VfGH B1436/02

VfGHB1436/0226.11.2002

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer Berufungsverhandlung

Normen

EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3
EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Dem Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Villach vom 9. November 2001 zur Last gelegt, es als Zulassungsbesitzer eines näher bezeichneten Kraftfahrzeuges unterlassen zu haben, auf das schriftliche Verlangen der Behörde eine richtige Lenkerauskunft zu erteilen, und dadurch gegen §103 Abs2 KFG 1967 verstoßen zu haben. Über ihn wurde daher gemäß §134 Abs1 KFG 1967 eine Geldstrafe in Höhe von € 290,69 bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen verhängt.

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer eine ausdrücklich gegen den Schuld- und den Strafausspruch gerichtete Berufung. Darin legte er mit näherer Begründung dar, weshalb der gegen ihn gerichtete Tatvorwurf nicht berechtigt sei. Einen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung stellte der Beschwerdeführer nicht.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten (im folgenden: UVS) wies mit Bescheid vom 31. Juli 2002 die Berufung als unbegründet ab, ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Dagegen richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung bei der Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage durch ein Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Der UVS legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch ausdrücklich von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Er beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß im Verwaltungsstrafverfahren eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie stattfindet, wenn der UVS - der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal einschreitet - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.

2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zwar nicht beantragt, er hat jedoch ausdrücklich angeführt, daß sich sein Rechtsmittel sowohl gegen den Schuld-, als auch gegen den Strafausspruch richte und daß der gegen ihn erhobene Tatvorwurf nicht berechtigt sei. Im Anschluß daran hat er dies näher begründet. Damit geht seine (sachverhaltsbezogene) Berufung über die im §51e Abs3 VStG erwähnten Fälle, die den UVS allenfalls ermächtigt hätten, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, hinaus. Daraus ergibt sich, daß der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. oben genanntes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.9.2002, B1737/01, sowie VfGH 9.10.2002, B36/02 und B807/02.

3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art6 Abs1 EMRK) vor einem Tribunal verletzt worden.

4. Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.

5. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,- enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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