Normen
B-VG Art144 Abs1 / Hausdurchsuchung
B-VG Art144 Abs1 / Verhaftung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8 / Verletzung
StGG Art9
MRK Art8 / Wohnung
StPO §177
B-VG Art144 Abs1 / Hausdurchsuchung
B-VG Art144 Abs1 / Verhaftung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8 / Verletzung
StGG Art9
MRK Art8 / Wohnung
StPO §177
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 8. September 1988 knapp eine Stunde in Räumen des Gebäudes Untere Augartenstraße 23 anhielten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer begehrt mit der vorliegenden, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde, kostenpflichtig festzustellen, daß er dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 8. September 1988 in 1020 Wien, Untere Augartenstraße 23 in seinem Geschäftslokal mindestens 45 Minuten lang angehalten hätten sowie dadurch, daß eine Durchsuchung der Geschäftsräumlichkeiten vorgenommen worden sei, in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes verletzt worden sei.
2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion (BPD) Wien als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, weil gegen den Beschwerdeführer keine verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt worden sei; der Beschwerdeführer sei nicht festgenommen worden; es habe keine Hausdurchsuchung stattgefunden.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch die (vom Referenten durchgeführten) Einvernahmen der einschreitenden Sicherheitswachebeamten (SWB) Major W D U, Hauptmann W S und Rev.Insp. K B, ferner einiger der (außer dem Beschwerdeführer) von der Amtshandlung betroffenen Personen, nämlich M S, L F und E L, sowie des Beamten des Magistrates der Stadt Wien Senatsrat Dr. G S und schließlich einiger gegen Ende der Amtshandlung am Schauplatz erschienen (unbeteiligter) Personen, nämlich der Rechtsanwälte Dr. G L, Dr. M S und Dr. K R als Zeugen sowie des Beschwerdeführers
L G als Partei.
Der Verfassungsgerichtshof hat auch in den (Straf-)Akt des Jugendgerichtshofes Wien AZ 11 a Vr 924/88 und in den (Besitzstörungs-)Akt des Bezirksgerichtes Donaustadt 6 C 2374/88 Einsicht genommen.
2. Aufgrund dieser Beweismittel steht der folgende Sachverhalt fest:
Die Stadt Wien ist Eigentümerin des Grundstückes Wien 2., Untere Augartenstraße 23. Dem Beschwerdeführer wurde, beginnend mit 1. August 1981, das (Straßen-)Lokal Nr. 4 auf Stiege 1 im Weg der Bittleihe unentgeltlich gegen jederzeitigen Widerruf überlassen. Der Beschwerdeführer führte dort einige Jahre eine Tierhandlung. Das auf dem Grundstück befindliche Gebäude wurde in der Folge für einen Abbruch vorgesehen. Ende August 1988 fand dort eine Hausbesetzung statt. Das war für die Stadt Wien Anlaß, die Bittleihe zunächst am 27. August 1988 mündlich und am 29. August 1988 schriftlich zu widerrufen. Der Beschwerdeführer erklärte jedoch ausdrücklich, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen; er räumte dann auch das Lokal nicht. Die Stadt Wien brachte gegen ihn Besitzstörungs- und Räumungsklage ein. Die Parteien vereinbarten Ruhen der Verfahren, ohne daß ein Beweisverfahren durchgeführt worden wäre.
Der Beschwerdeführer hatte seit einiger Zeit das erwähnte Lokal (das unmittelbar von der Straße betretbar war) nicht mehr als Tierhandlung verwendet, sondern es seit Ende August 1988 Obdachlosen als Notunterkunft überlassen. Außerdem diente es als Informationsstelle für diese organisierte Gruppe und deren Sympathisanten.
Am 8. September 1988 um etwa 14,30 Uhr wurde die Polizei von Nachbarn verständigt, daß sich Personen, die offenbar aus dem erwähnten Lokal kamen, durch Zerschlagen von Fensterscheiben und unter Durchbrechen einer Mauer Zutritt zu den - ihnen von niemandem zur Verfügung gestellten - Kellerräumlichkeiten schafften; außerdem sei beobachtet worden, daß die Personen mit anscheinend brennbaren Flüssigkeiten hantierten und sich mit brennenden Fackeln in der Hand in den Keller abseilten.
Wegen Verdachtes der Sachbeschädigung und der angenommenen Brandgefahr schritten daraufhin SWB der BPD Wien (unter Leitung von Major U) und die Wiener Berufsfeuerwehr ein. Der Einsatzleiter erteilte den Beamten der (von ihm angeforderten) Alarmabteilung (Leitung Hauptmann S) den Auftrag, die Kellerräume - über die der Beschwerdeführer niemals verfügungsberechtigt war - zu durchsuchen und die Personalien der in der ehemaligen Tierhandlung anwesenden Personen festzustellen, um gegen sie bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten zu können.
13 Beamte der Alarmabteilung (darunter Hauptmann S und Rev.Insp. B) drangen kurz vor 15,00 Uhr - nach Überwinden einer Mauer - durch einen rückwärtigen Eingang in das ehemalige Geschäftslokal ein. Etwa drei von ihnen begannen sodann mit der Aufnahme des Nationales der anwesenden (elf) Personen. Unter ihnen befand sich auch der Beschwerdeführer. Dies geschah derart, daß diese zunächst aufgefordert wurden, sich in einen (leeren) Nebenraum zu begeben und dort zu warten. Sodann wurden sie einzeln in das ehemalige Geschäftslokal geführt. Dabei legte ein SWB dem Beschwerdeführer die Hand auf die Schulter. Im ehemaligen Geschäftslokal wurden die Personalien (aufgrund von Ausweisen oder von Identitätszeugen) festgestellt. Hierauf hatten die Personen wieder in den daneben liegenden Raum zu gehen und dort zu warten. Als alle Personalien festgestellt waren, konnten sich die Personen entfernen.
Auf mehrfache Fragen nach dem Anlaß des Einschreitens erteilten die SWB keine Antwort. Zwar wurde keine Festnahme ausdrücklich ausgesprochen, jedoch mußten die Perlustrierten unter den gegebenen Umständen den Eindruck gewinnen, daß sie nicht weggehen dürften. (Auch der Zeuge Hauptmann S gibt das an.) Hätten sie sich entfernen wollen, so wäre dies zweifelsfrei von den SWB mit Gewalt verhindert worden. (Das geht etwa daraus hervor, daß es zwar der Zeugin L - und nur ihr - gestattet wurde, auf die Straße zu gehen, das aber erst, nachdem sie durch Vorweis des Mutter-Kind-Passes nachgewiesen hatte, daß sie schwanger war.).
Nachdem die Perlustrierung abgeschlossen war, entfernten sich die SWB, ohne weitere Worte zu verlieren. Nun war es den Personen, darunter dem Beschwerdeführer, möglich, den Raum zu verlassen. Die Perlustrierungsaktion dauerte knapp eine Stunde.
Als gegen 18,00 Uhr die Zeugen Dres. L, S und R beim Haus Untere Augartenstraße 23 einlangten, waren in der Nähe wohl noch SWB anwesend; die Amtshandlung im Lokal war aber bereits abgeschlossen.
Die SWB besichtigten wohl das ehemalige Geschäftslokal, blickten umher, nahmen auch Gegenstände zur Hand, zerbrachen ein Messer und öffneten auch die Aktentasche des Zeugen F. Sie suchten jedoch weder nach Personen oder nach Gegenständen; dazu waren sie weder beauftragt noch hatten sie sonst hiezu Anlaß.
Gegen die elf perlustrierten Personen (darunter den Beschwerdeführer) erstattete die BPD Wien am 21. September 1988 Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien. Die Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien erklärte am 6. Dezember 1988, daß "zur weiteren Verfolgung wegen §§125; 126 Abs1 Z7; 15; 169 Abs1 StGB kein Grund gefunden" werde. Daraufhin wurde das vom JGH Wien zu AZ 11 a Vr 924/88 geführte Verfahren gemäß §90 Abs1 StPO eingestellt.
3. Die Zeugenaussagen der intervenierenden SWB und jene der betroffenen Personen stimmen in der hier maßgebenden Hinsicht überein, wenngleich die Schärfe des Einsatzes der SWB von diesen schwächer als von den Betroffenen geschildert wird.
III. Der Verfassungsgerichtshof würdigt den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt:
1.a) Art8 StGG und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit gewähren nur Schutz gegen rechtswidrige Verhaftung, rechtswidrige Inverwahrnahme sowie rechtswidrige Internierung und Konfinierung; diese Bestimmungen schützen aber nicht vor jeder anderen Freiheitsbeschränkung, auch nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Auch Art5 MRK schützt nur vor rechtswidriger Festnehmung und rechtswidriger Verhaftung, nicht auch vor anderen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (vgl. zB VfSlg. 10.420/1985). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit wird nur dann verletzt, wenn der Wille der Behörde (oder des behördlichen Hilfsorganes) primär auf eine Beschränkung der Freiheit gerichtet ist, nicht aber auch dann, wenn eine andere Maßnahme (wie etwa die erzwungene Besichtigung eines Fahrzeuges) den Betroffenen dazu nötigt, sich nicht zu entfernen, diese Beschränkung also die sekundäre Folge der Bewegungsbehinderung ist (VfSlg. 8327/1978, 8815/1980, 9983/1984).
Von einer solchen sekundären Folge kann aber hier keine Rede sein. Vielmehr wurde der Beschwerdeführer - ebenso wie die übrigen betroffenen Personen - knapp eine Stunde aufgrund verwaltungsbehördlichen Befehles, der unmittelbare Befolgung beanspruchte, dazu verhalten, jeweils in einem bestimmten Raum zu verbleiben. Den Betroffenen war der Zweck und das Ziel der gegen sie gerichteten Amtshandlung nicht bekannt; diese dauerte länger als für eine bloße Perlustrierung unbedingt erforderlich war und erfolgte unter Begleitumständen, die als intensives Verbot, den Raum zu verlassen, gedeutet werden mußten, bei dessen Mißachtung unmittelbar folgende (schwere) Gewaltanwendung zu erwarten war.
Es lag also eine Verhaftung iS der zitierten Verfassungsnormen vor (vgl. auch zB VfSlg. 10.229/1984, 10.378/1985).
Eine solche Verhaftung ist ein Verwaltungsakt, der nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar ist (vgl. zB VfSlg. 10.480/1985, 10.837/1986).
b) Auch das gewaltsame Eindringen in das ehemalige Geschäftslokal des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangener Verwaltungsakt iS der soeben zitierten Verfassungsbestimmung.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2.a) Für die Verhaftung fehlte die gesetzliche Grundlage. Auch die belangte Behörde beruft sich nicht auf eine solche, sondern behauptet, es habe gar keine Verhaftung stattgefunden. Diese Behauptung wurde oben (III.1.a) widerlegt.
Zwar bestand der begründete Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung. Das rechtfertigte wohl, die Identität der im Tatverdacht stehenden Personen (darunter auch des Beschwerdeführers) festzustellen, nicht aber von vornherein auch schon, diese Personen zu verhaften. Hiefür hätte eine der im §177 StPO aufgezählten Voraussetzung vorliegen müssen. Daß ein solcher Grund gegeben gewesen wäre, behauptet selbst die belangte Behörde nicht.
Der Beschwerdeführer wurde also durch die Verhaftung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
b) Zur behaupteten Verletzung des Hausrechtes ist zunächst festzuhalten, daß die in den Kellerräumen durchgeführte Amtshandlung nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist, sondern nur jene, die im ehemaligen Geschäftslokal und im Nebenraum erfolgte.
aa) Unter Unverletzlichkeit des Hausrechts iS des vom Beschwerdeführer relevierten Grundrechts des Art9 StGG ist (nur) der Schutz gegen willkürliche Hausdurchsuchungen zu verstehen (VfSlg. 872/1927, 3847/1960, 3967/1961 uva.).
Als "Hausdurchsuchung" definiert §1 HausrechtsG, RGBl. 88/1862, eine "Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten". Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (vgl. VfSlg. 1906/1950, 5080/1965, 5738/1968, 6528/1971, 6553/1971, 8668/1979, 9766/1983, 10.547/1985). Ein bloßes Betreten einer Wohnung, etwa um zu sehen, von wem sie bewohnt wird (VfSlg. 1906/1950, 6528/1971), oder zur Feststellung der Räume nach Größe, Zahl und Beschaffenheit (VfSlg. 2991/1956), ist nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen (vgl. auch VfSlg. 10.272/1984).
Da von den einschreitenden SWB - wie sich aus der Sachverhaltsfeststellung (s.o. II.2.) ergibt - eine "Suche" - wie sie nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für eine "Hausdurchsuchung" unerläßlich ist - weder veranstaltet werden sollte noch tatsächlich eine solche stattfand, kommt eine Verletzung des Art9 StGG nicht in Betracht.
bb) Allerdings greift das - vom Beschwerdeführer zwar nicht bezogene - Grundrecht nach Art8 MRK - jedenfalls im hier allein maßgebenden Zusammenhang - über den Schutzbereich des Art9 StGG hinaus (VfSlg. 10.272/1984), indem es unabhängig von den Bedingungen einer behördlichen Hausdurchsuchung "jedermann ...
(den) Anspruch auf Achtung ... seiner Wohnung (des Hausrechts -
s. VfSlg. 8461/1978) ..." gewährleistet (s. VfSlg. 10.547/1985).
Dieses Recht dient - wie sich schon aus dem systematischen Zusammenhang, in dem es steht (nämlich im Konnex mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie des Briefverkehrs) - dem Schutz der Intimsphäre des Individuums. Wenngleich der Begriff der "Wohnung" auch in der Bedeutung des Art8 MRK nicht eng zu verstehen ist, können darunter keinesfalls Räumlichkeiten verstanden werden, die bestimmungsgemäß der Öffentlichkeit zugänglich sind. Das war aber hier der Fall: Zumindest zum Zeitpunkt, als die angefochtene Maßnahme stattfand, diente das von den SWB betretene ehemalige Geschäftslokal nicht als Wohnraum, sondern als Stelle, in der jedermann eingeladen war, Informationen über die Anliegen der Obdachlosen-Gruppe zu erhalten. Der Nebenraum war leer; über ihn hatte der Beschwerdeführer (unstrittig) keinerlei Benützungsrecht.
Unter diesen Umständen kann von einem Eingriff in das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nicht gesprochen werden. Damit scheidet eine Verletzung dieses Grundrechtes von vornherein aus, ohne daß zu erörtern war, ob dem Beschwerdeführer überhaupt irgendein Recht zustand, das ehemalige Geschäftslokal zu benützen.
c) Eine im Zusammenhang mit dem Betreten des ehemaligen Geschäftslokals durch die SWB stehende Verletzung sonstiger verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat das Verfahren ebensowenig ergeben, wie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen. Die Beschwerde war daher in diesem Umfang abzuweisen.
3. Da jede Partei teils obsiegt hat, teils unterlegen ist, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben (§43 Abs1 ZPO iVm der §§35 und 88 VerfGG).
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