OGH 9Nc1/19z

OGH9Nc1/19z25.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** D*****, vertreten durch Mag. Dr. Maria Lisa Doll‑Aidin, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei ***** D*****, vertreten durch Mag. Dr. Günter Harrich, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über den Delegierungsantrag der klagenden Partei den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0090NC00001.19Z.0125.000

 

Spruch:

Der Antrag der klagenden Partei, zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache AZ ***** des Bezirksgerichts Fünfhaus anstelle des Bezirksgerichts Fünfhaus das Bezirksgericht Salzburg zu bestimmen, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin (Klagsanschrift: Wien) beantragte am 27. 8. 2018 beim Bezirksgericht Fünfhaus, ihre mit dem Beklagten (Klagsanschrift: Wien) vor dem Standesamt Salzburg am 16. 9. 2017 geschlossene Ehe aus seinem Verschulden zu scheiden. Nach gescheiterten Vergleichsgesprächen beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. 12. 2018 die Delegierung der Rechtssache an das Bezirksgericht Salzburg. Das Verfahren gegen den Beklagten wegen der physischen und psychischen Übergriffe gegen die Klägerin werde von der Staatsanwaltschaft Wien fortgesetzt. Seit den körperlichen Übergriffen am 24. 7. 2018 sei sie in Salzburg aufhältig und befinde sich in ärztlicher Behandlung. Zum Beweis verwies die Klägerin auf den Akt der Staatsanwaltschaft Wien und sieben in Salzburg wohnhafte Zeugen und legte eine fachärztliche Bestätigung vom 15. 11. 2018 vor, aus der hervorgeht, dass eine Anreise der Klägerin aufgrund ihrer schweren Belastungsstörung eine massive körperliche und psychische Belastung darstelle, die ihrer Gesundung nachteilig sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass es in absehbarer Zeit zu einer substanziellen Besserung kommen werde. Aus einem weiteren fachärztlichen Befund vom 23. 8. 2018 geht hervor, dass bei der Klägerin klare Anzeichen einer PTSD (posttraumatischen Belastungsstörung) im Rahmen von schweren Gewalterfahrungen in der ehelichen Beziehung bestünden, die Erkrankung sei hochgradig. Die Klägerin habe sich in einer Art Fluchtreaktion zu Familienangehörigen nach Salzburg gerettet. In Wien fühle sie sich nicht mehr sicher, sie zeige auch Anzeichen einer Dissoziation im Rahmen der PTSD. Eine Arbeitsfähigkeit sei vorerst voraussichtlich bis Anfang Oktober 2018 nicht gegeben. Empfehlenswert sei die bestehende Rückzugsmöglichkeit in das Herkunftsland für zumindest einige Wochen unter dem Schutz der Herkunftsfamilie.

Die Klägerin ist von einer in Salzburg ansässigen Rechtsanwältin vertreten.

Der Beklagte bestritt, sprach sich gegen eine Delegierung aus und brachte dazu vor, es habe sich am 24. 7. 2018 nur um einen einzigen Vorfall gehandelt, bei dem die Klägerin Hämatome und Kratzspuren, mithin eine allenfalls leichte Körperverletzung erlitten habe. Die von der Klägerin geführten Zeugen seien ihre Eltern, Geschwister, ein Onkel und ein Imam, die keine Wahrnehmungen über das Eheleben hätten. Zum Beweis über das Eheleben beantragte der Beklagte seinerseits elf in Wien ansässige Zeugen. Der Klägerin sei eine Anreise nach Wien zumutbar, weil sie in letzter Zeit auch weitaus beschwerlichere Auslandsaufenthalte absolviert habe. Beim Beklagten sprächen medizinische Gründe gegen eine Verlegung des Scheidungsverfahrens nach Salzburg.

Der Beklagte ist von einem in Wien ansässigen Rechtsanwalt vertreten.

Im Akt liegt weiter eine Bekanntgabe der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie über die Übernahme von psychosozialer Prozessbegleitung im Zivilverfahren vom 1. 10. 2018 ein.

Das Erstgericht gab keine Stellungnahme ab.

Folgendes war zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung soll allerdings nur den Ausnahmefall darstellen. Keinesfalls soll durch eine zu großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (stRsp; RIS-Justiz RS0046441). Aus Zweckmäßigkeitsgründen soll die Delegierung vor allem dann angeordnet werden, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung, eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu bewirken verspricht (vgl RIS-Justiz RS0046333). Es entspricht daher der ständigen Rechtsprechung, dass die Delegierung gegen den Willen der anderen Partei nur dann auszusprechen ist, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten allerParteien des Verfahrens gelöst werden kann (RIS-Justiz RS0046589; RS0046324 ua).

Im vorliegenden Fall führt die Klägerin für die Delegation neben sieben Zeugen und dem Kostenaspekt vor allem ihren Gesundheitszustand ins Treffen, der ihr eine Anreise samt Verhandlung in Wien unzumutbar mache. Da der Beklagte für seinen Standpunkt seinerseits elf Zeugen namhaft gemacht hat und die Vertreter der Streitteile in Salzburg bzw Wien ansässig sind, wäre eine Delegierung der Rechtssache nach Salzburg nicht notwendigerweise mit einer Kostenverringerung verbunden. Darüber hinaus ist im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Klägerin zu bedenken, dass die Möglichkeit einer Beweisaufnahme im Weg der Videokonferenz besteht. Der Gesetzgeber hat eine Beweisaufnahme im Weg der Videokonferenz sogar zur unmittelbaren Beweisaufnahme erklärt (§ 277 ZPO; s auch Rechberger in Rechberger , ZPO 4 § 277 Rz 2), sodass auch unter dem Aspekt des Unmittelbarkeitsgrundsatzes keine Bedenken dagegen bestehen. Die Klägerin müsste zur unmittelbaren Beweisaufnahme vor dem Erstgericht daher selbst dann nicht persönlich erscheinen, wenn von ihr weiterhin keine Anreise nach Wien zu verlangen ist.

Da eine Delegierung lediglich den Ausnahmefall bilden soll, dafür aber keine ausreichenden Umstände vorliegen, ist der Delegierungsantrag abzuweisen.

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