European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00074.14V.0925.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Zwischen den Parteien ist ausschließlich strittig, ob die Klägerin bei der Beklagten kaufmännische Dienste im Sinne des § 1 AngG geleistet hat und auf ihr Arbeitsverhältnis daher der Kollektivvertrag für Handelsangestellte anzuwenden ist. Diese Frage haben die Vorinstanzen übereinstimmend bejaht.
Die Grenzziehung zwischen kaufmännischen Diensten und untergeordneten Verrichtungen ist einzelfallbezogen (RIS‑Justiz RS0028066) und daher nur dann im Revisionsverfahren überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober, massiver Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0044088 [T13]). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Qualifikation als Angestellter nach § 1 AngG erfordert die Verrichtung solcher Arbeiten, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes gehören und für die Führung eines Betriebs eine bestimmte, jedenfalls nicht untergeordnete Bedeutung haben. Es genügt, wenn es sich um einen bloßen Ausschnitt aus dem typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes handelt, ohne dass hierbei ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (RIS‑Justiz RS0028079; Drs in ZellKomm² § 1 AngG Rz 18; Löschnigg in Löschnigg , AngG § 1 Rz 95). Bei der in jedem Einzelfall vorzunehmenden Grenzziehung zwischen kaufmännischen Diensten und untergeordneten Verrichtungen ist zu beachten, dass dem Begriff der "kaufmännischen Dienste" solche Dienstleistungen zu unterstellen sind, die kaufmännische Ausbildung und Geschicklichkeit verlangen, während den untergeordneten Verrichtungen alle Dienste rein mechanischer Natur zuzuzählen sind, die keine besondere Ausbildung erfordern und so einfach sind, dass sie von jedem normalen Menschen mit gewöhnlicher Durchschnittsbildung erfüllt werden können (RIS‑Justiz RS0028066).
Werden Mischtätigkeiten verrichtet (hier: kaufmännische und nicht in dieser Richtung qualifizierte Arbeiten), dann entscheidet im Allgemeinen das zeitliche Überwiegen. Hat jedoch die höher qualifizierte Tätigkeit für den Arbeitgeber die ausschlaggebende Bedeutung, ist ‑ unabhängig vom zeitlichen, Ausmaß der qualifizierten Tätigkeit ‑ dieser Umstand entscheidend (RIS‑Justiz RS0028025; Schrammel in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 1 Rz 88; Drs in ZellKomm² § 1 AngG Rz 29).
Die Klägerin war innerhalb der „D***** Gruppe“, einem privaten Tankstellenbetreiber, zunächst fünf Monate lang an einer Tankstelle in S***** und danach für ca zwei Wochen an der von der Beklagten geführten Tankstelle beschäftigt. Beide Tankstellen sind etwa gleich ausgestattet. Es handelt sich um Selbstbedienungstankstellen samt Waschanlage, Shop („S*****-Express“) und Bistro, ohne organisatorische Trennung zwischen Tankstellenbereich und Shop. Die Klägerin war überwiegend an der Scanner-Kasse mit dem Kassieren der Tankrechnungsbeträge, der Kosten für die von ihr ausgegebenen Waschkarten sowie der Shopwaren und von ihr hergestellter Bistroartikel beschäftigt. Unstrittig erfolgten die Zahlungen durch die Kunden nicht nur bar, sondern auch mit Bankomat- und Kreditkarte. Am Abend führte die Klägerin selbständig die Abrechnung der Kassa durch und verwahrte die Einnahmen im Tresor. Die Klägerin hatte keinen Einfluss auf die Preisbildung und die Zusammenstellung des Warensortiments. Sie war auch nicht mit der Warenbestellung betraut, hatte aber die angelieferten Waren einer Qualitätskontrolle zu unterziehen, den Lieferschein zu überprüfen und diesen zu unterzeichnen. Die Regalbetreuung durch die Klägerin bezog sich nicht nur auf ein eingeschränktes Warensortiment, sondern auf 1500 zum Verkauf angebotener Artikel. Die Klägerin gab über Verlangen der Kunden auch Auskunft und bot ihnen Essen und Trinken an. Die sonstigen, nicht kaufmännischen Tätigkeiten der Klägerin, nämlich ua Reinigungsarbeiten, Aufbacken von Gebäck und Herstellung von Bistroartikel, nahmen im üblichen Tagesablauf nur eine verhältnismäßig geringfügige Zeit in Anspruch.
Die übereinstimmende Rechtsansicht der Vorinstanzen, die die Tätigkeit der Klägerin in ihrer Gesamtheit (9 ObA 259/99z mwN) als Angestelltentätigkeit beurteilt haben, ist noch vertretbar und auch im Lichte der zahlreichen, jeweils Einzelfälle betreffenden Entscheidungen (vgl Löschnigg in Löschnigg , AngG § 1 Rz 100 f) nicht korrekturbedürftig. Ist auch für die Tätigkeit der Klägerin keine besondere Ausbildung oder längere Einschulungsphase notwendig, so kann diese ‑ entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ‑ nicht mit der bloßen einfachen Tätigkeit eines Sitzkassiers in einem Selbstbedienungsrestaurant (10 ObS 95/10h) verglichen werden, der ausschließlich mit dem Kassieren betraut ist. Die von der Klägerin verrichteten Aufgaben erschöpften sich ‑ im Gegensatz zu dem der Entscheidung 4 Ob 157/80 (ZAS 1982/24 = DRdA 1984/3) zugrundeliegenden Sachverhalt ‑ auch nicht in Kassiertätigkeiten, die über ein Berechnen des Gesamtpreises, das Entgegennehmen des Geldbetrags und das Verbuchen in der Kasse nicht hinausgehen und nach einer kurzen Einschulung von jedem Absolventen der Grundschule bewältigt werden können. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die Überprüfung der eingelangten Waren auf ihre Qualität und Übereinstimmung mit dem Lieferschein eine durchaus verantwortungsvolle kaufmännische Tätigkeit ist (vgl 4 Ob 106/78 = SZ 51/187 = ZAS 1979/25). Dies alles ist auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass der Betrieb der Beklagten stark einem üblichen (Shop‑Konzept) Handelsbetrieb entspricht.
2. Sowohl die Frage, wie ein Vorbringen einer Partei zu beurteilen ist als auch die Frage, ob eine Außerstreitstellung als Tatsachengeständnis im Sinne des § 266 ZPO zu werten ist, sind Fragen des Einzelfalls, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommen (RIS‑Justiz RS0042828). Dass die Klägerin der begehrten Urlaubsersatzleistung für 8,71 Werktage offenen Urlaub den in der fiktiven Kündigungsfrist entstandenen Urlaub zugrunde gelegt hat, ergab ‑ wie die Beklagte in ihren Rechtsmitteln darlegt - eine einfache Berechnung. Wenn ihr aber klar war, was die Klägerin tatsächlich begehrte (Grund des Anspruchs) und sie die Höhe des Klagebegehrens außer Streit stellte, dann ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die die Außerstreitstellung ihrer Entscheidung über die Höhe des Klagebegehrens zugrunde gelegt haben, nicht korrekturbedürftig.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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