Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Arbeitsrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin als Gutachterarzt angestellt. Auf sein unkündbares Dienstverhältnis ist die Dienstordnung B für Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (= DO.B) anzuwenden. Er hat die Wartezeit im Sinne der DO.B erfüllt. Am 30.8.1993 hat der Angestelltenbetriebsrat die Versetzung des Klägers in den Ruhestand gemäß § 32 Abs 4 DO.B befürwortet. Am 22.9.1993 hat der Verwaltungsausschuß der beklagten Partei namens des Vorstandes stimmeneinhellig den Beschluß gefaßt, den Kläger mit Wirkung ab 1.10.1993 in den Ruhestand zu versetzen. Vom Vorstand der beklagten Partei wurde die Versetzung in den Ruhestand durch einstimmigen Beschluß am 26.11.1993 bestätigt.
Gemäß § 32 Abs 4 DO.B kann der Vorstand des Versicherungsträgers mit Stimmeneinheit einen unkündbaren Arzt nach Erfüllung der Wartezeit mit Zustimmung des Betriebsrates in den Ruhestand versetzen, wenn die in den Absätzen 1 bis 3 genannten sonstigen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Der Kläger begehrt die Aufhebung seiner Versetzung in den Ruhestand als rechtswidrig. Gemäß der anzuwendenden DO.B sei eine Versetzung von unkündbaren Ärzten in den Ruhestand nur möglich, wenn Dienstunfähigkeit gemäß § 33 DO.B vorliege. Der Kläger sei aber nicht dienstunfähig.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger leide seit Jahren an einer psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis mit einem phasenartigen Verlauf. Eine Zusammenarbeit mit dem Kläger sei nur durch Entgegenkommen möglich gewesen. Auf Grund des eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachtens sei Dienstunfähigkeit anzunehmen. Darüber hinaus sei der Kläger gemäß § 32 Abs 4 DO.B durch Beschluß des Verwaltungsausschusses namens des Vorstandes der beklagten Partei mit Zustimmung des Betriebsrates in den Ruhestand versetzt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da die Voraussetzungen des § 32 Abs 4 DO.B gegeben seien, sei die Versetzung des Klägers in den Ruhestand schon aus diesem Grunde wirksam.
Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Voraussetzungen des § 32 Abs 4 DO.B vorlägen. Selbst wenn der Verwaltungsausschuß, ein Ausschuß des Vorstandes der Beklagten, seine Kompetenzen überschritten hätte, wäre der schwebend unwirksame Beschluß jedenfalls durch die nachträgliche einstimmige Beschlußfassung des Vorstandes genehmigt und saniert worden. Genehmige der Vertreter ein Geschäft, so werde es rückwirkend zwischen ihm und dem Dritten wirksam.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei stellt den Antrag, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die als Dienstgeberkündigung zu qualifizierende Versetzung in den Ruhestand (Martinek/M. und W.Schwarz, AngG7, 421; 8 ObA 279/94) ist eine Sonderbestimmung, wonach das Dienstverhältnis unkündbarer Ärzte trotz der vereinbarten Unkündbarkeit dennoch unter bestimmten Voraussetzungen allerdings nur mit Zustimmung des Betriebsrates aufgelöst werden kann.
In der Entscheidung 14 Ob 227/86 vom 17.Februar 1987 (DRdA 1990/9 [Jabornegg] = WBl 1987, 164 = Arb 10.606) hat der Oberste Gerichtshof zu der im § 23 des Kollektivvertrages der internationalen Schlafwagen-Gesellschaft normierten Beschränkung des Entlassungsrechtes des Arbeitgebers durch die Pflicht, vorher den Betriebsrat anzuhören, Stellung genommen. Gegen die Zulässigkeit der Beschränkung des Entlassungsrechtes des Arbeitgebers durch die Pflicht, vorher den Betriebsrat anzuhören, bestünden keine Bedenken, weil dies dem Arbeitgeber nicht die Befugnis nehme, das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen nach § 82 GewO aufzulösen, sondern ihn lediglich verpflichte, den Betriebsrat vor der Äußerung des Entlassungsrechts Gelegenheit zur Äußerung von der beabsichtigten Maßnahme zu geben. Diese Entscheidung wurde insbesondere von Jabornegg (in einer Glosse zu DRdA 1990/9) kritisiert. Das im Kollektivvertrag vorgesehene Anhörungsrecht des Betriebsrates vor Ausspruch einer Kündigung oder einer Entlassung sei von der im § 2 ArbVG verankerten kollektivrechtlichen Rechtssetzungsbefugnis nicht gedeckt und stelle darüber hinaus einen klaren Verstoß gegen zwingendes Betriebsverfassungsrecht dar. Mit der Einführung eines Anhörungsrechtes des Betriebsrates würden nicht nur die gegenseitigen, aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG geregelt. Die Statuierung dieses Anhörungsrechts habe vielmehr einen Doppelcharakter. Einerseits werde arbeitsvertraglich die Befugnis des Arbeitgebers zur Kündigung oder Entlassung durch einen zusätzlich notwendigen Verfahrensschritt erschwert, andererseits werde dem Betriebsrat ein besonderes Mitwirkungsrecht eingeräumt. Zulässiger Bestandteil des Kollektivvertrages könne eine derartige Norm nur sein, wenn sowohl der arbeitsvertragliche als auch der betriebsverfassungsrechtliche Teil der Regelung vom Gesetz gedeckt wäre. Dies sei aber nicht der Fall; nur ausnahmsweise könnten betriebsverfassungsrechtliche Normen Gegenstand der kollektivvertraglichen Rechtssetzung sein; von Anhörungsrechten im Zusammenhang mit Auflösungserklärungen durch den Arbeitgeber sei im Gesetz aber keine Rede. Selbst wenn man sich über die fehlende kollektivvertragliche Rechtssetzungsbefugnis hinwegsetzen wollte, seien die kollektivvertraglich normierten Anhörungsrechte des Betriebsrates unwirksam, weil sie gegen absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht verstießen. Da ein echtes eine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellendes Anhörungsrecht vor Ausspruch einer Entlassung nicht vorgesehen sei und § 106 ArbVG geradezu im Gegenteil vorsehe, daß eine Entlassung ohne vorherige Verständigung des Betriebsrates wirksam ausgesprochen werden könne, verstoße die gegenständliche Regelung eindeutig gegen absolut zwingendes Recht und sei daher auch aus diesem Grund nichtig.
Der Oberste Gerichtshof hat sich in der zitierten Entscheidung mit dem von Strasser (in "Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Anordnung von Überstunden", FS Weissenberg [1980], 343 ff [349]) aufgezeigten Doppelcharakter der Normierung eines in der Betriebsverfassung nicht vorgesehenen Mitwirkungsrechtes als Regelung von Bedingungen für die Ausübung von Rechten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG und als durch die Rechtssetzungsbefugnis gemäß § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG nicht gedeckte Gestaltung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates ebensowenig auseinandergesetzt wie mit dem weiteren Hinweis Strassers auf den zwingenden Charakter der die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates betreffenden arbeitsverfassungsrechtlichen Normen, die der Vereinbarung weiterer Mitwirkungsrechte des Betriebsrates selbst bei Bejahung einer diesbezüglichen Rechtssetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien entgegenstünden. Auch die Ausführungen Jaborneggs ("Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht", FS Strasser [1983], 367 ff [379 f]), der die absolut zwingende Wirkung der Regelung der Belegschaftsbefugnisse in der Betriebsverfassung insbesondere mit den Schwierigkeiten bei Vornahme eines Günstigkeitsvergleiches gegenüber der gesetzlichen Regelung und der wünschenswerten Einheitlichkeit der Belegschaftsbefugnisse für den gesamten Bereich der diese Befugnisse je nach Materie besonders abgestuft regelnden gesetzlichen Betriebsverfassung begründet, wurden in der obzitierten Entscheidung nicht beachtet.
In der Entscheidung 9 ObA 606/92 vom 17.März 1993 (DRdA 1994/3 = WBl
1993, 292, = RdW 1993, 283) folgte der Oberste Gerichtshof den
Ausführungen Strassers und Jaborneggs (auch in "Grenzen
kollektivrechtlicher Rechtssetzung und richterliche Kontrolle", JBl
1990, 205 ff [210 f]) auch unter Hinweis auf Mayer-Maly/Marhold, ArbR
II 62, die gleichfalls die Auffassung vertreten, daß die
Mitbestimmungsrechte der Belegschaft in den Bestimmungen des ArbVG
über die Betriebsverfassung abschließend und absolut zwingend
geregelt seien und daher durch Kollektivvertrag grundsätzlich nicht
abgeändert werden könnten. Wie Jabornegg (in einer Glosse zu DRdA
1994/3) richtig darlegt, verträgt sich diese - die absolut zwingende
Wirkung betriebsverfassungsrechtlicher Normen bejahende -
Entscheidung nicht mehr mit den noch in der Entscheidung DRdA 1990/9
vertretenen Thesen, da auch die Schaffung eines echten, auf den
Ausspruch einer Kündigung oder Entlassung bezogenen Anhörungsrechtes
des Betriebsrates, welches in der gesetzlich zwingend angeordneten
Betriebsverfassung in dieser Form - das Recht zur Kündigung ist von
der Zustimmung des Betriebsrats abhängig - nicht vorgesehen ist, kein
zulässiger Gegenstand einer kollektivvertraglichen Regelung sein
könne.
Auch in der Entscheidung 8 ObA 276/94 vom 15.September 1994 (RdW 1995, 107 = JBl 1995, 263; kritisch Schima, RdW 1995 101 ff) ging der Oberste Gerichtshof davon aus, daß die kollektivrechtliche Erweiterung von Mitwirkungsrechten des Betriebsrates bei der Auflösung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Entlassung nicht nur wegen des Fehlens einer diesbezüglichen Rechtssetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien, sondern vor allem auch wegen des unzulässigen Eingriffes in absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht nichtig ist.
Gleichfalls hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 18. August 1995, 8 ObA 269/95, wie auch vom 27.September 1995, 9 ObA 133/95, die Nichtigkeit kollektivvertraglicher Regelungen, die die Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Entlassung vorsehen, bejaht.
Schwarz/Löschnigg (ArbR5 99 f) und Tomandl (ArbR3 1, 128 f) gehen ebenfalls davon aus, daß der Gesetzgeber die Betriebsverfassung grundsätzlich abschließend und damit absolut zwingend geregelt hat und es den Kollektivvertragsparteien daher grundsätzlich - bis auf die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen - verwehrt ist, die Mitwirkungsrechte der Belegschaft zu verändern. Gegen die im DRdA 1990/9 vertretene Auffassung, die Bindung der Ausübung des Entlassungsrechtes an die Anhörung des Betriebsrates sei zulässig, wendet sich schließlich auch Kuderna (Entlassungsrecht2 55 und FN 5) mit dem Hinweis auf die zwingende Vorschrift des § 106 ArbVG, wonach eine solche vorherige Anhörung nicht erforderlich ist.
Daß mit der vorliegenden Regelung ein echtes, mit der Sanktion der Unwirksamkeit der als Dienstgeberkündigung zu qualifizierenden Versetzung in den Ruhestand für den Fall seiner Verletzung versehenes Zustimmungsrecht des Betriebsrates statuiert wurde, kann angesichts des Wortlautes des Kollektivvertrages, daß der Vorstand des Versicherungsträgers mit Stimmeneinheit einen unkündbaren Arzt ..... mit Zustimmung des Betriebsrates in den Ruhestand versetzen kann, nicht zweifelhaft sein. Mit der Statuierung eines derartigen echten Zustimmungsrechtes vor der Kündigung wird die Mitwirkung des Betriebsrates erheblich erweitert und neben dem gesetzlichen Kündigungsschutz (§ 105 ArbVG) eine zusätzliche Mitwirkungsbefugnis geschaffen, die mangels einer näheren Regelung des Zustimmungsverfahrens zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führt. Darüber hinaus wäre angesichts der Verletzung des Zustimmungsrechtes bei der Kündigung die weitgehende Folge verbunden, daß der Kündigungserklärung überhaupt keine Wirkung zukäme und damit der Bestand des Arbeitsverhältnisses unberührt bliebe.
Die Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei der als Dienstgeberkündigung zu qualifizierenden Versetzung in den Ruhestand ist daher unzulässig.
Ob die Nichtigkeit des Zustimmungsrechtes des Betriebsrates die teilweise oder gänzliche Unwirksamkeit des § 32 Abs 4 DO.B bewirkt, hängt vom hypothetischen Parteiwillen ab (DRdA 1995/23 [Strasser]). Es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Parteien auch ohne den ungültigen Teil kontrahiert hätten (RdW 1995, 107 mwN). Dabei ist die Einschränkung des Auflösungsrechtes des Dienstgebers bei unkündbaren Ärzten der als Dienstgeberkündigung zu qualifizierenden Versetzung eines unkündbaren Arztes in den Ruhestand gegenüber zu stellen. Während die Kündigung ansonsten einseitig vom Dienstgeber nur aus bestimmten im einzelnen normierten und objektiv nachprüfbaren Gründen ausgesprochen werden kann (§ 32 Abs 2 und 3 DO.B) wäre im Falle des § 32 Abs 4 DO.B bei Annahme einer bloßen Teilnichtigkeit durch Wegfall der unzulässigen Bestimmung über die über § 105 ArbVG hinausgehende Mitwirkung des Betriebsrates eine begründungslose willkürliche, nur an die Voraussetzungen der Erfüllung der Wartezeit geknüpfte Versetzung in den Ruhestand die Folge, was aber im krassen Gegensatz zur Unkündbarkeit stehen würde. Es ist daher davon auszugehen, daß die Arbeitnehmerseite dieser einseitigen Durchbrechung der Unkündbarkeit nur unter der Voraussetzung zustimmte, daß vorher das Einvernehmen mit dem Betriebsrat erzielt wird. Die Zustimmung durch den Betriebsrat ist daher untrennbar mit der einseitigen Versetzung in den Ruhestand durch den Vorstandsbeschluß des Dienstgebers verbunden, so daß die Bestimmung des § 32 Abs 4 DO.B in ihrer Gesamtheit und damit die Versetzung des Klägers in den Ruhestand nach dieser Bestimmung unwirksam ist.
Ob und inwieweit ein unzuständiges Organ die Versetzung in den Ruhestand aussprach, ist daher nicht mehr von Bedeutung.
Die Arbeitsrechtssache ist aber noch nicht spruchreif, weil die beklagte Partei zur Begründung der Versetzung in den Ruhestand zwar primär die Bestimmung des § 32 Abs 4 DO.B heranzog, ihr Vorgehen aber auch auf das Vorliegen der Dienstunfähigkeit des Klägers gemäß §§ 32 Abs 2, 33 Abs 1 DO.B stützte (vgl S 7 ff, 15, 19 und 119 dA). Im fortzusetzenden Verfahren werden daher noch die Voraussetzungen der Versetzung in den Ruhestand nach § 32 Abs 2 DO.B zu prüfen und der Kläger anzuleiten sein, sein Klagebegehren auf ein Feststellungsbegehren richtig zu stellen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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