OGH 8ObS205/02h

OGH8ObS205/02h17.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Wilhelm Koutny und Dr. Anton Wladar als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manuela F*****, vertreten durch Dr. Helmut Grubmüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 13.725,97 netto sA Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse EUR 9.871,27), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 2002, GZ 9 Rs 211/02v-19, mit dem infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. Juni 2000, GZ 18 Cgs 170/99t-10, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 2. 6. 1998 bei der Gemeinschuldnerin, einer GmbH, als Angestellte für Buchhaltungstätigkeiten beschäftigt. Seit 17. 7. 1998 ist der einzige Geschäftsführer der Dienstgeberin verschollen. Über Anraten des Steuerberaters der GmbH und wegen der Notwendigkeit, einen Konkursantrag zu stellen, beantragte die Klägerin am 24. 7. 1998, sie zur Notgeschäftsführerin der GmbH zu bestellen. Sie begründete dies damit, dass "dringende Geschäftsentscheidungen anstünden, insbesondere laufende Zahlungsverpflichtungen der Gesellschaft entstünden bzw Zahlungen getätigt werden müssten". Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom gleichem Tag stattgegeben. Am 30. 7. 1998 stellte die Klägerin einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 26. 8. 1998 mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abgewiesen. Die konkrete Tätigkeit der Klägerin zwischen Bestellung zur Notgeschäftsführerin und Konkursantrag bestand darin, soweit als möglich die Belege abzustimmen. Außer dem Konkurseröffnungsantrag setzte die Klägerin keine Rechtshandlungen als Notgeschäftsführerin. Am 27. 8. 1998 verfasste die Klägerin ein Schreiben an die Gemeinschuldnerin, indem sie "aufgrund nicht geleisteter Zahlungen ihren berechtigen Austritt zum heutigen Tag" bekannt gab. Ihre Abmeldung - allerdings mit 3. 9. 1998 - von der Gebietskrankenkasse unterschrieb die Klägerin selbst.

Über ihren Antrag vom 8. 9. 1998 wurde die Klägerin am 22. 10. 1998 als Notgeschäftsführerin gelöscht.

Die beklagte Partei hat der Klägerin, basierend auf einem Anstellungsverhältnis zur Gemeinschuldnerin vom 2. 6. 1998 bis 23. 7. 1998 (vor Bestellung der Klägerin zur Notgeschäftsführerin der Gemeinschuldnerin) Insolvenz-Ausfallgeld gewährt, ihren darüber hinausgehenden Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld für die Zeit ab 24. 7. 1998 mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin in dieser Zeit Organ der Gemeinschulderin gewesen sei.

Das Berufungsgericht wies, der Berufung der beklagten Partei stattgebend, in teilweiser Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung das noch strittige Klagebegehren in Höhe von EUR 9.871,27 sA zur Gänze ab. Die Rechtsstellung eines Notgeschäftsführers gemäß § 15a GmbHG entspreche - sofern sie nicht auf einzelne Rechtshandlungen eingeschränkt sei - der des statutarisch bestellten Geschäftsführers. Eine Sonderstellung des Notgeschäftsführers im Hinblick auf seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld sei nicht gerechtfertigt. Die Klägerin sei seit ihrer Bestellung zur Notgeschäftsführerin - entgegen der Auffassung des Erstgerichtes - nicht mehr als Arbeitnehmerin anzusehen, weil mit der Bestellung zur Notgeschäftsführerin zwangsläufig Unternehmerfunktionen verbunden seien. Es komme nicht darauf an, in welchem Umfang der Notgeschäftsführer von seinen Funktionen Gebrauch mache, sondern es sei nur auf die Organmitgliedschaft abzustellen. Gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG hätten Organmitglieder einer Gemeinschuldnerin keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Da der Notgeschäftsführer nach § 15a GmbHG dem statutarischen Geschäftsführer gleichgestellt sei, sei er im Bezug auf seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld ebenfalls gleich zu behandeln. Dies bedeute, dass die Klägerin für die Dauer ihrer Notgeschäftsführerfunktion keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld habe. Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage des Anspruchs eines nicht erst nach Konkurseröffnung bestellten Notgeschäftsführers oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, genügt es grundsätzlich, auf diese zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Klägerin meint, auch im Falle des Ausschlusses nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG sei in jedem Einzelfall die Frage nach dem konkreten Ausmaß der Einflussmöglichkeit zu stellen. Eine Personengruppe pauschal aus dem Anwendungsbereich des IESG auszuschließen, sei jedenfalls unsachlich und im vorliegenden Fall hochgradig unbillig. Sie habe sich seinerzeit überreden lassen, Notgeschäftsführer zu werden, damit sie den Konkursantrag stellen könne und damit die gesamte Belegschaft in weiterer Folge in den Genuss von Insolvenz-Ausfallgeld komme. Dies sei ihr einziges Ansinnen gewesen. Sie wollte letztlich ihren Arbeitskollegen und sich selbst helfen. Im Übrigen sei in jenem Zeitpunkt, als die Klägerin zur Notgeschäftsführerin bestellt worden sei, die Gesellschaft bereits überschuldet und zahlungsunfähig gewesen. Somit sei die damalige Situation - ungeachtet aller Billigkeitserwägungen - auch mit jener Situation vergleichbar, in der nach Konkurseröffnung ein Notgeschäftsführer bestellt werde. Als mit rechtlichen Dingen kaum befasste Angestellte, sei ihr die Gefahr, die für sie mit ihrer Bestellung zur Notgeschäftsführerin verbunden sei, nicht bewusst gewesen. Ausgehend vom Sinn des Gesetzes müsse man bei der hier gegebenen Konstellation letztlich zum Ergebnis kommen, dass kein Grund vorliege, die Klägerin vom Bezug des Insolvenz-Ausfallgeldes auszuschließen.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern:

§ 1 Abs 6 Z 2 IESG nimmt Mitgliedern eines Organes einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung dieser juristischen Person berufen ist, den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Diese Bestimmung stellt nur auf die Organmitgliedschaft und - anderes als § 1 Abs 6 Z 4 IESG - nicht auf die rechtlichen und faktischen Einflussmöglichkeiten der als Organe bestellten Personen ab (RIS-Justiz RS0109523; Liebeg IESG2 § 1 Rz 286 ff). Dieser Ausschluss ist richtlinienkonform (RIS-Justiz RS0108254) und verfassungsrechtlich unbedenklich (RIS-Justiz RS0076928 und RS0076874, insbes SZ 62/90 und 64/124).

Dies gilt grundsätzlich auch für den Notgeschäftsführer gemäß § 15a GmbHG, der wie hier ohne Einschränkung seines Aufgabenkreises bestellt wurde, weil er wie jeder andere von den Gesellschaftern bestellte Geschäftsführer zur umfassenden Leitung der GmbH berechtigt und verpflichtet ist (Koppensteiner GmbHG Rz 12 zu § 15a GmbHG; vgl Liebeg aaO Rz 294 zu § 1).

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 9 ObS 14/91 = ecolex 1992, 171 ausgeführt, dass die Rechtsstellung eines erst nach Konkurseröffnung gemäß § 15a GmbHG bestellten Notgeschäftsführers einer GmbH infolge der sich aus § 3 KO ergebenden weitgehenden Beschränkungen nicht mit der Rechtsstellung vergleichbar ist, die dem Organ einer juristischen Person im Allgemeinen zukommt; § 1 Abs 6 IESG sei daher auf einen Notgeschäftsführer, der niemals eine der Organstellung adäquate Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis erlangt habe, nicht anzuwenden.

Dazu, was rechtens ist, wenn ein Notgeschäftsführer vor Konkurseröffnung bestellt wurde, fehlt aber ausdrückliche oberstgerichtliche Rechtsprechung, sodass diese Frage näher zu prüfen ist.

Der Oberste Gerichtshof hat lediglich den vergleichbaren Fall eines Verlassenschaftskurators entschieden. Er hat in seinen Entscheidungen

8 ObS 268/98i (= DRdA 2000, 317 [zustimmend Holzer] = WBl 1999, 516)

und 8 Ob 187/00h (= RdW 2001, 751) dargelegt, dass ein Verlassenschaftskurator Arbeitgeberfunktion ausübe und daher nicht als Arbeitnehmer anzusehen sei, sodass ihm im Fall späterer Konkurseröffnung über die Verlassenschaft seines verstorbenen Arbeitgebers kein Insolvenz-Ausfallgeld gebühre; anderes könnte nur dann gelten, wenn ein Arbeitnehmer erst nach Konkurseröffnung zum Verlassenschaftskurator bestellt worden sei, weil er im Hinblick auf die Tätigkeit des Masseverwalters nie eine echte Unternehmensfunktion ausüben konnte.

Folgt man den aus diesen Entscheidungen ersichtlichen Grundsätzen, muss für den vorliegenden Fall der Schluss gezogen werden, dass eine Beschränkung der Ausschlussbestimmung des § 1 Abs 6 Z 2 IESG stets nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Geschäftsführer nie eine echte Unternehmerfunktion ausüben konnte, weil seine Rechtsstellung von Anfang an durch § 3 KO beschränkt war, nicht aber dann gerechtfertigt es, wenn er vorerst, wenn auch nur auf kurze Zeit alle Rechte und Pflichten eines Geschäftsführers hatte.

Darauf, welche Tätigkeiten der Notgeschäftsführer im konkreten Fall ausgeübt hat, kommt es, wie erwähnt, ebensowenig an, wie darauf, ob die Gesellschaft bei Bestellung des Notgeschäftsführers bereits insolvent war, weil die Rechtsstellung des Geschäftsführers ja erst durch die Konkurseröffnung gesetzlich beschränkt wird. Ebenso wenig kann berücksichtigt werden, dass die Klägerin, einem nachteiligen Rat folgend, ihre Bestellung zur Notgeschäftsführerin beantragt hat, weil sie meinte, dies sei notwendig, um Insolvenz-Ausfallgeld zu erhalten. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 77 ASGG.

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