Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11 Abs2
StVO 1960 §46 Abs1
VersammlungsG §2
VStG §6
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art11 Abs2
StVO 1960 §46 Abs1
VersammlungsG §2
VStG §6
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Kärnten ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Villach
vom 5. Dezember 2006 wurde über die Beschwerdeführerin gemäß §99 Abs3 lita StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 100,- (bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag) wegen Begehung der Verwaltungsübertretung nach §46 Abs1 StVO verhängt, weil sie am 2. Mai 2006 von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr auf der Tauernautobahn A 10 "als Fußgänger - Teilnehmer an einer Protestaktion von Greenpeace Österreich gegen die '160 km/h-Teststrecke' - eine Autobahn benützt" habe, obwohl dies für Fußgänger ausdrücklich verboten sei.
2. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten (im Weiteren: UVS) vom 18. April 2007 abgewiesen.
Begründend führt der UVS insbesondere Folgendes aus:
"Gemäß §46 Abs1 dürfen Autobahnen nur mit Kraftfahrzeugen benützt werden, die eine Bauartgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h aufweisen und mit denen diese Geschwindigkeit überschritten werden darf; dies gilt nicht für Fahrzeuge des Straßendienstes. Jeder andere Verkehr, insbesondere der Fußgängerverkehr, der Verkehr mit Fahrrädern, Motorfahrrädern und Fuhrwerken, der Viehtrieb und das Reiten, ist auf Autobahnen verboten. ...
Zunächst war ... davon auszugehen, dass die Beschuldigte der
wider sie im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses erhobenen Tatanlastung nicht entgegen tritt. Darin wurde ihr aber - entgegen den Ausführungen in der Berufung - angelastet, im angeführten Zeitraum als Fußgänger an der näher bezeichneten Örtlichkeit eine Autobahn verbotswidrig benützt zu haben. Damit wurde aber auch dem Konkretisierungsgebot des §44a Z1 VStG hinreichend entsprochen, da die Beschuldigte dadurch in die Lage versetzt wurde, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und der Spruch auch geeignet ist, sie rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.
...
Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der ihr zur Last gelegten Übertretung erscheint damit hinreichend erwiesen.
Entgegen der in der Berufung vertretenen Rechtsauffassung ist die Tat aber auch strafbar.
Die StVO enthält zwar (ausgenommen im §86) keine besonderen Bestimmungen für das Verhalten anlässlich von Versammlungen unter freiem Himmel. Im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit ist aber anzunehmen, dass ein Verhalten, das an sich dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, von der Rechtsordnung erlaubt und damit gemäß §6 VStG dann gerechtfertigt sein kann, wenn es unbedingt notwendig ist, um die Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen. Das geht allerdings nur so weit, als das tatsächliche Verhalten der erstatteten Anzeige über die beabsichtigte Abhaltung der Versammlung - die von der Versammlungsbehörde nicht untersagt wurde - entspricht.
Geht man daher auch davon aus, dass sich das der Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten im Zuge einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zugetragen hat, so wäre dieses im Sinne des §6 VStG nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn es im konkreten Fall zur Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit unerlässlich gewesen wäre und den Angaben in der schriftlichen Versammlungsanzeige vollkommen entsprochen hätte. Ein solcher Sachverhalt lag jedoch gegenständlich nicht vor, da die Versammlung in Verletzung der Vorschrift des §2 Versammlungsgesetz unbestrittenermaßen überhaupt nicht angezeigt worden war (vgl. VfGH vom 28.6.1989, B30/87).
..."
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Wörtlich wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
"Dass es sich im gegenständlichen Fall eindeutig um eine Versammlung iSd VersammlungsG handelte, wurde von der belangten Behörde zutreffenderweise nicht in Abrede gestellt. So geht die belangte Behörde auf Bescheidseite 9 selbst davon aus, dass sich das der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhalten im Zuge einer Versammlung im Sinne des VersammlungsG zugetragen hat.
Die Versammlungsteilnehmer haben am 12.05.2006 [richtig:
2.5.2006] die Autobahn benützt, um ihre Meinung gegenüber anderen, nämlich gegenüber den Medienvertretern sowie gegenüber vorbeikommenden Pkw-Lenkern hinsichtlich der Gefahren durch die Tempo 160-Teststrecke zum Ausdruck zu bringen sowie um ihre Meinung hinsichtlich der damit verbundenen Erhöhung des Unfallrisikos, der Abgas- und Feinstaubbelastung und des Lärms auch mit anderen zu erörtern.
Somit ist unbestritten, dass es sich bei gegenständlicher Demonstration am 12.05.2006 [richtig: 2.5.2006] auf der A 10 gegen die Tempo 160 km/h Strecke um eine Versammlung iSd VersammlungsG gehandelt hat.
...
Der Einwand der belangten Behörde, das der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhalten im Zuge der Versammlung sei im konkreten Fall nicht nach §6 VStG gerechtfertigt, da das Betreten der Autobahn zur Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit nicht unerlässlich gewesen sei und die Versammlung zudem in Verletzung der Vorschrift des §2 VersammlungsG nicht angezeigt worden sei, geht ins Leere.
...
In diesem Zusammenhang ist zudem ausdrücklich festzuhalten, dass die Pflicht zur Anzeige ausschließlich den Veranstalter trifft. Nur dieser ist gemäß §2 VersammlungsG verpflichtet, die Abhaltung einer öffentlichen Versammlung wenigstens 24 Stunden vor ihrem Beginn unter Angabe des Zwecks, des Ortes und der Zeit schriftlich der Versammlungsbehörde anzuzeigen.
Im Falle des Zuwiderhandelns ist gemäß §19 iVm §2 VersammlungsG allein gegen den Veranstalter vorzugehen. Ein verwaltungsstrafrechtliches Vorgehen gegen die Teilnehmer der nicht angezeigten Versammlung ist im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit jedenfalls ausgeschlossen.
Jedem einzelnen Teilnehmer einer Versammlung kann keinesfalls zugemutet werden, sich im Vorfeld der Versammlung beim Veranstalter - persönlich - zu erkundigen, ob dieser seiner Anzeigepflicht auch tatsächlich nachgekommen ist.
Gerade bei der Blockade eines Autobahnabschnitts - wobei der Ort der Versammlung im Übrigen mit dem Versammlungszweck übereinstimmt - darf der Durchschnittsversammlungsteilnehmer wohl zu Recht davon ausgehen, dass die Versammlung nach Maßgabe des Gesetzes veranstaltet wurde.
Zudem ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Höchstgerichts die bloße Verletzung der Anzeigepflicht für sich allein auch nicht zur Auflösung der Versammlung führen kann (vgl. VfSlg. 11132/1986). ...
...
Wird eine Versammlung entgegen der Vorschriften des VersammlungsG veranstaltet, so ist vor Ort ihre Untersagung und sodann falls erforderlich ihre Auflösung zu verfügen (vgl. VfSlg. 9783/83 ua.).
...
Der Behörde stand es demnach im konkreten Fall frei, die Versammlung vom 12.05.2006 [richtig: 2.5.2006] auf der A 10 gegen die Tempo 160 km/h Strecke gemäß §13 VersammlungsG aufzulösen. Dies ist im gegenständlichen Fall jedoch nicht erfolgt.
Die Nichtauflösung von Seiten der Behörde spricht jedenfalls dafür, dass die Abhaltung der Versammlung unter den gegebenen Modalitäten von Gesetzes wegen erlaubt war und unter dem behördlichen Schutz stand.
...
Die Teilnehmer einer Versammlung genießen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Versammlungsfreiheit. Sie sind nicht nach der StVO, sondern ausschließlich nach dem Versammlungsgesetz strafbar.
Die Beschwerdeführerin ist daher als Teilnehmerin einer Versammlung durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt und zwar auch dann, wenn sie als Fußgängerin eine Autobahn im Zuge der Teilnahme an einer Versammlung benützt. Dies völlig unabhängig davon, ob die Versammlung - vom Veranstalter - ordnungsgemäß angemeldet war oder nicht. ...
...
Allein die Teilnahme der Beschwerdeführerin an der Versammlung und das damit zwangsläufig verbundene Betreten der Autobahn durch die Versammlungsteilnehmerin waren Anlass der Verhängung des Straferkenntnisses.
...
Die Abhaltung der Versammlung auf einem - kleinen - Teil der Autobahn A 10 war jedoch aus Gründen der Wirksamkeit im Hinblick auf den Demonstrationszweck sowie hinsichtlich der Publizitätswirkung unbedingt erforderlich.
Auch wurde durch die konkreten lokalen Gegebenheiten der Versammlung ein sachlicher Konnex zwischen dem Anliegen der Demonstranten und dem Versammlungsort hergestellt. Nur auf diese Weise konnten sich Ziel und Zweck der Versammelten nach außen hin manifestieren.
Berücksichtigt man darüber hinaus noch den Umstand, dass Versammlungen, die sich gemeinschaftlichen Anliegen widmen, im Lichte der Demokratie ein größeres Gewicht in der Interessensabwägung zukommt als die bloße Verfolgung privatnütziger Zwecke (Berka, Interessensabwägung, 26) wird deutlich, dass im konkreten Fall ein Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin auf Versammlungsfreiheit vorliegt."
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1.1. Unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin am 2. Mai 2006 im Zuge einer von Greenpeace Österreich organisierten Protestaktion gegen die "160 km/h-Teststrecke" - deren Durchführung den zuständigen Behörden allerdings vom Veranstalter nicht angezeigt wurde - als Fußgängerin eine Autobahn (A 10) benützt hat, um gemeinsam mit etwa 30 weiteren Personen ihre Meinung über die Gefahren der "160 km/h-Teststrecke" (etwa Erhöhung des Unfallrisikos, der Abgas- und Feinstaubbelastung und des Lärms) gegenüber den Medien sowie vorbeikommenden Kraftfahrzeuglenkern zum Ausdruck zu bringen und mit anderen zu erörtern (zu Blockaden auf der Brennerautobahn und auf der Inntalautobahn vgl. etwa VfSlg. 12.155/1989 und 12.257/1990).
1.2. Mit Blick auf die in Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit und die in der Judikatur dazu entwickelten Grundsätze (vgl. insbesondere zur Voraussetzung eines gemeinsamen Wirkens: VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10.443/1985, 10.608/1985, 10.955/1986, 11.651/1988, 11.866/1988, 11.904/1988, 11.935/1988, 12.161/1989, 15.109/1998 sowie zur Dauer der Veranstaltung und der Zahl ihrer Teilnehmer: VfSlg. 11.651/1988, 11.866/1988) ist der Verfassungsgerichtshof - ebenso wie die belangte Behörde - der Auffassung, dass es sich bei der vorliegenden Veranstaltung um eine in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit fallende Zusammenkunft gehandelt hat.
2.1. Gemäß §2 Abs1 Versammlungsgesetz 1953 (im Weiteren: VersG) obliegt dem Veranstalter einer Versammlung die Verpflichtung, der Behörde die beabsichtigte Durchführung einer Versammlung wenigstens 24 Stunden vor ihrer Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung schriftlich anzuzeigen. Der Veranstalter hat auch die etwaige Unvollständigkeit einer Versammlungsanzeige zu vertreten, da "eindeutig feststehen muß, welches Verhalten als notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung gemäß §6 VStG gerechtfertigt werden soll" (VfSlg. 11.866/1988); er ist letztlich für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung verantwortlich (s. auch §11 VersG).
Im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit ist davon auszugehen, dass ein Verhalten, das an sich dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, von der Rechtsordnung erlaubt und damit gemäß §6 VStG dann gerechtfertigt sein kann, wenn es unbedingt notwendig ist, um die Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen (vgl. dazu insbesondere VfSlg. 11.866/1988 und 11.904/1988).
2.2. Der UVS geht davon aus, dass sich die Benützung der Autobahn durch die Beschwerdeführerin schon deshalb als nicht gerechtfertigt iSd §6 VStG erweise, weil die Versammlung - entgegen §2 Abs1 VersG - überhaupt nicht angezeigt worden sei.
Die belangte Behörde geht jedoch fehl, wenn sie allein aufgrund des Umstandes, dass die Versammlung nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde, annimmt, dass das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes iSd §6 VStG von Vornherein ausgeschlossen ist. Vielmehr hätte die Behörde die näheren Umstände, unter denen die Beschwerdeführerin das ihr zur Last gelegte Verhalten gesetzt hat, ermitteln müssen. Dabei wäre vor allem darauf Bedacht zu nehmen gewesen, ob die Beschwerdeführerin als Versammlungsteilnehmerin - etwa aufgrund der erkennbaren Gegebenheiten am Versammlungsort oder einer allfälligen Mitwirkung an der Organisation im Vorfeld der Kundgebung - wusste oder wissen musste, dass die Versammlung nicht (ordnungsgemäß) angezeigt wurde.
2.3. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
Da es der UVS - von einer unzutreffenden Rechtsauffassung ausgehend - verabsäumt hat, Ermittlungen über entscheidungswesentliche Fragen anzustellen und die Beschwerdeführerin bestraft hat, wurde diese in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)