OGH 9ObA241/02k

OGH9ObA241/02k18.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jörg Krainhöfner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitte D*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Richard Benda, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, 8010 Graz, Neutorgasse 46, vertreten durch Dr. Kurt Klein ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen Anfechtung einer Entlassung (EUR 8.720,74,--), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Mai 2002, GZ 7 Ra 128/02a-26, womit über Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Dezember 2001, GZ 33 Cga 74/01k-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in der Abweisung des Klagehauptbegehrens als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im Übrigen - nämlich in der Entscheidung über das Eventualbegehren - dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt wie folgt zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die am 8. Mai 2001 gegenüber der Klägerin ausgesprochene Entlassung unwirksam und ihr Dienstverhältnis zur beklagten Partei bis zu einer ordnungsgemäßen Auflösung weiterhin aufrecht ist, wird abgewiesen.

Das Eventualbegehren, es werde festgestellt, dass die am 8. Mai 2001 ausgesprochene Entlassung als Kündigung gelte, wird ebenfalls abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.264,46 (darin enthalten EUR 377,41 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit EUR 2.790,08 (darin enthalten EUR 323,68 Umsatzsteuer und EUR 848 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei weiters ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.685,06 (darin enthalten EUR 104,01 Umsatzsteuer und EUR 1.061 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stand seit 25. 1. 1990 als Vertragsbedienstete in einem unbefristeten Dienstverhältnis mit der Republik Österreich, Post- und Telegraphenverwaltung. Im Zuge der mit dem Poststrukturgesetz 1996 erfolgten Ausgliederung der Post wurde sie Angestellte der Beklagten. Sie verrichtete ihre Tätigkeit bis zum 7. 5. 2001 ohne jede Beanstandung und wurde aufgrund ihrer besonderen Eignung im Jahr 1998 um drei Entlohnungsgruppen höher eingestuft. Seit 1998 war sie als Postamtsleiterin des (kleinen) Postamtes H***** eingesetzt, ab 10. 7. 2000 als Leiterin des (ebenfalls kleinen) Postamtes G***** bestellt. Die Klägerin war Inhaberin eines PSK - Gehaltskontos, auf das ihr Gehalt üblicherweise am 8. jeden Monats gutgebucht wurde. Im Sommer 2000 wurde ihr über ihr Ersuchen ein Überziehungsrahmen von S 30.000,- eingeräumt, den sie auch ausschöpfte. Nach der damals geschlossenen Rückzahlungsvereinbarung sollte sie den Sollsaldo ihres Kontos mit 10. eines jeden Monats jeweils um S 1.000 absenken; der insoweit reduzierte Sollsaldo sollte sodann den Überziehungsrahmen bis zum nächsten Monatsersten bilden. Diese Vereinbarung wurde von der Klägerin immer eingehalten.

Nach der ihr bekannten Dienstanweisung "Dienstunterricht - Scheckverkehr" sind Barabhebungen von PSK - Konten nur zulässig, wenn vor deren Durchführung geprüft wurde, ob das Konto für die beabsichtigte Behebung gedeckt ist.

Am 7. 5. 2001 - also einen Tag vor der Buchung ihres Gehalts - wies das Konto der Klägerin einen Sollsaldo von S 22.986,81 auf. Ihr war bewusst, dass damit ihr aktueller Überziehungsrahmen in Höhe von S 23.000 nahezu zur Gänze ausgeschöpft war und der verfügbare Betrag daher nur ca S 15 betrug. Eine Barabhebung mittels Bankomatkarte wäre daher an diesem Tag nicht möglich gewesen. Ebenso wäre eine Deckungsrückfrage mittels Telefoncomputer, zu der die Klägerin im Falle einer Abhebung nach den Dienstvorschriften verpflichtet war, negativ verlaufen. Die Klägerin hätte an diesem Tag - wenn überhaupt - nur nach einer telefonisch eingeholten Auszahlungsermächtigung beim zuständigen PSK-Mitarbeiter abheben können. Ob diese im Ermessen des PSK-Mitarbeiters stehende Ermächtigung erteilt worden wäre, ist nicht feststellbar. Da die PSK schon einmal einen Debetsaldo auf dem Konto der Klägerin eingeklagt hatte, wäre eines solche Ermächtigung nur erschwert möglich gewesen.

Am Abend des 7. 5. 2001, nach Kassaschluss, fiel der Klägerin ein, dass sie noch Bargeld brauchte, um von ihr vorgenommene Behebungen vom Konto ihres Ehegatten abzudecken und einkaufen zu können. Zunächst wollte sie die Geldentnahme mit einem Ersatzscheck verrechnen und die Kassaabrechnung wiederholen. Dazu kam sie aber nicht mehr, weil zunächst noch Kunden erschienen und sie die Abrechnung dem um 17.13 Uhr abfahrenden Postbus mitgeben musste. Sie entnahm daraufhin der Kassa S 3.700, ohne einen Ersatzscheck oder einen sonstigen Beleg darin zu hinterlassen, jedoch in der Absicht, gleich am Morgen des nächsten Tages einen Ersatzscheck auszufüllen und an der dafür vorgesehenen Stelle zu deponieren. Am Morgen des 8. 5. 2001 fand routinemäßig eine unangekündigte Kassenprüfung durch den zuständigen Filialmanager statt. Es war klar, dass dabei die irreguläre Geldentnahme hervorkommen würde. Nach Beginn der Kassaprüfung, noch vor 8 Uhr, begann die Klägerin im Beisein des bei ihrem Eintreffen bereits anwesenden Kontrollors einen Ersatzscheck auszufüllen. Darauf angesprochen, gab sie die Geldentnahme zu, begründete sie jedoch zunächst mit unzutreffenden Darstellungen über den Grund für ihren Geldbedarf. Erst als sich diese Darstellungen im Zuge von Nachprüfungen als unrichtig erwiesen, nannte sie den wahren Grund für ihr Verhalten. Die unrichtigen Angaben hatte sie gemacht, weil sie verheimlichen wollte, dass ihr Ehegatte ein Girokonto bei einem anderen Bankinstitut unterhält. Noch am selben Tag sprach der Filialmanager nach Rücksprache mit dem Personalamt der Beklagten die Entlassung der Klägerin aus. Der behobene Betrag wurde mit Wirkung vom 8. 5. 2001 von ihrem Konto, auf dem inzwischen, wie üblich, ihr Gehalt eingelangt war, abgebucht. Mit ihrem Klagehauptbegehren begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die ihr am 8. 5. 2001 ausgesprochene Entlassung unwirksam und ihr Dienstverhältnis zur Beklagten bis zu einer ordnungsgemäßen Auflösung weiterhin aufrecht sei. Eventualiter begehrt sie die Feststellung, dass die Entlassung als Kündigung gelte. Die Klägerin bringt dazu im Wesentlichen vor, dass ihr Verhalten als bloße Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren sei und weder eine Entlassung noch eine Kündigung rechtfertige. Eine Behebung des Betrages wäre im Hinblick auf die bevorstehende Gehaltsüberweisung bei zeitgerechter telefonischer Rücksprache möglich gewesen. Ihre widersprüchlichen Angaben bei Entdeckung der Behebung seien irrelevant, weil sie über die in ihre Privatsphäre fallende Verwendung des behobenen Geldes keine Auskunft geben müsse. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Verhalten der Klägerin verwirkliche den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 50 der Dienstordnung der Beklagten (DO), der inhaltlich dem § 27 Z 1 AngG entspreche. Das Verhalten der Klägerin sei an sich strafbar gewesen, wenngleich ihr tätige Reue zugute käme. Als Kassenbeamtin müsse sie die ihr vorgegebenen Richtlinien genau einhalten. Angesichts ihres Verhaltens müsse der Dienstgeber damit rechnen, dass sie auch andere Geldangelegenheiten nicht korrekt abwickeln werde. Auch die verschiedenen Versionen, mit denen die Klägerin ihr Verhalten zu begründen versucht habe, machten sie des Vertrauens der Beklagten unwürdig.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab, stellte aber in Stattgebung des Eventualbegehrens fest, dass die am 8. 6. 2001 gegenüber der Klägerin ausgesprochene Entlassung als Kündigung gelte.

Es vertrat folgende Rechtsauffassung:

Die Klägerin stehe zwar nach der Ausgliederung der Post in einem dem AngG unterstehenden Angestelltendienstverhältnis; nach § 18 Abs 1 des Poststrukturgesetzes 1996 seien ihr jedoch die vor der Ausgliederung bestehenden Rechte gewahrt geblieben. Nach den §§ 18 Abs 2, 19 Abs 4 des Poststrukturgesetzes 1996 sei auf das Arbeitsverhältnis die Dienstordnung der Beklagten (DO) als Kollektivvertrag anzuwenden. Nach dem Günstigkeitsprinzip sei die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den Bestimmungen der DO zu beurteilen, deren hier in Betracht kommende Entlassungs- und Kündigungsgründe des § 50 Abs 2 lit b bzw des § 48 Abs 2 lit a und lit f jenen der §§ 34 Abs 2 lit b, 32 Abs 2 Z 1 VBG wörtlich bzw. dem Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 Z 6 VBG sinngemäß entsprächen.

Gemäß § 50 Abs 2 lit b DO sei der Dienstgeber ua dann zur Entlassung berechtigt, wenn sich der Dienstnehmer einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder Unterlassung, schuldig mache, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. § 48 Abs 2 lit a DO normiere als Kündigungsgrund die gröbliche Dienstpflichtverletzung oder ein dem Ansehen und den Interessen des Dienstes abträgliches Verhalten, sofern nicht die Entlassung in Frage komme. Die Klägerin habe sich eine gröbliche Verletzung der Dienstpflichten zuschulden kommen lassen, die ihre Kündigung nach § 48 Abs 2 lit a und f DO gerechtfertigt hätte. Auch dürften ihre wahrheitswidrigen Angaben über ihren dringenden Geldbedarf als zusätzliches Element der Vertrauensunwürdigkeit nicht außer Betracht bleiben. Im Hinblick auf ihre jahrelange tadellose Dienstleistung und den Umstand, dass ein Schaden des Dienstgebers nicht eingetreten sei, sei dem Arbeitgeber aber die Weiterbeschäftigung für die Dauer der Kündigungsfrist nicht unzumutbar und die Entlassung daher nicht gerechtfertigt gewesen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und vertrat ebenfalls den Standpunkt, dass die geltend gemachten Entlassungsgründe gerade noch nicht verwirklicht seien. Die unrichtigen Behauptungen der Klägerin über die Verwendung des Geldes seien zur Begründung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit ungeeignet. Die Kündigungsgrund des abträglichen Verhaltens nach § 48 Abs 2 lit f DO sei jedoch verwirklicht. Wäre die Klägerin, der als Leiterin eines kleinen Postamts die Führung der Kassa anvertraut gewesen sei, am Tag nach der Geldentnahme verhindert gewesen, hätte die Kassa nicht gestimmt und hätte die Beklagte die Ursache dafür nicht nachvollziehen können. Von einer bloßen Ordnungswidrigkeit könne nicht mehr gesprochen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung auch des Eventualbegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist iSd § 46 Abs 3 Z 1 ASGG zulässig; sie ist auch berechtigt.

Nach § 50 Abs 2 lit a DO ist der Dienstgeber zur Entlassung ua dann berechtigt, wenn der Bedienstete sich einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. Dieser Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit ist - wie jener nach der wortidenten Bestimmung des § 34 Abs 2 VBG - dann verwirklicht, wenn für den Dienstgeber objektiv die Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Dienstnehmer gefährdet sind. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Dienstnehmers das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (Arb 10.001; Arb 10.212; RdW 1998, 475 uva).

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes hat die Klägerin durch ihr Verhalten diesen Entlassungsgrund verwirklicht. Als Postamtsleiterin, der auch die Kassaführung anvertraut war, nahm sie eine besondere Vertrauensstellung ein. Von einer Bediensteten mit derartigen Aufgaben ist absolute Verlässlichkeit bei der Kassaführung zu erwarten. Diese Verlässlichkeit hat die Klägerin in krasser Weise vermissen lassen, als sie am 7. 5. 2001 nach Dienstschluss (und nach Vornahme des Kassaabschlusses) einen jedenfalls nicht unbeträchtlichen Geldbetrag eigenmächtig und unter Überschreitung ihrer Befugnisse für private Zwecke aus der Kassa entnahm, ohne auch nur einen wie immer gearteten Beleg darin zu hinterlassen. Dies wiegt um so schwerer, als zu diesem Zeitpunkt ihr Konto keine entsprechende Deckung aufwies. Dass sie die Absicht hatte, am nächsten Tag einen Ersatzscheck auszustellen, kann dieses Verhalten nicht entschuldigen, zumal ja die Klägerin - wie schon ausgeführt - keine Hinweise auf die Geldentnahme hinterließ. Völlig zu Recht hat dazu bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass etwa im Falle einer (nie auszuschließenden) unvorhergesehenen Verhinderung der Klägerin, am Folgetag zum Dienst zu erscheinen, die Kassa in einer für die Beklagte in keiner Weise nachvollziehbaren Weise nicht gestimmt hätte. Das festgestellte Verhalten der Klägerin, bei der im Hinblick auf ihre Stellung als leitende Angestellte ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0029341; zuletzt etwa 8 ObA 12/02a), musste das Vertrauen des Dienstgebers in ihre Verlässlichkeit in Geldangelegenheiten schwerstens erschüttern und der Beklagten war daher eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zumutbar. Dass die Klägerin nicht in Schädigungsabsicht handelte, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit weder Schädigungsabsicht noch der tatsächliche Eintritt eines Schadens beim Arbeitgeber erforderlich ist (Kuderna, Entlassungsgrecht2 86 mwN). Ebenso wenig ist die bisher zufriedenstellende Dienstleistung der Klägerin geeignet, den bei einer Postamtsleiterin, der auch die Kassaführung anvertraut ist, besonders schwer wiegenden "Griff in die Kassa" zu exkulpieren. Damit erweist sich die von der Beklagten ausgesprochene Entlassung als gerechtfertigt, sodass auf die Bedeutung der widerlegten Darstellungen der Klägerin über ihren Geldbedarf ebenso wenig einzugehen ist, wie auf den von der Beklagten geltend gemachten weiteren Entlassungsgrund der besonders schweren Dienstpflichtverletzung.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die von der Beklagten dem erstinstanzlichen Kostenverzeichnis zu Grunde gelegte Bemessungsgrundlage war im Hinblick auf die Bewertung des Streitgegenstandes durch die Klägerin zu reduzieren. Die in erster Instanz erfolgte Urkundenvorlage war lediglich nach TP 1 RATG zu honorieren.

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