OGH 9Ob28/04i

OGH9Ob28/04i31.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Andrea K*****, geb. 19. Juli 1997, *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Helga H***** und des Ehegatten der Mutter Günther H*****, beide *****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 9. Dezember 2003, GZ 1 R 336/03v-72, womit über Rekurs der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichtes Feldbach vom 17. November 2003, GZ 4 P 258/98m-69, bestätigt und ein vom Ehegatten der Mutter gegen diesen Beschluss erhobener Rekurs zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Ehegatten der Mutter wird zurückgewiesen.

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Abweisung des Antrags der Mutter, die Obsorge auch dem nunmehrigen Ehegatten der Mutter zu übertragen, als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben und die Pflegschaftssache an das Erstgericht zurückverwiesen, dem aufgetragen wird, über den Antrag der Mutter vom 11. April 2003, ihr die Obsorge über die Minderjährige rückzuübertragen, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden.

Text

Begründung

Mit Beschluss vom 18. 12. 1998 wurde den am 26. 11. 1998 geschiedenen Eltern die Obsorge über die damals etwa einjährige Andrea und über ihre beiden Geschwister (geb 1989 und 1992) "bis zur Klärung der Frage, wem sie in Zukunft zukommen soll", entzogen. Die Mutter hatte sich als in pädagogischer Hinsicht völlig inkompetent und sorglos in der Betreuung ihrer Kinder erwiesen, was im Zusammenhang mit inferioren hygienischen Verhältnissen zu einer hochgradigen psychischen Destabilisierung und einer körperlichen Mangelversorgung (auch) der mj. Daniela führte. Daniela trug durch die - auch durch schwere finanzielle Probleme und Spannungen zwischen den Eltern gekennzeichnete Situation - massive psychische Beeinträchtigungen davon.

Mit Beschluss vom 8. 6. 1999 wurde die Obsorge über die drei (mittlerweile bei Pflegeeltern untergebrachten) Kinder dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen.

Am 28. 11. 2000 beantragte die Mutter (nach einer weiteren Eheschließung damals unter dem Namen Helga C*****), ihr die Obsorge wieder zu übertragen, weil sie sich nach den Schwierigkeiten anlässlich der Scheidung der Ehe mit dem Vater des Kindes wieder erfangen habe.

Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 13. 6. 2001 mit der Begründung abgewiesen, dass sich das Kind bei den Pflegeeltern bestens eingelebt und überaus gut entwickelt habe. Zwingende Gründe für eine Rückübertragung der Obsorge der Mutter seien nicht erkennbar, zumal das Kind "aufgrund von Schwierigkeiten" bei den Eltern auf dem Pflegeplatz untergebracht worden sei. Feststellungen über die nunmehrige Situation der Mutter wurden nicht getroffen. Einem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter gab das Rekursgericht mit Beschluss vom 8. 8. 2001 nicht Folge. Dieser Beschluss des Rekursgerichtes blieb unangefochten.

Mittlerweile wurde auch die zweite Ehe der Mutter geschieden, die nunmehr mit Günther H***** verheiratet ist.

Am 11. 4. 2003 beantragten die Mutter und ihr Ehemann, ihnen die gemeinsame Obsorge über die Minderjährige (und über ihre beiden Geschwister) zu übertragen. Es sei nicht einzusehen, warum die Kinder der leiblichen Mutter weggenommen worden seien. Die beiden älteren Kinder wollten zur Mutter zurück, die mj. Andrea sei noch zu klein, um so einen Wunsch zu äußern.

Mit Beschluss vom 17. 11. 2003 wies das Erstgericht diesen Antrag ab. Die Beziehungsqualität der mj. Andrea zu den Pflegeeltern sei von solcher Güte, dass das Wohl des Kindes bei der Pflegefamilie bestens gewährleistet sei. Eine Rückübertragung der Obsorge an die Mutter und deren derzeitigen Ehegatten würde für die Minderjährige einen massiven Beziehungsabbruch von der Pflegefamilie bedeuten und eine ernste Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes darstellen. Die Minderjährige wünsche auch keinen Kontakt zum Ehemann der Mutter. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Rekursgericht einen vom Ehemann der Mutter gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobenen Rekurs zurückgewiesen und dem Rekurs der Mutter nicht Folge gegeben. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Grundsätzlich sei ein Wechsel des Pflegeplatzes zu vermeiden. Habe sich bereits einmal die Notwendigkeit der Entziehung der Obsorge ergeben, müsse vor einer Rückübertragung mit hoher Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, dass nunmehr keine Gefahr für das Kindeswohl mehr bestehe. Dass bei der Mutter - wie sie im Rekurs geltend mache - eine geordnete Wohnmöglichkeit vorhanden sei bzw eine größere Wohnung jederzeit zu bekommen sei und ihr Ehemann die Kinder während ihrer beruflichen Abwesenheit betreuen könne, reiche dazu nicht aus. Grund für die Entziehung der Obsorge seien vor allem die Hilflosigkeit und die Inkompetenz der Mutter gewesen, ihre pädagogischen und erzieherischen Pflichten zu erfüllen. Dass sich daran etwas geändert habe, lasse sich dem Antrag und dem Rekurs der Mutter nicht entnehmen.

Der Rekurs des Ehemannes der Mutter sei zurückzuweisen, weil ihm im Obsorgeverfahren der Kinder seiner Frau keine Parteistellung zukomme. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter und ihres Ehemannes mit dem erkennbaren Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Obsorge über die Minderjährige wieder der Mutter übertragen wird.

Rechtliche Beurteilung

1) Zum Rechtsmittel des Ehemanns der Mutter:

Gegen die Zurückweisung des Rekurses des Ehemannes der Mutter wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nichts vorgebracht; die für diese Zurückweisung angeführte Begründung wird mit keinem Wort bestritten. Insoweit wird eine iSd § 14 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage mit keinem Wort aufgezeigt. Der Revisionsrekurs des Ehemannes der Mutter ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2) Zum Rechtsmittel der Mutter:

Wie der Oberste Gerichtshof zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des KindRÄG 2001 am 1. 7. 2001 wiederholt ausgesprochen hat (5 Ob 542, 543/91, EFSlg 68.843; 1 Ob 119/97z; 6 Ob 213/98m; RIS-Justiz RS0048731), war § 176a ABGB (alt) analog auf den Fall anzuwenden, dass über die abermalige Unterbringung des aus der Umgebung eines Elternteiles bereits entfernten Kindes bei diesem zu entscheiden war. Das Gesetz enthielt keine ausdrücklichen Vorschriften, ob und wann eine nach § 176a ABGB (alt) getroffene Verfügung aufzuheben war (8 Ob 133/98m ua). Nach der Rechtsprechung konnte eine Anordnung nach dieser Gesetzesstelle nur aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen waren (RZ 1990/123; EFSlg 71.872; RIS-Justiz RS0048731). Daran hat sich durch das KindRÄG 2001 nichts geändert (7 Ob 320/01m; 6 Ob 148/02m). Die Mutter könnte daher mit ihrem Antrag auf Aufhebung der Erziehungsmaßnahme daher nur dann durchdringen, wenn anzunehmen wäre, dass eine Gefahr für das Wohl der Kinder nun nicht mehr besteht.

Während die Entziehung oder Einschränkung elterlicher Rechte und Pflichten nur als äußerste Notmaßnahme gerechtfertigt werden kann und das Gericht nur einzuschreiten hat, wenn ihm Missbrauch oder Vernachlässigung der Erziehung angezeigt oder amtlich bekannt wird und eine konkrete ernste Gefahr für die Entwicklung der Kinder besteht (SZ 51/112; SZ 47/137; JBl 1967, 433), ist dann, wenn eine Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten bereits stattfinden musste, bei einem Antrag auf Rückführung der Kinder in Pflege und Erziehung der leiblichen Eltern ein anderer Maßstab anzulegen. Es muss, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (SZ 51/112 ua; zuletzt 8 Ob 99/03x), mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, dass nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil, dem schon einmal die Obsorge wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden musste, gewährleistet ist und keine Gefahr für das Wohl des Kindes mehr besteht. Dem Rekursgericht ist auch beizupflichten, dass bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist, ob - vor allem bei einem längeren Aufenthalt auf einem Pflegeplatz - die Notwendigkeit der Trennung von den Pflegeeltern zu psychischen Beeinträchtigungen des Kindes und damit zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde; dabei stehen aber nur solche zu erwartenden Beeinträchtigungen einer Rückführung des Kindes entgegen, die als nicht bloß vorübergehende Umstellungsschwierigkeiten zu werten sind, sondern eine konkrete, ernste Gefahr für die Entwicklung der Kinder ergeben würden (SZ 47/137 ua).

Hier wurde der Mutter die Obsorge über die Minderjährige im Jahr 1998 entzogen, weil sie sich als in pädagogischer Hinsicht völlig inkompetent und sorglos in der Betreuung ihrer Kinder erwiesen hat, was im Zusammenhang mit inferioren hygienischen Verhältnissen zu einer hochgradigen psychischen Destabilisierung und einer körperlichen Mangelversorgung (auch) der mj. Daniela führte. Daniela trug massive psychische Beeinträchtigungen davon, die nur durch intensive Bemühungen der Pflegeeltern, verbunden mit psychotherapeutischer Behandlung so weit wettgemacht werden konnten, dass nunmehr eine erfreuliche Entwicklung des Kindes möglich wurde, das zu den Pflegeeltern und deren Kindern eine überaus enge und positive Entwicklung aufgebaut hat.

Es ist daher klar, dass eine Rückübertragung der Obsorge an die Mutter nur dann in Betracht kommt, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt ist, dass sich deren Situation, Einstellung und Persönlichkeit so weit geändert hat, dass keine neue Gefährdung des Kindeswohl und keine Beeinträchtigung der durch die Tätigkeit der Pflegeeltern erzielten Fortschritte zu befürchten ist. Nun trifft es zu, dass die bisherige Aktenlage wenig Anlass für die Annahme einer derart grundlegend gewandelten Situation bietet und dass die Tatsache, dass die Mutter arbeitet und über eine geordnete Wohnmöglichkeit verfügt, für sich allein dazu bei weitem nicht ausreicht. Ebenso ist klar, dass die im Antrag der Mutter und auch im Revisionsrekurs enthaltenen Ausführungen, wonach sie überhaupt nicht wisse, warum man ihr die Kinder weggenommen habe, gegen die Annahme einer entscheidenden Verbesserung ihrer Erziehungskompetenz spricht. All das enthebt aber das Pflegschaftsgericht nicht von seiner Verpflichtung, über die bei der Mutter gegebene Situation ein Beweisverfahren durchzuführen und die zur Beurteilung erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen. Dies ist aber bislang - und auch schon bei der Entscheidung über den letzten Obsorgeantrag der Mutter - völlig unterblieben, obwohl allein der Umstand, dass die für die Kindesabnahme maßgebenden Umstände ua mit familiären Spannungen mit dem damaligen Ehegatten der Mutter zusammenhingen, eine Änderung der Situation nicht völlig unvorstellbar erscheinen lassen. Dessen ungeachtet hat das Erstgericht, das seinen Beschluss mit vier Sätzen begründete, keinerlei Erhebungen über die Situation der Mutter durchgeführt, sie zu ihren derzeitigen Verhältnissen nicht einmal befragt und ihre Erziehungsfähigkeit in keiner Weise geprüft. Dies kann auch durch das dürftige Vorbringen der (unvertretenen) Mutter nicht gerechtfertigt werden, dem immerhin zu entnehmen ist, dass sie von einer die Rückübertragung der Obsorge ausgehenden Änderung ihrer Situation ausgeht.

Auch der Hinweis des Erstrichters auf den mit einer Rückübertragung der Obsorge an die Mutter verbundenen "massiven Beziehungsabbruch von der Pflegefamilie" entbehrt jeglicher Konkretisierung, die eine Beurteilung im Sinne der wiedergegebenen Rechtslage erlauben würde. Gleiches gilt für den im erstgerichtlichen Beschluss hervorgehobenen Umstand, dass die Minderjährige keinen Kontakt zum Ehemann der Mutter wünscht. Dieser Hinweis geht auf Ausführungen in einer Stellungnahme des Jugendamts über Besuchskontakte der Mutter mit der Minderjährigen zurück, in der davon die Rede ist, dass das Kind die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mutter genießt und die Anwesenheit "einer weiteren Person bzw von Herrn H***** störend" empfinde. Auch er vermag daher ohne nähere Prüfung für sich allein die Entscheidung der Vorinstanzen nicht zu rechtfertigen.

In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im noch angefochtenen Umfang aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, dass Verfahren im aufgezeigten Umfang zu ergänzen und sodann über den Antrag der Mutter neuerlich zu entscheiden.

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