oder sein äußerst geringer Anteil am Gemeinschaftsmarkt oder gar das Fehlen einer Exporttätigkeit bei diesem oder die Tatsache, daß das Unternehmen fast seine gesamte Produktion aus der Gemeinschaft ausführt, ändern etwas an dieser Feststellung.
12. Schließlich muß die betreffende Maßnahme spezifisch oder selektiv sein, also 'bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige' begünstigen. Eine solche selektive Begünstigung kann sowohl aus einer Ausnahme von den steuerlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften als auch aus Ermessensentscheidungen der Steuerverwaltungen resultieren. Der selektive Charakter einer Maßnahme kann jedoch 'durch die Natur oder den inneren Aufbau des Systems' gerechtfertigt sein. In diesem Fall entzieht sich die Maßnahme dem Zugriff des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag. Diese verschiedenen Aspekte werden nachstehend ausgeführt."
3.3. Daß die Maßnahme gemäß Punkt B der genannten Mitteilung dem Begünstigten einen Vorteil verschafft, durch den seine normalerweise zu tragenden Belastungen vermindert werden, scheint dem Verfassungsgerichtshof nicht zweifelhaft, zumal im vorliegenden Fall eine Rückvergütung des geleisteten Steuerbetrages erfolgt.
3.4. Ein weiteres Kriterium für die Beihilfe liegt in der Gewährung des Vorteils vom Staat oder aus staatlichen Mitteln. Unter Berücksichtigung der Judikatur des EuGH zu dieser Frage (vgl. EuGH Rs C-52 bis 54/97, Viscido et. al., vom 7. Mai 1998, Randnr. 13), scheint auch dieses Kriterium zuzutreffen, da die Rückvergütung der Energieabgabe aus Haushaltsmitteln erfolgt.
3.5. Die Qualifikation einer Energieabgabenvergütung als Beihilfe scheint dem Verfassungsgerichtshof allerdings insofern fraglich, als die Kommission in ihrer Mitteilung vom 10. Dezember 1998 (Punkt 13) davon ausgeht, daß die Mitgliedstaaten nicht darin eingeschränkt sind, die Wirtschaftspolitik zu wählen, die für sie geeignet scheint und insbesondere die Steuerbelastung so auf Produktionsfaktoren zu verteilen, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Maßnahmen, die ein Ziel der allgemeinen Wirtschaftspolitik verfolgen, indem die mit bestimmten Produktionskosten verbundene Steuerbelastung reduziert wird, stellen daher keine staatlichen Beihilfen dar. Es ist daher insbesondere fraglich, ob die Energieabgabenvergütung, welche auf Unternehmen abstellt, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern besteht und Dienstleistungsbetriebe (wenn auch mit hohem Stromverbrauch) ausschließt, eine derartige Maßnahme sein kann. An der Qualifikation einer Beihilfe scheint gemäß der Judikatur des EuGH (vgl. EuGH Rs 173/73 Italien/Kommission, Slg. 1974, 709) die Tatsache nichts zu ändern, daß die Maßnahme möglicherweise zu einer Annäherung der Abgabenbelastung des betreffenden Sektors an die Abgabenbelastung ihrer Konkurrenten in anderen Mitgliedstaaten beiträgt (vgl. Punkt 15 der Mitteilung vom 10. Dezember 1998).
3.6. Ob eine Energieabgabenvergütung den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, scheint ebenfalls fraglich:
Aus der Sicht des ersten Anlaßfalles - eines Unternehmens, welches Rohöl-Transportleitungen baut und betreibt - bleibt zweifelhaft, ob Maßnahmen einer Energieabgabenvergütung geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Gegen die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten spricht der Umstand, daß Dienstleistungen einer ortsgebundenen Anlage - im Gegensatz zu produzierten Waren - nicht örtlich substituierbar sind. Allerdings sieht der EuGH, Rs 102/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1988, 4067, das Fehlen einer Exporttätigkeit nicht als Kriterium an, welches eine Beihilfe ausschließen würde.
Aus der Sicht des zweiten Anlaßverfahrens ist diese Beurteilung wiederum zu differenzieren, da die Herstellung von Zement und Kalk örtlich substituierbar ist, und eine Energieabgabenvergütung somit eher geeignet scheint, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
3.7. Schließlich ist auch zweifelhaft, ob eine Energieabgabenvergütung in der vorliegenden Art spezifisch oder selektiv ist: Zwar stellt eine steuerliche Maßnahme, die vor allem einen oder mehrere Wirtschaftszweige begünstigt (vgl. Punkt B 18 der Mitteilung vom 10. Dezember 1998) eine Beihilfe dar; ob allerdings die Unterscheidung der Energieabgabenvergütung in Dienstleistungsbetriebe einerseits, welche keinen Vergütungsanspruch haben und Produktionsbetriebe andererseits, den Erfordernissen der Selektivität genügen, bleibt auch aufgrund der in diesem Punkt kasuistischen Rechtsprechung des EuGH ungeklärt.
4. Zur Frage 2:
Sollte für die Qualifikation als Beihilfe die Tatsache maßgebend sein, daß eine Energieabgabenvergütung auf Unternehmen beschränkt ist, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern besteht, stellt sich für den Verfassungsgerichtshof die Frage, ob die Sperrwirkung des Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV auch dann eintreten würde, wenn das Energieabgabenvergütungsgesetz eine Vergütung der Energieabgaben für alle Unternehmen vorsähe.
Mit anderen Worten: Hätte ein Energieabgabenvergütungsgesetz, das eine unbeschränkte Abgabenvergütung (also auch für Dienstleistungsunternehmen) vorsieht, ohne das in Artikel 93 Absatz 3 EGV vorgesehene Verfahren in Vollzug gesetzt werden dürfen?
V. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, daß der Anwendung des Energieabgabenvergütungsgesetzes die sich aus Artikel 93 Absatz 3 dritter Satz EGV ergebende Sperrwirkung entgegensteht und die gestellten Fragen weder durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften eindeutig geklärt sind, noch deren Lösung derart offenkundig ist, daß für einen Zweifel kein Raum bliebe, weshalb diese Fragen gemäß Artikel 177 Absatz 1 lita und Absatz 3 EGV dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.
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