OGH 9ObA22/24m

OGH9ObA22/24m24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö* AG, *, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.311,94 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 656,82 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2024, GZ 13 Ra 40/23i‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00022.24M.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten zunächst als Zusteller und in der Folge als Teamleiter beschäftigt. Bei Beendigung des Dienstverhältnisses wies sein Zeitkonto Minusstunden auf, für die ihm die Beklagte in den Gehaltsabrechnungen zum Ende des Dienstverhältnisses den Klagsbetrag abzog.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 ObA 58/23x zur Auslegung der auch im vorliegenden Fall anwendbaren „Betriebsvereinbarung gemäß § 4b AZG iVm § 29 ArbVG und gemäß § 73 Abs 2 Z 2 PBVG sowie gemäß § 96 ArbVG über die Flexibilisierung der Normalarbeitszeit sowie über die Verwendung eines EDV-unterstützten Zeiterfassungssystems sowie über begleitende Entgeltregelungen in den Zustellbasen der Division 'Brief' der Ö* AG“ Stellung genommen. Diese sieht unter anderem vor, dass, wenn bis Ende des Dienstverhältnisses Zeitguthaben oder Zeitschulden offen sind, bei der Endabrechnung Zeitguthaben unter Berücksichtigung des zur Auszahlung gelangenden Mehrstunden-/Überstundenpauschales entsprechend den einschlägigen gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen auszubezahlen sind. Zeitschulden werden mit dem Normalstundensatz von auszuzahlenden Beträgen abgezogen.

[3] Der Oberste Gerichtshof ging in der zitierten Entscheidung davon aus, dass es für die Zulässigkeit eines solchen Abzugs unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 1155 ABGB maßgeblich sei, wessen Sphäre der Grund für das Unterbleiben der Arbeitsleistung zuzurechnen sei. Da es die Beklagte durch die Einteilung der Arbeit und die Vorgabe, dass mit der Erledigung der zugewiesenen Arbeit die Arbeitszeit ende, dem Arbeitnehmer unmöglich mache, allfällige Minusstunden abzuarbeiten, seien die Minusstunden der Sphäre der Beklagten zuzurechnen. Ein wirksames Abbedingen des § 1155 ABGB sei nicht zu prüfen, da eine solche Klausel unter den vorliegenden Umständen nach § 879 Abs 1 ABGB unwirksam wäre.

[4] 2. Gegen die Richtigkeit dieser Entscheidung wendet sich auch die Revision der Beklagten nicht. Sie argumentiert vielmehr, dass der Kläger zusätzlich „Mitbesorgungsstunden“, das bedeutet Zustellerdienste in anderen Rayons als dem ihm grundsätzlich zugewiesenen, geleistet habe. Diese Zeiten seien mit Zuschlag ausbezahlt und im Zeitkontingent als Minusstunden eingetragen worden.

[5] 3. Wieso eine vom Arbeitnehmer während der Normalarbeitszeit erbrachte Leistung eine „Minusstunde“ darstellen soll, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagte selbst verweist darauf, dass in diesen Fällen eine Dienstleistung erbracht wurde. Die gesonderte Entlohnung der Mitbesorgungsstunden ist in der Betriebsvereinbarung ausdrücklich vorgesehen. Ob dies bei Erbringung dieser Leistungen im Rahmen der Normalarbeitszeit einen Überbezug darstellt, kann dahingestellt bleiben, weil die Beklagte die Entlohnung für Mitbesorgung ausdrücklich nicht zurückfordert.

[6] 4. Selbst wenn man aber der Beklagten darin folgt, dass diese Stunden im Zeitkontingent des Klägers zu Recht abgezogen wurden, ist für sie daraus nichts zu gewinnen. Sie behauptet nicht, dass, hätte der Kläger sich nicht zu Mitbesorgungsstunden bereit erklärt oder eingeteilt, er zu anderen Arbeitsleistungen herangezogen worden wäre. Wie das Berufungsgericht ausführt, hatte der Kläger auf die Menge der ihm zugewiesenen Arbeiten ebenso wenig Einfluss wie auf die Ermittlung des Zeitaufwands für seine Teamleitertätigkeit. Die Rayongrößen und damit die Menge der Zustellungen wurden ausschließlich von der Beklagten festgelegt. Die von ihr behaupteten Minusstunden sind daher ebenfalls auf ihre Rayoneinteilung und nicht auf ein Verhalten des Klägers zurückzuführen,

[7] 5. Auf die in der Revision aufgeworfenen Fragen einer betriebliche Übung und eines (stillschweigenden) Verzichts kommt es daher nicht an.

[8] 6. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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