OGH 9Ob35/07y

OGH9Ob35/07y7.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH (vormals K***** GmbH), *****, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, dieser vertreten durch Mag. Thomas Hansbauer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Fromherz ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 103.320 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Februar 2007, GZ 4 R 226/06t-60, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 19. September 2006, GZ 3 Cg 42/03g-53, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.075,40 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 332,62 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte war von einem russischen Endkunden mit der Lieferung einer automatischen Laminieranlage für Fensterprofile beauftragt worden. Sie beauftragte die Klägerin mit der Zulieferung des dazu benötigten Beschickungs- und Abstapelungsautomaten und einer Paneelsäge. Im zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrag wurde ein Werklohn von 143.500 EUR vereinbart, auf den die Beklagte eine Anzahlung von 40 % leistete.

Mit der Behauptung, sie habe die ihr aufgetragenen Anlagen ordnungsgemäß hergestellt, begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung des restlichen Werklohns. Verzögerungen bei der Auftragserfüllung bzw den Umstand, dass die dem Endkunden zu liefernde Gesamtanlage nicht fehlerfrei funktioniere, habe die Beklagte zu verantworten, die nicht in der Lage gewesen sei, die von ihr beizustellende Laminieranlage fehlerfrei herzustellen. Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die von der Klägerin zu liefernden Anlagen nicht funktionierten. Die Klägerin sei schuldhaft im Verzug und habe den Vertrag schuldhaft verletzt, sodass die Werklohnforderung weder fällig noch berechtigt sei. Zudem sei der Beklagten durch den Verzug mit der Fertigstellung ein Schaden von

656.853 EUR entstanden, der kompensando als Gegenforderung eingewendet werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Nach seinen Feststellungen haben die Streitteile den zunächst mit 17. 6. 2002 festgesetzten Liefertermin mehrmals einvernehmlich verschoben, weil die Klägerin den Projektaufwand völlig unrichtig eingeschätzt und weder ein Pflichtenheft noch einen detaillierten Terminplan erstellt habe. Bei wiederholten Testläufen seien immer wieder Fehler aufgetreten. Dabei seien sämtliche Anlagenteile beider Streitteile grundsätzlich auf dem Stand der Technik, vollständig und auch funktionsfähig. Die dennoch bei den Testläufen aufgetretenen Fehler seien auf mangelhafte Einstellungen zurückzuführen, die die Klägerin hätte vornehmen müssen. Beim Testlauf am 2. 12. 2002 sei es zu einem Totalcrash der Beschickungsanlage mit einer mechanischen Beschädigung gekommen. Diese Beschädigung sei jedoch von der Klägerin bis zum nächsten Tag repariert worden. Am 3. 12. 2002 habe während eines vier bis fünf Stunden dauernden Tests wieder kein kontinuierlicher Durchlauf erzielt werden können. Um Veränderungen in steuerungstechnischer Hinsicht vorzunehmen, hätte es des bei der Klägerin zuständigen Steuerungstechnikers bedurft, der aber nicht habe erreicht werden können und der seit dem 25. 11. 2002 nicht an der Anlage gearbeitet habe. Der äußerst verärgerte Projektleiter der Beklagten habe am 3. 12. 2002 erklärt, dass weitere Tests keinen Sinn mehr hätten und dass die Beklagte die Zusammenarbeit als beendet betrachte. Dies habe er der Klägerin auch in einem Schreiben vom 6. 12. 2002 (Beil ./22) mitgeteilt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass die Beklagte wegen Leistungsverweigerung und Vertrauenserschütterung berechtigt iSd § 918 ABGB zurückgetreten sei. Einer (weiteren) Nachfristsetzung habe es nicht bedurft. Der höchst unzureichende Personaleinsatz in der letzten Phase der Einstellungsarbeiten nach den mehrfach gewährten Nachfristen sei der Klägerin als Leistungsverweigerung anzulasten. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Zwischenurteil ab, mit dem festgestellt wurde, dass die Klageforderung dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Die Berufung sei aus rechtlichen Gründen berechtigt, sodass eine Erörterung der umfangreichen Tatsachenrüge der Klägerin nicht erforderlich sei.

Es treffe zu, dass jede der Parteien eines Werkvertrags wegen einer schweren Erschütterung des Vertrauens in die Person des Vertragspartners ohne Nachfristsetzung gemäß § 918 ABGB vom Vertrag zurücktreten könne. Allerdings könnten nicht alle Koordinierungsprobleme, die nahezu bei jedem Großprojekt auftreten, eine sofortige Vertragsauflösung rechtfertigen. Die zahlreichen Terminverschiebungen und die fehlerhaften Testläufe vor dem 2. 12. 2002 mögen zu einer berechtigten Verärgerung der Beklagten geführt haben. Sie könnten aber eine Vertrauenserschütterung nicht rechtfertigen, weil sich die Beklagte mit Schreiben vom 29. 11. 2002 letztlich damit einverstanden erklärt habe, dass die Vorabnahme im Zeitraum von 9. bis 11. 12. 2002 durchgeführt werde. Denkbar wäre eine schwerwiegende Erschütterung des Vertrauens nur durch solche Umstände, die der Beklagten erst nach der Verfassung dieses Schreiben bekannt geworden seien. Der Totalcrash vom 2. 12. 2002 könne ebenfalls nicht als Vertrauenserschütterung gewertet werden, weil noch am nächsten Tag unter Mitwirkung des Projektleiters der Beklagten ein Test stattgefunden habe. Die Klägerin müsse daher zumindest am 3. 12. 2002 noch das Vertrauen der Beklagten besessen haben. Dass der Steuerungstechniker nicht anwesend gewesen sei, rechtfertige keine Vertrauenserschütterung und sei auch nicht einer endgültigen Leistungsverweigerung gleichzuhalten, weil zur Einhaltung der von der Beklagten gesetzten Nachfrist noch eine Woche zur Verfügung gestanden wäre. Die Anwesenheit des Steuerungstechnikers wäre daher höchst sinnvoll, nicht aber unbedingt nötig gewesen. Auch der Umstand, dass die Anlage am 3. 12. 2002 nicht funktioniert habe, rechtfertige den Widerruf der von der Beklagten gesetzten Nachfrist nicht, weil - was unbekämpft feststehe - die von der Klägerin hergestellten Anlagenteile prinzipiell vollständig und funktionsfähig gewesen und die Mängel nur in der Einstellung gelegen seien. Zudem habe sich die Beklagte in erster Instanz nie darauf berufen, dass ihr Vertrauen in den Vertragspartner schwerwiegend erschüttert worden sei. Sie habe nur eingewendet, dass die Klägerin schuldhaft im Verzug sei und den Vertrag schuldhaft verletzt habe, sodass die Werklohnforderung weder fällig noch berechtigt sei. Der Einwand der mangelnden Fälligkeit gehe aber fehl, weil das aus § 1052 ABGB abzuleitende Leistungsverweigerungsrecht des Werkbestellers nur dazu diene, die geschuldete mängelfreie Gegenleistung zu erzwingen. Habe der Werkbesteller aber erklärt, vom Vertrag zurückzutreten, komme eine Leistungsverweigerung zur Erzwingung der Gegenleistung nicht mehr in Betracht. Dass das Schreiben Beilage ./22 als Rücktrittsschreiben zu werten sei, sei nicht strittig. Schuldhafter Verzug des Werkunternehmers bringe die Werklohnforderung nicht zum Erlöschen, sondern berechtigte den Werkbesteller nur zum Rücktritt unter Nachfristsetzung gemäß § 918 ABGB. Ein Rücktritt ohne Nachfristsetzung habe nicht die vom Gläubiger beabsichtigte Gestaltungswirkung. Dass die Beklagte ohnedies ausreichend Nachfristen gesetzt habe, treffe nicht zu, weil als Nachfrist nur ein nach der Rücktrittserklärung liegender Zeitraum angesehen werden könne.

Die Beklagte hätte frühestens nach dem erfolglosen Verstreichen des von ihr für die Vorabnahme eingeräumten Zeitraums vom 9. bis zum 11. 12. 2002 vom Vertrag zurücktreten können. § 918 ABGB stelle daher keine tragfähige Rechtsgrundlage für den Rücktritt dar. Zudem habe sich die Beklagte in erster Instanz auf einen berechtigten Rücktritt gar nicht berufen.

Dem Werkbesteller stehe es jederzeit frei, das Werk abzubestellen bzw dem Werkvertrag ein Ende zu bereiten. Er müsse dann allerdings iSd § 1168 ABGB die Rechtsfolgen tragen, was bedeute, dass er das vereinbarte Entgelt zahlen müsse. Der Werkunternehmer müsse sich jedoch gemäß § 1168 Abs 1 ABGB anrechnen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeit erspart hat. Da die Anwendbarkeit des § 1168 ABGB in erster Instanz nicht erörtert worden sei, könne - um eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu vermeiden - derzeit nur ein Zwischenurteil gemäß § 393 ZPO gefällt werden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die oberstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob eine Vertrauenserschütterung den fristlosen Rücktritt vom Vertrag nur bei Dauerschuldverhältnissen oder auch bei Zielschuldverhältnissen rechtfertige, nicht einheitlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO an den Ausspruch des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit der Revision nicht gebunden. Es ist daher aufzugreifen, dass die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts umschriebene Rechtsfrage die in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt.

Das Berufungsgericht verweist in seinem Zulassungsausspruch auf eine 1987 ergangene Entscheidung, in der es einen Widerspruch zur späteren Rechtsprechung zur Frage der Rechtfertigung eines fristlosen Rücktritts nach § 918 ABGB durch die Erschütterung des Vertrauens in den Vertragspartner erblickt. Dieser Zulassungsausspruch steht aber im Widerspruch zur Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, eine solche Vertrauenserschütterung sei hier ohnedies in erster Instanz von der Beklagten nicht geltend gemacht worden und nach dem Sachverhalt auch nicht anzunehmen. Schließt man sich dieser Auffassung an, kommt es auf die im Zulassungsausspruch angeführte Rechtsfrage nicht an.

Die zuletzt wiedergegebene Rechtsauffassung wird in der Revision nur ansatzweise bekämpft. Insbesondere lässt die Beklagte die Ausführungen des Berufungsgerichts unbekämpft, wonach sie eine Erschütterung ihres Vertrauens in ihren Vertragspartner in erster Instanz gar nicht geltend gemacht habe. Die Beklagte beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, sie habe „angesichts der massiven Mängel und damit der offensichtlichen Unfähigkeit des Werkunternehmers zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Werkleistung" von der Sinnlosigkeit einer Nachfristsetzung ausgehen können. Schließlich sei am 3. 12. 2002 der Steuerungstechniker der Klägerin gar nicht anwesend gewesen.

Diese Ausführungen der Revisionswerberin setzen sich mit den jedenfalls nicht unvertretbaren Überlegungen des Berufungsgerichts, mit denen dieses eine relevante Erschütterung des Vertrauens der Beklagten in die Klägerin, aber auch eine Leistungsverweigerung der Klägerin und die Sinnlosigkeit einer Nachfristsetzung verneint, mit keinem Wort auseinander. Sie sind daher von vornherein nicht geeignet, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Im Übrigen macht die Revisionswerberin geltend, sie habe die erforderliche Nachfrist zwar nicht ausdrücklich gesetzt, aber tatsächlich gewährt. Dies sei im Sinne der ständigen Rechtsprechung ausreichend. Auch mit diesen Überlegungen geht die Revisionswerberin auf die gegenteiligen Rechtsausführungen des Berufungsgerichts nicht ein: Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass die Nachfrist begrifflich nur ein erst von der Rücktrittserklärung an laufender Zeitraum sein kann (RIS-Justiz RS0018362; RS0018380; zuletzt etwa 1 Ob 2172/96k). Aber auch die faktische Gewährung einer Nachfrist nach der Rücktrittserklärung kann die ausdrückliche Nachfristsetzung nur ersetzen, wenn für den Leistungsverpflichteten feststeht, dass der andere Vertragsteil noch auf dem Boden des Vertrags steht und zur Annahme der Leistung bereit ist. Bestehen daher für den Schuldner Zweifel über die Annahmebereitschaft des Gläubigers, wirkt der ohne ausdrückliche Setzung der Nachfrist erklärte Rücktritt nicht, es sei denn, der Gläubiger würde seine noch bestehende Annahmebereitschaft verdeutlichen (Reischauer in Rummel³, § 918 Rz 15; Binder/Reidinger in Schwimann³, § 918 Rz 42; P. Bydlinski in KBB² § 918 Rz 13, jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Umstände, aus denen für die Klägerin erkennbar war, sie habe auch nach dem Schreiben Beilage ./22 noch leisten können, wurden hier aber weder behauptet noch festgestellt. Auf den Umstand, dass die Klägerin nach der Beendigung des Vertrags durch die Beklagte keine Nachfristsetzung eingefordert hat, kann sich die Beklagte ebenfalls nicht mit Erfolg berufen: Eine Obliegenheit, den ohne Setzung einer Nachfrist zurücktretenden Gläubiger auf die Notwendigkeit der Nachfristsetzung hinzuweisen, hat die Rechtsprechung lediglich Unternehmern auferlegt, denen gegenüber von Konsumenten eine Rücktrittserklärung ohne Nachfristsetzung abgegeben wurde (SZ 60/287; JBl 1999, 527; zust Reischauer in Rummel³, § 918 Rz 15; Binder/Reidinger in Schwimann³, § 918 Rz 42; P. Bydlinski in KBB² § 918 Rz 13). Diese Rechtsprechung kommt daher im Verhältnis zwischen zwei Unternehmen nicht zum Tragen.

Die Auffassung der zweiten Instanz, die Beklagte sei nicht wirksam iSd § 918 ABGB vom Vertrag zurückgetreten, stellt daher keine unvertretbare Fehlbeurteilung des hier zu beurteilenden Einzelfalls dar und ist daher nicht revisibel. Damit kommt es aber auf die im Zulassungsausspruch umschriebene Rechtsfrage nicht an. Sonstige Rechtsfragen, die die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen können, werden von der Revisionswerberin nicht geltend gemacht. Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründen sich auf die §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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