European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0009:2024:00600R00184.24H.0718.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,-.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Am 28.2.2024 beantragte die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS, Antragstellerin) mit Rückstandsausweis vom selben Tag, über das Vermögen von A* (Antragsgegnerin) das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Diese sei bei der Antragstellerin versichert und Unternehmerin im Sinne des § 182 IO. Sie schulde ihr offene und fällige Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum 12/2021 bis 12/2023 von EUR 4.411,29. Die Antragsgegnerin sei zahlungsunfähig. Als Nachweis diene das Verfahren beim Bezirksgericht Josefstadt zu 13 E 862/23h. Die Antragstellerin erklärte, keinen Kostenvorschuss zu erlegen.
Abfragen des Erstgerichtes im Firmenbuch (ON 2) und Grundbuch (ON 3), im Pfändungsregister (ON 6) und im KFZ-Zentralregister (ON 8) verliefen negativ. Eine vom Erstgericht durchgeführte Abfrage im Gewerbeinformationssystem Austria (ON 5) ergab eine aufrechte Gewerbeberechtigung für Sprachdienstleistungen ausgenommen literarische Übersetzungen. Eine Abfrage im Verfahrensregister wies insgesamt neun anhängige Exekutionsverfahren beim Bezirksgericht Josefstadt aus (ON 6). Am 1.5.2023 hatte die Antragsgegnerin ein Vermögensverzeichnis nach § 47 EO abgegeben (13 E 862/23h). Das Auskunftsverfahren ergab eine seit 25.11.2020 laufende Meldung der Antragsgegnerin als gewerblich selbständig Erwerbstätige.
Das Erstgericht beraumte für den 19.4.2024 eine Einvernahmetagsatzung an (ON 9), zu der es die Antragsgegnerin unter Übermittlung des Antrags und eines Formulars für das Vermögensverzeichnis lud. Die Zustellung erfolgte am 7.3.2024 an einen Mitbewohner an der Adresse **.
Über Anfrage des Erstgerichtes teilte das Finanzamt Österreich am 4.3.2023 einen exekutiv betriebenen, ungeregelten Zahlungsrückstand der Antragsgegnerin von EUR 117,- mit. Die Österreichische Gesundheitskasse gab am 19.4.2024 bekannt, dass die Antragsgegnerin bei ihr kein laufendes Beitragskonto und keinen Rückstand habe (ON 10).
In der Einvernahmetagsatzung am 19.4.2024 (ON 11) gab die Antragsgegnerin den Bestand der Forderung als richtig zu und berief sich auf das Vorliegen einer vorübergehenden Zahlungsstockung. Der Dolmetschbetrieb sei aufrecht. Das Erstgericht räumte der Antragsgegnerin eine Frist bis 6.5.2024 zur Regelung der Forderungen des Finanzamts Österreich, der Antragstellerin, der B*, C* GmbH, D* AG, E* GmbH und F* AG ein.
Aus dem von der Antragsgegnerin in der Einvernahmetagsatzung vorgelegten Vermögensverzeichnis nach § 100a IO/§ 185 IO ergeben sich monatliche Ansprüche aus selbständiger Erwerbstätigkeit von ca EUR 2.000,- bis EUR 3.000,- brutto. Auf dem Girokonto befinde sich ein Guthaben von EUR 370,-. An Bürogegenständen verfüge sie über einen Laptop, einen Drucker und ein Headset (Dolmetschtätigkeit). Sie habe in den letzten sechs Monaten über Drängen der Gläubiger oder bei bereits exekutiv betriebenen Forderungen Zahlungen von Rückständen getätigt. Konkrete Angaben dazu, in welcher Höhe und an wen diese Zahlungen geleistet worden seien, erstattete die Antragsgegnerin nicht. Auch zu den Schulden finden sich keine Angaben im Vermögensverzeichnis.
Mit e-Mail vom 6.5.2024 (ON 12) übermittelte die Antragsgegnerin Ratenvereinbarungen mit Gläubigern. Lediglich die Antwort der Antragstellerin sei noch ausständig. Sie habe ein Schreiben über den Beitrag für das 1. Quartal von der Antragstellerin erhalten und den Betrag von EUR 1.334,66 bereits beglichen. Die Forderung des Finanzamts Österreich sei vollständig beglichen. Es habe auch eine Vollstreckungsverfügung der Wirtschaftskammer vorgelegen, wozu die Antragstellerin ebenfalls eine Ratenvereinbarung übermittelte. Im Anhang dieses e-Mails finden sich Korrespondenz zu einem Ratenansuchen bei der Antragstellerin, das Anbot einer Ratenvereinbarung mit der F* AG (1. Rate fällig am 15.6.2024 – Einlangen), die Zustimmung zu einem Zahlungsplan durch die Wirtschaftskammer Wien (1. Rate fällig am 15.6.2024), die Zustimmung der D* AG zu einer Zahlung der offenen Forderungen bis zum 15.6.2024, die Zustimmung der B* zu einer Ratenzahlung (1. Rate fällig am 15.6.2024), die Zustimmung der E* GmbH zur Zahlung bis 15.6.2024 sowie eine Aufforderung zur Zahlung der offenen Forderung der C* GmbH bis 30.5.2024. Weiters waren Überweisungsbestätigungen angeschlossen.
Die Antragstellerin gab am 8.5.2024 bekannt (ON 13), dass die Schuldnerin bereits vier Mal eine Ratenvereinbarung nicht eingehalten habe, daher 30% Anzahlung verlangt würden und erst nach Einlangen eine Ratenvereinbarung möglich wäre. Derzeit seien EUR 4.570,09 offen, der Vorschreibsaldo, der mit Mai fällig werden, betrage EUR 1.310,73. die Zahlung von EUR 1.335,93 sei dabei schon berücksichtigt worden. Am 27.5.2024 (ON 14) teilte die Antragstellerin mit, dass eine Ratenvereinbarung abgelehnt worden sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, die Antragsgegnerin sei zahlungsunfähig, das Insolvenzverfahren werde mangels Kostendeckung nicht eröffnet. Den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wies es ab. Die Forderung der Antragstellerin sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 28.2.2024 mit EUR 4.411,29 glaubhaft gemacht. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Zurückreichen der Beitragsrückstände bis 1.12.2021. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Schuldnerin über ein Vermögen verfüge, welches zumindest ausreiche, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Die Antragstellerin habe erklärt, keinen Kostenvorschuss zu erlegen. Da die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Ausnahme des zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens hinreichenden Vermögens gegeben seien, sei der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens abzuweisen.
Am 11.6.2024 langte an der E-Mail-Adresse G* von der E-Mail-Adresse ** ein E-Mail der Antragsgegnerin ein (ON 17). Darin lautet es: „… hiermit möchte ich Rekurs gegen den Beschluss erheben (Insolvenzdatei: 29.05.02024). Die Zahlungsbestätigung übersende ich Ihnen im Anhang.“. Aus der angeschlossenen Überweisungsbestätigung ergibt sich eine Zahlung am 7.6.2024 von EUR 4.587,92 an die Antragstellerin.
Die Antragstellerin zog ihren Antrag auf Insolvenzeröffnung infolge Vollzahlung am 7.6.2024 zurück (Eingabe vom 25.6.2024).
Rechtliche Beurteilung
Der per E-Mail eingebrachte Rekurs ist zurückzuweisen.
1. § 89a GOG stellt den „schriftlichen“ Eingaben an das Gericht nach § 89 GOG „elektronische“ Eingaben gegenüber und eröffnet mit § 89b GOG sowie § 5 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2021) zudem die Möglichkeit eines elektronischen Rechtsverkehrs.
An das Gericht (Richter oder Diplomrechtspfleger) gerichtete E-Mails sind unzulässig, nicht verbesserungsfähig im Sinne der §§ 84 f ZPO und daher auch nicht fristwahrend (RS0127859; 2 Ob 212/16i mwN; RS0126972 [T1]; OLG Wien RW0000756 = 28 R 369/13k; 28 R 230/15x; 6 R 127/19v; 6 R 112/20i; vgl auch Schneider/Gottwald in Fasching/Konecny 3 II/2 § 74 ZPO Rz 75). Die Rechtsprechung behandelt per E-Mail eingebrachte Eingaben überhaupt als prozessual unbeachtlich (vgl zur StPO: RS0127859 [T3], zum Grundbuchsverfahren: 5 Ob 2/18g).
2. Bis zu seinem Außerkrafttreten am 23.12.2021 ordnete § 5 Abs 1a letzter Satz ERV 2006 an, dass „Fax und E-Mail keine zulässigen Formen des elektronischen Rechtsverkehrs im Sinne dieser Verordnung“ sind (vgl Danzl, Geo.10 § 60 Anmerkung 1) e)).
3. Nunmehr sind gemäß § 1 Abs 1 Z 5 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2021) Eingaben, Beilagen und Erledigungen nach Maßgabe dieser Verordnung im Wege von E-Mails (§ 6) elektronisch entweder als Anhang zu einer Nachricht oder als Referenz zu einem von der Justiz zur Verfügung gestellten Datenspeicher (Justiz-Box) gemäß der Schnittstellenbeschreibung (§ 7) zu übermitteln. Die Übermittlung mit Fax ist keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs im Sinne dieser Verordnung.
§ 6 ERV 2021 hält ausdrücklich fest: Die elektronische Übermittlung von Eingaben und Beilagen im Wege von E-Mails ist nur dann eine zulässige Form der elektronischen Übermittlung im Sinne dieser Verordnung, wenn dieser Übermittlungsweg an Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Justizanstalten durch besondere gesetzliche Regelungen oder im Verordnungsweg ausdrücklich angeordnet wird.
4. Das Rekursgericht setzte sich in seiner Entscheidung zu 28 R 230/15x grundlegend mit der Unzulässigkeit von Eingaben per E-Mail auseinander und erachtete darin die unterschiedliche Behandlung von den in den §§ 74 ZPO und 89 Abs 3 GOG und (damals) der ERV 2006 genannten Eingabeformen einerseits und Eingaben per E-Mail an die Dienstmailadresse eines Gerichtsbediensteten andererseits mit Blick auf die nur in letzterem Fall gegebenen Unwägbarkeiten, etwa Sicherheitsrisiken aufgrund möglicher Manipulationen im Internet, die fehlende sichere Zuordnungsmöglichkeit solcher Eingaben zu einer bestimmten Person und der mangels eigener E-Mail-Adressen österreichischer Gerichte (insbesondere der Einlaufstellen) nicht bestimmbaren Rechtzeitigkeit von fristgebundenen Eingaben per E-Mail als sachlich gerechtfertigt, zumal ein diese Risiken minimierender allgemein zugänglicher Weg der elektronischen Eingabe über die Website des BMJ (**) zur Verfügung steht (vgl auch OLG Wien 28 R 369/13k, 14 R 155/13m). Das Rekursgericht führte damals zusammengefasst aus, eine E-Mail an die persönliche Dienstmailadresse einer/eines Gerichtsbediensteten ist nicht an „ein Gericht“ adressiert und befindet sich - kann doch neben dem Adressaten (dem „Inhaber“ der E-Mail-Box) niemand auf dessen E-Mails zugreifen - auch nicht im elektronischen Verfügungsbereich „des Gerichtes“ (RW0000756; OLG Wien 28 R 369/13k, 14 R 155/13m). Die Einbringung eines Rechtsmittels per E-Mail an die Dienstmailadresse eines/einer Gerichtsbediensteten ist daher grundsätzlich nicht zulässig. Da es sich dabei letztlich um keinen bei einem Gericht eingebrachten Schriftsatz handelt, ist er auch nicht verbesserungsfähig iSd §§ 84 f ZPO.
An diesen Erwägungen hat sich durch die nunmehrigen §§ 1 Abs 1 und 6 ERV 2021 nichts geändert, weil demnach weiterhin von der grundsätzlichen Unzulässigkeit des E-Mails im ERV und ausschließlich und lediglich bei gesetzlicher Anordnung von einer zulässigen Form des ERV auszugehen ist (vgl Fellner/Nogratnig, RstDG, GOG und StAG II5.01 § 89a GOG Rz 1, 4 ff; § 89b GOG).
5. Auch der Oberste Gerichtshof hat im Hinblick auf § 6 ERV 2021 die eingangs dargestellte Rechtsprechungslinie aufrecht erhalten und ausdrücklich – dort in einem Abstammungsverfahren - festgehalten, dass eine von der Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr abweichende rechtliche Anordnung – wie in § 6 ERV 2021 vorgesehen – für die Einbringung eines außerordentlichen Revisionsrekurses nicht besteht (vgl 1 Ob 2/23k). Auch für die Einbringung des hier gegenständlichen Rekurses besteht eine solche abweichende rechtliche Anordnung nicht.
6. Das gegenständliche E-Mail vom 11.6.2024 stellt somit hier keine zulässige Form des ERV dar und ist damit trotz der fristgerechten Einbringung unbeachtlich. Bei einem an die Adresse G* gerichteten E-Mail handelt es sich um keinen bei einem Gericht eingebrachten Schriftsatz, sodass es nicht verbesserungsfähig iSd §§ 84 f ZPO ist (vgl OLG Wien 6 R 335/19g, 6 R 87/20p, 6 R 112/20i). Ein Verbesserungsauftrag wegen der unterbliebenen Einbringung im ERV oder der fehlenden Unterfertigung hatte daher nicht stattzufinden. Die Zurückweisung des per E-Mail eingebrachten Rekurses dient der Klarstellung.
7. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes beruht auf § 252 IO iVm §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 lit b und Abs 3 ZPO.
8. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses gründet auf § 252 IO iVm §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 3, 528 Abs 1 ZPO. Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinne der zuletzt genannten Gesetzesstelle waren nicht zu lösen; das Rekursgericht ist von der zitierten jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen.
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