OGH Bsw4158/05; Bsw39692/09 (RS0127935)

OGHBsw4158/05; Bsw39692/0921.11.2019

Rechtssatz

Art 5 Abs 1 MRK ist durch eine bloße Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht berührt. Derartige Beschränkungen fallen unter Art 2 4.ZPMRK. Der Unterschied zwischen einer Freiheitsbeschränkung und einer Freiheitsentziehung hängt vom Intensitätsgrad der Maßnahme ab, eine genaue Zuordnung ist dabei aber oft schwierig.

Normen

MRK Art5 II2
PersFrG Art1

Bsw 4158/05AUSL12.01.2010

Bemerkung: Gillan und Quinton gg. das Vereinigte Königreich (T1); Veröff: NL 2010,26

Bsw 39692/09EGMR15.03.2012

Beisatz: Vorübergehende Einschränkungen der Freizügigkeit oder der persönlichen Freiheit im Interesse des Gemeinwohls, die in der modernen Gesellschaft häufig auftreten und in bestimmten Kontexten, wie bei Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nach Unfällen auf der Autobahn oder in Fußballstadien, im Allgemeinen akzeptiert werden, stellen keine Entziehung der persönlichen Freiheit iSv Art 5 Abs 1 MRK dar. (Austin u.a. gg. das Vereinigte Königreich). (T2)<br/>Veröff: NL 2012,80

Bsw 26291/06EGMR15.10.2013

Auch; Beis wie T2 nur: Vorübergehende Einschränkungen der Freizügigkeit oder der persönlichen Freiheit im Interesse des Gemeinwohls, die in der modernen Gesellschaft häufig auftreten und in bestimmten Kontexten im Allgemeinen akzeptiert werden, stellen keine Entziehung der persönlichen Freiheit iSv Art 5 Abs 1 MRK dar. (T3)<br/>Beis: Es kann angenommen werden, dass ein Luftreisender in eine Reihe von Sicherheitskontrollen einwilligt, wenn er sich für eine Reise mit dem Flugzeug entscheidet. Wo ein Passagier während der Grenzkontrolle am Flughafen vom Grenzschutz angehalten wird, um seine Situation zu klären, und wo diese Anhaltung nicht über die für die Erledigung relevanter Formalitäten unumgänglich notwendige Zeit hinausgeht, wird keine Frage unter Art 5 MRK aufgeworfen. (Adil Soltan Oglu Gahramanov gg. Aserbaidschan) (T4)<br/>Veröff: NL 2013,397

17 Os 16/18hOGH03.08.2018

Auch; Beisatz: Ein Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit liegt nicht bei jeder Beeinträchtigung, sondern nur bei einer qualifizierten Beschränkung, einem Entzug, der persönlichen Freiheit vor. Darunter sind im Wesentlichen Festnahme und Anhaltung (Letzteres im Sinn einer Aufrechterhaltung des durch Festnahme erfolgten Freiheitsentzugs) zu verstehen. Freiheitsbeschränkungen unterhalb dieser Schwelle, die auch keine Allseitigkeit der Bewegungsbeschränkung darstellen, tangieren den Schutzbereich des Grundrechts von vornherein nicht. (T5)

Bsw 53659/07EGMR11.10.2016

auch; Beisatz wie T4<br/>Beisatz: Dauert die Anhaltung länger, als dies für die übliche Überprüfung der Reiseformalitäten am Flughafen notwendig ist, spricht dies für das Vorliegen einer Freiheitsentziehung. (Kasparov gg. Russland) (T6)<br/>Anm: Veröff: NL 2016,412

Bsw 47287/15EGMR14.03.2017

Beisatz: Um zu entscheiden, ob jemandem iSv Art 5 MRK die Freiheit entzogen wurde, ist von seiner spezifischen Situation auszugehen und eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen. Die objektiven Elemente umfassen Art, Dauer, Wirkungen und Modalitäten der Durchführung der fraglichen Maßnahme, die Möglichkeit, die eingeschränkte Zone zu verlassen, den Grad der Überwachung und Kontrolle der Bewegungen der Person und das Ausmaß der Isolation. Die bloße Tatsache, dass es den Beschwerdeführern möglich war, freiwillig zu gehen, kann eine Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit nicht ausschließen. (Ilias und Ahmed gg. Ungarn) (T7)<br/>Beisatz: Hier: De facto Freiheitsentziehung durch dreiwöchige Anhaltung von Asylwerbern in einer Transitzone an der Landgrenze, die sie nur in Richtung Serbien verlassen konnten. (T8); Veröff: NL 2017,117

Bsw 22696/16EGMR25.01.2018

Beis wie T7; nur: Um zu entscheiden, ob jemandem iSv Art 5 MRK die Freiheit entzogen wurde, ist von seiner spezifischen Situation auszugehen und eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen. Die objektiven Elemente umfassen Art, Dauer, Wirkungen und Modalitäten der Durchführung der fraglichen Maßnahme. (T9)

Bsw 47287/15AUSL21.11.2019

vgl; Beisatz: Werden Asylwerber verpflichtet, sich während der Prüfung ihrer Asylanträge in einer Transitzone an der Landesgrenze aufzuhalten, in die sie sich freiwillig begaben und die sie jederzeit in Richtung des Nachbarstaats verlassen können, aus dem sie eingereist sind, kann von einer Freiheitsentziehung iSv Art 5 MRK keine Rede sein. Von den innerstaatlichen Behörden ist allerdings dafür Sorge zu tragen, dass der Verbleib in der Transitzone nicht unverhältnismäßig lange dauert und die Betroffenen in den Genuss von Verfahrensrechten und Garantien gegen eine unverhältnismäßige Wartezeit kommen. Das Bestehen innerstaatlicher Bestimmungen, welche die Aufenthaltsdauer in der Transitzone begrenzen, ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. (Ilias und Ahmed gg Ungarn) (T10)<br/>Anm: Veröff NL 2019,474

Bsw 61411/15AUSL21.11.2019

vgl; Beisatz wie T7; Beisatz wie T9<br/>Beisatz: Gemäß der Rsp des EGMR betreffend die Anhaltung von Ausländern im Einwanderungskontext können die Dauer der Einschränkung der Bewegung und die Verbindung zwischen den Handlungen der Behörden und der eingeschränkten Freiheit Elemente sein, welche die Klassifizierung der Situation als Freiheitsentziehung beeinflussen können. Solange jedoch der Verbleib von Fremden in der Transitzone die für die Prüfung ihrer Asylanträge notwendige Zeit nicht signifikant überschreitet und keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, sollte die Dauer der Anhaltung an sich keine speziellen Fragen bezüglich der Anwendbarkeit von Art 5 MRK aufwerfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Individuen während des Wartens auf eine Bearbeitung ihrer Asylanträge in den Genuss prozessualer Rechte und Sicherheiten gegen exzessive Wartezeiten kommen. Das Vorhandensein von innerstaatlichen Regelungen, welche die Dauer des Verbleibs in der Transitzone beschränken, genauer gesagt eine Höchstdauer des Verbleibs in der Transitzone festlegen, ist daher in diesem Zusammenhang von signifikanter Bedeutung. (Z. A. ua gg Russland) (T11)<br/>Beisatz: Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Transitzonen darf keinesfalls Formen annehmen, wie sie in Einrichtungen mit leichtem Haftüberwachungsregime anzutreffen sind. Es darf auch zu keiner Anhaltung in einem exzessiven Ausmaß (hier: zwischen fünf Monaten und einem Jahr und neun Monaten) kommen. Ferner muss eine reale Möglichkeit in der Praxis bestehen, die Transitzone in Richtung eines beliebigen Landes zu verlassen. (Z. A. ua gg Russland) (T12)

Dokumentnummer

JJR_20100112_AUSL002_000BSW04158_0500000_001

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