OGH 9ObA255/92

OGH9ObA255/9211.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Rupert Gnant in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** P*****, Angestellter, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch *****, Rechtsanwälte *****, wegen Anfechtung einer Entlassung gemäß § 106 ArbVG, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Juni 1992, GZ 33 Ra 36/92-47, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5.September 1991, GZ 23 Cga 44/90-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 19.069,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 3.178,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der von 1984 bis 1987 bei einem Großmarkt als Betriebsleiter tätig war, wurde ab 3.7.1989 bei der beklagten Partei mit einem monatlichen Bruttogehalt von 35.000 S angestellt; er war ab Oktober 1989 beim I*****-Markt-M***** als zweiter Geschäftsführer tätig. Dort hatte er die gleichen Kompetenzen wie der erste Geschäftsführer, war diesem jedoch unterstellt.

Die beklagte Partei gehört zum S*****-Konzern; Muttergesellschaft ist die S***** AG. Diese hat mehrere 100 %ige Töchter, darunter auch die beklagte Partei. Die Organisationsstruktur des S*****-Konzerns ist über alle Tochtergesellschaften hinweg einheitlich aufgebaut und besteht in einer Stab- und einer Linienorganisation, in der den jeweiligen Geschäftsleitern für eine bestimmte Region ein Regionalleiter übergeordnet und diesem wiederum ein Geschäftsführer vorgesetzt ist. Die Kompetenzen des Geschäftsleiters sind im personellen Bereich grundsätzlich unbeschränkt; lediglich bei den ihm unterstellten Abteilungsleitern hat er bei personellen Maßnahmen, wie Aufnahmen und Entlassungen, den Regionalleiter zu verständigen. Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen werden vom Geschäftsleiter geführt, diese jedoch nicht von ihm abgeschlossen. Für den konkreten Betrieb, den der Kläger leitete - in diesem sind 110 Beschäftigte tätig - wurde ebenso wie für die Zentrale der beklagten Partei in S*****ein eigener Betriebsrat gewählt. Der Kläger hat - sowie auch die anderen Geschäftsleiter - bei den Betriebsratswahlen nie gewählt. Die Warendisposition innerhalb des Betriebes obliegt im wesentlichen den dem Geschäftsleiter unterstellten Abteilungsleitern. Der Geschäftsleiter kann auch selbständig über die generell von der Zentrale vorgegebenen Preise disponieren, muß sich jedoch insgesamt im Rahmen des vorgegebenen Budgets halten. Dieses wird gemeinsam von den Geschäftsleitern, Verwaltungsleitern und der Geschäftsleitung in S***** erarbeitet und letztlich von der Geschäftsleitung in S***** festgelegt. Es enthält verschiedene Vorgaben, wie etwa Personalkosten und Umsatz. Wie das Budget erreicht wird, liegt in der Kompetenz des jeweiligen Geschäftsleiters. Der Einkauf erfolgt im wesentlichen durch die Zentrale in S*****; beim I*****-Markt-M***** werden jedoch Einkäufe im Umfang von 10 Millionen Schilling jährlich (bei einem Gesamtjahresumsatz von 150 Millionen Schilling) direkt durchgeführt. Der Geschäftsleiter des I*****-Marktes-M***** kann weiters über ein jährliches Werbebudget von 1,5 Millionen Schilling selbständig disponieren. Auch gegenüber dem Arbeitsinspektorat ist der Geschäftsleiter der zuständige Verhandlungspartner. Im allgemeinen ist der jeweilige Geschäftsleiter auch gewerberechtlich verantwortlich; beim Kläger war dies jedoch noch nicht der Fall, weil die Formalitäten dafür noch einige Zeit in Anspruch genommen hätten. Nach dem Ausscheiden des ersten Geschäftsleiters im Jänner 1990 fungierte der Regionalleiter formell als erster Geschäftsführer; tatsächlich wurden aber die Geschäfte vom Kläger geführt. Da der Regionalleiter zum Ergebnis gelangte, daß der Kläger für die Position eines ersten Geschäftsleiters doch nicht geeignet sei, sprach er am 28.2.1990 dessen Kündigung aus. Da der Kläger der wiederholten Aufforderung zur Herausgabe der Schlüssel - er war im Besitz eines Generalschlüssels und verwahrte diverse Safeschlüssel - nicht nachkam, sprach die beklagte Partei mit Schreiben vom 5.3.1990 die Entlassung zum 1.3.1990 aus.

Der Kläger begehrt zu erkennen, daß diese Entlassung rechtsunwirksam sei. Schon die Kündigung sei nicht wirksam erfolgt, weil der Betriebsrat zuvor nicht verständigt worden sei. Auch die Entlassung sei nicht wirksam, weil sie unzulässigerweise rückwirkend ausgesprochen worden und der Betriebsrat verspätet verständigt worden sei. Der Kläger habe keine Entlassungsgründe zu verantworten. Da der Betriebsrat keine Zustimmung erteilt habe, sei der Kläger zur Anfechtung gemäß § 106 ArbVG berechtigt; die Entlassung sei sozial ungerechtfertigt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Entlassung sei berechtigt und auch fristgerecht ausgesprochen worden. Der Kläger sei leitender Angestellter gemäß § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG, dem maßgebender Einfluß auf die Führung des Betriebes zugestanden sei. Der II. Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes sei daher auf das Dienstverhältnis des Klägers nicht anwendbar. Der Betriebsrat habe auch aus diesem Grund eine Wahrnehmung der Interessen des Klägers abgelehnt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger seien weitgehende Entscheidungsbefugnisse im kaufmännischen Bereich zugekommen; er habe auch im administrativen, insbesondere im personellen Bereich die wesentlichen Entscheidungen auf Betriebsebene zu treffen gehabt und sei daher leitender Angestellter im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG gewesen. Die Bestimmungen über die Anfechtung der Entlassung kämen daher auf ihn nicht zur Anwendung, so daß seinem Begehren die gesetzliche Grundlage fehle. Selbst wenn aber der Kläger nicht als leitender Angestellter einzustufen wäre, fehlte seinem Begehren die Berechtigung, weil er den Nachweis einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung nicht erbracht habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Kläger sei - wie vom Erstgericht zutreffend begründet wurde (§ 500a ZPO) - leitender Angestellter gewesen. Die Weigerung des Klägers die Schlüssel herauszugeben erfülle einen Entlassungstatbestand, so daß es sich gemäß § 106 ArbVG erübrige, die Sozialwidrigkeit der Auflösung des Dienstverhältnisses zu prüfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Unterlassung der Vernehmung von Zeugen, auf die sich der Kläger zum Nachweis seines Vorbringens berufen hatte, durch das Erstgericht war bereits Gegenstand der Mängelrüge der Berufung. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Ausführungen auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gelangt, daß ein Verfahrensmangel nicht vorliege. Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, können jedoch auch im arbeitsrechtlichen Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (RZ 1989/16; 9 Ob A 65/84 ua). Dem Revisionsgericht ist daher ein Eingehen auf die diesbezüglichen Ausführungen des Rechtsmittels verwehrt.

Die Anfechtung der Entlassung durch den Kläger könnte nur dann in Betracht kommen, wenn er nicht als leitender Angestellter gemäß § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG von der Geltung des II. Teiles des ArbVG ausgenommen wäre. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sind als leitende Angestellte Personen anzusehen, denen maßgebender Einfluß auf die Führung des Betriebes zusteht. Den EB zur RV (840 BlgNR 13. GP 70) ist zu entnehmen, daß der Grund für die in § 36 Abs 2 ArbVG normierten Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen in der gegenüber den übrigen Dienstnehmern erheblich abweichenden Interessenlage dieser Personengruppe liegt. Leitender Angestellter im Sinne dieser Gesetzesbestimmung ist daher vor allem ein Dienstnehmer, der durch seine Position an der Seite des Dienstgebers und durch Ausübung von Dienstgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Dienstnehmern geraten kann. Bei den Dienstnehmerfunktionen, die die Unterstellung unter den Begriff des leitenden Angestellten rechtfertigen können, steht daher der Einfluß auf die Eingehung und Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Vordergrund. Maßgeblich ist aber auch die Ingerenz in Gehaltsfragen, bei Vorrückungen, bei der Urlaubseinteilung, bei der Anordnung von Überstunden, bei der Ausübung des Direktionsrechtes und bei der Aufrechterhaltung der Disziplin im Betrieb. Auch wenn der Einfluß des Angestellten auf eine Betriebsabteilung auf Teilbereiche eingeschränkt ist, kann er in die Interessensphären anderer Dienstnehmer eingreifen und in einen Interessengegensatz zu diesen geraten. Völlige Weisungsfreiheit ist hingegen nicht erforderlich und kann mit Rücksicht auf die nach den Kriterien des Arbeitsvertragsrechtes erforderliche Dienstnehmereigenschaft auch des leitenden Angestellten nicht verlangt werden (Mayer-Maly, Der leitende Angestellte im österreichischen Recht, ZAS 1974, 203 ff [205, 207 und 208]; Schwarz - Löschnigg, Arbeitsrecht4 130 f; Strasser in Floretta - Strasser, HandkommzArbVG 224; Cerny, Arbeitsverfassungsgesetz8, 138 ff; Arb 5277; DRdA 1979, 146). In diesem Zusammenhang ist vor allem auf die im Abschnitt 3 des 3. Hauptstückes des II. Teiles des ArbVG geregelte Mitwirkung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten hinzuweisen, in deren Rahmen der leitende Angestellte, dem Einfluß auf die Begründung, Beendigung und Gestaltung von Dienstverhältnissen zukommt, in der Gegenposition in eigener Verantwortung getroffene Personalentscheidungen zu vertreten hat. Da auch auf betrieblicher Ebene zu verlangen ist, daß die Willensbildung in der Vertretung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gegenüber der anderen Seite unbeeinflußt und unabhängig erfolgen kann, ist die Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG aus dem Gesichtpunkt der Gegnerfreiheit sachlich gerechtfertigt (Marhold in Mayer-Maly-Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht2 II 136; 9 Ob A 110/92).

Da der Kläger vorerst als zweiter Geschäftsleiter mit den gleichen Befugnissen wie der erste Geschäftsleiter und nach dessen Ausscheiden de facto überhaupt alleine für den Betrieb im personellen Bereich unbeschränkte Kompetenzen hatte, Dienstverhältnisse selbständig begründen und beenden durfte und darüber hinaus seiner Disposition auch im kaufmännischen Bereich wesentliche Entscheidungen unterlagen, kamen ihm bei der Gestaltung der Dienstverhältnisse der ihm unterstellten Mitarbeiter und auch bei der Führung des Betriebes so weitgehende rechtliche Kompetenzen zu, daß er, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, als leitender Angestellter im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3ArbVG anzusehen war. Daß der Kläger nicht mit Prokura ausgestattet war, spricht nicht dagegen, war er doch von der beklagten Partei in maßgebendem Umfang mit den zur weitgehend selbständigen Führung des Betriebes erforderlichen Vollmachten ausgestattet; dem Umstand, daß er (noch) nicht gewerberechtlicher Geschäftsführer war, kommt für die hier zu entscheidende Frage keine Bedeutung zu. Auch die Tatsache, daß der Wareneinkauf weit überwiegend von der Zentrale durchgeführt wurde, steht einer Qualifikation des Klägers als leitender Angestellter nicht entgegen. Obwohl der Verfügungsberechtigung in diesem Bereich für die Entscheidung der Frage, ob jemand als leitender Angestellter im Sinne des ArbVG anzusehen ist, keine wesentliche Bedeutung zukommt, durfte der Kläger überdies auch im kaufmännischen Bereich in nicht unbeträchtlichem Umfang eigenverantwortlich disponieren. Maßgeblich ist vor allem die Entscheidungsbefugnis im personellen Bereich, weil sie den Interessengegensatz zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern bewirkt, der der Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG zugrundeliegt. In diesem Bereich war aber der Kläger nahezu unumschränkt selbständig entscheidungsberechtigt. Daher gilt für ihn der Schutz der §§ 105 ff ArbVG nicht (Floretta - Strasser HandkommzArbVG 625). Für die auf § 106 ArbVG gestützte Anfechtung der Entlassung fehlt daher eine gesetzliche Grundlage. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Frage der Berechtigung der Entlassung bzw ihrer Sozialwidrigkeit braucht daher im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.

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