OGH 8ObS28/07m

OGH8ObS28/07m16.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Johann Doppelhofer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz D*****, vertreten durch Stampfer & Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle G*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 832 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Juli 2007, GZ 8 Rs 64/07d-12, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Jänner 2007, GZ 24 Cgs 365/06s-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 266,69 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 44,45 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 3. 1. 2000 als Arbeiter bei der Spezialpappenfabrik R***** GmbH beschäftigt, über deren Vermögen mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 14. 6. 2006 Konkurs eröffnet wurde. Das Dienstverhältnis des Klägers war zumindest zum 14. 6. 2006 noch aufrecht.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten ua Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von 832 EUR netto (Urlaubszuschuss für 1. 7. 2005 bis 31. 12. 2005).

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 28. 11. 2006 die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld im Umfang der angemeldeten 832 EUR netto an Urlaubszuschuss für 1. 7. 2005 bis 31. 12. 2005 ab. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Klage. Er brachte vor, der anzuwendende Kollektivvertrag für Arbeiter in der Papierindustrie lege fest, dass sich der mit Auszahlung des Monatsbezugs für Mai fällige Urlaubszuschuss auf den Zeitraum von 1. 7. des Vorjahres bis 30. 6. des Folgejahres beziehe. Daher sei der für 1. 7. 2005 bis 31. 12. 2005 gebührende Urlaubszuschuss erst im Mai 2006 fällig geworden. Die Fälligkeit des Urlaubszuschusses liege somit innerhalb des in § 3a Abs 1 IESG genannten Zeitraumes.

Die Beklagte wendet ein, aus der anzuwendenden Regelung im Kollektivvertrag ergebe sich mit eindeutiger Klarheit, dass der Urlaubszuschuss jeweils für das Kalenderjahr gebühre. Der nun vom Kläger begehrte Urlaubszuschuss für den Zeitraum 1. 7. bis 31. 12. 2005 sei somit bereits im Mai 2005 fällig geworden, woran eine allenfalls abweichende betriebliche Übung nichts ändern könne. Der geltend gemachte Anspruch sei somit nicht gesichert, weil er nicht innerhalb des in § 3a Abs 1 erster Satz IESG genannten Sicherungszeitraums fällig geworden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgte im Wesentlichen der Rechtsauffassung des Klägers.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil der Auslegung des Kollektivvertrags über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

In seiner rechtlichen Beurteilung zitierte das Berufungsgericht zunächst die maßgeblichen Regeln des § 8 des anzuwendenden Kollektivvertrags für Arbeiter in der Papierindustrie, die wie folgt lauten:

„§ 8 Urlaubszuschuss

66: Alle Arbeiter erhalten einmal in jedem Kalenderjahr einen Urlaubszuschuss in der Höhe eines Monatsverdienstes; Lehrlinge erhalten eine monatliche Lehrlingsentschädigung. Der Urlaubszuschuss ist mit der Auszahlung des Monatsbezuges für Mai fällig. 67: Für die Berechnung des Monatsverdienstes wird der durchschnittliche Bruttoverdienst gemäß Punkt 31 des Berechnungszeitraumes Oktober bis März herangezogen. 68: Bei einer Dienstzeit unter einem Jahr gebührt der aliquote Teil des im Punkt 66 genannten Betrages.

69: Während des Jahres austretende Arbeiter erhalten den aliquoten Teil des in Punkt 66 genannten Betrages. Arbeiter, die ohne wichtigen Grund vorzeitig austreten, haben keinen Anspruch auf den aliquoten Teil im Sinne des vorhergehenden Satzes.

70: Für die Berechnung des aliquoten Teiles nach Punkt 68 gilt als Stichtag der 30. Juni des laufenden Jahres.

71: Für die Berechnung des aliquoten Teiles nach Punkt 69 gilt als Stichtag der vorangegangene 1. Juli oder, wenn das Dienstverhältnis nach dem 1. Juli begonnen hatte, das Eintrittsdatum."

§ 9 (Weihnachtsremuneration) hat folgenden Wortlaut:

„72: Alle Arbeiter erhalten einmal in jedem Kalenderjahr eine Weihnachtsremuneration in der Höhe eines Monatsverdienstes. Lehrlinge erhalten eine monatliche Lehrlingsentschädigung. Die Weihnachtsremuneration ist mit der Auszahlung des Monatsbezuges für Oktober fällig.

73: Für die Berechnung des Monatsverdienstes wird der durchschnittliche Bruttoverdienst gemäß Punkt 31 des Berechnungshalbjahres April bis September herangezogen. 74: Bei einer Dienstzeit von unter einem Jahr gebührt der aliquote Teil des in Punkt 72 genannten Betrages.

75: Während des Jahres austretende Arbeiter erhalten den aliquoten Teil des in Punkt 72 genannten Betrages. Arbeiter, die ohne wichtigen Grund vorzeitig austreten, haben keinen Anspruch auf den aliquoten Teil im Sinne des vorhergehenden Satzes.

76: Für die Berechnung des aliquoten Teiles nach Punkt 74 gilt als Stichtag der 1. Jänner des laufenden Jahres, oder, wenn das Dienstverhältnis nach dem 1. Jänner begonnen hatte, das Eintrittsdatum."

Das Berufungsgericht führte aus, dass gemäß § 3a Abs 1 IESG Insolvenz-Ausfallgeld für Sonderzahlungen gebühre, die in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (Konkurseröffnung) fällig geworden seien. Es sei daher zu überprüfen, wann die Fälligkeit des in Rede stehenden Anspruchs eingetreten sei.

Sonderzahlungen stellten Leistungen dar, die aus besonderem Anlass geschuldet oder freiwillig ausgeschüttet würden. Abgesehen von vereinzelten gesetzlichen Regelungen bilde der Kollektivvertrag die Rechtsgrundlage für die Sonderzahlungen. Strittige Fragen betreffend die Anspruchsvoraussetzungen, die Anspruchshöhe und die Anspruchsdauer seien daher durch Interpretation der kollektivvertraglichen Bestimmungen zu lösen. In erster Linie sei bei der Auslegung eines Kollektivvertrags der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Heranzuziehen seien somit für die Auslegung des normativen Teils von Kollektivverträgen die Auslegungsregeln der §§ 6 und 7 ABGB. Dabei sei den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten.

Unstrittig sei, dass der Fälligkeitszeitpunkt für den Urlaubszuschuss mit der Auszahlung des Monatsbezugs für Mai gegeben sei. Strittig sei lediglich, welcher Zeitraum durch den Urlaubszuschuss abgedeckt werden solle, nämlich das Kalenderjahr 2006 oder aber der Zeitraum 1. 7. 2005 bis 30. 6. 2006. Das sei gleichbedeutend mit der Frage, ob der Urlaubszuschuss einen nahezu (bis auf einen Monat) gesamten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum abdecken oder aber teilweise, nämlich zu 7/12, im Vorhinein und lediglich zu 5/12 im Nachhinein gewährt werde. Betrachte man § 8 Punkt 66 isoliert von den übrigen Bestimmungen, so würde sich der Urlaubszuschuss nach dem Wortlaut jeweils auf das Kalenderjahr beziehen. Im Kontext seien jedoch die weiteren in § 8 geregelten Punkte 67 f zu betrachten. § 8 Punkt 67 sehe für die Berechnung des Monatsverdiensts den durchschnittlichen Bruttoverdienst des Berechnungszeitraums Oktober bis März vor. Dabei handle es sich definitiv um die Berechnungsgrundlage. Die weiteren Punkte 68 und 69 stellten eine Aliquotierungsregelung für das erste Jahr sowie für den Fall eines während des Jahres austretenden Arbeiters (mit Ausnahme eines vorzeitigen Austritts ohne wichtigen Grund) dar. Für die Berechnung des aliquoten Teils gelte nach den Punkten 70 und 71 eine Stichtagsregelung, aus der sich Folgendes ergebe: Habe ein Arbeitnehmer bei einer Dienstzeit unter einem Jahr Anspruch auf einen Urlaubszuschuss, so gelte für die Berechnung des aliquoten Teils als Stichtag der 30. Juni des laufenden Jahres. Das bedeute, dass der ursprünglich am 3. 1. 2000 eingetretene Kläger nach dem Kollektivvertrag im Mai 2000 Anspruch auf den mit 30. 6. zu aliquotierenden Urlaubszuschuss gehabt habe. In weiterer Folge gebühre daher zum nächsten kollektivvertraglichen Fälligkeitszeitpunkt (Auszahlung mit dem Gehalt für Mai 2001) ein Monatsentgelt an Urlaubszuschuss für den Zeitraum 1. 7. 2000 bis 30. 6. 2001. Setze man das fort, werde mit Ende Mai 2006 der Urlaubszuschuss für den Zeitraum 1. 7. 2005 bis 30. 6. 2006 fällig. Dazu würde auch die Aliquotierungsregel für austretende Arbeitnehmer passen. Trete ein Arbeitnehmer während des Jahres aus, sei für die Berechnung des aliquoten Teils als Stichtag der vorangegangene 1. Juli, oder, wenn das Dienstverhältnis nach dem 1. Juli begonnen habe, das Eintrittsdatum maßgebend. Diese Stichtagsregelung wäre insbesondere für austretende Arbeitnehmer nicht erforderlich, ginge man davon aus, dass der aliquote Urlaubszuschuss jeweils für das Kalenderjahr zu berechnen wäre. Aus den kollektivvertraglichen Bestimmungen in ihrem Zusammenhalt könne daher nur abgeleitet werden, dass der mit Auszahlung des Bezugs Mai fällige Urlaubszuschuss den Zeitraum 1. 7. des vorangegangenen Jahres bis 30. 6. des laufenden Jahres abdecke, somit zu 11/12 im Nachhinein und zu 1/12 im Vorhinein zu gewähren sei. Im Gegensatz dazu sei die Weihnachtsremuneration anders geregelt und stelle offensichtlich auch bei den Aliquotierungsregeln auf das Kalenderjahr ab.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt. Der Senat folgt der Auslegung des Berufungsgerichts in der Frage, welchen Zeitraum der jeweils im Mai jeden Jahres fällig werdende Urlaubszuschuss abdecken soll, zur Gänze. Auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts wird verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Richtig ist - wie auch das Berufungsgericht betonte - dass sich § 8 Punkt 66 des anzuwendenden Kollektivvertrags nach dem insoweit klaren Wortlaut darauf bezieht, dass alle Arbeiter einmal in jedem Kalenderjahr einen Urlaubszuschuss in der Höhe eines Monatsverdienstes erhalten. Entsprechend wird auch in § 9 Punkt 72 die Weihnachtsremuneration dahin geregelt, dass alle Arbeiter einmal in jedem Kalenderjahr eine Weihnachtsremuneration erhalten. Betrachtet man nun § 8 Punkt 66 des Kollektivvertrags isoliert, ist der Revisionswerberin darin beizupflichten, dass diese Regelung dafür spräche, dass sich der im Mai fällig werdende Urlaubszuschuss auf das jeweilige Kalenderjahr bezieht.

Bereits das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend darauf verwiesen, dass eine Auslegung in diesem, von der Beklagten gewünschten Sinn, mit Punkt 70 und 71 des § 8 des Kollektivvertrags nicht vereinbar wäre: Gemäß Punkt 70 gilt für die Berechnung des aliquoten Teils bei einer Dienstzeit unter einem Jahr (Punkt 68) als Stichtag der 30. Juni des laufenden Jahres. Für die Berechnung des aliquoten Teils für jene Arbeiter, die während des Jahres austreten (Punkt 69), gilt gemäß Punkt 71 als Stichtag der vorangegangene 1. Juli, oder, wenn das Dienstverhältnis nach dem 1. Juli begonnen hatte, das Eintrittsdatum. Diese Berechnungsregeln machen nur Sinn, wenn man der Auslegung des Berufungsgerichts folgt: Die Beklagte übersieht bei ihrer Meinung, Punkt 70 und 71 betreffe nur Rumpfjahre, dass ändere aber nichts an dem im Punkt 66 festgelegten Grundsatz, dass der Urlaubszuschuss für das Kalenderjahr gebührt, dass die in Punkt 70 und 71 vorgesehene Berechnung aliquoter Teile des Urlaubszuschusses in der dort vorgesehenen Weise (Stichtag 30. Juni bzw 1. Juli) auf ein Rumpfjahr gar nicht möglich wäre, unterstellt man, dass der Urlaubszuschuss, der im Mai ausbezahlt wird, das jeweilige Kalenderjahr abdecken soll: Beginnt etwa ein dem Kollektivvertrag unterliegendes Dienstverhältnis am 1. 8. 2005 und tritt der Arbeiter am 1. 2. 2007 aus (§ 8 Punkt 69), würde der nach Punkt 71 maßgebliche Stichtag (1. Juli 2006) keinerlei Sinn machen, folgt man dem Standpunkt der Beklagten, dass der betreffende Arbeiter bereits im Mai 2006 den gesamten Urlaubszuschuss für 2006 erhalten hätte. Da somit - wovon das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgegangen ist - die Regelungen in § 8 Punkt 70 und 71 des Kollektivvertrags nur bei der Auslegung Sinn machen, dass der Urlaubszuschuss sich nicht auf das Kalenderjahr bezieht, sondern auf die Periode 1. Juli bis 30. Juni des Folgejahres und den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten (RIS-Justiz RS0008828), ist der Auslegung des Berufungsgerichts in der Frage, welchen Zeitraum der jeweils im Mai fällig werdende Urlaubszuschuss decken soll, zu folgen. Der unberechtigten Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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