OGH 9ObA502/87

OGH9ObA502/8713.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl H*** und Dr.Bernhard S*** als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei Ö*** G***, Gewerkschaft

Handel-Transport-Verkehr, Wien 1., Teinfaltstraße 7, vertreten durch Dr.Robert Krepp, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin K*** DER G*** W*** FÜR W***,

Wien 1., Stubenring 8-10, über den gemäß § 54 Abs2 ASGG gestellten Feststellungsantrag folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird festgestellt, daß die Bestimmung des § 15 Abs3 MSchG über das Urlaubsausmaß im Fall eines Karenzurlaubs gemäß § 15 Abs1 MSchG bei Antritt eines Erholungsurlaubs vor Beginn des im § 3 Abs1 MSchG angeordneten Beschäftigungsverbotes nicht anzuwenden ist.

Text

Begründung

Die antragstellende Partei ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs2 ArbVG. Die ihr schon vor dem 1.Juli 1974 zuerkannte Kollektivvertragsfähigkeit besteht gemäß § 165 ArbVG auch nach dem Inkrafttreten des Arbeitsverfassungsgesetzes weiter (Floretta-Strasser, ArbVG 1025 f). Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs1 ArbVG (Floretta-Strasser ArbVG 48). Beide Teile sind daher im Sinne des § 54 Abs2 erster Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert. Die antragstellende Partei führte zur Begründung ihres aus dem Spruch ersichtlichen Antrages aus, daß viele schwangere Arbeitnehmerinnen den Wunsch hätten, unmittelbar vor Beginn des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs1 MSchG den ihnen zustehenden Erholungsurlaub zu konsumieren. Die Arbeitgeber seien damit zwar meist einverstanden, doch ergäben sich Meinungsverschiedenheiten über das Urlaubsausmaß. Zahlreiche Arbeitgeber seien der Meinung, § 15 Abs3 MSchG gestatte es, den Erholungsurlaub wegen eines bereits vereinbarten oder sich abzeichnenden Mutterschaftskarenzurlaubs aliquot zu kürzen. Sie gewährten den Erholungsurlaub nur in dem Ausmaß, das dem um die Dauer des voraussichtlichen Karenzurlaubs verkürzten Dienstjahr entspreche. Diese Ansicht sei aber verfehlt, da § 15 Abs3 MSchG den Fall, daß der Erholungsurlaub vor Antritt des Karenzurlaubs bereits verbraucht worden sei, ausdrücklich ausnehme. Diese Bestimmung sei daher nur bei einer Urlaubsgewährung nach Beendigung des Karenzurlaubs anzuwenden. Zum Zeitpunkt des Urlaubsantrittes vor Beginn der Achtwochenfrist des § 3 Abs1 MSchG sei noch gar nicht bekannt, wie lange der Karenzurlaub tatsächlich dauern werde. Einerseits stehe der Entbindungstermin nicht fest, andererseits sei offen, ob die Frist des § 5 Abs1 MSchG 8 oder 12 Wochen betrage und ob nicht eine den Beginn des Karenzurlaubs gemäß § 5 Abs2 MSchG hinausschiebende Arbeitsunfähigkeit eintreten werde. Es seien - jedenfalls mehr als drei Arbeitnehmerinnen betreffende - Fälle bekannt, in denen Arbeitgeber im Bereiche der Antragsgegnerin ihren schwangeren Arbeitnehmerinnen vor Beginn der Achtwochenfrist grundsätzlich nur einen Erholungsurlaub in jenem Ausmaß gewährten, das sich bei - in diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststehender - Inanspruchnahme des Karenzurlaubs im nachhinein als gemäß § 15 Abs3 MSchG gekürztes Urlaubsausmaß ergeben würde. Richtigerweise trete eine Kürzung des Urlaubsausmaßes gemäß § 15 Abs3 MSchG frühestens mit dem tatsächlichen Antritt eines Mutterschaftskarenzurlaubs ein und sei daher bei Gewährung des Erholungsurlaubs vor der Entbindung nicht zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin leitete den an sie gemäß § 54 Abs3 erster Satz ASGG ergangenen Auftrag zur Stellungnahme an die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft weiter, da für eine Interpretation bundesgesetzlicher Regelungen ausschließlich die Bundeskammer zuständig sei. Diese beantragte, den Feststellungsantrag abzuweisen.

§ 15 Abs3 MSchG sage nichts darüber aus, ob der begehrte Erholungsurlaub, dessen Beginn im übrigen gemäß § 4 Abs1 UrlG zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu vereinbaren sei, vor oder nach dem Karenzurlaub liegen müsse. Die Bestimmung ordne lediglich an, daß der Urlaub jedenfalls zu aliquotieren sei, wenn in das betreffende Dienstjahr Zeiten eines Karenzurlaubs fielen. Wisse dies der Arbeitgeber, dann sei der noch nicht verbrauchte Urlaub auch schon vor Antritt eines Karenzurlaubs zu aliquotieren. Sollte der Karenzurlaub nicht angetreten werden, bestehe kein Hindernis, die Aliquotierung nachträglich aufzuheben und auch die Differenz zum vollen Urlaubsanspruch zu konsumieren.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat auf der Grundlage des von der antragstellenden Partei behaupteten Sachverhalts (§ 54 Abs4 erster Satz ASGG) über den Feststellungsantrag erwogen:

Gegenstand des Antrages ist die Frage einer allfälligen Aliquotierung des Ausmaßes eines für die Zeit vor der Schutzfrist des § 3 Abs1 MSchG vereinbarten Gebührenurlaubs, wenn in das jeweilige Dienstjahr Zeiten eines Karenzurlaubs fallen. Der Antrag betrifft somit eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG, die schon ihrem Wesen nach und auf Grund des behaupteten, von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalts für mindestens

3 Arbeitnehmerinnen von Bedeutung ist.

Fallen in das jeweilige Dienstjahr Zeiten eines Karenzurlaubs, gebührt nach § 15 Abs3 MSchG ein Urlaub, soweit dieser noch nicht verbraucht worden ist, nur in dem Ausmaß, das dem um die Dauer des Karenzurlaubs verkürzten Dienstjahr entspricht. Ergeben sich bei der Berechnung des Urlaubsausmaßes Teile von Werktagen, so sind diese auf ganze Werktage aufzurunden. Dazu wird die Ansicht vertreten, daß das Ausmaß des Erholungsurlaubs im Zusammenhang mit einem Karenzurlaub davon abhänge, ob er vor oder nach dem Karenzurlaub angetreten werde. Um eine Aliquotierung zu verhindern, sei es erforderlich, den Erholungsurlaub vor Antritt des Karenzurlaubs zu konsumieren. Dies könne vor oder nach der Schutzfrist geschehen (Knöfler-Martinek MSchG7 § 15 Erl.3.2, 214; Klein RdW 1986, 117). Der von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft vertretene Standpunkt stellt hingegen die Kürzungswirkung des § 15 Abs3 MSchG im Ergebnis darauf ab, ob in das jeweilige Dienstjahr nach dem Wissen des Arbeitgebers voraussichtlich Zeiten eines Karenzurlaubs fallen werden. Abgesehen davon, daß schon die Ermittlung des (gekürzten) Urlaubsausmaßes eine - in diesem frühen Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit gegebene - ziffernmäßig faßbare Grundlage voraussetzt, läßt diese Ansicht außer acht, daß gemäß § 15 Abs3 MSchG ein bereits verbrauchter Urlaub nicht der Aliquotierung unterliegt und daß nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gemäß § 15 Abs1 zweiter Halbsatz MSchG anschließend an die Frist nach § 5 Abs1 und 2 MSchG "ein Gebührenurlaub verbraucht" werden kann. Es ist daher zu prüfen, in welchem Zeitpunkt die ex lege eintretende Verkürzung des Urlaubsanspruches wirksam wird.

Dem Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung zur Novelle zum Mutterschutzgesetz, BGBl.1960/240, ist zu entnehmen, daß es im Hinblick auf die Erweiterung (Verlängerung) des Karenzurlaubsanspruches gerechtfertigt erscheine, die Dauer des Gebührenurlaubs im aliquoten Ausmaß um jene Zeiten zu verkürzen, die im betreffenden Urlaubsjahr dem durch den Karenzurlaub in Anspruch genommenen Teil entsprechen. Eine ähnliche Regelung sehe auch das Arbeitsplatzsicherungsgesetz vor (299 BlgNR 9.GP). In den Erläuternden Bemerkungen zu § 16 Abs2 ArbPlSichG wird ausgeführt, daß für die Ermittlung der Dauer des Urlaubs in dem Dienstjahr, in das Präsenzdienstzeiten fallen, jene Zeiten des Dienstjahres heranzuziehen sind, in denen kein Präsenzdienst geleistet wurde. Diese Aliquotierung wird an Hand eines Beispiels illustriert (25 BlgNR 8.GP, 10). Eine dem § 15 Abs3 MSchG entsprechende Anrechnungsvorschrift bezüglich eines schon verbrauchten Urlaubs enthält § 16 Abs2 ArbPlSichG nicht. Während die von der Behörde vorgeschriebene Zeit der Ableistung des Präsenzdienstes eher dem Fall eines gesetzlich angeordneten Karenzurlaubs als dem einer Dienstverhinderung entspricht (Klein aaO 115), unterliegt der Karenzurlaub nach § 15 Abs1 MSchG weitgehend der Gestaltung durch die Arbeitnehmerin. Es bleibt ihr überlassen, einen Karenzurlaub einseitig in Anspruch zu nehmen oder davon abzusehen. Sie kann innerhalb der Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes dessen Dauer bestimmen und in diesem Rahmen mit dem Arbeitgeber Vereinbarungen über die Verlängerung oder Abkürzung des Karenzurlaubs treffen (Knöfler-Martinek MSchG7 § 15 Erl.1, 199; Klein aaO 116 f; Arb.7.943, 9.639). Verlangt sie den Karenzurlaub, dann nimmt sie mit der Abgabe ihrer diesbezüglichen Willenserklärung eine teilweise, vorübergehende, einseitige Gestaltung des Inhalts ihres Arbeitsvertrages vor (Arb.9.639).

Berücksichtigt man den Zweck der Aliquotierungsvorschrift des § 15 Abs3 MSchG, nämlich den Gebührenurlaub als Ausgleich für die Verlängerung des Karenzurlaubs zu verkürzen, so kann der Ansicht der Antragstellerin nicht beigepflichtet werden, daß generell nur hinsichtlich des nach Beendigung des Karenzurlaubs verbleibenden Urlaubs eine Aliquotierung stattfinden dürfe. Die ex lege eintretende Verkürzung des Urlaubsanspruches wird vielmehr bereits mit der Inanspruchnahme des Karenzurlaubs - spätestens mit dessen Antritt - wirksam. Es kommt daher auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Karenzurlaubs an (Arb.9.643 = ZAS 1978/30 mit insoweit zustimmender Besprechung von Schön 234; 9 Ob A 88/87). Eine solche Inanspruchnahme setzt aber voraus, daß die Arbeitnehmerin ihre einseitige Gestaltungserklärung dem Arbeitgeber gegenüber auch abgeben kann. Dies ist dann nicht der Fall, wenn, wie die Antragstellerin zutreffend ausführt, der Entbindungstermin, von dem die höchstzulässige Dauer des Karenzurlaubs abhängt, ja selbst die Entbindung (Totgeburt) noch ungewiß ist oder wenn die Dauer des Beschäftigungsverbotes nach § 5 Abs1 MSchG oder der Eintritt einer allfälligen Arbeitsunfähigkeit nach § 5 Abs2 MSchG, von deren Ende der Beginn des Karenzurlaubs abhängt, unbekannt ist. Die bloße Absichtserklärung der Arbeitnehmerin vor der Entbindung, einen Karenzurlaub, dessen Anfall und konkrete Ausgestaltung noch von ungewissen Ereignissen abhängt, in Anspruch nehmen zu wollen, hat noch nicht die eine Verkürzung ihres Gebührenurlaubs auslösende Wirkung, so daß es vor Beginn des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs1 MSchG noch zu keiner Aliquotierung des der Arbeitnehmerin zustehenden Gebührenurlaubs im Sinne des § 15 Abs3 MSchG kommen kann. Ein solcher Urlaub muß im Sinne des § 4 Abs1 UrlG zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin vereinbart werden (Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht2 I 162; Schwarz-Löschnigg Arbeitsrecht 273; Mayer-Maly/Marold Österr. Arbeitsrecht I 150; Cerny Urlaubsrecht4 62 f; Klein-Martinek Urlaubsrecht 59 ff; Basalka in Kommentar zum Urlaubsgesetz § 4 Anm.1; Knöfler-Martinek aaO Erl 3.2., 214; Arb.1S.332 ua.). Aus diesen Erwägungen war dem Feststellungsantrag stattzugeben.

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