European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00036.17K.1128.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte war bei der Klägerin von 2000 bis 2013 als Ärztin auf Werkvertragsbasis tätig. Aufgrund einer Gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) nach § 86 EStG wurde die Arbeitsleistung der Beklagten von den Behörden als unselbstständige Tätigkeit eingestuft. Der Klägerin wurden daraufhin von der Gebietskrankenkasse insgesamt 38.212,23 EUR an Dienstnehmer‑ und Dienstgebersozialversicherungsbeiträgen vorgeschrieben.
Die von der Beklagten an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) nach dem GSVG bezahlten Sozialversicherungsbeiträge von 6.265,39 EUR wurden ihr über ihren Antrag zurückgezahlt.
Auf Wunsch der Steuerberaterin der Klägerin unterfertigte die Beklagte im September 2015 eine Vollmacht, die Überrechnung der im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis zur Klägerin gutgeschriebenen Beiträge bei der SVA auf das Beitragskonto der Klägerin bei der Gebietskrankenkasse zu veranlassen. Sie wies jedoch die Mitarbeiterin der Steuerberatungskanzlei darauf hin, dass sie die Rückzahlung bereits beantragt und den Betrag auch erhalten habe.
Über das Vermögen der Klägerin wurde am 10. 6. 2015 das Sanierungsverfahren eröffnet. Aufgrund des in der Folge angenommenen Sanierungsplans wurden vom Sanierungsverwalter 40 % der vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge an die Gebietskrankenkasse bezahlt.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 6.265,39 EUR sA. Im Zusammenhang mit der GPLA seien ihr für die Beklagte Dienstnehmerbeiträge von 17.305,64 EUR vorgeschrieben worden. Die Sanierungsplanquote habe 6.922,25 EUR betragen. Nach § 51 ASVG sei die Beklagte zur Tragung, die Klägerin als Dienstgeberin zur Einbehaltung und zur Abfuhr dieser Beiträge verpflichtet. Das ASVG enthalte lediglich Beschränkungen beim Lohnabzug und der Rückforderung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen, jedoch keine abschließende Regelung bereicherungsrechtlicher Ansprüche. Die Leistung von Beiträgen an die SVA sei zu Unrecht erfolgt, weshalb die Beklagte einen Rückforderungsanspruch gehabt habe. Den zurückbezahlten Betrag habe sie der Klägerin herauszugeben. Durch die Vertragsgestaltung als Werkvertrag habe die Beklagte mehr erhalten, als dies bei Annahme eines Dienstverhältnisses der Fall gewesen sei. Es sei daher nicht einzusehen, warum sie aufgrund der Umdeutung in ein Dienstverhältnis durch diese Rückzahlung profitieren solle, dagegen die Klägerin auch die Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bezahlen müsse. Dadurch, dass die Beklagte eine Vollmacht zur Überrechnung der Beiträge unterschrieben habe, habe sie eingewilligt, dass diese der Klägerin zukommen sollten.
Die Beklagte bestreitet und bringt vor, die Änderung der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung der Beklagten auf Dienstnehmerin sei auf eine unrichtige Meldung durch die Klägerin zurückzuführen. Sie habe daher die nachteiligen Folgen alleine zu tragen. Zur Rückforderung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach dem GSVG sei nur die Beklagte als Versicherte berechtigt. Ein Anspruch der Klägerin scheitere schon an einem gutgläubigen Verbrauch.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Alleiniger Beitragsschuldner sowohl für die Dienstgeber‑ als auch die Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sei der Dienstgeber. Nach § 60 Abs 1 ASVG sei dieser ausschließlich im Weg des Lohnabzugs berechtigt, den Dienstnehmeranteil der Sozialversicherung einzubringen. Ein darüber hinausgehendes Rückforderungsrecht gegenüber dem Dienstnehmer bestehe aufgrund der abschließenden Regel des § 60 ASVG nicht. Der Dienstgeber tätige mit der Zahlung keinen fremden Aufwand iSd § 1042 ABGB, weshalb auch kein Anspruch nach § 1358 ABGB bestehe.
Zugleich mit der Berufung gegen dieses Urteil stellte die Klägerin beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 60 Abs 1 Satz 2 und 3 ASVG idF BGBl Nr 189/1955, die in § 60 Abs 3 ASVG idF BGBl Nr 189/1955 enthaltenen Wortfolge „erster Satz“ sowie die in § 41 Abs 3 Satz 1 ASVG idF BGBl Nr 112/1986 enthaltene Wortfolge „und dem ersteren Versicherungsträger gegenüber dem letzteren ein Ersatzanspruch für zu Unrecht erbrachte Leistungen gemäß § 182 zusteht“ als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Beschluss vom 23. 9. 2016, G 262/2016‑6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung des Antrags ab. Gegen die Bestimmung des § 60 ASVG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Da die Höhe der Beitragsschuld des Dienstgebers nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, sei auszuschließen, dass § 41 Abs 3 erster Satz GSVG, der einen Beitragsausgleich zwischen einem leistungserbringenden und dem versicherungs‑ zuständigen Versicherungsträger regle, präjudiziell sei.
Der Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an, dass dann, wenn das Abzugsrecht nach § 60 ASVG nicht mehr möglich sei, sich die Beitragslast endgültig auf den Dienstgeber verschiebe. Die Anwendung des § 1358 ABGB setze eine materiell fremde Schuld voraus. Dasselbe gelte für den Verwendungsanspruch nach § 1042 ABGB. § 41 GSVG betreffe das Verhältnis der Versicherungsträger untereinander. Wenn ein interner Ausgleich zwischen den Sozialversicherungsträgern einen allfälligen Rückforderungsanspruch verdrängen oder reduzieren würde, könne dies nur Ansprüche der Beklagten gegenüber der SVA betreffen. Soweit das Gesetz vorsehe, dass nicht zur Deckung der Aufwendungen erforderliche Beiträge vom unzuständigen Versicherungsträger an den zuständigen zu überweisen seien und damit zu einer Entlastung des dortigen Beitragsschuldners führten, könne diese indirekte Begünstigung der Klägerin in diesem Verfahren nicht helfen, weil durch das Gesetz nicht ihre Ansprüche, sondern die wechselseitigen Ansprüche der Sozialversicherungsträger geregelt würden.
Aus der Unterfertigung der Vollmacht lasse sich eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Überweisung der bereits erhaltenen Beträge nicht ableiten.
Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil eine explizite Judikatur zur Rückforderbarkeit von Dienstnehmeranteilen zur Sozialversicherung bei nachträglicher Inanspruchnahme des Dienstgebers und gleichzeitiger Rückerstattung von nach dem GSVG geleisteten Beiträgen bisher nicht vorliege und in der Literatur eine Ausgleichsmöglichkeit zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer gefordert werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Nach § 58 Abs 2 erster Satz ASVG schuldet die auf den Versicherten und den Dienstgeber entfallenden Beiträge zur Sozialversicherung der Dienstgeber. Schuldner (und nicht bloß Inkassant oder Zahlstelle) ist daher auch für den Dienstnehmeranteil zur Sozialversicherung der Dienstgeber (vgl VwGH 92/08/0090). Diese Verpflichtung des Dienstgebers ist – abgesehen von gesetzlichen Ausnahmefällen – zwingendes Recht und kann durch Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer nicht abgeändert werden (Derntl in Sonntag, ASVG, § 58 Rz 15).
Nach § 60 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber berechtigt, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt in barem abzuziehen. Dieses Recht muss bei sonstigem Verlust spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrags folgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden, es sei denn, dass die nachträgliche Entrichtung der vollen Beiträge oder eines Teils dieser vom Dienstgeber nicht verschuldet ist. Im Fall der nachträglichen Entrichtung der Beiträge ohne Verschulden des Dienstgebers dürfen dem Versicherten bei einer Entgeltzahlung nicht mehr Beiträge abgezogen werden, als auf zwei Lohnzahlungszeiträume entfallen.
Die hier zu beurteilende Frage ist, ob § 60 Abs 1 ASVG eine abschließende Regelung darstellt oder nur das Abzugsrecht des Dienstgebers bei aufrechtem Dienstverhältnis regelt, ohne andere Möglichkeiten der Geltendmachung der Dienstnehmerbeiträge auszuschließen.
2. Resch (SV‑Komm, 152. Lfg, § 60 Rz 14 ff) führt dazu aus, dass es bei Verschulden des Dienstgebers nach einem Monat zu einem Verschieben der Beitragslast auf den Dienstgeber komme. Das damit normierte sogenannte Nachholverbot diene als gesetzliche Motivation für den Dienstgeber zur Einhaltung der Meldepflicht: Damit solle indirekt erreicht werden, dass der Dienstgeber von sich aus den sozialen Schutzzweck des Gesetzes unterstütze und nicht gefährde. Der Dienstgeber solle zum pünktlichen Beitragsabzug diszipliniert werden. Der Übergang der materiellen Beitragslast auf den Dienstgeber sei gerade die gesetzliche Sanktion auf das Dienstgeberverschulden (so auch: Resch, Schaden und Mitverschulden des Dienstnehmers bei Nichtanwendung zur Sozialversicherung, JBl 1995, 24 [30]).
Sei dem Dienstgeber kein Verschulden zur Last zu legen, enthalte § 60 Abs 1 Satz 3 ASVG eine Ratenregelung. Zweck dieser Regelung sei die Verhinderung übermäßiger Lohnabzüge beim Entgelt, auf das der Dienstnehmer ja typischerweise existenziell angewiesen sei (Resch, SV‑Komm, 152. Lfg, § 60 Rz 19). § 60 ASVG gewährleiste damit eine regelmäßige und nicht plötzliche Belastung des Dienstnehmers mit Sozialversicherungs‑ beiträgen.
Im Gegensatz dazu wird allerdings auch vertreten, dass § 60 Abs 1 ASVG nur das Abzugsrecht des Dienstgebers regelt, jedoch darüber hinaus die Geltendmachung von Ansprüchen des Dienstgebers aus der Zahlung des Dienstnehmeranteils gegen den Dienstnehmer nicht ausschließt. Krejci (Das Sozialversicherungsverhältnis [1977] 154 f) verweist auf die Parallele zur Lohnsteuer. Auch wenn im Lohnsteuerrecht der Arbeitnehmer selbst als Steuerschuldner bezeichnet werde, während im Sozialversicherungsrecht der Dienstgeber auch bezüglich der Dienstnehmerbeiträge selbst Beitragsschuldner sei, bleibe der Dienstnehmer im Ausmaß der von ihm zu tragenden Beitragsanteile beitragspflichtig. Es sei daher gerechtfertigt, § 1358 ABGB zumindest sinngemäß heranzuziehen, allenfalls § 1042 ABGB.
Auch Schrammel (Versicherungs‑ und Beitragspflicht in der Sozialversicherung [1985] 93 ff) geht davon aus, dass jedenfalls bei einer vom Dienstgeber nicht verschuldeten nachträglichen Beitragsentrichtung die materielle Beitragslast unabhängig vom Lohnabzugsverfahren besteht. Könne das Lohnabzugsverfahren etwa wegen Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr durchgeführt werden, wäre es dadurch nicht gerechtfertigt, den Dienstgeber nunmehr auch im Innenverhältnis den noch nicht abgezogenen Dienstnehmeranteil tragen zu lassen.
Für den Fall der verschuldeten verspäteten Beitragsentrichtung verweist Schrammel auf § 61 ASVG. Der „chronisch“ säumige Zahler werde für die Zukunft entlastet, er habe den Dienstnehmeranteil auch bei fortdauernder Säumigkeit im Innenverhältnis nicht mehr zu tragen. Darin sieht er als Wertungswiderspruch zur Ansicht, dass bei im Einzelfall verschuldeter verspäteter Zahlung die Beitragspflicht nach einem Monat auf den Dienstgeber übergehen soll. Auch die Regelung des § 60 Abs 2 ASVG sei nur plausibel, wenn man davon ausgehe, dass § 60 Abs 1 ASVG primär nur festlegen wolle, unter welchen Voraussetzungen der Dienstgeber einseitige von ihm gezahlte, aber den Dienstnehmer belastende Beitragsteile einziehen dürfe.
Eine Anspruchsgrundlage sieht Schrammel in einer (sinngemäßen) Anwendung des § 1042 ABGB, nach dessen Regelung zwar nur derjenige für einen anderen Aufwendungen mache, der eine fremde Schuld erfüllte. Formal erfülle der Dienstgeber zwar eine eigene, nur ihn treffende Schuld. In materieller Hinsicht bleibe aber weiterhin der Dienstnehmer für seinen Anteil beitragspflichtig. Daher wäre auch eine Anwendung des § 1358 ABGB zu überlegen, vergleichbar mit Fällen der vom Arbeitgeber nachzuzahlenden Lohnsteuer.
In jüngerer Zeit hat sich insbesondere Kietaibl mit dem Thema auseinandergesetzt (Sozialversicherungs‑ rechtliche Rückabwicklung bei aufgedeckter Scheinselbständigkeit, ZAS 2006, 169). Auch er sieht eine mögliche Anspruchsgrundlage für Forderungen des Dienstgebers über § 60 Abs 1 ASVG hinaus in der sinngemäßen Anwendung des § 1358 ABGB oder § 1042 ABGB. Weiters verweist er darauf, dass für den Fall der Feststellung der rückwirkenden Versicherungspflicht nach ASVG der Versicherte nach § 41 Abs 6 GSVG ein Rückforderungsrecht hinsichtlich jener Beiträge habe, die in der Vergangenheit wegen fälschlicher Behandlung als unternehmerischer freier Dienstnehmer an die SVA gezahlt worden seien, sofern er keine Versicherungsleistungen in Anspruch genommen habe. Sei dies der Fall, werde man aber ein Regressrecht des Dienstgebers gegen den Dienstnehmer trotz Verlust des Abzugsrechts nach § 60 ASVG jedenfalls bejahen müssen, weil der Dienstnehmer sonst ungebührlich bevorteilt würde. Er könnte sämtliche Beitragszahlungen nach GSVG zurückfordern und der Dienstgeber müsste allein die gesamte Beitragslast nach ASVG tragen. Der Ausschluss des Regressrechts des Dienstgebers bei Verlust des Abzugsrechts solle in erster Linie verhindern, dass der Dienstnehmer nachträglich mit Beitragszahlungen belastet werde, mit denen er nicht rechnen musste und nachträglich bereits gutgläubig verbrauchtes Vermögen wieder herausgeben müsse. In diesem Fall gehe es aber im Ergebnis lediglich um die richtige Zuordnung bereits geleisteter Beitragszahlungen. Der Dienstnehmer müsse nichts herausgeben, was er bereits gutgläubig habe verbrauchen können. Es bestehe somit auch kein Grund, dem Dienstgeber das Regressrecht zu verweigern, soweit der Dienstnehmer die ungebührlich entrichteten Beiträge nach GSVG von der SVA zurückverlangen könne.
3. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der Entscheidung 9 ObA 166/89 mit der hier zu beurteilenden Frage auseinandergesetzt. Dabei ging er davon aus, dass § 60 ASVG eine abschließende Regelung darstellt. Daraus wurde auch abgeleitet, dass der Dienstgeber nicht ein wegen Versäumnis nach § 60 ASVG verwirktes Recht auf Abzug des auf den Versicherten entfallenden Beitragsteils im Wege einer Aufrechnungseinrede geltend machen könne (RIS‑Justiz RS0033990).
Von dieser Beurteilung abzugehen besteht trotz der entgegenstehenden Lehrmeinungen keine Veranlassung. Wie bereits dargelegt, ist nach § 58 Abs 2 ASVG der Dienstgeber alleiniger Schuldner der Beiträge zur Sozialversicherung. Die gesetzliche Grundlage dafür, dass er den Dienstnehmerbeitrag überwälzen kann, bildet § 60 Abs 1 ASVG. Dabei kann der zuvor zitierten Literatur nicht darin gefolgt werden, dass diese Regelung nicht abschließend ist. Geht man nämlich davon aus, dass § 60 Abs 1 ASVG nur das Abzugsrecht des Dienstgebers regelt, daneben aber die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Geltendmachung offen lässt, wäre sowohl die Beschränkung für den Fall des Verschuldens des Dienstgebers (auf die der Fälligkeit des Beitrags nächstfolgende Entgeltzahlung), als auch die Beschränkung auf eine ratenweise Geltendmachung bei unverschuldeter Nachzahlung sinnlos, hätte doch der Arbeitgeber daneben immer die Möglichkeit, den Gesamtbetrag sofort und unabhängig vom eigenen Verschulden zu fordern. Dies würde dazu führen, dass er etwa nach Erwirken eines Exekutionstitels seine Forderung bis zur Höhe des Existenzminimums geltend machen kann. Dass dies dem Zweck des § 60 Abs 1 ASVG, der auf eine periodenweise beschränkte Belastung des Arbeitnehmers abzielt, widerspricht, ist offenkundig. Die teilweise geäußerte Ansicht, dass der strenge Rahmen des Gesetzes zusätzlich dazu dienen soll, den Dienstgeber zu pünktlichen Beitragszahlungen (und periodenkongruenten Abzügen) zu motivieren, würde diese Auslegung stützen, muss in diesem Zusammenhang aber nicht weiter geprüft werden.
Es lässt sich auch nicht damit argumentieren, dass die Geltendmachung von Dienstnehmerbeiträgen über § 60 Abs 1 ASVG hinaus auf die Fälle reduziert werden kann, in denen die Ausübung des Abzugsrechts etwa infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist. In der Regel wird sich die Situation des ausgeschiedenen Arbeitnehmers nicht wesentlich von der während der Beschäftigung unterscheiden und ihn eine unbeschränkte und sofortige Zahlungspflicht in selber Weise treffen. Im Übrigen bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte für eine solche Differenzierung.
Wenn verschiedentlich mit den Ausnahmeregelungen des § 60 Abs 2 bzw § 61 ASVG argumentiert wird, so zeigt gerade die Sonderregelung, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen von einem Sachverhalt ausgeht, der einer von der Grundregel abweichenden Behandlung bedarf. Dass § 61 ASVG allenfalls „chronisch“ säumige Arbeitgeber besserstellt, mag vom pönalisierenden Element her einen gewissen Widerspruch zu § 60 Abs 1 ASVG darstellen, aus der Sicht des Arbeitnehmers ergibt sich daraus aber keine Schlechterstellung gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge periodenkongruent abliefert, da er nicht mit Forderungen konfroniert wird, die länger zurückliegende Zeiträume betreffen. Dass der Gesetzgeber der regelmäßigen Abfuhr der Beiträge gegenüber dem allfälligen erzieherischen Charakter eines Übergangs der Beitragspflicht den Vorrang gibt, lässt keinen Rückschluss auf die Auslegung des § 60 Abs 1 ASVG zu.
Dazu kommt, dass sich auch aus den in der Literatur genannten möglichen Anspruchsgrundlagen außerhalb des ASVG, § 1358 bzw § 1042 ABGB kein Anspruch des Arbeitgebers ableiten lässt. § 1358 ABGB setzt die Zahlung einer fremden Schuld voraus. Anders als bei der Lohnsteuer, bei der nach § 83 EStG der Dienstnehmer Steuerschuldner ist, der Arbeitgeber also aufgrund seiner Verpflichtung die Lohnsteuer einzubehalten, eine fremde Schuld bezahlt, ist bei der Sozialversicherung Schuldner der Arbeitgeber. Die Annahme einer materiell fremden Schuld lässt sich letztlich mit § 58 Abs 2 ASVG nicht in Einklang bringen. Eine sinngemäße Anwendung des § 1358 ABGB ist daher abzulehnen. Daran scheitert aber auch eine Berufung auf § 1042 ABGB. Der Arbeitgeber tätigt keinen fremden Aufwand.
Das Recht des Arbeitgebers auf Einbehalt der Dienstnehmerbeiträge steht auch in keinem Zusammenhang mit einem gutgläubigen Verbrauch durch den Arbeitnehmer. Dass der Arbeitnehmer irrtümlich einem unrichtigen Sozialversicherungsträger Beiträge geleistet und deshalb einen Rückforderungsanspruch gegen diesen hat, rechtfertigt nicht, den Arbeitnehmer dazu zu verpflichten, die so erhaltene Leistung zur Abdeckung von vom Arbeitgeber nicht fristgerecht bezahlter Dienstnehmerbeiträge heranzuziehen. Letztlich lässt auch Kietaibl,der davon ausgeht, dass zumindest die nach dem GSVG zurückbezahlten Beiträge dem Dienstgeber herauszugeben sind, offen, welche Anspruchsgrundlage dafür in Betracht kommen soll.
Der Senat verkennt nicht, dass es gerade im Zusammenhang mit einer GPLA und der – mitunter auch nicht leicht zu beurteilenden – richtigen Einstufung selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit zu erheblichen Belastungen des Dienstgebers durch Nachtragsvorschreibungen kommen kann. Dies hat auch dazu geführt, dass der Gesetzgeber zur Schaffung von Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit in der gesetzlichen Sozialversicherung mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz und Änderungen des ASVG, GSVG, BSVG EStG 1988, BGBl I 2017/125, reagiert hat. Zu einer Änderung des § 60 Abs 1 ASVG ist es in diesem Zusammenhang trotz der bestehenden Judikatur nicht gekommen.
Zusammengefasst wird daher die Rechtsprechung aufrechterhalten, dass § 60 Abs 1 ASVG eine abschließende Regelung darstellt und abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich ist, keine Verpflichtung des Dienstnehmers zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen besteht.
4. Die Revision argumentiert weiters, dass § 41 GSVG insofern eine sachliche Ungleichbehandlung der Arbeitgeber beinhalte, als das Rückforderungsrecht für zu Unrecht bezahlte Beiträge davon abhängt, ob der Versicherungsträger Leistungen erbracht hat oder nicht. Wurden keine Leistungen erbracht, seien die Beiträge an den Versicherungsnehmer, also den Arbeitnehmer zurückzuzahlen, wurden sie erbracht, seien die Beiträge an den zuständigen Versicherungsträger zu überweisen und würden dort auf allfällige Beitragspflichten angerechnet, damit eine Verbindlichkeit des Arbeitgebers reduzieren. Dies sei verfassungswidrig.
Für eine Anrufung des Verfassungsgerichtshofs, wie vom Revisionswerber angeregt, besteht jedoch keine Veranlassung. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits aufgrund des Antrags der Klägerin ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 41 Abs 3 erster Satz GSVG nicht präjudiziell für den vorliegenden Fall ist. Es mag sein, dass, wären die Beiträge von der SVA nicht ausbezahlt, sondern der Gebietskrankenkasse überwiesen worden, die Beitragspflicht der Klägerin gegenüber der Gebietskrankenkasse – die im vorliegenden Fall allerdings nicht strittig ist – geringer gewesen wäre. Für allfällige Ansprüche der Klägerin als Arbeitgeberin gegenüber der Beklagten als Arbeitnehmerin hat das jedoch keine Auswirkungen.
5. Wenn die Klägerin aus der Unterfertigung der Vollmacht zur Geltendmachung allfälliger Rückforderungsansprüche gegen die SVA auf ein Anerkenntnis zur Ausfolgung der bereits ausbezahlten Sozialversicherungsbeiträge schließen möchte, kann auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanzen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Ausgehend von der Feststellung, dass die Beklagte bei Unterfertigung der Vollmacht ausdrücklich darauf hinwies, dass bereits eine Rückzahlung erfolgt sei und kein weiteres Guthaben bestehe, konnte ein objektiver Erklärungsempfänger nicht davon ausgehen, dass die Beklagte sich dadurch auch mit einer Ausfolgung der schon ausbezahlten Beträge einverstanden erklärt. Dafür wäre die Unterfertigung einer Vollmacht auch nicht erforderlich gewesen.
6. Insgesamt war daher der Revision nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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