OGH 8ObS292/00z

OGH8ObS292/00z16.8.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und Richard Paiha als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth M*****, vertreten durch Dr. Anton Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Wien, Niederösterreich und Burgenland, 1050 Wien, Geigergasse 5-9, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 21.563,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2000, GZ 7 Rs 104/00s-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Jänner 2000, GZ 3 Cgs 186/99k-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der späteren Gemeinschuldnerin als Angestellte vom 1. 2. 1957 bis 28. 2. 1997 mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt S 17.210 beschäftigt. Das Dienstverhältnis der Klägerin endete durch Arbeitnehmerkündigung wegen Inanspruchnahme vorzeitiger Alterspension auf Grund langer Versicherungsdauer.

Der gesetzliche Abfertigungsanspruch der Klägerin in der Höhe von 12 Monatsentgelten betrug S 226.483 netto. Darüber hinaus wurde zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber die Bezahlung einer freiwilligen Abfertigung in Höhe von S 18.800 netto, fällig am 1. 3. 1997, vereinbart. Drei Monatsentgelte der Abfertigung in Höhe von netto S 56.620,95 waren ebenfalls am 1. 3. 1997 zur Zahlung fällig, weitere neun Monatsraten in Höhe von jeweils S 18.873,65 waren monatlich beginnend mit 1. 6. 1997 auszuzahlen.

Auf den gesamten Abfertigungsanspruch, bestehend aus gesetzlicher und freiwilliger Abfertigung in Höhe von insgesamt S 245.283,60 netto erbrachte die ehemalige Dienstgeberin der Klägerin folgende Zahlungen:

16. 8. 1997 S 9.000,--

21. 8. 1997 S 9.873,65

23. 9. 1997 S 8.000,--

3. 10. 1997 S 10.000,--

9. 1. 1998 S 18.873,65

27. 3. 1998 S 18.873,65

18. 4. 1998 S 8.873,65

insgesamt S 93.494,60.

In dem daraufhin von der Klägerin angestrengten Arbeitsgerichtsverfahren schlossen die Parteien am 13. 10. 1998 einen Vergleich, mit dem sich die ehemalige Arbeitgeberin der Klägerin zur Bezahlung des eingeklagten Betrags von restlich S 151.789 netto samt Zinsen unter Bezahlung eines Kostenbeitrags verpflichtete. Daraufhin erhielt die Klägerin von ihrer ehemaligen Dienstgeberin folgende weitere Zahlungen:

6. 11. 1998 S 20.000,--

21. 12. 1998 S 15.000,--

31. 12. 1998 S 5.000,--

inssgesamt S 40.000,--.

Die Zahlungen wurden als "Abfertigung" gewidmet, ohne Unterscheidung, ob es sich um die gesetzliche oder die freiwillige Abfertigung handelt.

Mit Beschluss vom 23. 3. 1999 wurde über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin der Konkurs eröffnet. Die Klägerin meldete aus dem Titel "Abfertigung ein Restbetrag" im Konkurs S 111.789 netto zuzüglich S 19.743,18 an Zinsen und Kosten an. Diese Beträge begehrte sie auch mit dem am 20. 4. 1999 bei der Beklagten eingebrachten Antrag auf Leistung von Insolvenz-Ausfallgeld. Eine Unterscheidung zwischen gesetzlicher und freiwilliger Abfertigung wurde im Antrag nicht getroffen. Die Beklagte erkannte der Klägerin den Betrag von S 127.627, darin enthalten S 15.598 an Zinsen und Kosten, als Insolvenz-Ausfallgeld zu und lehnte mit Bescheid vom 18. 10. 1999 die Begleichung der darüber hinaus geltend gemachten Ansprüche ab. Im durchgeführten Ermittlungsverfahren sei festgestellt worden, dass im begehrten Abfertigungsrest eine freiwillige Abfertigung in Höhe von S

18.800 inkludiert sei. Freiwillige Abfertigungen seien nach dem IESG nicht gesichert.

Mit ihrer am 15. 11. 1999 zur Post gegebenen Klage begehrte die Klägerin, die Beklagte zur Zahlung auch ihrer restlichen Forderung in der Höhe von insgesamt S 21.563 schuldig zu erkennen. Gegenstand des Insolvenz-Ausfallgeldanspruchs sei nicht eine freiwillige Abfertigung, vielmehr der Rest der gesetzlich zustehenden Abfertigung. Die ehemalige Dienstgeberin der Klägerin habe mehrfach Teilzahlungen vor Konkurseröffnung geleistet, diese seien zunächst auf den ungesicherten Anspruch der freiwilligen Abfertigung anzurechnen, sodass nur mehr die restliche gesetzliche Abfertigung Verfahrensgegenstand sei.

Die Beklagte wendete ein, dass nach ständiger Rechtsprechung Teilzahlungen des Dienstgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen und abweichende Widmungsvereinbarungen unbeachtlich seien. Der Anspruch auf freiwillige Abfertigung sei nicht gesichert, weshalb insoweit eine Anrechnung der Teilzahlungen nicht in Frage komme.

Das Gericht erster Instanz wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass nach ständiger Rechtsprechung Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Arbeitnehmeransprüche anzurechnen seien. Davon abweichende Widmungsvereinbarungen zwischen den Vertragsparteien seien nicht zu beachten, weil es sonst zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung jener Arbeitnehmer komme, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche bis zu dem nach dem IESG gesicherten Höchstausmaß vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds ersetzt erhielten. Die Bezahlung einer "freiwilligen Abfertigung" sei kein gesicherter Anspruch im Sinn des IESG, und zwar unabhängig davon, ob der Grenzbetrag erreicht werde oder nicht. Die Abweisung des Begehrens erfolge richtlinienkonform, weil der Zahlung einer "freiwilligen Abfertigung" der Charakter der von der RL 80/987/EWG geforderten Mindestsicherung von Arbeitnehmeransprüchen mangle.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Es verwies auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und führte ergänzend aus, dass nach ständiger Rechtsprechung im Fall von Anspruchsbegrenzungen Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen seien. Die von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 1998, C-125/97 (Regeling) betreffe einen anders gelagerten Sachverhalt, zumal im vorliegenden Fall keine Rede davon sein könne, dass der von der Richtlinie garantierte Mindestschutz von drei laufenden Entgeltzahlungen betroffen sei bzw verletzt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Revision der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits vor der IESG-Novelle BGBl 1993/817, mit der Abs 4a in § 1 IESG eingefügt wurde, judiziert, dass die nach Dauer des Dienstverhältnisses gestaffelte bis zum Zwölffachen des Monatsentgelts reichende Abfertigungsregelung des § 23 Abs 1 AngG der Funktion der Abfertigung als Überbrückungshilfe nach dem Verlust des Arbeitsplatzes ausreichend Rechnung trage. Eine darüber hinausgehende Abfertigungsvereinbarung sei zwar ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht schon allein wegen ihrer Höhe sittenwidrig, entspreche jedoch nicht dem auf Existenzsicherung aufbauenden Grundprinzip des IESG (9 ObA 81/92; WBl 1995, 160). Durch § 1 Abs 4a IESG wird nunmehr ausdrücklich auf einen nach den §§ 23 und 23a AngG oder einer anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschrift bestehenden Anspruch auf Abfertigung Bezug genommen. Durch diese Bestimmung wird nach nunmehr ständiger Rechtsprechung der Abfertigungsanspruch generell erfasst und der Höhe nach gewissen Begrenzungen unterworfen. Eine Rechtsgrundlage, darüber hinaus freiwillig vereinbarte Abfertigungen als gesichert anzusehen, bietet das IESG nicht (ErlBem BlgNR 18. GP 1332; WBl 1995, 160; 8 ObS 113/98w; 8 ObS 13/01x; RIS-Justiz RS0076826).

Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits wiederholt ausgesprochen,

dass Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil

der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen seien; davon abweichende

Widmungsvereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien blieben

unbeachtlich. Anderenfalls käme es zu einer nicht gerechtfertigten

Besserstellung jener Arbeitnehmer, die ohnehin einen Teil ihrer

Ansprüche vom Arbeitgeber hereinbringen konnten, dennoch aber alle

restlichen Ansprüche bis zu dem nach dem IESG gesicherten Höchstmaß

von der Beklagten ersetzt erhielten (9 ObS 16/91 = SZ 64/124 = DRdA

1992/23 [mit zust Glosse Geist]; RIS-Justiz RS0076422). Bereits Geist

aaO hat hervorgehoben, dass diese Anrechnungsregel seit der

IESG-Novelle 1986 durch § 1 Abs 4 letzter Satz IESG positiv-rechtlich

abgesichert werde. Dort werde normiert, dass auf den Grenzbetrag der

gesicherten Bezüge Zahlungen der Masse oder des Arbeitgebers

anzurechnen seien. Diese Bestimmung sei auf sonstige Fälle der

Anspruchsbegrenzung analog anzuwenden. Der erkennende Senat hat in

seiner Entscheidung 8 ObS 2321/96y = ZIK 1997, 191 dargelegt, dass

sich aus § 1416 ABGB in Verbindung mit dem Zweck des IESG zur

Sicherung von Sockelbeträgen von Arbeitnehmeransprüchen ergebe, dass

auch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistete

Teilzahlungen zur Vermeidung aleatorischer Ergebnisse anzurechnen

seien. Die Regelung des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG sei daher

selbstverständlich auf die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

geleisteten Teilzahlungen anzuwenden. Es verstieße gegen den

Systemzusammenhang, die Anrechnungsregelung des § 1 Abs 4 letzter

Satz IESG nur für Entgeltansprüche nach § 1 Abs 3 Z 4 IESG anzuwenden

und nicht entsprechend auf Abfertigungsansprüche, für die noch in

einem weitergehenden Ausmaß die Betragsbeschränkung gelte. Der Sinn

dieser weitergehenden Betragsbeschränkung würde geradezu in sein

Gegenteil verkehrt, würden Teilzahlungen auf Abfertigungen nicht

angerechnet werden.

Auch die von der Klägerin zitierte Entscheidung des EuGH C-125/97 (Regeling) kann weder zu einem ihrem Standpunkt günstigeren Ergebnis führen noch die Veranlassung bilden, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Dies aus folgenden Erwägungen:

Der EuGH hatte sich in seinem Urteil mit der Frage zu befassen, ob bei Vorliegen offener Ansprüche auf laufendes Entgelt des Arbeitnehmers vor dem gesicherten Zeitraum und innerhalb desselben Zahlungen des Arbeitgebers im gesicherten Zeitraum auf die Garantieleistungen anzurechnen seien oder auf die älteren nicht gesicherten offenen Forderungen. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die Anrechnung derartiger Zahlungen des Arbeitgebers auf die während des Bezugszeitraums entstandenen Ansprüche trotz Bestehens älterer nicht erfüllter Ansprüche zu einer Verletzung des von der Richtlinie garantierten Mindestschutzes führe. Dessen Gewährung hinge dann nämlich von der zufälligen oder bewussten Entscheidung des Arbeitgebers ab, bestimmte Zahlungen während des Bezugszeitraums zu leisten oder nicht zu leisten. Weber (ZIK 1998, 118, EuGH zur Insolvenz-Entgeltsicherung - Anpassungsbedarf in Österreich?) führt unter Bezugnahme auf diese Entscheidung und die dargestellte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anrechnung von Teilzahlungen aus, dass aus dem Zweck der Richtlinie, eine Mindestsicherung zu schaffen, sowie der Entscheidung des EuGH abzuleiten sei, vom Arbeitgeber geleistete Teilzahlungen könnten diese Mindestsicherung nicht beschränken, sondern müssten dem Arbeitnehmer direkt zugute kommen. Teilzahlungen seien somit grundsätzlich primär auf die ungesicherten Ansprüche anzurechnen. Auch wenn der EuGH nicht ausdrücklich auf betragsmäßige Begrenzungen abstelle, so lasse doch die Parallele zwischen der vom EuGH zu beurteilenden Problematik und der Anrechnung auf den Grenzbetrag deutlich erkennen, dass die Regelung des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG als richtlinienwidrig zu beurteilen sei.

Die Entscheidung des EuGH betraf laufendes Entgelt - somit einen grundsätzlich gesicherten Anspruch -, in dessen ohnedies kurze zeitliche Begrenzung nicht durch Anrechnung trotz älterer offener Forderungen verschlechternd eingegriffen werden dürfe. Sämtliche von Weber angestellten Überlegungen betreffen - grundsätzlich ebenfalls gesicherte - Ansprüche, die lediglich auf Grund des im § 1 Abs 4 IESG genannten Grenzbetrags nicht zur Gänze vom Fonds zu tragen sind. Beide Fälle liegen hier nicht vor. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der freiwilligen Abfertigung ist nämlich nicht wegen einer zeitlichen oder betragsmäßigen Begrenzung nicht zu befriedigen, sondern schlicht deshalb, da freiwillige Abfertigungen - wie eingangs dargestellt - grundsätzlich nicht nach dem IESG gesichert sind. Während - denkt man sich die Teilzahlungen des Arbeitgebers weg - in dem vom EuGH behandelten Fall der Garantiebetrag jedenfalls voll zustehen würde und es ebenso in dem von Weber behandelten Fall zur vollen Zahlung innerhalb des Grenzbetrages käme, würde in der hier zu entscheidenden Rechtssache ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld aus dem Titel "freiwilliger Abfertigung" unzweifelhaft nicht bestehen. Wollte man dem Rechtsstandpunkt der Klägerin folgen, käme es im Ergebnis dazu, dass schon durch eine Teilzahlung der ehemaligen Dienstgeberin die Klägerin auch einen überhaupt nicht gesicherten Anspruch ersetzt erhielte. Davon, dass in einem derartigen Fall durch Anrechnung von Teilzahlungen nur auf gesicherte Ansprüche der Mindestschutz der Richtlinie verletzt würde, kann daher keine Rede sein.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen, weil Billigkeitsgründe im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG nicht behauptet wurden.

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