OGH 9ObA148/07s

OGH9ObA148/07s28.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Lechner ua, Rechtsanwälte in Steyr, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert EUR 636,61), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Juli 2007, GZ 11 Ra 46/07z-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Februar 2007, GZ 27 Cga 29/06x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Es wird festgestellt, dass 1. Manfred R*****, 2. Martin H*****, und

3. Regina H*****, die in der Zeit vom 1. 9. 2004 bis 31. 10. 2006 in befristeten Arbeitsverhältnissen zur beklagten Partei standen, gemäß Abschnitt IV des Kollektivvertrags für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie Anspruch auf Freizeit unter Fortzahlung des Entgelts wie im Fall einer Kündigung durch den Arbeitgeber gehabt hätten."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 199,87 (darin EUR 33,31 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahr 2004 wurden von der Beklagten mit 200 Arbeitnehmern befristete Arbeitsverhältnisse begründet. Dazu war es gekommen, weil die Fertigung eines bestimmten Automotors wegen Umbauarbeiten an einem bestimmten Standort in Deutschland zur Beklagten nach Österreich verlagert wurde. Dabei stand von vornherein fest, dass diese Motorenproduktion bis 2006 laufen werde. Unter anderem standen auch die Arbeiter Manfred R*****, Martin H***** und Regina H***** in der Zeit vom 1. 9. 2004 bis 31. 10. 2006 in befristeten Arbeitsverhältnissen zur Beklagten. Bereits im jeweiligen Dienstzettel war angeführt worden, dass von der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Fristablauf hinaus nicht in Betracht gezogen werde. Diese Arbeitsverhältnisse unterlagen dem Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (im Folgenden kurz KollV). Vor der Beendigung der Arbeitsverhältnisse ersuchten die drei genannten Arbeitnehmer schriftlich um Freizeitgewährung „während der Kündigungsfrist". Die Beklagte erklärte sich „auf freiwilliger Basis" bereit, drei Tage zur Postensuche zu gewähren. Nach dem KollV hätte im Fall einer Arbeitgeberkündigung die Kündigungsfrist bei einer Betriebsangehörigkeit des Arbeitnehmers von über zwei bis fünf Jahren zwei Monate zum Monatsletzten betragen (Abschnitt IV Pkt 4 KollV). Der klagende Betriebsrat begehrt mit der vorliegenden Klage gemäß § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die drei vorgenannten Arbeiter, „welche alle ihr Arbeitsverhältnis vom 1. September 2004 bis 31. Oktober 2006 befristet haben, entsprechend Abschnitt IV des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie Anspruch auf Freizeit während der Kündigungsfrist wie bei Arbeitgeber-Kündigung haben". Gemäß Abschnitt IV Pkt 7 KollV stehe Arbeitnehmern während der Kündigungsfrist, die bei einem Arbeitsverhältnis, das über zwei Jahre dauere, zwei Monate zum Monatsletzten betrage, in jeder Woche ein freier Arbeitstag, mindestens jedoch 8 Stunden, unter Fortzahlung des Entgelts zu. Da die gegenständlichen Arbeitsverhältnisse im Interesse der Beklagten befristet worden seien, stehe dieser Anspruch auf Gewährung von Freizeit auch den drei genannten Arbeitnehmern während der „fiktiven" Kündigungsfrist zu. Diesbezügliche Urgenzen bei der Beklagten seien jedoch ohne Erfolg geblieben.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren aus rechtlichen Gründen, beantragte dessen Abweisung und wendete ein, dass im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Freizeit „während der Kündigungsfrist" schon begrifflich nicht bestehen könne. Befristete Arbeitsverhältnisse bedürften nämlich keiner Kündigung, sondern endeten mit dem vereinbarten Termin. Der gegenständliche KollV sehe in Abschnitt IV Pkt 7 „Postensuchtage" nur bei Kündigung durch den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, nicht jedoch für befristete Arbeitsverhältnisse, vor. Für diese bestehe in Abschnitt IV Pkt 7a KollV eine Sonderregelung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen bei nicht rechtzeitiger Mitteilung der Nicht-Verlängerungsabsicht durch den Arbeitgeber ein Ersatz gebühre. Ein derartiger Fall liege jedoch hier nicht vor. Dass die befristeten Arbeitsverhältnisse nicht fortgesetzt werden, sei von Anfang klar gewesen. Das Klagebegehren sei auch völlig unbillig, weil die Beklagte ohnehin auf freiwilliger Basis drei Tage zugestanden habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung des wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalts ab. Der KollV enthalte keine Regelung, ob und wieviele freie Arbeitstage bei befristeten Arbeitsverhältnissen zu gewähren seien. Bei Richtigkeit des Standpunkts des Klägers stünde eine drei Tage übersteigende Entschädigung zu. Dass Abschnitt IV Pkt 7a KollV nur eine Entschädigung für drei Tage vorsehe, könne daher nur bedeuten, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen keine Postensuchtage vorgesehen seien.

Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge, sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei. Gemäß § 1160 Abs 4 ABGB könnten durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen bis hin zur völligen Streichung des Entgeltfortzahlungsanspruchs getroffen werden. Aus Abschnitt IV Pkt 7 KollV folge, dass die Kollektivvertragsparteien nur einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Postensuchtage „während der Kündigungsfrist" regeln wollten. Den Kollektivvertragsparteien könne nicht unterstellt werden, dass ihnen nicht bewusst gewesen sei, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis grundsätzlich ohne Kündigung ende und es daher keine Kündigungsfrist gebe. Im Zusammenhalt mit Abschnitt IV Pkt 7a sei davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien bei einem befristeten Arbeitsverhältnis keine Postensuchtage gewähren, den Arbeitgeber aber verpflichten wollten, die Arbeitnehmer darüber zu informieren, dass er das Arbeitsverhältnis nicht über die Befristung hinaus fortsetzen wolle. Mit Abschnitt IV Pkt 7a KollV würden daher keine konsumierbaren Postensuchtage entschädigt. Zweck des § 1160 ABGB sei es, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, sich nach der Arbeitgeberkündigung um einen neuen Arbeitsplatz umzusehen, um möglichst nahtlos mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem neuen Arbeitgeber wechseln zu können. Wenn hingegen wie im vorliegenden Fall von vornherein Klarheit darüber bestehe, dass das Arbeitsverhältnis nicht über den Ablauf der Befristung hinaus bestehe, dann sei der Arbeitnehmer keinem besonderen zeitlichen Druck ausgesetzt, sondern habe von Anfang an die Möglichkeit, sich rechtzeitig um ein neues Arbeitsverhältnis umzusehen. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 2b Abs 1 AVRAG liege nicht vor. Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt. § 1160 ABGB ("Freizeit während der Kündigungsfrist") lautet in der am 1. 1. 2001 in Kraft getretenen Fassung des Arbeitsrechtsänderungsgesetzes 2000 (ARÄG 2000), BGBl I 2000/44, wie folgt:

„(1) Bei Kündigung durch den Dienstgeber ist dem Dienstnehmer während der Kündigungsfrist auf sein Verlangen wöchentlich mindestens ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ohne Schmälerung des Entgelts freizugeben.

(2) Ansprüche nach Abs 1 bestehen nicht, wenn der Dienstnehmer einen Anspruch auf eine Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung hat, sofern eine Bescheinigung über die vorläufige Krankenversicherung vom Pensionsversicherungsträger ausgestellt wurde.

(3) Abs 2 gilt nicht bei Kündigung wegen Inanspruchnahme einer Gleitpension gemäß § 253c ASVG.

(4) Durch Kollektivvertrag können abweichende Regelungen getroffen werden."

§ 22 AngG idF ARÄG 2000 entspricht nahezu wörtlich dem § 1160 ABGB; es wurde lediglich der Ausdruck „Dienstnehmer" durch „Angestellter" ersetzt (vgl auch die im Wesentlichen gleichlautenden § 20 GAngG, § 16 HausgG, jeweils idF ARÄG 2000). Nach diesen Bestimmungen besteht ein Freizeitgewährungsanspruch des Arbeitnehmers im Fall der Arbeitgeber-Kündigung, sofern er nicht in Pension geht (Schindler in Mazal/Risak, Arbeitsrecht Kap XX Rz 9 ua). Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer besteht seit dem ARÄG 2000 kein Freizeitgewährungsanspruch mehr (Löschnigg, ARÄG 2000 - Dienstverhinderungen/Krankenstand und Freizeit während der Kündigungsfrist, in Resch, Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht: ARÄG 2000 und Pensionsreform 2000, 13 [25]; Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 22 Rz 9 ua). Wer sich vom ARÄG 2000 eine Klarstellung zur Frage der Postensuchtage im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf (oder durch einvernehmliche Auflösung) erhofft hat, wurde enttäuscht. Die Angaben in der Regierungsvorlage sind noch dazu widersprüchlich (Drs, Neues aus dem Arbeits- und Sozialrecht: Das ARÄG 2000, RdW 2000, 479 [480]). Während im Vorblatt der Regierungsvorlage (dort sogar ausdrücklich als „Ziel" hervorgehoben) und auch in den erläuternden Bemerkungen zu § 16 HausgG nur vom Entfall der Postensuchtage bei Selbstkündigung des Arbeitnehmers die Rede ist (RV 91 BlgNR 21. GP 13, 16), was die Möglichkeit der Freizeit beim befristeten Arbeitsverhältnis offenlässt, heißt es in den erläuternden Bemerkungen zu § 1160 ABGB und (durch Verweis) auch zu § 22 AngG, dass gemäß diesen Bestimmungen ein Anspruch auf Postensuchtage nur mehr bei Kündigung durch den Arbeitgeber bestehe (RV 91 BlgNR 21. GP 15, 17). Soll ab dem ARÄG 2000 Freizeit nur mehr im Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber zustehen, dann hätte man sich in der Regierungsvorlage unter der Auflistung der Zielsetzungen nicht nur die Erwähnung des Entfalls der Postensuchtage bei Selbstkündigung des Arbeitnehmers erwartet. Auch eine Abgrenzung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, der bereits im Jahr 1993 im Einklang mit der überwiegenden Lehre die analoge Anwendung des § 22 AngG auf befristete Arbeitsverhältnisse - ausgenommen jedoch solche von besonders kurzer Dauer - bejaht hatte (9 ObA 604/92, DRdA 1993/55 [Eypeltauer], ZAS 1994/8 [Egger] ua), hätte diesfalls zur Klarstellung beigetragen. Eine solche unterblieb jedoch. Ob auf Grund der Änderungen durch das ARÄG 2000 an der Analogie festzuhalten ist, ist strittig (Spenling in KBB § 1160 ABGB Rz 1 ua). Vom Obersten Gerichtshof war seither noch kein einschlägiger Fall zu beurteilen. Es gibt jedoch bereits mehrere Stellungnahmen im Schrifttum zur Frage, ob sich durch das ARÄG 2000 etwas an der Möglichkeit (bzw Notwendigkeit) geändert hat, die § 1160 ABGB, § 22 AngG ua weiterhin analog auf befristete Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Den Argumenten der Befürworter einer analogen Anwendung, insbesondere in jenen Fällen, in denen die Initiative für die Beendigung und das Interesse daran überwiegend dem Arbeitgeber zuzurechnen ist (vgl Löschnigg in Resch aaO 26 f; ders, Arbeitsrecht10 597; Krejci in Rummel, ABGB³ § 1160 Rz 8; Pfeil in Schwimann, ABGB³ § 1160 Rz 3; Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 22 Rz 14; Drs in ZellKomm § 22 AngG Rz 7; Schindler aaO Rz 11; Pacic, Problembereiche bei der Freizeit während der Kündigungsfrist [Postensuchtage], ASoK 2007, 458 [in Druck] ua) stehen einige Gegenstimmen gegenüber, die sich vor allem auf den eingeschränkten Gesetzeswortlaut stützen (Kaszanits, Das ARÄG 2000, ASoK 2000, 235 [237] ua) und eine „gewollte Lücke" sehen, deren Schließung dem Gesetzgeber vorbehalten ist (Rotter, Wann gebührt Freizeit zur Postensuche?, ASoK 2002, 217).

Zutreffend verwies das Berufungsgericht darauf, dass im vorliegenden Fall die Frage, ob die § 1160 ABGB, § 22 AngG ua idF ARÄG 2000 weiterhin auf befristete Arbeitsverhältnisse analog anzuwenden sind, dahingestellt bleiben kann, weil der klagende Betriebsrat sein Feststellungsbegehren nicht unmittelbar auf das Gesetz, sondern auf den anzuwendenden Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (KollV) stützt. Dies folgt aus § 1160 Abs 4 ABGB, der schon in der Fassung seit der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl 1993/502, vorsieht, dass durch Kollektivvertrag (vom Gesetz) „abweichende" Regelungen getroffen werden können. Die abweichenden Regelungen durch Kollektivvertrag können auch zum Nachteil der Arbeitnehmer ausfallen (vgl Karl aaO § 22 Rz 69; Drs in ZellKomm § 22 AngG Rz 4; Schindler aaO Rz 8 ua). Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 9. 7. 1993 wurde jedoch zur Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die KollV-Ermächtigung nicht zum Anlass genommen wird, generelle Verschlechterungen der gesetzlichen Bestimmungen durch Kollektivverträge vorzunehmen (AB 1222 BlgNR 18. GP 2). Die Kollektivvertragsparteien machten beim gegenständlichen KollV von der gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch und trafen eine abweichende Regelung. Sie geht dem Gesetz vor (Schindler aaO Rz 8 ua). An der erfolgten Regelung ist bemerkenswert, dass die auf die Beendigung der gegenständlichen Arbeitsverhältnisse anzuwendende Fassung des am 1. 11. 2005 in Kraft getretenen KollV nicht die Änderungen des § 1160 ABGB auf Grund des ARÄG 2000 nachvollzogen hat. Sie orientiert sich vielmehr in Bezug auf die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an jener Fassung des § 1160 ABGB, die auf Grund der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 in der Zeit vom 30. 7. 1993 bis 31. 12. 2000 gegolten hat. Zur Veranschaulichung seien hier die maßgeblichen Fassungen des § 1160 ABGB und des Abschnitts IV KollV gegenübergestellt. § 1160 ABGB idF Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 lautet wie folgt:

„(1) Während der Kündigungsfrist sind dem Dienstnehmer auf sein Verlangen wöchentlich mindestens acht Arbeitsstunden ohne Schmälerung des Entgelts freizugeben, bei Kündigung durch den Dienstnehmer mindestens vier Stunden.

(2) Ansprüche nach Abs 1 bestehen nicht

1. bei Kündigung durch den Dienstnehmer wegen Inanspruchnahme einer Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung;

2. bei Kündigung durch den Dienstgeber, wenn der Dienstnehmer einen Anspruch auf eine Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung hat, sofern eine Bescheinigung über die vorläufige Krankenversicherung vom Pensionsversicherungsträger ausgestellt wurde (§ 10 Abs 7 ASVG).

(3) Abs 2 gilt nicht bei Kündigung wegen Inanspruchnahme einer Pension gemäß § 253c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, in der jeweils geltenden Fassung.

(4) Durch Kollektivvertrag können abweichende Regelungen getroffen werden."

Diese Fassung des § 1160 ABGB war laut zugrundeliegender Regierungsvorlage von der Zielsetzung getragen, dass Arbeitnehmer im Kündigungszeitraum eine bestimmte Freizeit ohne Schmälerung des Entgelts und ohne Begründungspflicht beanspruchen können sollen. Bei Selbstkündigung soll jedoch den Arbeitnehmern dieser Freistellungsanspruch nur im halben Ausmaß zustehen. Im Pensionsfall - mit Ausnahme der Gleitpension - soll er überhaupt zur Gänze entfallen (RV 1194 BlgNR 18. GP 14).

Die maßgeblichen Regelungen des Abschnitts IV KollV („Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses") lauten in allen KollV-Fassungen seit dem 1. 11. 1998 wie folgt:

„7. Während der Kündigungsfrist hat der Arbeitnehmer - ausgenommen bei Verzicht auf die Arbeitsleistung - in jeder Arbeitswoche Anspruch auf jedenfalls einen freien Arbeitstag, mindestens jedoch 8 Stunden unter Fortzahlung des Entgeltes. Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer beträgt die Freizeit mindestens 4 Stunden. Für Kündigungen bei Erreichen des Pensionsalters gilt § 22 Abs 2 und 3 AngG. Im Falle von Schichtarbeit gelten diese Bestimmungen sinngemäß. An welchem Tag die Freizeit beansprucht werden kann, ist zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, sind die letzten 8 (bzw 4) Stunden der Arbeitswoche frei.

7a. Gibt der Arbeitnehmer im Laufe eines befristeten Arbeitsverhältnisses keine Äußerung ab, das Arbeitsverhältnis nicht über die Befristung hinaus fortsetzen zu wollen bzw besteht nicht von vornherein Klarheit darüber, dass eine Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht beabsichtigt ist, ist die Absicht, ein mit Ablaufdatum befristetes Arbeitsverhältnis von mehr als zweimonatiger Dauer (einschließlich eines allfälligen Probemonates) nicht über den Ablaufzeitpunkt hinaus fortzusetzen, dem Arbeitnehmer spätestens 2 Wochen vor Fristablauf mitzuteilen. Erfolgt die Mitteilung nicht oder verspätet, ist der auf den Zeitraum von 3 Tagen entfallende Verdienst über das mit Fristablauf beendete Arbeitsverhältnis hinaus als Ersatz für nicht konsumierte Freizeit (anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - § 22 AngG) zu bezahlen."

Beim Feststellungsbegehren des klagenden Betriebsrats geht es um die Frage, ob im anzuwendenden KollV der Freizeitanspruch eines Arbeiters bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf eine bestimmte Beendigungsart eingeschränkt wird. Dies ist nach den Auffassungen der Beklagten und der Vorinstanzen der Fall. Sie folgern vor allem aus der Formulierung „während der Kündigungsfrist", dass ein Freizeitanspruch nur im Fall der Kündigung in Frage komme. Anders aber als nach § 1160 Abs 1 ABGB idF ARÄG 2000 - insoweit herrscht Einigkeit - schließt auch die Arbeitnehmerkündigung den Freizeitgewährungsanspruch des Arbeitnehmers nicht aus. Die von den Vorinstanzen und der Beklagten angestellten Überlegungen, die zwar die Arbeitnehmerkündigung miteinbeziehen, den Fristablauf bei einem auf 26 Monate befristeten Arbeitsverhältnis jedoch ausschließen, vermögen jedoch nicht zu überzeugen:

Kollektivverträge sind nach ständiger Rechtsprechung in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6, 7 ABGB), auszulegen (RIS-Justiz RS0010088 ua). Dabei ist vom objektiven Inhalt der Norm auszugehen. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, müssen sich darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat und dieser so gilt, wie er von ihnen verstanden werden muss. In erster Linie ist daher der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu erforschen (8 ObA 82/05z, DRdA 2007/22 [Mayr] ua). Dabei ist den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, sowie einen berechtigten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008897 ua). Ob das Fehlen einer kollektivvertraglichen Regelung im Sinne einer Gesetzeslücke zu werten ist, ist im Weg der teleologischen Auslegung zu prüfen (8 ObA 82/05z mwN ua).

Soll nun diesen Auslegungsgrundsätzen entsprochen werden, dann muss auf den Zweck der Postensuchtage Bedacht genommen werden. Dieser liegt unstrittig darin, dem Arbeitnehmer noch während aufrechten Arbeitsverhältnisses das Auffinden eines neuen Arbeitsplatzes zu erleichtern (Eypeltauer in DRdA 1993/55, 484; Drs in ZellKomm § 22 AngG Rz 2; 8 ObA 174/00x, DRdA 2001/33 [Drs] ua). Auch Vorkehrungen wegen allfälliger Arbeitslosigkeit werden erleichtert (Schindler aaO Rz 3). Ohne (zusätzliche) Freizeit steht dem Arbeitnehmer bei aufrechtem Arbeitsverhältnis in der Regel nicht genügend Zeit für die Postensuche zur Verfügung. Dass der Zweck der Postensuchtage nicht nur den einschlägigen gesetzlichen Regelungen, sondern auch den einschlägigen KollV-Bestimmungen zugrundeliegt, ist nicht weiter strittig. Dass die gegenständliche kollektivvertragliche Regelung die Arbeitnehmerkündigung miteinbezieht, wurde bereits hervorgehoben. Wesentlich ist nun die bereits in 9 ObA 604/92 in detaillierter Auseinandersetzung mit den Lehrmeinungen gewonnene Erkenntnis, dass der Zweck der in erster Linie auf den Kündigungsfall abstellenden Postensuchtage auch auf Arbeitsverhältnisse mit bestimmter Dauer zutrifft. Naturgemäß kann sich der Arbeitnehmer erst dann um eine neue Stellung umsehen, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses heranrückt. Auch ein befristetes Arbeitsverhältnis kann am Aufsuchen einer neuen Stelle hindern. Das dagegen vorgebrachte Argument, dass dem Arbeitnehmer bei einem befristetem Arbeitsverhältnis das Bedürfnis nach einem neuen Arbeitsplatz ohnehin von Anfang an bekannt sei, überzeugt nicht. Gerade bei längerwährenden, wenn auch befristeten Arbeitsverhältnissen kann der Arbeitnehmer nicht schon vor Antritt des befristeten Arbeitsverhältnisses den nächsten Posten suchen. Er hat daher wenig davon, wenn er schon bei Antritt des befristeten Arbeitsverhältnisses weiß, wann er wieder auf Postensuche zu gehen haben wird (vgl Krejci aaO § 1160 Rz 8). Die Kenntnis vom bevorstehenden Ende des Arbeitsverhältnisses verschafft noch keinen Arbeitsplatz (Schindler aaO Rz 10). Eine Kollision zwischen der Arbeitspflicht und dem Zwang zur Suche nach einer neuen Stelle kann sich nicht nur bei der Kündigung, sondern auch bei anderen Endigungsgründen ergeben. Ein Bedürfnis des Arbeitnehmers nach bezahlter Freizeit ist bei befristeten Arbeitsverhältnissen ebenso gegeben wie bei der Beendigung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses durch Kündigung. All dies spricht gegen eine von den Kollektivvertragsparteien „gewollte Lücke" und für das Vorliegen einer planwidrigen Unvollständigkeit. Ein sachlicher Grund, den Arbeitnehmer, der selbst kündigt, beim Freizeitgewährungsanspruch besser zu behandeln als den Arbeitnehmer im befristeten Arbeitsverhältnis ist nicht zu erkennen. Ob auch eine Analogie in Betracht käme, wenn wie in den § 1160 ABGB, § 22 AngG ua idF ARÄG 2000 im Fall der Arbeitnehmerkündigung kein Freizeitgewährungsanspruch mehr zustünde, kann hier dahingestellt bleiben. Es braucht auch nicht auf Arbeitsverhältnisse „von besonders kurzer Dauer" (vgl dazu 9 ObA 604/92, DRdA 1993/55 [Eypeltauer], ZAS 1994/8 [Egger]) eingegangen werden, weil die gegenständlichen Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von jeweils 26 Monaten deutlich über dieser Grenze liegen.

Ein unlösbarer Wertungswiderspruch, der dem Ziel eines berechtigten Ausgleichs der sozialen und wirtschaftlichen Interessen zuwiderläuft, ist also nur dann zu vermeiden, wenn die in Abschnitt IV Pkt 7 KollV enthaltene Regelung über die Gewährung von Freizeit im Kündigungsfall auch auf den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf analog angewendet wird (vgl 9 ObA 604/92). Dabei ist die erforderliche Freizeit innerhalb jener Frist vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu gewähren, die der (fiktiven) Kündigungsfrist für den Fall entspricht, dass ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet worden wäre (vgl Krejci aaO § 1160 Rz 6; Wachter, Der Anspruch auf Postensuchtage, in FS Tomandl 117 [123]; 9 ObA 604/92). Abschnitt IV Pkt 7 KollV unterscheidet hinsichtlich des Ausmaßes der zu gewährenden Freizeit - wie § 1160 Abs 1 ABGB idF vor dem ARÄG 2000 - danach, ob die Kündigung durch den Arbeitgeber oder durch den Arbeitnehmer erfolgt. Die analoge Anwendung auf den Fall des befristeten Arbeitsverhältnisses legt es daher nahe, darauf abzustellen, ob die Befristung im Interesse des Arbeitgebers erfolgte. Ist dies - wie hier - der Fall, dann ist jenes Freizeitausmaß zu gewähren, das der Arbeitgeberkündigung entspricht (vgl 9 ObA 604/92). Im Fall einer Arbeitgeberkündigung hätte die Kündigungsfrist auf Grund der bereits zwei Jahre übersteigenden Betriebsangehörigkeit der drei Arbeiter zwei Monate zum Monatsletzten betragen (Abschnitt IV Pkt 4 KollV). Die Auffassung der Revisionsgegnerin, das gesamte Verfahren erscheine unangemessen, weil die Beklagte auf „freiwilliger Basis" einen Teil des Freizeitgewährungsanspruchs befriedigt habe, trifft nicht zu. Es fehlt dem Kläger auch nicht am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung.

Pkt 7a des Abschnitts IV KollV steht entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Beklagten der analogen Anwendung des Pkt 7 auf befristete Arbeitsverhältnisse nicht entgegen. In Pkt 7a wird - offenbar einen Freizeitgewährungsanspruch bei bei befristeten Arbeitsverhältnissen unterstellend - unter bestimmten Voraussetzungen eine besondere Mitteilungspflicht des Arbeitgebers und für den Fall deren Verletzung eine Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers normiert. Diese Regelung spricht nicht gegen einen Freizeitgewährungsanspruch des Arbeitnehmers beim befristeten Arbeitsverhältnis, sondern tritt vielmehr zu diesem hinzu.

Zusammenfassend ist daher der Revision des Klägers Folge zu geben und dem Feststellungsbegehren in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen stattzugeben. Dem begehrten Spruch ist allerdings eine deutlichere Fassung zu geben (vgl Rechberger in Rechberger, ZPO³ § 405 Rz 2 mwN).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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