OGH 8ObS19/06m

OGH8ObS19/06m30.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michael B*****, vertreten durch Freimüller und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, Singerstraße 17-19, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei R***** S*****, vertreten durch Dr. Reinhard Zimmermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 5.359,73 sA Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2006, GZ 8 Rs 151/05t-17, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei sowie Berufung der Nebenintervenientin das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1. März 2005, GZ 20 Cgs 217/04d-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin enthalten EUR 55,52 USt) und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen des seit Oktober 2001 den Kläger beschäftigenden Arbeitgeber wurde mit Beschluss vom 5. 2. 2004 das Ausgleichsverfahren eröffnet.

In diesem hat der Kläger die der Höhe nach unstrittigen Lohnansprüche für November 2003 bis 5. 2. 2004 samt Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration vom 1. 7. 2003 bis 5. 2. 2004 in Gesamthöhe von EUR 5.359,73 am 3. 3. 2004 angemeldet. Am 12. 3. 2004 wurde vom Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Arbeitgebergesellschaft ein Kredit bei der als Nebenintervenientin auftretenden Bank zur „Vorfinanzierung der offenen Entgelte" aufgenommen. Zur Besicherung wurden Liegenschaften verpfändet, zwei Deckungswechsel gegeben und 19 Arbeitnehmerforderungen abgetreten.

So hat auch der Kläger am 12. 3. 2004 eine Verpfändungserklärung abgegeben. Darin ist einleitend festgehalten, dass die Bank die Ansprüche aus den Insolvenz-Ausfallgeldfonds in Höhe von EUR 5.359,73 „bevorschusst". Zur Sicherstellung dieses Vorschusses verpfändete der Kläger seine ihn nach dem IESG gegenüber dem Insolvenz-Ausfallgeldfonds zustehenden Ansprüche bzw für den Fall, dass solche nicht bestehen, seine Ansprüche gegen die Arbeitgebergesellschaft. Für den Fall, dass der bevorschusste Betrag daraus nicht einbringlich sein sollte, verpflichtete er sich selbst zur Abdeckung des verbleibenden offenen Betrages. Die Spesen, Kosten und Zinsen für die Bevorschussungen sollte der Alleingesellschafter und Geschäftsführer tragen. Der Kläger erklärte unwiderruflich, dass sämtliche ihm aus den Mitteln des Insolvenz-Ausfallgeldfonds zuerkannten Beträge bis zur Höhe des Vorschusses mit schuldbefreiender Wirkung an die Bank zu leisten sind. In der Ausgleichstagsatzung vom 23. 3. 2004 wurde der Ausgleich, der eine 40 %-ige Quote vorsah, angenommen und dies mit Beschluss vom 30. 3. 2004 bestätigt. Am 23. 3. 2004 war die Antragstellung an die Beklagte erfolgt. Diese hat mit Bescheid vom 2. 9. 2004 den Antrag abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es im Ergebnis nicht Zweck des IESG sei, dem Gesellschafter einer GmbH das Finanzierungsrisiko abzunehmen und ihm das zur Fortführung des Unternehmens aufgewendete Eigenkapital im Fall der Insolvenz zu ersetzen. Da die Firma sämtliche Lohnforderungen zur Auszahlung gebracht habe, stünden den Klägern keine offenen Forderungen mehr zu. Mit seiner Klage begehrt der Kläger EUR 5.359,73 an Insolvenz-Ausfallgeld. Die Vorfinanzierung sei eine übliche Vorgehensweise, um Arbeitnehmer davon abzuhalten, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Gerade im Ausgleich sei der Fortbetrieb besonders wichtig.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass der Betrag bereits bezahlt worden sei. Zwischen dem Kläger und der Bank habe kein Kreditverhältnis bestanden. Vielmehr sei der Kläger als Bürge für den Kredit des Alleingeschäftsführers anzusehen. Eine Finanzierung der Fortführung des Betriebes zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds sei nicht vorgesehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging zusammengefasst rechtlich davon aus, dass der Kläger aus einem Eigenkapital ersetzenden Gesellschafterdarlehen bereits seinen rückständigen Lohn ausbezahlt erhalten habe. Es sei unzulässig, das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds zu überwälzen. Im Ergebnis sei davon auszugehen, dass die Kreditgewährung bereits „in der Krise" im Sinne des Eigenkapitalersatz-Gesetzes erfolgt wäre. Die Rückzahlung eines Darlehens des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber sei durch das IESG nicht gesichert.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Es folgerte rechtlich in einer umfassenden Auseinandersetzung mit den verschiedenen Bewertungsaspekten, dass nach ständiger Judikatur die Ausgleichseröffnung allein kein Grund für den vorzeitigen Austritt sei, sehr wohl aber, wenn das zuständige Entgelt oder die Bezüge ungebührlich geschmälert würden. Gerade im Ausgleichsverfahren sei die Betriebsfortführung ein wesentlichen Anliegen der insolvenzrechtlichen Bestimmungen. Das IESG sichere zwar die Arbeitnehmer ab, jedoch bedürfe es häufig für den Zeitraum zwischen der Antragstellung und der tatsächlichen Zahlung neben den Vorschussmöglichkeiten nach dem IESG auch Überbrückungszahlungen Dritter. So sehe § 7 Abs 6 IESG auch eine Auszahlung des IAG an durch Verpfändung oder Übertragung der gesicherten Ansprüche Berechtigter vor. § 7 Abs 6a IESG schränke dies für gewisse Fälle ein, was den Zweck habe, dass eine Vorfinanzierung ohne Einleitung von Sanierungsschritten verhindert werde. Auch § 7 Abs 6a verhindere nur, dass der finanzierende Dritte die Ansprüche direkt ausbezahlt bekomme. Nach den Vereinbarungen solle primär die Rückzahlung durch die Arbeitnehmer, im Übrigen aber auch durch den Kreditnehmer erfolgen. Grundsätzlich bestehe aber bei diesen Vereinbarungen die Gefahr, dass der Arbeitgeber die Arbeitskraft nutze und das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälze. Darin könne eine missbräuchliche und damit sittenwidrige Gestaltung liegen, wie sie der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals im Zusammenhang mit eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen angenommen habe. Soweit damit eine Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds erfolge, sei dies gemäß § 879 Abs 1 ABGB nichtig. Von der Kreditgewährung eines Gesellschafters an die GmbH könne hier aber nicht ausgegangen werden. Auch sei es hier ja so, dass die Dienstnehmer selbst zur Rückzahlung verpflichtet wären. Von einer Risikoüberwälzung sei auch insofern nicht auszugehen, als hier das Ausgleichsverfahren schon eröffnet sei und die Leistungspflicht der Beklagten - abgesehen von der Antragstellung - eingetreten sei. Auch eine Überwälzung des Sanierungsrisikos sei im Hinblick auf die bereits schätzbare Ausgleichsquote nicht vorhanden gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Austrittsrecht der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Entgeltzahlung verneint werde. Schließlich habe die Finanzierung ausschließlich der Fortführung des Unternehmes gedient. Eine Befriedigung der Entgeltansprüche habe die Bevorschussung nicht bewirken wollen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Auswirkung von Vorfinanzierungskonstruktionen, mit denen nach Ausgleichseröffnung Ansprüche der Arbeitnehmer der Gesellschaft vorfinanziert werden sollen, um die Betriebsfortführung zu sichern und bei denen als Kreditnehmer ein Gesellschafter auftritt, nicht vorliege.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, dass auch eine Zahlung als Vorschuss eine Befriedigung bedeute und im Übrigen zu prüfen sei, inwieweit nicht eine sittenwidrige Zuführung von Liquidität zu Gunsten der am Fortbetrieb wirtschaftlich Interessierten zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds erfolgt sei.

Vorweg kann weitgehend auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden.

Allgemein ist Folgendes zu bedenken:

Die hier maßgebliche Leistung wurde nach der Vereinbarung von der Bank als „Vorschuss" auf die Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeldfonds geleistet. Als Sicherstellung dafür hat der Kläger primär seine Ansprüche nach dem IESG verpfändet und erklärt, dass diese Leistungen an die Bank zu erbringen sind. Gleichzeitig hat dafür auch der Alleingesellschafter der Arbeitgeber-GmbH einen Kredit aufgenommen. Von einer Befriedigung der offenen Entgeltforderungen des Klägers gegenüber der Arbeitgebergesellschaft durch die Leistungen der Bank kann aber nicht ausgegangen werden. Sollte doch nach der Vereinbarung die Leistung einen „Vorschuss" auf die Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld darstellen. Da der Kläger ja auch selbst für die Rückzahlung des Vorschusses haftet und die Bank nicht Schuldner des Insolvenz-Ausfallgeldes ist - ebenso wenig der Entgeltansprüche - kann dies aber nur als Zwischenfinanzierung bis zum Erlangen der entsprechenden Leistungen verstanden werden, nicht aber als Befriedigung der Entgeltansprüche gegenüber der Arbeitgeberin. Es ist also davon auszugehen, dass es sich um aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von Entgeltansprüchen nach § 1 Abs 2 Z 1 IESG handelt. Auch diese Bestimmung sieht schon vor, dass die Sicherung weiter besteht, wenn die Ansprüche gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind. Anders als in der Entscheidung zu 8 ObS 269/00t = RdW 2001, 426 liegt hier im Ergebnis auch eine Darlehensgewährung an den Arbeitnehmer vor, da dieser zur Rückzahlung verpflichtet ist (vgl dazu Liebeg, Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz3, § 1 Rz 238; RIS-Justiz RS00112897 mwN).

Geht man aber davon aus, dass weiter offene Entgeltansprüche, die einer Sicherung im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1 IESG unterliegen, vorhanden sind, so stellt sich die Frage, inwieweit hier dem zweiten Einwand der Beklagten Berechtigung zukommt, dass durch die Vereinbarungen zwischen den Parteien und ihren Vertragspartnern im Ergebnis eine sittenwidrige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf die Beklagte erfolgt ist.

Es ist zwar zutreffend, dass der Oberste Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen früher davon ausgegangen ist, dass eine Überwälzung eines Finanzierungsrisikos etwa dann angenommen wurde, wenn der Arbeitnehmer ungewöhnlich lange ohne entsprechende Entgeltzahlungen im Betrieb verblieben ist und dieser Umstand nur daraus erklärt werden konnte, dass er auf die spätere Zahlung durch den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vertraute (RIS-Justiz RS0114470 mit

zahlreichen weiteren Nachweisen sowie RIS-Justiz RS0112127 mit

zahlreichen weiteren Nachweisen und RIS-Justiz RS0110971 mwN insb aber auch 8 ObS 18/06i, vgl auch Liebeg, Insolvenzentgeltsicherungsgesetz3 § 3a Rz 26 ff, wonach nunmehr allein aus dem „Stehenlassen" nicht mehr auf eine missbräuchliche Überwälzung des Finanzierungsrisikos geschlossen wird). Davon kann aber hier in keiner Weise ausgegangen werden, da es ja nur um die letzten Monate vor der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens geht und sonstige Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung insoweit nicht vorliegen.

Weiters hat der Oberste Gerichtshof unter dem Aspekt allfälliger sittenwidriger Überwälzung von Risken auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nach §§ 879 ABGB auch geprüft, inwieweit Arbeitnehmer, die gleichzeitig auch Gesellschafter sind, nicht unter Beachtung der verpönten eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen gehalten sein könnten, statt „unentgeltlich" für ihre Gesellschaft zu arbeiten und auf eine spätere Zahlung durch den Insolvenz-Ausfallgeldfonds zu hoffen, entsprechendes Eigenkapital zuzuschießen (RIS-Justiz RS0018227 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; nunmehr zu der Neuregelung der Frage des Eigenkapitalersatzrechtes das Eigenkapitalersatz-Gesetz BGBl I 2003/92; Liebeg aaO § 3a Rz 30 ff).

Mit dem Problem der Verlagerung des Finanzierungsrisikos und des eigenkapitalersetzenden Gesellschaftsdarlehens verbunden ist das Problem der Drittfinanzierung (vgl Liebeg aaO § 3a Rz 1). Wäre es doch grundsätzlich denkbar, dass ein Arbeitgeber von vornherein veranlasst, dass die Arbeitnehmer ihr Entgelt von der Bank gegen Abtretung potentieller späterer Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld bekommen (vgl Liebeg aaO § 8 Rz 8 f). Genau diese Problemstellung liegt aber hier nicht vor, da sie doch im Wesentlichen zugrundelegt, dass durch dieses Weiterwirtschaften durch die Zahlung durch die Bank der Sanierungsprozess bzw der Konkurs und Ausgleichsantrag hinausgeschoben wird und damit das Volumen des Entgeltes, das der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu tragen hat, erhöht wird. Hier handelt es sich aber um eine Finanzierung von Ausgleichsforderungen während eines bereits anhängigen Ausgleichsverfahrens bei dem die zeitlich begrenzte Leistungspflicht des Insolvenz-Ausfallgeldfonds bereits feststeht und es im Wesentlichen nur darum geht, die Arbeitnehmer vom Austritt abzuhalten, was regelmäßig sogar zu einer Verringerung der Zahlungslast des Insolvenz-Ausfallgeldfonds führen kann (vgl dazu Liebeg aaO § 8 Rz 18). Ein sittenwidriges Zusammenwirken zur Überwälzung zusätzlicher Risken auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds im Sinne des § 879 ABGB kann hier nicht gesehen werden. Dementsprechend war der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.

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