OGH 9ObA112/09z

OGH9ObA112/09z15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Robert Hauser in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (21.800 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juli 2009, GZ 13 Ra 27/09g-19, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Februar 2009, GZ 42 Cga 117/08i-15 nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.327,68 EUR (darin 221,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Kläger ist der für die Beklagte gewählte Betriebsrat für den Flugdienst. Der klagende Betriebsrat begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, die vom Kläger vertretenen Arbeitnehmer - insbesondere durch Anfragen, ob diese auf die Einhaltung der Transitzeiten außerhalb der in BV B3 geregelten Fälle teilweise oder zur Gänze verzichten - zur Verrichtung von Diensten anzuhalten, die gegen die in § 36 des Kollektivvertrags der Beklagten - für das kaufmännisch-technische Personal und Bordpersonal zwingend vorgeschriebenen Aufenthalts- und Mindestruhezeiten verstoßen. Der Kläger brachte vor, dass die Beklagte ihre Dienstnehmer dazu anhalte, Dienste auszuführen, die gegen die Ruhebestimmungen des geltenden Kollektivvertrags verstoßen. Der Kläger sei zur Einbringung der Unterlassungsklage aufgrund des ihm zustehenden Interventionsrechts legitimiert.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete - soweit hier relevant - mangelnde Aktivlegitimation des klagenden Betriebsrats ein. Mit seinem Begehren mache er Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer geltend, die nicht vom Mitwirkungsrecht des Betriebsrats umfasst seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich folgerte es, dass der Kläger einen Verstoß gegen die ihn zustehenden Mitwirkungs- und Interventionsbefugnisse gar nicht behauptet habe. Der Kläger sei nicht befugt, Rechte des einzelnen Arbeitnehmers gerichtlich geltend zu machen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und bestätigte das Ersturteil. Seine rechtliche Beurteilung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Eine Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASGG (betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit) liege nur dann vor, wenn Gegenstand der Klage des Betriebsrats ein materieller betriebsverfassungsrechtlicher Anspruch sei. Der Kläger habe sich in erster Instanz ausdrücklich auf das Überwachungsrecht nach § 89 Z 2 ArbVG iVm dem Interventionsrecht nach § 90 Abs 1 Z 1 ArbVG berufen. § 90 Abs 1 Z 1 ArbVG berechtige den Betriebsrat insbesondere, Maßnahmen zur Einhaltung und Durchführung der die Arbeitnehmer des Betriebs betreffenden Rechtsvorschriften zu beantragen. Zur Effektuierung dieser Regelung statuiere § 90 Abs 2 ArbVG ein Recht auf Gehör, das vom Betriebsrat durch eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht durchgesetzt werden könne. Beide bisher erwähnten Klagsmöglichkeiten beträfen die materiellen betriebsverfassungsrechtlichen Ansprüche und seien damit unmittelbar durch § 50 Abs 2 ASVG gedeckt. Hauptzweck der Kollektivverträge sei es aber, privatrechtliche Verhältnisse, nämlich Einzelarbeitsverhältnisse, zu regeln. Die daraus resultierenden kollektivvertraglichen Rechte der einzelnen Arbeitnehmer könne allerdings der Betriebsrat - vom Sonderfall des Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 1 ASGG abgesehen - mangels gesetzlicher Grundlage gerichtlich nicht geltend machen, weil er nicht der Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer in Bezug auf deren privatrechtliche Ansprüche sei. Hier behaupte der Kläger gar nicht, in seinen betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten (Überwachung und Intervention) beeinträchtigt worden zu sein. Vielmehr wolle er - für die von ihm vertretenen Arbeitnehmer - einen Schutz vor kollektivvertragswidrigen Dienstverrichtungen erwirken. Dazu fehle es ihm aber an der gesetzlichen Legitimation. Dem Kläger sei zuzustimmen, dass er nach § 90 Abs 1 ArbVG in allen Angelegenheiten, die die Interessen der Arbeitnehmer berühren, beim Betriebsinhaber und erforderlichenfalls bei den zuständigen Stellen außerhalb des Betriebs entsprechende Maßnahmen beantragen und die Beseitigung von Mängeln verlangen könne. Daraus könne aber noch kein materiell-rechtlicher Anspruch abgeleitet werden, bei Verstößen gegen Kollektivvertragsrecht durch den Betriebsinhaber, die die privatrechtlichen Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer betreffen, diesen im Klagsweg auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liege nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die Beklagte beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof über die hier relevante Frage nach Inkrafttreten des ASGG noch nicht (ausdrücklich) entschieden hat. Sie ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber vertritt die Auffassung, bereits aufgrund des ihm nach § 90 ArbVG eingeräumten Interventionsrechts zur Einbringung der vorliegenden Unterlassungsklage legitimiert zu sein. Aus § 90 Abs 1 ArbVG ergebe sich ausdrücklich, dass dem Betriebsrat das Recht zustehe, in allen Angelegenheiten, die die Interessen der Arbeitnehmer berühren, erforderlichenfalls auch bei den zuständigen Stellen außerhalb des Betriebs entsprechende Maßnahmen zu beantragen und die Beseitigung von Mängeln zu verlangen. Bei systematischen Verstößen des Betriebsinhabers gegen den anzuwendenden Kollektivvertrag könne dieses Recht nur dadurch verwirklicht werden, dass der Betriebsrat auch den Betriebsinhaber auf Unterlassung solcher Verstöße bei Gericht klagen könne, zumal es eine andere „zuständige Stelle", bei der der Betriebsrat in derartigen Fällen intervenieren könne, nicht gebe.

Dieser Auffassung vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen.

Als „zuständige" außerbetriebliche Stellen werden im Schrifttum Behörden (insbesondere Arbeitsinspektorat) und überbetriebliche Interessenvertretungen (insbesondere AK, Gewerkschaft), nicht aber zB übergeordnete Organisationsebenen des Unternehmens oder Konzerns angesehen (Reissner in ZellKomm § 90 ArbVG Rz 9 mwN; Mosler in Tomandl Arbeitsverfassungsgesetz § 90 Rz 6; Cerny in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller Arbeitsverfassungsrecht4 § 90 Erl). Aus gutem Grund werden im Schrifttum die Arbeits- und Sozialgerichte nicht als „außerbetriebliche zuständige Stellen" erwähnt. Zwar sind Organe der Arbeitnehmerschaft - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - gemäß § 53 Abs 1 ASGG parteifähig, davon ist aber die Frage der Sachlegitimation zu unterscheiden. Diese ist nämlich nur dann gegeben, wenn dem Kläger der behauptete Anspruch auch wirklich zusteht (Schubert in Fasching/Konecny ZPO2 Vor § 1 Rz 81). Hier stützt sich der Rechtsmittelwerber zwar auch auf die Bestimmung des § 50 Abs 2 ASGG, macht aber mit seiner Unterlassungsklage gar keine Verletzung seiner in §§ 89 und 90 ArbVG normierten Überwachungs- bzw Interventionsrechte geltend. Die Bestimmung des § 50 Abs 2 ASGG stellt in eindeutiger Weise klar, dass die Frage, ob eine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstreitigkeit vorliegt, einzig und allein aus dem materiellen Betriebsverfassungsrecht zu lösen ist (RIS-Justiz RS0086034; 8 ObA 52/06i = SZ 2006/111). Tatsächlich macht der klagende Betriebsrat mit seiner Unterlassungsklage im eigenen Namen aus dem Kollektivvertrag entspringende Rechte der Belegschaft geltend. Der Betriebsrat klagt somit im eigenen Namen Ansprüche der Arbeitnehmer ein. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Betriebsrat nicht der (gesetzliche) Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer in Bezug auf deren privatrechtliche Ansprüche. Er ist daher, wenn ein eigener privatrechtlich rechtsbegründender Akt nicht vorliegt, mangels Aktivlegitimation zur Geltendmachung solcher Ansprüche nicht berechtigt (RIS-Justiz RS0035156; 9 ObA 136/03w). Entgegen der vom Rechtsmittelwerber vertretenen Auffassung vermag § 90 Abs 1 ArbVG in dieser Allgemeinheit keinesfalls eine von den Grundsätzen der ZPO abweichende gesetzliche Grundlage für eine Aktivlegitimation des Betriebsrats zu schaffen. Dies hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 4 Ob 24/81 (= SZ 54/49) offenbar als selbstverständlich angenommen. In dieser - vor Inkrafttreten des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes ergangenen Entscheidung - verneinte der Oberste Gerichtshof ausdrücklich die Aktivlegitimation des klagenden Betriebsrats zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Feststellung der Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern. Für die Vertretung der Belegschaft durch den Betriebsrat im privatrechtlichen durch das ArbVG nicht geregelten Bereich fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Der Betriebsrat sei zur Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche der Belegschaft mangels Vorliegens eines eigenen privatrechtlichen rechtsbegründenden Akts nicht berechtigt. Wäre der Oberste Gerichtshof davon ausgegangen, dass bereits das Interventionsrecht nach § 90 ArbVG (diese Regelung trat mit 1. 1. 1974 in Kraft) die Aktivlegitimation des Betriebsrats zur Geltendmachung von die Arbeitnehmerschaft betreffenden Ansprüchen begründe, hätte er dies in seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Vielmehr wurde erst durch Inkrafttreten des ASGG mit dem besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 bzw § 54 Abs 2 ASGG unter den dort genannten Voraussetzungen dem Betriebsrat die Möglichkeit eingeräumt, im eigenen Namen Ansprüche der Arbeitnehmer geltend zu machen. § 54 Abs 1 ASGG normiert eine gesetzliche Prozessstandschaft, die Organe der Arbeitnehmerschaft machen im eigenen Namen Rechte der Arbeitnehmer bzw der Belegschaft geltend (Eypeltauer, Das besondere Feststellungsverfahren [Schluss], JBl 1987, 561 ff [565 f]; Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, 303 ff [305]; Kuderna ASGG2 § 54 Anm 4). Der Kläger hat allerdings eine Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG ausdrücklich als „nicht wirklich taugliches Mittel" bezeichnet und auf der Einbringung einer Unterlassungsklage im eigenen Namen beharrt.

Das Berufungsgericht ist diesem Argument des Rechtsmittelwerbers mit der vom Obersten Gerichtshof gebilligten Rechtsansicht entgegen getreten, dass einer Partei nicht ohne gesetzliche Grundlage ein materieller Klagsanspruch zuerkannt werden könne. Da der Gesetzgeber die dem Betriebsrat nach § 54 Abs 1 ASGG eingeräumte Klagsmöglichkeit als ausreichendes Instrumentarium angesehen hat, Individualansprüche von Arbeitnehmern gerichtlich geltend zu machen, kann jedenfalls von einem Rechtsschutzdefizit nicht gesprochen werden.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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