Normen
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Verletzung
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
ASVG §338 Abs1
ASVG §343
ASVG §345
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Verletzung
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
ASVG §338 Abs1
ASVG §343
ASVG §345
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Gericht im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer hat als Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde über die Ärztekammer für Niederösterreich bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse als dem zuständigen Träger der Krankenversicherung schriftlich um den Abschluß eines kassenärztlichen Einzelvertrages angesucht. Mit Schreiben vom 26. März 1986 wurde ihm mitgeteilt, daß seine "Invertragnahme als Facharzt ab 1.4.1986, befristet bis 31.3.1987" erfolge. Mit Schreiben vom 19. Februar 1987 wurde ihm sodann mitgeteilt, daß das über Vorschlag der Ärztekammer für Niederösterreich befristet eingegangene Vertragsverhältnis am 31. März 1987 ablaufe und nicht verlängert werde.
1.2. Der Beschwerdeführer hat zunächst diese Bekanntgabe gemäß §343 Abs4 ASVG bei der Landesschiedskommission (§345a ASVG) angefochten. Mit Bescheid der Bundesschiedskommission (§346 ASVG) vom 18. Jänner 1988 wurde sodann ausgesprochen, daß die Landesschiedskommission zur Entscheidung über den Einspruch unzuständig gewesen sei, da mit dem Schreiben vom 19. Februar 1987 keine Kündigung des Einzelvertrages des Beschwerdeführers ausgesprochen worden sei.
1.3. Der Beschwerdeführer begehrte darauf mit Klage beim Landesgericht St. Pölten die Feststellung, daß sein Einzelvertrag über den 31. März 1987 hinaus unbefristet bestehe und die Zuerkennung von Schadenersatz. Mit Teilurteil des LG St. Pölten vom 27. Jänner 1989, 1 Cg 326/88 wurde dem Klagebegehren Folge gegeben. Mit Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. Juni 1989 2 R 84/89 wurde dieses Urteil bestätigt. Aus Anlaß der dagegen erhobenen Revision wurde das gesamte Verfahren mit Beschluß des OGH vom 31. Jänner 1990, 2 Ob 140/89 für nichtig erklärt, da mit dem Inkrafttreten der 48. ASVG-Novelle ab 1. Jänner 1990 die Zulässigkeit des Rechtsweges nicht mehr gegeben sei.
2.1. Am 20. April 1990 stellte der Beschwerdeführer hierauf an die gemäß §344 ASVG eingerichtete paritätische Schiedskommission den Antrag auf Feststellung, daß sein Einzelvertragsverhältnis als Facharzt unbefristet aufrecht bestehe und daß ihm Schadenersatz für die Verweigerung des Fortbestandes des Kassenvertragsverhältnisses zu leisten sei. Da die paritätische Schiedskommission innerhalb von 6 Monaten ab Antragstellung keine Entscheidung traf, stellte er am 2. Mai 1991 einen Devolutionsantrag.
2.2. Mit Bescheid der Landesberufungskommission für Niederösterreich vom 12. Mai 1992 wurden die Anträge zur Gänze abgewiesen.
Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:
"Der Antragsteller hat seine schriftliche Bewerbung um eine Kassenarztstelle bei der nach §4 Abs2 des Gesamtvertrages zuständigen Landesärztekammer eingereicht (es ist dies ein Anbot im Sinn des ABGB); diese hat die Bewerbung im Sinn des §5 Gesamtvertrag überprüft und befürwortend weitergereicht, die Antragsgegnerin (NÖ Gebietskrankenkasse) hat dieses Anbot mit Schreiben vom 26.3.1986 angenommen. Die Schriftform im Sinn des §338 Abs1 ASVG, §7 Abs1 Gesamtvertrag für NÖ wurde gewahrt.
Nach dem §343 Abs1 ASVG S 3 sind Einzelverträge auch außerhalb eines Stellenplanes zulässig.
§343 Abs2 und 3 ASVG nennt taxativ jene Fälle, in denen das Vertragsverhältnis 'ohne Kündigung' automatisch erlischt oder 'aufgelöst' werden muß, §343 Abs4 ASVG spricht von einer Kündigung als Endigungsgrund. Die Beendigung des Einzelvertrages durch Fristablauf ist unter diesen Gründen nicht zu finden ...
Da das ASVG in §343 Abs2 bis 4 die Endigungsgründe überaus detailliert aufzählt, ist im Vergleich mit diesen Bestimmungen zu schließen, daß im Bereich des ärztlichen Einzelvertrages überhaupt kein Raum für die im Arbeitsrecht genannten Anlaßfälle einer Befristung war: es ist weder Raum für einen 'Einzelvertrag auf Probe', noch für einen Einzelvertrag für die 'Dauer eines vorübergehenden Bedarfs'.
...
Demgegenüber steht das Interesse des Krankenversicherungsträgers, eine ausreichende Versorgung der Anspruchsberechtigten sicherzustellen. Die Kassen sollen die Planstellen mit geeigneten Bewerbern besetzen. Wären sämtliche Verträge auf unbestimmte Zeit mit den oben beschriebenen Kündigungsbeschränkungen abschließbar, könnte der Krankenversicherungsträger dieses Vertragsverhältnis auch nicht lösen, sollte sich ein geeigneter(er) Arzt finden. ... Der Umstand, daß nunmehr ein voll geeigneter Arzt zur Verfügung steht, bildet weder einen Grund zum Erlöschen des bestehenden Arztvertrages, noch zu seiner Auflösung nach Abs3, noch zur Rechtfertigung seiner Kündigung nach Abs4.
Die Überlegungen lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, daß der Gesetzgeber mit dem §343 ASVG andere als unbefristete Kassenarztverträge ausschließen wollte: ein solcher Schluß ergibt sich auch keineswegs zwingend aus dem Gesetz, denn dieses ordnet an keiner Stelle ausdrücklich an, daß Kassenarztverträge unbefristet abgeschlossen werden müssen. ...
Zusammenfassend ist daher eine Befristung eines Kassenarztvertrages zulässig, wenn der Gesamtvertrag solche Befristungen unter ganz bestimmten Voraussetzungen vorsieht oder den Abschluß befristeter Verträge im Einzelfall an die Zustimmung der Ärztekammer bindet. Wollte man nicht einmal eine erste Befristung zulassen, würde man den Kassenärzten einen Schutz zubilligen, der über jenen der Arbeitnehmer hinausgeht.
Ein Einzelvertrag 'für die Dauer des vorübergehenden Bedarfs' wird daher nach den oben angestellten Überlegungen nicht zulässig sein, da er den Vertragsarzt in einer ungewissen Situation beläßt
...
Wohl ist aber aufgrund des §7 Abs4 S 2 des Gesamtvertrages ein Einzelvertrag auf bestimmte Zeit (im Einvernehmen der Vertragsparteien) möglich. ...
Da die vorliegende Befristung des Einzelvertrages daher von vornherein zulässig war, der Antragsteller das Vertragsanbot mit der darin befindlichen Befristung unterfertigte und die Ärztekammer dieser Befristung zugestimmt hat, ist der Vertrag zur Gänze gültig zustandegekommen. Dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 19.2.1987 kommt daher tatsächlich nur deklarative Feststellung zu, sodaß auch die Landesschiedskommission zu keinem anderen Ergebnis kommen konnte.
Da die Vertragsbefristung zu Recht besteht, waren die übrigen Anträge auf Schadenersatz sowie Feststellung abzuweisen."
3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf ein Tribunal im Sinne des Art6 EMRK sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3.2. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1. Zur Behauptung, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, macht der Beschwerdeführer geltend, daß sich die belangte Behörde aus einem Richter und je zwei Beisitzern der Ärztekammer und des Hauptverbandes zusammensetze, wobei MR Dr. R, welcher seinerzeit die Entscheidung der Ärztekammer, in die Befristung des gegenständlichen Vertrages einzuwilligen, mitgetragen habe, auch an der angefochtenen Entscheidung, in der über die Rechtmäßigkeit der Befristung zu entscheiden war, als Beisitzer der Ärztekammer mitgewirkt habe. Dieser habe sich, obwohl er selbstverständlich dazu verpflichtet gewesen wäre, nicht für befangen erklärt. Der Beschwerdeführer habe erst nachträglich durch ein Schreiben der Ärztekammer vom 5. August 1992, das als Beilage vorgelegt wurde, von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangt, sodaß er keine Möglichkeit gehabt habe, die Befangenheit des genannten Mitgliedes der belangten Behörde geltend zu machen. Da Dr. R seinerzeit als Vertretungsorgan der Ärztekammer die Einwilligung in die strittige Vertragsbefristung mitgetragen habe, sei er als Partei anzusehen.
Der belangten Behörde komme auch nicht die Qualität eines Tribunals im Sinne des Art6 EMRK zu, da die geforderte Unparteilichkeit dann nicht mehr gegeben sei, wenn jene Interessenvertreter, von denen die Beisitzer zu entsenden seien, auch über Agenden zu urteilen haben, hinsichtlich welcher sie zufolge eines zuvor zwischen ihren Interessenvertretungen hergestellten Einvernehmens zur gleichen Interessenswahrnehmung verpflichtet seien. In einem solchen Fall sei nicht einmal der Anschein der Objektivität gewahrt.
Der belangten Behörde sei auch Willkür vorzuwerfen. Der - in diesem Punkt gesetzwidrige - Gesamtvertrag erlaube es den Krankenkassen nämlich nur in besonderen Fällen und nach Zustimmung der Ärztekammer, befristete Einzelverträge abzuschließen. Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse habe aber gar nicht erst versucht, das Vorliegen dieser Voraussetzung zu begründen, sondern schließe schon seit Jahren nur befristete Verträge ab. Auch der Vertrag des Beschwerdeführers enthalte keine Begründung für die Befristung. Das Verwaltungsverfahren habe vielmehr gezeigt, daß der Beschwerdeführer alle Voraussetzungen für den Abschluß eines unbefristeten Kassenvertrages erfülle.
4.2.1. Gegenstand der Entscheidung der belangten Behörde ist die Zulässigkeit des Abschlusses eines befristeten Einzelvertrages (§343 ASVG); es handelt sich somit um Ansprüche aus einem Einzelvertrag zwischen einem Arzt und einem Sozialversicherungsträger. Die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu freiberuflich tätigen Ärzten werden gemäß §338 Abs1 durch privatrechtliche Verträge geregelt. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesagt hat (vgl. zB VfSlg. 11729/1988, 12083/1989), handelt es sich hiebei um dem Kernbereich der "civil rights" zuzurechnende zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen. Die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten in solchen Angelegenheiten ist zwingend Organen vorbehalten, die den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechen. Die Landesberufungskommission, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, ist - wie sie durch die 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989, eingerichtet wurde - ein solches Gericht im Sinne des Art6 EMRK (Tribunal).
Verfehlt ist nämlich der Einwand der Beschwerde, daß die Entsendung von Beisitzern durch die Interessenvertretungen mit der nach Art6 EMRK gebotenen Unparteilichkeit der Landesberufungskommission unvereinbar sei. Hiezu genügt es, auf die Erkenntnisse VfSlg. 9878/1983 und 12470/1990 zu verweisen. Der Verfassungsgerichtshof hegt aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles auch sonst keine Bedenken gegen die Tribunalqualität der Landesberufungskommission. Dazu sei verwiesen auf VfSlg. 11912/1988, welche Entscheidung zwar zur Unbedenklichkeit der Bundesschiedskommission als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK ergangen ist, jedoch auch für den vorliegenden Fall Bedeutung besitzt, da die Absätze 3 bis 7 des §346 ASVG, in denen die maßgeblichen Bestimmungen für die Einrichtung der Bundesschiedskommission als Tribunal enthalten sind, auch für die Landesberufungskommission sinngemäß anzuwenden sind (§345 Abs3 ASVG). Zu bemerken bleibt, daß Art6 EMRK nicht gebietet, daß ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen eines Tribunals vorgesehen ist.
4.2.2. Obwohl der Verfassungsgerichtshof somit aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken gegen die gesetzliche Regelung hegt, durch die die Landesberufungskommission eingerichtet ist, ist der Beschwerdeführer mit dem Vorwurf, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen, unparteilichen Tribunal aus folgenden Gründen dennoch im Recht:
Der angefochtene Bescheid erachtet die Befristung des Einzelvertrages "von vornherein" - gemeint: an sich - für zulässig und im Hinblick darauf, daß die Ärztekammer der Befristung zugestimmt hat, "als gültig zustandegekommen"; damit ist die Zustimmung der Ärztekammer tragendes Element der Bescheidbegründung. Wie vom Beschwerdeführer dargelegt und von der belangten Behörde nicht bestritten, gehörte einer der beiden von der Ärztekammer bestellten Beisitzer im Jahre 1986 dem Kammervorstand der Ärztekammer für Niederösterreich an und wirkte bei der Beschlußfassung in der Vorstandssitzung, bei welcher der Befristung des Einzelvertrages des Beschwerdeführers zugestimmt wurde, mit.
Bei der Beurteilung der hier aufgeworfenen Frage ist dieselbe Rechtsfrage zu beantworten, die bereits in einem anderen Verfahren behandelt wurde: Der von der Ärztekammer entsendete Beisitzer der Landesberufungskommission, der vormals Vorstandsmitglied dieser Kammer gewesen war, hatte tatsächlich über die gleiche Frage zu entscheiden, nämlich ob die Genehmigung der Befristung durch die Ärztekammer rechtmäßig war. Dieser Beisitzer der Landesberufungskommission hatte demnach über die Rechtmäßigkeit eines Genehmigungsaktes (mit) zu entscheiden, den er als Vorstandsmitglied der Ärztekammer mitbeschlossen hat.
Im vorliegenden Fall hält der Verfassungsgerichtshof den Einwand der Befangenheit eines Mitgliedes der belangten Behörde und den damit implizit erhobenen Vorwurf des Beschwerdeführers, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein unparteiliches Tribunal verletzt zu sein, für berechtigt, weil sämtliche Mitglieder eines Tribunals unabhängig und unparteilich sein müssen, mit diesem Gebot jedoch unvereinbar ist, daß auch nur ein Mitglied des Tribunals über die Rechtmäßigkeit eines Genehmigungsaktes zu befinden hat, an dem er selbst mitgewirkt hatte. Das liefe darauf hinaus, Richter in eigener Sache zu sein. Der Verfassungsgerichtshof ist daher der Ansicht, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in dem ihm durch Art6 EMRK gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteilichen Gericht (Tribunal) verletzt wurde.
4.2.3. Bei diesem Ergebnis war auf weitere Fragen nicht einzugehen.
5. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den Kosten ist Umsatzsteuer im Betrage von S 2.500,-- enthalten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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