Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens im Sinne des § 237 Abs 1 AußStrG eine neue Entscheidung zu fällen.
Text
Begründung
Gegen den Betroffenen als Verpflichteten sind sowohl beim Erstgericht als auch beim BG Donaustadt Exekutionsverfahren anhängig. Die Exekutionsabteilung des Erstgerichtes übermittelte Kopien von Exekutionsakten mit der Bitte um Überprüfung, ob gemäß § 6 a ZPO die Bestellung eines Sachwalters für den Verpflichteten notwendig sei, an die Pflegschaftsabteilung desselben Gerichtes, wobei darauf hingewiesen wurde, daß der Verpflichtete mehrmals auffällige Verfahrenshandlungen gesetzt habe und Rechtsbelehrungen nicht zugänglich sei.
Der zuständige Pflegschaftsrichter hielt in einem Aktenvermerk fest, daß ihm der Betroffene aufgrund von Befragungen zu diversen Eingaben bekannt sei und nach seiner Ansicht für die Vertretung vor Behörden und Ämtern die Hilfe eines Sachwalters benötige. Der Erstrichter verfügte in der Folge eine Anfrage an den Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle K*****, der sich zur Übernahme einer Verfahrenssachwalterschaft bereiterklärte. Ohne Anhörung oder Verständigung des Betroffenen faßte das Erstgericht den Beschluß, mit welchem Ulrike S*****, diplomierte Behindertenpädagogin, Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft K*****, zum einstweiligen Sachwalter für das Verfahren gemäß § 238 Abs 1 AußStrG bestellt wurde. Das Erstgericht begründete seinen Beschluß damit, daß der Betroffene zur gehörigen Vertretung vor Gerichten und sonstigen Behörden die Hilfe eines Sachwalters benötigen dürfte. Der Betroffene erfuhr erst durch diesen Beschluß von dem eingeleiteten Verfahren.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für unzulässig. Das Erstgericht sei mit dem angefochtenen Beschluß dem Gesetzesbefehl des § 238 Abs 1 AußStrG nachgekommen, weshalb dem Beschluß kein Rechtsirrtum anhafte. Der ordentliche Revisionsrekurs sei unzulässig, weil von der Judikatur nicht abgewichen worden sei und der Fall keine erheblichen Rechtsfragen stelle.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und das Verfahren für nichtig zu erklären; hilfsweise, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Revisionsrekurs verspätet ist: Um nämlich rechtzeitig zu sein, muß auch im Außerstreitverfahren ein unmittelbar an das Gericht zweiter Instanz gerichteter Revisionsrekurs, der von diesem an das Gericht erster Instanz weitergeleitet wird, innerhalb der Rekursfrist beim zuständigen Erstgericht einlangen (RIS-Justiz RIS006979, RS008755). Dies muß auch für einen Antrag auf Beistellung eines Verfahrenshelfers für die Einbringung eines Rekurses innerhalb der Rekursfrist gelten, um die Wirkung der Unterbrechung der Rechtsmittelfrist zu haben. Im vorliegenden Fall wurde der Beschluß des Rekursgerichtes dem Betroffenen am 3.9.1997 zugestellt, der seinen schriftlichen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers zur Revisionsrekurserhebung - unrichtig - beim Rekursgericht einbrachte, welches den Schriftsatz dem Erstgericht übermittelte, wo er am 18.9.1997, somit außerhalb der 14-tägigen Rekursfrist, einlangte. Die Zustellung an den darauf bestellten Verfahrenshelfer erfolgte am 27.10.1997, welcher am 10.11.1997 den Revisionsrekurs einbrachte. Der verspätete Antrag des Betroffenen war demnach nicht in der Lage, die Rechtsmittelfrist zu unterbrechen und somit die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels zu gewährleisten. Zu prüfen bleibt daher, ob die auch für (außerordentliche) Revisionsrekurse geltende Bestimmung des § 11 Abs 2 AußStrG (RIS-Justiz RS007078) eine sachliche Erledigung des Rechtsmittels ermöglicht. Danach können im Verfahren außer Streitsachen auch verspätete Rechtsmittel berücksichtigt werden, wenn sich die angefochtene Entscheidung ohne Nachteil eines Dritten abändern läßt. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß ein Sachwalter nicht im eigenen, sondern ausschließlich im Interesse des Betroffenen tätig wird und durch seine Bestellung keine eigenen Rechte erwirbt, in die eingegriffen werden könnte (SZ 60/103, RZ 1990/50 ua). In diesen Fällen ging es aber um die Bestellung endgültiger Sachwalter im Sinne des § 247 AußStrG, nicht jedoch um einstweilige (Verfahrens-)Sachwalter. Diesen Entscheidungen lag auch der Gedanke zugrunde, daß mit der Bestellung des endgültigen Sachwalters weitreichende Rechtsfolgen im privaten und öffentlichen Recht verknüpft sind. Es könne nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber des SachwG in Kauf nehmen wollte, daß die Bestellung eines Sachwalters aufgrund eines verspäteten Rechtsmittels und damit praktisch ohne zeitliche Begrenzung (rückwirkend) beseitigt werden könne. Mit dem Hinweis auf den Eintritt der Rechtskraft in § 247 AußStrG sollte vielmehr eine klare Bestimmung über das Wirksamwerden des Sachwalterbestellungsbeschlusses geschaffen werden, welcher Gesetzesabsicht die Anwendbarkeit des § 11 Abs 2 AußStrG zuwiderliefe (SZ 60/103). Soweit - wie hier durch Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG - § 247 AußStrG nicht betroffen ist, muß aber im Sinne des Fürsorgeprinzips § 11 Abs 2 AußStrG Anwendung finden (Gamerith, Drei Jahre Sachwalterrecht in NZ 1968 61, 70). Ausgehend davon, daß der Verfahrenssachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG ausschließlich Interessen des Betroffenen wahrzunehmen hat und dieser im gegebenen Fall selbst Rechtsmittelwerber ist, hindern Nachteile Dritter die Berücksichtigung des verspäteten Rechtsmittels nicht. Daß ein unvertretener, nicht rechtskundiger Verfahrensbeteiligter sein Rechtsmittel bzw seinen auf die Beigebung eines Verfahrenhelfers zwecks Einbringung eines Revisionsrekurses abzielenden Antrag beim Rekurs- anstelle des Erstgerichtes einbringt, ist als berücksichtigungswürdiger Grund anzusehen, wobei auch das Fehlen eines Hinweises auf Gründe für die Verspätung im Rechtsmittel selbst die sachliche Erledigung nicht hindert (RIS-Justiz RS007075).
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht eine Nichtigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens nicht erkannt und demzufolge auch darüber nicht abgesprochen hat; er ist auch berechtigt.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, daß in der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Rekursgericht keine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO zu ersehen ist. Eine mündliche Verhandlung ist im Sachwalterverfahren nämlich nur dann erforderlich, wenn das Gericht zweiter Instanz das Verfahren ergänzt (§ 250 Abs 2 AußStrG). Da eine solche Ergänzung durch das Rekursgericht nicht stattgefunden hat, hat der allgemeine Grundsatz zu gelten, daß im Verfahren außer Streitsachen das Rekursgericht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden hat (RIS-Justiz RS005991). Wenngleich Nichtigkeiten des Verfahrens erster Instanz, die nicht auch dem Verfahren der zweiten Instanz anhaften, auch im Verfahren außer Streitsachen nicht mehr zum Gegenstand der Bekämpfung der rekursgerichtlichen Entscheidung gemacht werden können, gilt dies nur mit der Einschränkung, daß das Rekursgericht das Vorliegen einer solchen Nichtigkeit verneint hat (RIS-Justiz RS0007232). Die Nichtbehandlung der dem erstgerichtlichen Verfahren anhaftenden Nichtigkeiten stellt jedoch einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 15 Z 2 AußStrG dar.
Gemäß § 237 Abs 1 AußStrG hat sich das Gericht zunächst vom Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Es hat ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören. Der Pflegschaftsrichter soll sich demnach einerseits einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen und andererseits diesem Gelegenheit geben, sich über Grund und Zweck des Verfahrens zu informieren und dazu gehört zu werden, also Stellung zu nehmen (NZ 1996, 109).
§ 238 Abs 1 AußStrG bestimmt, daß, wenn demnach das Verfahren fortzusetzen ist, das Gericht für einen Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren zu sorgen hat. Hat der Betroffene keinen gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter, so hat ihm das Gericht für das Verfahren einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen; dadurch wird der Betroffene in seinen Rechtshandlungen nicht beschränkt.
In der Literatur (Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762, 763) wird dazu die Meinung vertreten, daß die Bestellung eines Verfahrenssachwalters ohne Erstanhörung des Betroffenen nach § 237 AußStrG keine Nichtigkeit, sondern nur einen Verfahrensmangel begründe. Eine Nichtigkeit des Verfahrens solle nur dann vorliegen, wenn ein einstweiliger Sachwalter für dringende Angelegenheiten nach § 238 Abs 2 AußStrG ohne Erstanhörung des Betroffenen bestellt worden sei, weil in diesem Falle massiv in die Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen werde (Gitschthaler, Die Erstanhörung nach dem SachwG, NZ 1990, 265, 268). Gamerith (aaO 68) vertritt die Ansicht, es liege im letztgenannten Fall eine Nichtigkeit jedenfalls dann nicht vor, wenn sich der Betroffene am Verfahren habe beteiligen können.
Durch die WGN 1989 wurde das Revisionsrekursrecht im Verfahren außer Streitsachen an das Revisionsrecht der ZPO angepaßt. Nun ist zwar auch im Zivilverfahren anerkannt, daß die Nichtigkeitsgründe im § 477 ZPO nicht taxativ aufgezählt sind, in der Unterlassung der bloßen Einvernahme einer Partei wird aber regelmäßig - wurde damit nicht gleichzeitig das rechtliche Gehör verletzt - kein solcher Verfahrensfehler erblickt, der in seiner Tragweite den in § 477 ZPO normierten gleichkäme (1 Ob 632, 633, 634/92). Der Oberste Gerichtshof hat in einem Fall, in dem infolge Verweigerung durch den Betroffenen eine Erstanhörung nicht stattfinden konnte und in der Folge ein einstweiliger Sachwalter zur Vertretung im Sachwalterverfahren (§ 238 Abs 1 AußStrG) und gleichzeitig zur Vertretung in einem Exekutionsverfahren (§ 238 Abs 1 AußStrG) bestellt wurde, ausgesprochen, daß die Unterlassung der Erstanhörung dann keine Nichtigkeit nach sich ziehe, wenn dem Betroffenen anderweitig, insbesondere durch Ermöglichung einer schriftlichen Stellungnahme, die Gelegenheit des rechtlichen Gehörs eingeräumt war (1 Ob 632, 633, 634/92). In einem anderen Fall, in dem ein einstweiliger Sachwalter nach § 238 Abs 2 AußStrG ohne Erstanhörung der Betroffenen bestellt wurde, vertrat der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß, um der Forderung nach rechtlichem Gehör nachzukommen, das heißt dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die Dinge aus seiner Sicht darstellen zu können, diesem, wenn auch nur formlos, mitgeteilt werden muß, daß das Gespräch auch als Erstanhörung im Sinne des § 237 AußStrG gewertet werden soll (NZ 1996, 109), sodaß - wie im hier vorliegenden Fall - Gespräche des Pflegschaftsrichters mit dem Betroffenen im Zusammenhang mit anderen Verfahren nicht geeignet sind, diese Erstanhörung zu ersetzen. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs stellt einen derart fundamentalen Grundsatz des Verfahrensrechts dar, daß seine Verletzung regelmäßig eine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO begründet, ohne daß es darauf ankommen kann, in welcher Intensität mit der Entscheidung in die Rechte desjenigen eingegriffen wird, dem das rechtliche Gehör verweigert wurde. Entgegen der vom Gitschthaler (aaO) vertretenen Meinung leidet daher auch die Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG an einer Nichtigkeit, soweit dem Betroffenen jedwede Äußerungsmöglichkeit und somit das rechtliche Gehör schlechthin entzogen wurde.
Die dem Erstgericht unterlaufene Nichtigkeit bedingt die Aufhebung der Vorentscheidungen zwecks Verfahrensergänzung durch das Erstgericht. Dieses wird nach Durchführung der im § 237 Abs 1 AußStrG vorgesehenen Erstanhörung darüber zu befinden haben, ob es entweder das Sachwalterverfahren einstellt oder - im Falle einer Verfahrensfortsetzung - neuerlich einen Verfahrenssachwalter bestellt.
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