VfGH B1421/02

VfGHB1421/0225.2.2003

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer Berufungsverhandlung

Normen

EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3
EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Dem Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 19. Juni 2002 zur Last gelegt, er habe, wie im Zuge einer Kontrolle am 13. März 2002 in Musau auf der B 179 festgestellt worden sei, erlaubte Tageslenkzeiten überschritten und vorgeschriebene Ruhezeiten nicht eingehalten, und dafür gemäß §134 Abs1 KFG 1967 iVm. Art6 Abs1, Art7 Abs1 und Art8 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 eine Geldstrafe in Höhe von € 289,-

auferlegt.

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, in der er die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte.

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (im folgenden: UVS) wies diese Berufung mit Erkenntnis vom 24. Juli 2002 als unbegründet ab, ohne eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben.

Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Der UVS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der - wie schon im angefochtenen Bescheid - das Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung damit begründet wird, daß eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Sache erwarten habe lassen. Der UVS begehrt die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß im Verwaltungsstrafverfahren eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie stattfindet, wenn der UVS - der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal entscheidet - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.

2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt. Damit kommt aber die Anwendung des §51e Abs3 VStG, der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, schon von seinen Voraussetzungen her nicht mehr in Betracht. Daraus folgt aber auch, daß der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. oben genanntes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.9.2002, B1737/01, sowie VfGH 9.10.2002, B36/02 und B807/02; 26.11.2002, B1436/02).

3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art6 Abs1 EMRK) vor einem Tribunal verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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