OGH 9ObA142/16x

OGH9ObA142/16x28.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Dr. Klaus Mayr in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** B*****, vertreten durch hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei D***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 12.877,80 EUR und Feststellung (13.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. September 2016, GZ 7 Ra 25/16z‑25, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 2015, GZ 9 Cga 42/15y-20, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00142.16X.0228.000

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der aus Ägypten stammende Kläger war von 1. 3. 1982 bis 12. 2. 1991 für die Beklagte als Zeitungskolporteur tätig. Er verfügte in diesem Zeitraum über eine Aufenthalts-, jedoch über keine Beschäftigungsbewilligung. Die Beklagte war der Ansicht, dass der Kläger selbstständig tätig und seine Anstellung aufgrund des Fehlens einer Beschäftigungsbewilligung auch nicht möglich sei. Sie informierte die Kolporteure in ihren jeweiligen Landessprachen, dass sie sich selbst versichern und Steuern abführen müssten. Bei Steuer-, Abgaben- und GKK-Prüfungen bei der Beklagten wurde die Nichtmeldung der Kolporteure zur Sozialversicherung nicht moniert. Dem Kläger war von Beginn an bewusst, dass er von der Beklagten nicht pensionsversichert wurde und sie für ihn auch keine Pensionsbeiträge einzahlte. Er versicherte sich deshalb selbst. Nach Erhalt der Beschäftigungsbewilligung war der Kläger von 13. 2. 1991 bis 31. 7. 2012 bei der Beklagten zunächst auch, dann ausschließlich als Expeditarbeiter tätig und zur Sozialversicherung angemeldet.

Zwischen den Streitteilen ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, dass das Vertragsverhältnis des Klägers im Zeitraum von 1. 3. 1982 bis 12. 2. 1991 als echtes Dienstverhältnis zu qualifizieren ist (s Urteil des Berufungsgerichts vom 24. 7. 2014 im Verfahren AZ 6 Ra 42/14i, mit dem dem Abfertigungsbegehren des Klägers stattgegeben wurde; Bescheid der Steirischen Gebietskrankenkasse vom 16. 12. 2014, in dem in der Folge ausgesprochen wurde, dass der Kläger von 1. 3. 1982 bis 12. 2. 1991 eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Dienstnehmer ausgeübt hat).

Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger einen Pensionsschaden geltend und begehrt von der Beklagten die Zahlung von (zuletzt) 12.877,80 EUR brutto sA und die Feststellungen, dass sie ihm für die auf das Leistungsbegehren entfallenden Steuern und Abgaben hafte und ihm die Differenz zwischen dem vollen Pensionsbezug, der sich bei voller Beitragszahlung auch für den Zeitraum vom 1. 3. 1982 bis 12. 2. 1991 ergeben hätte, und dem tatsächlich enthaltenen Pensionsbezug zu zahlen habe.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren ab. Bereits das Erstgericht legte dar, dass die Beklagte durch die Nichtanmeldung des Klägers zur Sozialversicherung nicht rechtswidrig und schuldhaft gehandelt habe und der Anspruch verjährt sei. Zur von der Revision aufgegriffenen Frage des Verschuldens führte es aus:

Gemäß § 5 Abs 1 Z 13 ASVG idF vor der Novelle BGBl I 139/1997 seien Personen von der Vollversicherung ausgenommen gewesen, die mindestens wöchentlich erscheinende periodische Druckwerke vertrieben oder zustellten und in Unternehmen, die solche periodischen Druckwerke herstellten oder vertrieben, beschäftigt gewesen seien. Als periodische Druckwerke seien solche anzusehen gewesen, die auf Grund ihres Inhalts über den Kreis der reinen Fachpresse hinausreichten sowie vorwiegend der politischen, allgemein wirtschaftlichen oder kulturellen Information und Meinungsbildung dienten und weder Kundenzeitschriften noch Presseorgane von Interessenvertretungen sein durften.

Der VwGH habe in der Entscheidung vom 31. 3. 1965, 773/64 und 177/65, judiziert, dass die Straßenkolportage von Zeitungen eine dem Kommissionshandel angenäherte selbstständige Erwerbstätigkeit darstelle und somit nicht durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit gekennzeichnet sei. Diese Ansicht habe er (erst) in der Entscheidung vom 31. 1. 1995, 92/08/0213, geändert, weil die Vorgaben den Zeitungskolporteuren für eigene unternehmerische Gestaltung keinen Platz ließen und ihre Tätigkeit deshalb als unselbständig zu qualifizieren sei (ebenso VwGH vom 31. 7. 1996, 95/13/0220). Die Rechtsansicht des VwGH sei von einer intensiven öffentlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem StrukturanpassungsG 1996, BGBl 201/1996, begleitet worden, mit dem auch freie Dienstnehmer in das ASVG einbezogen worden seien. So habe der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger publiziert, dass die Zeitungskolporteure trotz der erwähnten Entscheidungen des VwGH weiterhin von der Versicherungspflicht nach dem ASVG ausgenommen seien (ebenso ecolex 1997, 274). Erst durch die Aufhebung der Bestimmung des § 5 Abs 1 Z 13 ASVG mit der 54. ASVG-Novelle sei die Berufsgruppe der Kolporteure mit 1. 1. 1998 (erstmals) der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sei noch am 28. April 1997 in einer Zusammenfassung der Ergebnisse der Besprechungen der GKK zu dieser Novelle in übereinstimmender Ansicht mit dem BMF und dem BMAGS davon ausgegangen, Kolporteure seien dem selbstständigen Bereich zuzuordnen und hätten daher auch selbstständig die Einkommensteuer abzuführen gehabt. Für den Zeitungsverkauf an den Konsumenten durch Zeitungskolporteure sei gemäß § 2 Abs 1 Z 18 GewO idF BGBl Nr 50/1974 eine Gewerbeberechtigung des Zeitungskolporteurs nicht notwendig gewesen. Eine Pflichtversicherung nach dem GSVG für Selbstständige ohne Gewerbeberechtigung habe noch nicht existiert. Überdies hätten gemäß §§ 2 und 3 AuslBG idF BGBl 218/1975 Arbeitgeber bei sonstiger Strafdrohung Ausländer nur beschäftigen dürfen, wenn diesen eine Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 Abs 1 leg cit erteilt worden sei. Nach der Rechtsprechung des VwGH mache es für die Pflicht des Dienstgebers, alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um sich in der Frage der Meldepflicht des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen, keinen Unterschied, ob er sich auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der Gebietskrankenkasse, auf ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermöge. Da die Rechtsordnung, der VwGH, die Lehre und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zumindest bis ins Jahr 1995 davon ausgegangen seien, dass die Tätigkeit der Kolporteure als selbständige Tätigkeit zu bewerten gewesen sei und durch die Anstellung des Klägers ohne Beschäftigungsbewilligung gegen § 28 Abs 1 AuslBG verstoßen worden wäre, könne in der Nichtanmeldung des Klägers zur GKK kein schuldhaftes Unterlassen der Beklagten gesehen werden.

Das Erstgericht sah die Ansprüche überdies als verjährt an, weil der Primärschaden schon im Zeitpunkt der Unterlassung der korrekten Anmeldung zur Pensionsversicherung eingetreten sei und die dadurch ausgelöste Verjährungsfrist für alle vorhersehbaren Folgeschäden gelte. Hier sei der Primärschaden (Nichtanmeldung zur Sozialversicherung) dem Kläger bereits 1982 bekannt gewesen. Der Kläger habe auch keinen verjährungshemmenden bzw -unterbrechenden Antrag nach § 68 ASVG gestellt. Bei Verletzung der darin begründeten Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht verneine die Rechtsprechung einen Schadenersatzanspruch.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die ordentliche Revision ließ es mangels Rechtsprechung zum allfälligen Pensionsschaden eines Kolporteurs im Zusammenhang mit der Verwaltungspraxis vor 1997 zu.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung der Vorentscheidungen im Sinn einer Klagsstattgabe; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Er richtet sich gegen die Beurteilung der fehlenden Rechtswidrigkeit und des fehlenden Verschuldens der Beklagten und meint zusammengefasst, es dürfe von keiner „gängigen“ Verwaltungspraxis, dass Kolporteure generell als selbstständig zu betrachten gewesen wären, ausgegangen werden. Vielmehr sei stets eine Einzelfallentscheidung zu treffen gewesen, weshalb eine schlichte Berufung auf die frühere VwGH-Rechtsprechung nicht in Betracht komme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

Gerade wegen ihrer Einzelfallbezogenheit können die Beurteilung des Verschuldensgrades, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (s RIS-Justiz RS0087606), sofern keine korrekturbedürftige grobe Fehlbeurteilung vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

Man mag dem Kläger zugestehen, dass eine einzelne frühere Entscheidung des VwGH die Beklagte noch nicht von der eigenständigen Prüfung enthob, ob die für einen Dienstvertrag maßgeblichen Kriterien auch auf den Kläger zutrafen. Damit ist für ihn jedoch nichts gewonnen, weil eine solche Prüfung in dem schon vom Erstgericht ausführlich dargelegten größeren rechtlichen Kontext zu sehen war, worauf verwiesen werden kann. Davon sei insbesondere die – zur Verteilung an Dienstgeber, Steuerberater ua gedachte – Zusammenfassung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über die Gesprächsergebnisse zur 54. ASVG-Novelle (Beil ./1) hervorgehoben, in der explizit festgehalten ist („Abgrenzungen in Einzelfällen“), dass nach übereinstimmender Ansicht des Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales die Berufsgruppen der Kolporteure und Zeitungszusteller dem selbständigen Bereich zuzuordnen sind (zur öffentlichen Diskussion über die mit dem StrukturanpassungsG 1996 erfolgte Ausweitung der Sozialversicherungspflicht für freie Dienstnehmer s auch Souhrada, Sozialversicherungspflicht für „Werkverträge“: Der Sinn im Chaos, SozSi 1996, 1002; zur Ausnahme von Zeitungskolporteuren von der Sozialversicherungspflicht Schrammel, Freier Dienstvertrag ohne Zukunft?, ecolex 1997, 274). Ungeachtet dessen führt die Revision auch nicht aus, wie sich aus der fehlenden Beschäftigungsbewilligung des Klägers ein bei der Sozialversicherung anmeldbares Dienstverhältnis ergeben hätte können. Wenn die Vorinstanzen ein haftungsbegründendes Verschulden der Beklagten verneinten, so ist dies hier nicht weiter korrekturbedürftig. Dass seine Ansprüche nach den vom Erstgericht dargelegten Grundsätzen überdies verjährt wären, hat der Kläger schon im Berufungsverfahren nicht mehr bekämpft.

Die Revision des Klägers ist danach mangels einer erheblichen Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen (s RIS-Justiz RS0035979).

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