Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch seine Festnahme durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Wien am 16. November 1990 um 18.20 Uhr in Wien 4, Wiedner Gürtel, sowie durch seine nachfolgende Anhaltung bis 22.15 Uhr des genannten Tages weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 25.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer erhebt, gestützt auf Art144 Abs1 B-VG, Beschwerde gegen die am 16. November 1990 von etwa 18.20 Uhr bis 22.19 Uhr durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien verfügte Verhaftung und Anhaltung. Er beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß er durch diese Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
In der Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer sei am 16. November 1990 "in einer Gruppe von mehreren Radfahrern" durch die Favoritenstraße im 4. Wiener Gemeindebezirk stadtauswärts gefahren. Bei der Kreuzung der Favoritenstraße mit dem Wiedner Gürtel sei er nach rechts in den Gürtel eingebogen. Auf der Fahrbahn des Gürtels sei ein dem Beschwerdeführer unbekannter Radfahrer mit seinem Rad gestanden, der dann in gleicher Richtung wie der Beschwerdeführer losgefahren sei und seine Fahrlinie so gewählt habe, daß er zwischen dem Beschwerdeführer und den an der rechten Straßenseite geparkten PKWs gefahren sei. Als sich dieser Radfahrer auf gleicher Höhe mit dem Beschwerdeführer befunden habe, habe er gefragt, ob es sich bei dieser Gruppe von Radfahrern um die "Freitagsradler" handle. Der Beschwerdeführer habe den ihm unbekannten Radfahrer sofort darauf hingewiesen, daß durch seine Fahrweise ein Nebeneinanderfahren vorliege und er sich daher hintereinander einreihen sollte. Kaum habe der Beschwerdeführer dies ausgesprochen, sei ein Polizeibeamter herbeigekommen und habe den Beschwerdeführer für festgenommen erklärt. Zu diesem Zeitpunkt habe das vom Beschwerdeführer nicht herbeigeführte Nebeneinanderfahren nur wenige Sekunden angedauert und eine diesbezügliche Abmahnung sei dem Ausspruch der Festnahme nicht vorangegangen.
Der Beschwerdeführer sei (angeblich aus dem Grund des §35 lit. c VStG) um 18.20 Uhr festgenommen worden. Die Anhaltung habe um 22.19 Uhr geendet.
Für diese Festnahme und Anhaltung finde sich keine Rechtsgrundlage.
2. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragt in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde und führt im wesentlichen folgendes aus:
Am Freitag, dem 16. November 1990 sei es gegen 16.00 Uhr im Bereich des Rathausplatzes zu einer Ansammlung von ca. 80 Radfahrern gekommen. Als Sprecher der Gruppe habe sich der Beschwerdeführer ausgegeben. Der zusammen mit anderen Sicherheitswachebeamten die Radfahrer begleitende Bez.Insp. T habe den Beschwerdeführer mehrmals ermahnt, sich an die Bestimmungen der StVO zu halten und nicht nebeneinander zu fahren. Der Beschwerdeführer habe dies mehrmals in der offensichtlichen Absicht getan, den übrigen Fahrzeugverkehr am Überholen zu hindern. Trotz einiger Abmahnungen und auch der Androhung der Festnahme einzelner Radfahrer sei es immer wieder dazu gekommen, daß die Radfahrer vorschriftswidrig nebeneinander fuhren, was zu Verkehrsstauungen geführt habe. Da auch Bez.Insp. T die dem Beschwerdeführer übertragene Leitfunktion bekannt gewesen sei, habe er mehrmals während der Fahrt versucht, auf den Beschwerdeführer einzuwirken, damit sich er und die von ihm angeführten Radfahrer an die Vorschriften der StVO hielten.
Nachdem die Gruppe von Radfahrern von der Favoritenstraße nach rechts in den Wiedner Gürtel eingebogen sei, sei der Beschwerdeführer neben einem anderen Teilnehmer der Gruppe gefahren. Die Behauptung des Beschwerdeführers, es habe sich hiebei um einen unbekannten Radfahrer gehandelt, stelle lediglich eine Schutzbehauptung dar. Die vom Beschwerdeführer gewählte Vorgangsweise des Nebeneinanderfahrens habe seiner bereits vorher mehrfach angewendeten Fahrweise entsprochen. Der Sicherheitswachebeamte T habe daher (um 18.20 Uhr) gemäß §35 litc VStG die Festnahme des Beschwerdeführers wegen der Übertretung des §68 Abs2 StVO ausgesprochen. Der Beschwerdeführer habe dem Beamten daraufhin angekündigt, für den Fall seiner baldigen Freilassung die Demonstration fortsetzen zu wollen. Der Beschwerdeführer sei hierauf dem Bezirkspolizeikommissariat Wieden überstellt und in den Arrest abgegeben worden. Nach seiner Einvernahme durch einen rechtskundigen Beamten der Bundespolizeidirektion Wien sei er um 22.15 Uhr aus der Haft entlassen worden.
Die Festnahme des Beschwerdeführers - wird in der Gegenschrift abschließend betont - sei rechtmäßig erfolgt, da der Sicherheitswachebeamte mit gutem Grund annehmen konnte, den Beschwerdeführer bei der Begehung der Verwaltungsübertretung nach §68 Abs2 StVO betreten zu haben und da auch die sonstigen Haftgründe des §35 litc VStG vorgelegen seien.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen Dr. U B, G F, Bez.Insp. T T und Oberleutnant
W G sowie des Beschwerdeführers als Partei im Rechtshilfewege, weiters durch Einsichtnahme in die gegen den Beschwerdeführer erstattete polizeiliche Anzeige.
Der Beschwerdeführer wiederholte bei seiner Aussage im wesentlichen sein Beschwerdevorbringen. Er räumte allerdings ein, daß Bez.Insp. T ihm "früher" gesagt habe, er solle sich darum kümmern, daß die Radfahrer die StVO einhalten (insbesondere das Nebeneinanderfahren unterlassen). Er könne nicht ausschließen, daß er schon vor seiner Festnahme "im Stau" mehrmals "einen radfahrenden Nebenmann" gehabt habe.
Bez.Insp. T gab als Zeuge im wesentlichen jene Darstellung des Sachverhaltes zu Protokoll, welche in der Gegenschrift der belangten Behörde enthalten ist.
Die Zeugen Dr. B, F und Oberleutnant G haben betreffend die Festnahme des Beschwerdeführers und das der Festnahme unmittelbar vorangegangene Verhalten des Beschwerdeführers keine eigenen Wahrnehmungen gemacht. Dr. B und F, welche damals ebenfalls mit ihren Fahrrädern unterwegs waren, räumten in ihren Aussagen ein, daß es - bedingt durch die jeweilige Verkehrssituation - dazu kommen könne, daß Radfahrer, welche in einer Gruppe unterwegs sind, fallweise auch nebeneinander fahren.
2.a) Der Verfassungsgerichtshof nimmt aufgrund dieser Beweismittel folgenden hier relevanten Sachverhalt als erwiesen an:
Am 16. November 1990 fuhr eine Gruppe von (ca. 80) Radfahrern zu Demonstrationszwecken durch Wien (es handelte sich hiebei unbestrittenermaßen um keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes). Die Gruppe wurde von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien begleitet. Während der Fahrt wurden die Radfahrer sowohl vom Kommandanten der eingesetzten Sicherheitswachebeamten, Oberleutnant G, als auch von Bez.Insp. T aufgefordert, nicht nebeneinander zu fahren. Gleichlautende Abmahnungen erfolgten durch Bez.Insp. T auch an den bei den Radfahrern eine Art Leitfunktion ausübenden Beschwerdeführer. Diese Mahnung wurde mehrfach, darunter auch vom Beschwerdeführer, nicht hinreichend beachtet.
Nachdem die Radfahrer von der Favoritenstraße nach rechts in den Wiedner Gürtel eingebogen waren, fuhr der Beschwerdeführer links neben einem weiteren Radfahrer. Er wurde daraufhin um
18.20 Uhr von Bez.Insp. T wegen der Übertretung des §68 Abs2 StVO gemäß §35 litc VStG festgenommen. Der Beschwerdeführer äußerte gegenüber dem Sicherheitswachebeamten, er werde "in Kürze wieder auf der Straße sein und die Demo weiterführen".
Nach Überstellung auf das Bezirkspolizeikommissariat Wieden wurde der Beschwerdeführer in den Arrest abgegeben und nach seiner Einvernahme durch einen rechtskundigen Beamten der belangten Behörde um 22.15 Uhr aus der Haft entlassen.
b) Diese Feststellungen stützen sich weitgehend auf die übereinstimmenden Aussagen der Zeugen und des Beschwerdeführers. Daß der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Festnahme links neben einem anderen Radfahrer gefahren ist, wird (bereits) in der Beschwerde ausgeführt. Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme nicht ernsthaft in Abrede gestellt, vor seiner Festnahme bereits mehrfach neben einem anderen Radfahrer gefahren zu sein. Ebenso hat er eingeräumt, von dem ihn schließlich festnehmenden Sicherheitswachebeamten "früher" zur Beachtung des Verbotes, nebeneinander zu fahren, aufgefordert worden zu sein. Im übrigen ist die Aussage des Sicherheitswachebeamten T, der Beschwerdeführer habe nach seiner Festnahme zum Ausdruck gebracht, er werde die Demonstration nach seiner Freilassung weiterführen, im damals gegebenen Zusammenhang sowie im Hinblick auf die maßgebliche Rolle des Beschwerdeführers bei dieser Demonstrationsfahrt durchaus glaubhaft.
3. Der festgestellte Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu würdigen:
a) Vorausgeschickt wird hier, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt) kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, nach der "bisherigen" Rechtslage, d.h. nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1990, zu Ende zu führen ist.
Art8 des - gemäß Art8 Abs4 des BVG BGBl. 684/1988 hier noch anzuwendenden - StGG gewährt - ebenso wie Art5 EMRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958, 9919/1984, 10441/1985 ua.):
Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, legt in seinem §4 fest, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.
§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (zB VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung begehen und bei Verübung des Delikts angetroffen werden. Gemäß der litc des §35 VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Freilich kommt es hier nicht auf die Richtigkeit des erhobenen Vorwurfs an; es genügt vielmehr, wenn das amtshandelnde Sicherheitsorgan aus damaliger Sicht - nach Lage des Falles - mit gutem Grund (d.i. vertretbar) der - sujektiven - Auffassung sein durfte, daß die in Rede stehende Tat verübt worden sei (vgl. zB VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 10321/1985, 10441/1985, VfGH 26.2.1991 B538/89).
b) Alle diese Voraussetzungen lagen hier vor:
Nach dem festgestellten Sachverhalt konnte der die Festnahme vornehmende Sicherheitswachebeamte T, der selbst wahrgenommen hatte, daß der Beschwerdeführer (neuerlich) neben einem Radfahrer fuhr, vertretbarerweise davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer nach mehrfacher Abmahnung, das Nebeneinanderfahren zu unterlassen (die früheren Abmahnungen an den Beschwerdeführer bezogen sich hier - anders als im Erkenntnis VfSlg. 10955/1986 S. 16 - auf eine gleichartige Handlungsweise des Beschwerdeführers; zu den - hier gegebenen - Erfordernissen der individuellen Abmahnung sowie des engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges zwischen Abmahnung und Festnahme vgl. VfSlg. 10376/1985 S. 250f. und 10662/1985 S. 570), eine Übertretung nach §68 Abs2 StVO begangen habe.
Ob der Beschwerdeführer, wie er behauptet, nur zufällig und kurz neben dem an ihn eine Frage richtenden anderen Radfahrer gefahren ist, ist für die Vertretbarkeit der Annahme des Sicherheitswachebeamten, der Beschwerdeführer fahre neuerlich neben einem anderen Radfahrer, ohne Belang.
Ebenso vertretbar konnte Bez.Insp. T im Hinblick auf die Äußerung des Beschwerdeführers über die beabsichtigte Weiterführung der Demonstrationsfahrt davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer diese Handlung (Nebeneinanderfahren) zu wiederholen suchen werde.
Die Festnahme des Beschwerdeführers ist also gemäß §35 litc VStG rechtmäßig erfolgt.
c) Angesichts der Verfahrensergebnisse ist es unter gebührender Bedachtnahme auf die Begleitumstände des Falles nicht zweifelhaft, daß der Beschwerdeführer ohne unnötige Verzögerung einvernommen und daraufhin aus der Haft entlassen wurde (vgl. zB VfSlg. 8146/1977, 9980/1984). In der Beschwerde wird auch nicht behauptet, daß die Dauer der Anhaltung des Beschwerdeführers ungebührlich lang gewesen sei oder die Behörde sich unnötige Verzögerungen zuschulden habe kommen lassen.
4. Das Beschwerdeverfahren liefert auch sonst keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer im Verfahren nach Art144 B-VG vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzung.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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