OGH 9ObA261/98t

OGH9ObA261/98t21.10.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Manhard und Helmut Stöcklmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat des Betriebes Zentrale Wien - Niederösterreich *****AG, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei *****AG, ***** vertreten durch Dr.Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unwirksamerklärung einer Kündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 1998, GZ 9 Ra 48/98i-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15. Mai 1997, GZ 21 Cga 1/96m-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

13.725 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 15.3.1949 geborene Dienstnehmer Franz H***** war seit 15.6.1982 bis zu der zum 30.6.1996 ausgesprochenen Kündigung bei der Beklagten als Versicherungsvertreter beschäftigt. Er erhielt zuletzt einen fixen Bruttomonatsbezug von S 4.200 12 x jährlich zuzüglich der kollektivvertraglichen Sonderzahlungen und den Provisionen. Nach Ablehnung der Unterfertigung eines geänderten Dienstvertrages erfolgte die Kündigung des Dienstnehmers unter Vorgabe von personenbezogenen Kündigungsgründen. Der Dienstnehmer ist verheiratet und sorgepflichtig für zwei Kinder. Die Ehegattin befindet sich nach der Geburt des zweiten Kindes in Karenz. In den Jahren 1993 bis 1995 hat der Dienstnehmer ein Haus gebaut. An monatlicher Belastung für Strom, Kanal, Wasser, Gas und Telefon errechnet sich ein Betrag von S 3.090. Für ein Bauspardarlehen wendet er einen Betrag von S 880, für einen Kredit S 2.566, für zwei Leasingfahrzeuge Beträge von S 2.940 bzw S 1.524 sowie für Versicherungen einen Betrag von S 4.107,40 monatlich auf. Der Dienstnehmer hatte 1995 ein monatliches Durchschnittseinkommen von brutto S 29.502,21 inklusive sämtlicher Provisionen, Fahrtkostenvergütung und Spesenzuschüsse. Das Gesamteinkommen im Zeitraum Jänner 1995 bis Juni 1996 betrug monatlich durchschnittlich S 28.889,38 brutto. Vom 1. 7. 1996 bis 31. 5. 1997 erhielt der Dienstnehmer an Abschluß- und Betreuungsprovisionen im Monatsdurchschnitt S 4.670,54. An Arbeitslosenentgelt bezog er monatlich S 11.850. Das kollektivvertragliche Mindesteinkommen eines Außendienstmitarbeiters ab dem 13. Dienstjahr beträgt ab 1. 4. 1996 S 14.392, ab 1. 4. 1997 S

14.745. Bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche ist es dem Dienstnehmer möglich, ca binnen drei Monaten eine Beschäftigung als Versicherungsvertreter zu erlangen. Während der ersten beiden Jahre als Versicherungsvertreter im Außendienst hat er Gehaltseinbußen im Ausmaß von über 20 % zu erwarten, die Verluste aus Provisionseinkommen im ersten Jahr seiner Tätigkeit betragen ca 40 bis 50 % und im zweiten Jahr ca 25 bis 30 %, wobei Folgeprovisionserlöse und Provisionserlöse aus neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen zusammengerechnet sind. Der Neuaufbau eines Kundenstockes erfordert üblicherweise einen längeren Zeitraum als sechs Monate. Einen vergleichbaren Kundenstock wie ihn der Dienstnehmer der Beklagten hatte, wird er erst in zwei bis drei Jahren aufgebaut haben. Seit 1. 4. 1997 ist der Dienstnehmer bei der B***** Versicherung als Außendienstmitarbeiter befristet für drei Monate beschäftigt und erzielt ein monatliches Bruttoeinkommen von ca S 17.500. Die Beklagte hat nach dem Ausscheiden des Dienstnehmers neue Mitarbeiter für den Außendienst gesucht, um die Stelle des Dienstnehmers nachzubesetzen.

Der klagende Betriebsrat begehrt die Unwirksamerklärung der Kündigung wegen eines verpönten Motivs, weil der Dienstnehmer einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht zugestimmt habe und, weil die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei und durch sie wesentliche Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt würden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, bestritt die Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Dienstnehmers und behauptete personenbezogene Kündigungsgründe.

Das Erstgericht erklärte die zum 30. 6. 1996 ausgesprochene Kündigung für rechtsunwirksam und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß mangels Vorliegens personenbezogener Kündigungsgründe der Einkommensverlust von über 20 % für einen Zeitraum von ca zwei Jahren in Anbetracht der familiären Verpflichtungen des Dienstnehmers soziale Interessen des Dienstnehmers wesentlich beeinträchtige.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Es führte aus, daß der Berechnung der Provisionsdurchschnitte für den Zeitraum ab Wirksamwerden der Kündigung auch die in diesem Zeitraum zum Tragen kommenden Kürzungen durch Stornorückverrechnungen zu berücksichtigen seien. Eine Verschiebung dieser Provisionsrückverrechnung auf den Zeitpunkt der ungekürzten Auszahlung während des aufrechten Dienstverhältnisses würde zu einer Verzerrung des Bildes führen. Es käme nur auf die tatsächlichen Zahlungen in ihrer Realität an, weil nur diese unmittelbare Auswirkung auf das Provisionskonto des Dienstnehmer hätten. Eine rückwirkende Ausklammerung sei nicht vorzunehmen. Im übrigen sei von einem Vergleich der Bruttobezüge auszugehen und die Abfertigung und Urlaubsentschädigung seien bei Erstellung der Prognose der nach der Kündigung wirkenden wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu berücksichtigen. Aufgrund der Ergebnisse der Prognose des berufskundlichen Sachverständigen sei von einer Beeinträchtigung wesentlicher wirtschaftlicher Verhältnisse auszugehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, in Stattgebung der Revision das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Durch die Kündigung ist eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Arbeitnehmers bereits dann gegeben, wenn eine finanzielle Schlechterstellung verursacht wird, sofern sie ein solches Ausmaß erreicht, daß sie eine fühlbare ins Gewicht fallende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne daß dabei eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten muß. Schwankungen der Einkommenslage hingegen muß jeder Arbeitnehmer im Laufe des Arbeitslebens hinnehmen (ZAS 1994/4 = SZ 65/43; DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; 9 ObA 108/98t). Einbußen von unter 10 v.H. wurden solcherart nicht als geeignet angesehen, eine Kündigungsanfechtung zu rechtfertigen (Arb 9479; 10.347; 9 ObA 244/98t). Eine Verdiensteinbuße von 20 v.H. und mehr deutet hingegen auf gewichtige soziale Nachteile hin (Schwarz in Ceerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, ArbVG Band 3, 228 mwN). Bei Beurteilung der Interessenbeeinträchtigung ist auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Dienstverhältnisses abzustellen. Dabei ist eine Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Arbeitnehmers zu erstellen (SZ 63/68; DRdA 1994/29 [Eypeltauer]). Die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers wie Einkommen, Vermögen, Sorgepflichten, Einkommen des Ehegatten, Schulden etc sind grundsätzlich einzubeziehen (DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; 9 ObA 108/98t). Auch eine Abfertigung, die den Verlust einer Treueprämie durch fruchtbringende Anlage zumindest weitgehend ausgleichen kann, hat die Rechtsprechung als beachtlich angesehen ( ZAS 1994/4 = SZ 65/43).

Spätere Provisionskürzungen bei aufrechtem Dienstverhältnis durch gerechtfertigte Storni sind ohne wesentliche Bedeutung, weil das Gesamtmonatseinkommen durch das laufende und neu entstehende Provisionseinkommen beeinflußt wird und daher allfällige Kürzungen laufender Provisionsansprüche durch Aufrechnung zu einem späteren Zeitpunkt nach bereits erfolgter Auszahlung des ungekürzten Betrages durch die laufenden Ansprüche weitestgehend aufgefangen werden und Kürzungen daher nur hinzunehmende Schwankungen des Einkommens bilden. Nach Beendigung des Dienstverhältnisses können, abgesehen von den Erlösen aus Nachfolgeprämien, jedoch keine neuen Provisionsansprüche durch die Tätigkeit des Dienstnehmers mehr entstehen. Storniabzüge schmälern daher die verbleibenden weiterwirkenden Provisionsansprüche und sind nicht mehr nur als Schwankungen des laufenden Einkommens zu betrachten. Dies ist aber eine Folge der Kündigung, so daß entgegen der Meinung der Revisionswerberin die nach dem Arbeitsvertrag bereits während des Arbeitsverhältnisses ausgezahlten Provisionsansprüche, die zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht nachhaltig und endgültig, sondern nur wie ein Vorschuß verdient waren, seinerzeit das tatsächlich dem Arbeitnehmer zufließende Einkommen bildeten. Die Stornoabzüge betrafen daher erst die wirtschaftliche Situation des Arbeitnehmers nach der Kündigung und wirkten sich auch nur auf seine der Prognose zu unterziehenden wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Kündigung aus. Daß eine Benachteiligung des Arbeitgebers dadurch eintritt, daß bei Berücksichtigung des Durchschnittseinkommens vor der Kündigung diese noch nicht endgültig verdienten Provisionsauszahlungen zur Bildung eines höheren Durchschnittseinkommens führen, dem dann durch die Vornahme der Rückverrechnung nach der Kündigung die rückverrechneten gekürzten Einkommensbeträge gegenüberstehen, ist eine durch die Gestaltungserklärung des Arbeitgebers in Kauf genommene Folge. Diese rechtfertigt es aber nicht, die erst zum Zeitpunkt der Rückverrechnung eintretenden tatsächlichen Folgen auf die gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse auf nicht mehr aktuelle vergangene Zeitpunkte rückzubeziehen.

Unter diesem Aspekt verbleibt es bei einem festgestellten Monatsdurchschnitt der Provisionseinkünfte des Dienstnehmers vom 1.7.1996 bis 31.5.1997 von S 4.670,54.

Bei Prüfung der Interessenbeeinträchtigung sind alle sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen, wobei zu beachten ist, daß Einkommenseinbußen und sonstige Nachteile (wie beispielsweise der Verlust einer Dienstwohnung) eine entscheidende Rolle spielen können. Der Arbeitnehmer ist vor allem auf ein laufendes Einkommen zur Aufrechterhaltung seiner Existenz und seiner Sorgeberechtigten angewiesen. Daher ist, wie sich der Entscheidung ZAS 1994/4 = SZ 65/43 entnehmen läßt, der Arbeitnehmer nicht verhalten, zugunsten des Arbeitgebers den Vermögensstamm zur Vermeidung von finanziellen Einbußen anzugreifen, sondern ist auf diesen nur insoweit Bezug zu nehmen, als er Erträge und damit laufendes Einkommen bringt. Insoweit hat der Oberste Gerichtshof bisher auch nur die fruchtbringende Anlage der Abfertigung als verlustausgleichend bewertet. Die Abfertigung, auch wenn sie dem Entgelt zugerechnet wird (Martinek/M. u. W. Schwarz, AngG7 441 f) und die Urlaubsentschädigung sind infolge ihrer zeitlichen Beschränkung kein Äquivalent für Bezüge aus einem Arbeitseinkommen (vgl 9 ObA 248/89 dort Leistungen der Arbeitsmarktverwaltung betreffend).

Zusammenfassend zeigt sich daher bei dem bisherigen durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von S 28.889,38, daß der Kläger nach der angestellten Prognose selbst bei Erlangung einer Beschäftigung binnen dreier Monate nach dem Ende des Dienstverhältnisses Gehaltseinbußen im Ausmaß von 20 v.H. zu erwarten hatte, wobei die Verluste aus Provisionseinkünften im ersten Jahr 40 bis 50 v.H. und im zweiten Jahr 25 bis 30 v.H. betragen. Daraus läßt sich unschwer eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung ableiten. Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens aus dem auf drei Monate befristeten und daher ohnehin nicht gleichwertigen, sondern mit wesentlichen Nachteilen verbundenem Dienstverhältnis von S 17.500 brutto (wobei für die in der Revision angeführten mutmaßlichen Provisionseinkünfte kein Feststellungssubstrat vorhanden ist), ergibt sich bei den gegebenen Folgeprovisionen von S 4.670,54 (oder von rund S 5.494 unter Heranziehung der in der Revision angeführten 17,65 % an Sozialversicherung und der Annahme, daß keine Einkommensteuer anfällt) noch immer eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers von über 20 v.H. Die Ausführungen der Revision zum Vergleich von Brutto- oder Nettoeinkommen sind daher hier nicht von Bedeutung.

Der Revision ist daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.

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