Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 3.737,08 (darin S 339,73 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Zweitbeklagten von 1977 bis 1984 als Maurer beschäftigt. Der Erstbeklagte war für die Zweitbeklagte als sogenannter Partieführer tätig. Er verschuldete am 3. Oktober 1983 mit dem VW-Bus der Zweitbeklagten auf der Fahrt zu einer Baustelle einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Insasse verletzt wurde. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von den Beklagten die Zahlung eines der Höhe nach unbestrittenen Schmerzengeldes von S 65.000,-- sA nach den Bestimmungen des ABGB und des EKHG. Der Erstbeklagte habe den Kläger nur aus Gefälligkeit mitgenommen. Einen dienstlichen Auftrag zur Beförderung von Arbeitnehmern habe er nicht gehabt. Er sei daher nicht als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen. Aber auch die Zweitbeklagte hafte, da sich der Unfall nicht während einer Teilnahme am öffentlichen Verkehr ereignet habe.
Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Der Erstbeklagte habe als Vorarbeiter den Auftrag gehabt, Arbeitnehmer der Zweitbeklagten zur Baustelle zu bringen. Er sei dabei Aufseher im Betrieb gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Erstbeklagte hatte bereits seit etwa 14 Tagen auf einer Baustelle in Wien als Vorarbeiter gearbeitet. Zu seiner Arbeitspartie gehörten neben dem Kläger noch die Maurer F*** und K***, die Hilfsarbeiter H*** und P*** sowie der Maurerlehrling S***. Der Erstbeklagte hatte die Arbeit einzuteilen und zu überwachen; er war gegenüber den anderen Arbeitnehmern weisungsbefugt. Er hatte weiters von der Zweitbeklagten den Auftrag erhalten, die Mitglieder seiner Arbeitspartie jeweils selbst täglich zur Baustelle zu befördern. Diese Aufgabe kam ihm deshalb zu, weil der Erstbeklagte eine Ausbildung in Menschenführung und hinsichtlich der Vertretung der Zweitbeklagten nach außen erhalten hatte und der Geschäftsführer der Zweitbeklagten vom Erstbeklagten ein größeres Verantwortungsbewußtsein erwartete als von den übrigen Arbeitnehmern dieser Arbeitspartie.
Am 3. Oktober 1983 lenkte der Erstbeklagte den VW-Bus der Zweitbeklagten auf der Südautobahn in Richtung Wien. Neben dem Erstbeklagten saß der Kläger. Die übrigen Mitglieder der Arbeitspartie hatten auf den hinteren Sitzbänken Platz genommen. Während dieser Fahrt kam es zu einem Auffahrunfall. Wegen dieses Unfalls wurde der Erstbeklagte vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger beide Beklagten zu haften hätten. Der Unfall habe sich anläßlich der Teilnahme des Klägers am allgemeinen Verkehr ereignet. Dem Erstbeklagten komme keine Aufseherqualifikation zu, da er lediglich mit der Lenkung des Firmenfahrzeugs beauftragt worden sei. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß sich der Arbeitsunfall nicht während der Teilnahme des Klägers am öffentlichen Verkehr ereignet habe. Der Kläger sei nämlich mit einem nicht der Allgemeinheit zugänglichen Fahrzeug des Arbeitgebers befördert worden, der Unfall habe sich in Ausübung des Dienstes ereignet und er sei im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung des Klägers gestanden (§§ 175, 333 ASVG).
Es treffe auch nicht zu, daß der Erstbeklagte als Lenker nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich gewesen sei. Die Beförderung im Auftrag des Arbeitgebers habe den Betriebszwecken gedient. Der Erstbeklagte habe nämlich die Aufgabe gehabt, die Arbeiter auftragsgemäß und rechtzeitig zur Arbeitsstätte zu bringen und die Fahrtroute zu bestimmen, da er als Partieführer und Einteiler der Arbeit die Fahrt mit dem Beginn und der Einteilung der Arbeit zu koordinieren gehabe habe. Es sei ihm auch in diesem Bereich eine über die Verantwortlichkeit nach den Vorschriften des Straßenverkehrs hinausgehende Überwachungs- und Weisungsbefugnis seinen Mitarbeitern gegenüber zugekommen. Die Beklagte treffe daher gemäß § 333 Abs 1 und 4 ASVG keine Haftung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung kann von einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne des § 333 Abs 3 ASVG nur dann gesprochen werden, wenn sich der Unfall außerhalb des betrieblichen Geschehens ereignete, die Beteiligten nicht in Ausübung ihres Dienstes handelten und der Unfall nicht in örtlichem, zeitlichem und ursächlichem Zusammenhang mit der Beschäftigung des Verletzten stand. Eine solche Teilnahme am öffentlichen Verkehr liegt daher nicht vor, wenn sich der Unfall - so wie hier - in einem betriebseigenen, zur Beförderung der Arbeiter von ihrem Wohnort zur Baustelle bestimmten Fahrzeug ereignet (Arb. 7.422, 7.790, 8.723, 8.739, 8.798, 9.115, 9.167 ua). Die in der Revision dagegen vorgebrachten, im wesentlichen auf Argumente der Lehre gestützten Einwände waren schon Gegenstand einer eingehenden Erörterung durch
den Obersten Gerichtshof (Arb. 10.429 = DRdA 1986/21 = SZ 57/189
= JBl 1985, 565 mwH; vgl. auch Reischauer in FS Strasser (1983),
205; zur historischen Auslegung weiters SZ 22/266). Von dieser die erwähnten Einwände entkräftenden Auffassung des Obersten Gerichtshofes abzugehen bieten die Revisionsausführungen keinen Anlaß. Der Revisionswerber geht insbesondere nicht von den maßgeblichen Feststellungen aus, soweit er seinen Rechtsausführungen unterstellt, daß der Unfall beim Betrieb eines "Öffentlichen Verkehrsmittels" erfolgt sei. Es trifft auch nicht zu, daß durch die Sonderregelung des § 333 ASVG eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer bewirkt werde, da im ASVG eine gesetzliche Regelung der Unfallversicherung enthalten ist (§§ 172 ff), die in sehr eingehendem Maße für die Entschädigung nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten Vorsorge trifft, wodurch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auf privatrechtlicher Ebene weitgehend entbehrlich erscheint (Albert, Aufseherbegriff gemäß § 334 Abs 4 ASVG, DRdA 1987, 63 f). Der gegen die Zweitbeklagte als Arbeitgeberin geltend gemachte Anspruch besteht daher schon gemäß § 333 Abs 1 ASVG nicht zu Recht.
Hinsichtlich des Erstbeklagten kommt es nach ständiger Rechtsprechung für die Annahme einer Aufsehereigenschaft im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG vor allem darauf an, ob er zur Unfallszeit eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war (Arb. 8.919, 8.943, 9.094, 10.265, 10.271, 10.429 = DRdA 1986/21 = SZ 57/189 = JBl 1985, 565 mwH; ZVR 1984/23; DRdA 1987/4 und 1987/21, jeweils mit Besprechung von Albert). Ein Arbeitnehmer, der einen im selben Betrieb arbeitenden Kollegen im eigenen Kraftwagen (oder auch in einem Dienstfahrzeug) in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm die Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre (vgl. DRdA 1987/4), führt diese Fahrt nicht im Namen des Betriebs und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und daher nicht Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG. Eine solche, auf Gefälligkeit beruhende Mitnahme von Arbeitskollegen wurde aber entgegen den Klagebehauptungen nicht festgestellt. Der Erstbeklagte hatte vielmehr über Anordnung der Zweitbeklagten die Mitglieder seiner ihm unterstellten Arbeitspartie zur Baustelle zu bringen. Da er 6 Arbeitnehmer abzuholen hatte, ergab sich daraus zwangsläufig die Notwendigkeit, Abholungsorte und Abholungszeiten vorzuschreiben, eine ökonomisch vertretbare Route zu wählen und die Fahrtzeiten auf betriebliche Erfordernisse abzustellen. Die wegen der Unterlassung diesbezüglicher Feststellungen gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt insoweit nicht vor. Ob der Erstbeklagte während der Fahrt auch arbeitsspezifische Weisungen erteilte (vgl. Albert in DRdA 1987, 65), kann dahingestellt bleiben, da er schon durch die Befolgung und Abwicklung des Transportauftrages eine Aufgabe im Rahmen der betrieblichen Organisation der Zweitbeklagten zu erfüllen hatte. Er mußte somit nicht nur für die persönliche Sicherheit der Mitfahrer sorgen, sondern darüber hinaus deren Transport nach den Interessen des Betriebes sachgemäß durchführen und gewissermaßen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die im Einzelfall über die Vorschriften betreffend den Straßenverkehr hinausreichen kann, gegenüber den Mitgliedern seiner Arbeitspartie gewährleisten. Diese erweiterte Verantwortung hatte ein entsprechendes, zeitlich und umfänglich naturgemäß eingeschränktes Weisungsrecht des Erstbeklagten auch während der Fahrt zur Folge (Arb. 8.919, 8.943, 9.094; ZVR 1984/23) und begründete in der Abwicklung der ihm übertragenen Aufgaben im Rahmen eines wenn auch eingeschränkten Pflichtenkreises eine mit einer gewissen Selbständigkeit verbundene Stellung (14 Ob A 43/87). Er war somit auch bei Durchführung des Transportauftrags "Aufseher im Betrieb" im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG, und seine Schadenersatzpflicht beschränkt sich daher auf den hier nicht in Frage kommenden Fall der vorsätzlichen Schadenszufügung.
Auch wenn gegen das die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen tragende Prinzip der Haftungsbefreiung des Arbeitgebers und der ihm Gleichgestellten gewisse Bedenken geäußert werden (vgl. etwa Grillberger DRdA 1986, 418 ff), könnte diesen nur der Gesetzgeber Rechnung tragen (Arb. 9.007). Da aber die Zielsetzungen des § 333 ASVG, den Arbeitgeber durch Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge vom Haftungsrisiko für Arbeitsunfälle auszuschließen und die mit dem täglichen Arbeitsleben verbundenen Risken auf den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu übertragen (vgl. Albert in DRdA 1987, 64; Arb. 7.790, 9.115 ua) dem verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebot entsprechen, besteht auch keine Veranlassung, der Anregung des Klägers zu folgen und diese Bestimmung als verfassungswidrig anzufechten (vgl. Arb. 6.681, 7.422, 9.007). Dazu bieten auch die in der Revision angeführten Normen des Art. 4 Abs 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Art. V des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, RGBl. 142 keine Handhabe.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50 und 41 ZPO begründet.
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