OGH 8ObS6/19v

OGH8ObS6/19v27.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 8.581,49 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 2.578,49 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Februar 2019, GZ 8 Rs 102/18f‑18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 13. März 2018, GZ 32 Cgs 120/17v‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBS00006.19V.0627.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang eines Zuspruchs von 6.003 EUR Insolvenz-Entgelt samt 7,88 % Zinsen seit 9. 6. 2016 in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen einschließlich der Kostenentscheidungen aufgehoben.

Das über den Betrag von 2.578,49 EUR samt 7,88 % Zinsen seit 9. 6. 2016 geführte Verfahren wird für nichtig erklärt und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.315,84 EUR (darin 552,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger war vom 15. 11. 2015 bis zur Dienstnehmerkündigung per 31. 3. 2016 als gewerberechtlicher Geschäftsführer beim späteren Schuldner beschäftigt.

Mit Bescheid vom 14. 6. 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung eines Insolvenz-Entgelts von 6.003 EUR (darin 888 EUR Kosten) ab.

Mit Klage vom 11. 7. 2017 begehrte der Kläger die Zahlung dieses Betrags samt 7,88 % Zinsen seit 9. 6. 2016.

In der Tagsatzung vom 5. 12. 2017 dehnte der Kläger das Klagebegehren um 2.578,49 EUR samt 7,88 % Zinsen seit 9. 6. 2016 (Kosten aus dem Verfahren 32 Cga 33/16b des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht) auf insgesamt 8.581,49 EUR sA aus.

Die Beklagte bestritt das gesamte Klagebegehren, weil eine sittenwidrige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds vorliege.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es verneinte das Vorliegen eines atypischen Arbeitsverhältnisses.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil eine in der Berufung nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden könne.

Ausschließlich gegen den Zuspruch von 2.578,49 EUR samt 7,88 % Zinsen seit 9. 6. 2016 richtet sich die Revision der Beklagten wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der sie auf Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Klagezurückweisung im Anfechtungsumfang abzielt.

Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 6 ZPO vorliegt. Sie ist dementsprechend auch berechtigt.

1.1 Nach § 67 ASGG kann unter anderem in einer Streitigkeit über die Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt (§ 65 Abs 1 Z 7 ASGG) eine Klage nur erhoben werden, wenn darüber bereits mit Bescheid entschieden wurde oder der Bescheid nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen wurde. Voraussetzung ist also, dass der jeweilige Anspruch bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war (vgl 8 ObS 8/07w).

Die Verwaltungssache im Verwaltungsverfahren nach dem IESG und der Streitgegenstand im gerichtlichen Sozialrechtsverfahren nach IESG müssen – dem Wesen der sukzessiven Kompetenz entsprechend – bei sonstiger Unzulässigkeit des Rechtswegs ident sein (8 ObS 119/00h; Haider in Reissner , Arbeitsverhältnis und Insolvenz 5 § 10 IESG Rz 16 mwN).

1.2 Aus diesem Grund sind quantitative und qualitative Änderungen der Klage gegenüber dem im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Anspruch in gerichtlichen Sozialrechtsverfahren nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Klagegrund unverändert bleibt (RS0103949; RS0076813 [T6, T7, T10]).

Derartige nachträgliche Änderungen müssen zuerst vor der IEF-Service GmbH geltend gemacht werden, die hierüber sachlich zu entscheiden hat (vgl 8 ObS 119/00h).

2. Die Unzulässigkeit des Rechtswegs ist gemäß § 42 Abs 1 JN auf Antrag oder von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens (im Rechtsmittelverfahren aufgrund eines zulässigen Rechtsmittels; RS0041940) wahrzunehmen. Eine Heilung kann hier nur erfolgen, wenn die Unzulässigkeit des Rechtswegs bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz (oder bis zur Zurückweisung der Klage durch das Erstgericht) beseitigt worden ist (8 ObS 12/03b; 10 ObS 130/98k).

3. Die Beklagte zeigt zutreffend auf, dass der Kostenbetrag, um den die Klage in der Tagsatzung am 5. 12. 2017 ausgedehnt wurde, nicht Gegenstand des Antrags des Klägers auf Zuerkennung eines Insolvenz-Entgelts und des hierüber ergangenen (der Mahnklage zugrundeliegenden) Bescheids war.

Einen im Verwaltungsverfahren gestellten Antrag bzw dort erlassenen Bescheid bezüglich dieser (weiteren) Kosten hat der Kläger weder dargetan noch ist ein solcher aktenkundig. Vielmehr räumt der Kläger in der Revisionsbeantwortung ein, dass der Betrag im Verfahren vor der Beklagten auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt „wegen der umgehenden Bescheiderlassung nach Zustellung des rechtskräftigen Urteils [im Verfahren 32 Cga 33/16b des Landesgerichts Eisenstadt]“ nicht beantragt wurde.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im angefochtenen Umfang aufzuheben; das darüber geführte Verfahren war für nichtig zu erklären und die Klage insoweit zurückzuweisen.

4. Die Wahrnehmung der (teilweisen) Unzulässigkeit des Rechtswegs durch den Obersten Gerichtshof erfordert eine neue Kostenentscheidung für das erst‑ und zweitinstanzliche Verfahren. Gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG sind dem Kläger die Kosten nach dem Wert des Obsiegten, daher auf Basis von 6.003 EUR, zu ersetzen (Liebeg, IESG3 § 10 Rz 30 mwN). Der Kläger hat die Kosten für das Verfahren vor dem Erstgericht allerdings ohnehin nur auf dieser Bemessungsgrundlage verzeichnet, sodass lediglich die Kosten für die Berufungsbeantwortung zu kürzen waren. Ein Kostenersatzanspruch des Klägers im Revisionsverfahren scheitert daran, dass Billigkeitsgründe iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG weder behauptet wurden noch hervorgekommen sind.

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