OGH 8ObS16/03s

OGH8ObS16/03s18.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria W*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 5.719,56 netto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2000, GZ 7 Rs 90/00k-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Dezember 1999, GZ 33 Cgs 106/99f-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Das mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 26. April 2001, 8 ObS 249/00a, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

2. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Ersturteil zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 5.058,74 samt 4 % Zinsen aus EUR 4.918,53 vom 10. 2. 1999 bis 10. 8. 1999 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei EUR 660,82 samt 4 % Zinsen vom 10. 2. 1999 bis 10. 8. 1999 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 472,18 (darin EUR 78,70 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit EUR 516,20 (darin EUR 86,03 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 353,99 (darin EUR 59,00 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 2. Juni 1997 bis 5. Mai 1999 bei einer Gesellschaft mbH, deren Geschäftsführer ihr Ehemann Josef W***** war, als Angestellte beschäftigt. Ihr Tätigkeitsbereich war die Buchhaltung und das Mahnwesen. In Entscheidungen der Unternehmensführung war sie nicht eingebunden. Die Klägerin war - ebenso wie ihr Ehemann - zu 25 % Gesellschafterin ihrer Arbeitgeberin.

Wie der Oberste Gerichtshof im Zwischenverfahren erhoben hat, erfolgte gemäß § 7 Punkt 6 des Gesellschaftsvertrags vom 7. Dezember 1991 der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin die Beschlussfassung in der Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit. Gemäß Punkt 7. bedurften folgende Beschlüsse einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen: a) Änderung des Gesellschaftsvertrages, b) Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern und Prokuristen, c) Verlegung des Sitzes der Gesellschaft, d) Gründung von Zweigniederlassungen, e) Kauf, Veräußerung und Belastung von Liegenschaften, f) Aufnahme von Krediten über S 500.000, g) Eingehen von Wechselverbindlichkeiten über S 100.000, h) Eingehen von Bürgschaften, auch der Gesellschafter, i) Verpfändung von Geschäftsanteilen, j) Investitionen über S 200.000 und k) Verwendung des jährlichen Reingewinns.

Mit Beschluss vom 10. Februar 1999 wurde über das Vermögen der Gesellschaft mbH der Konkurs eröffnet. Das Dienstverhältnis der Klägerin endete durch eine vom Masseverwalter gemäß § 25 KO ausgesprochene Kündigung.

Wegen Schwierigkeiten bei Durchführung eines Großauftrags in Ungarn hatte die Arbeitgeberin der Klägerin im Frühjahr 1998 Zahlungsschwierigkeiten bei Materiallieferungen, Löhnen und Lohnnebenkosten. Der Geschäftsführer konnte bei der Hausbank keine Erhöhung des mit 3 Mio S bereits voll ausgenützten Kreditrahmens erreichen. Zur Erlangung eines weiteren Kredits von S 1 Mio war die Verpfändung des im Hälfteeigentum der Klägerin und ihres Ehemannes stehenden Wohnhauses erforderlich. Die Klägerin, die davon ausging, dass mit Einbringlichmachung der Außenstände der ungarischen Baustelle die finanziellen Schwierigkeiten beseitigt sein würden, stimmte der Kreditaufnahme und der Mithaftung zu. Mit dem Überbrückungskredit wurden die dringendsten finanziellen Forderungen beglichen, darunter die Löhne der Mitarbeiter samt Abgaben. In der Folge gelang es jedoch nicht, die Außenstände im Gesamtbetrag zwischen 5 und 7 Mio S einbringlich zu machen. Ab September 1998 konnte die Gesellschaft mbH keine Löhne mehr auszahlen. Deren Geschäftsführer musste darüber hinaus feststellen, dass er sich bei Projekten verkalkuliert hatte, sodass große Verluste zu erwarten waren. Der im November 1998 beigezogene Betriebsberater kam zum Schluss, dass ein Konkursantrag unausweichlich sei. Im Unternehmen waren außer der Klägerin 19 Arbeiter und Angestellte sowie 11 Lehrlinge beschäftigt. Bereits vor Konkurseröffnung waren vier Arbeiter und ein Angestellter wegen Entgeltvorenthaltung ausgetreten.

Die Klägerin hatte seit September 1998 keinen Lohn erhalten. Ihre Ansprüche betragen der Höhe nach:

Entgelt September 1998 S 9.892,--

Spesen Aufwandsentschädigung

Kilometergeld S 2.308,--

Entgelt Oktober 1998 S 9.943,--

Spesen Aufwandsentschädigung

Kilometergeld S 7.350,--

Entgelt November 1998 S 9.943,--

Weihnachtsremuneration 1998 S 10.064,--

Entgelt Dezember 1998 S 9.943,--

Entgelt Jänner 1999 S 10.197,--

Entgelt 1. bis 10. Februar 1999 S 3.399,--

Aliquote Sonderzahlungen

1. 1. bis 10. 2. 1999 S 2.318,--

Urlaubsentschädigung für 30 Werktage S 15.470,--

Schadenersatz nach § 25 KO

6. 5. bis 30. 6. 1998 S 21.861,--

8 % Zinsen ab Fälligkeit bis 10. 2. 1998 S 1.159,--

Kosten S 350,--

S 114.197.

Die Klägerin meldete diese Ansprüche im Konkurs der Gesellschaft mbH fristgerecht als Forderung an und beantragte bei der Beklagten rechtzeitig die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld.

Mit Bescheid vom 5. 8. 1999 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass von Minderheitsgesellschaftern länger als 60 Tage stehen gelassene fällige Gehaltsansprüche als Eigenkapital ersetzendes Gesellschafterdarlehen zu qualifizieren seien, sowie dass das Stehenlassen von Entgelt eine sittenwidrige Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds darstelle, die Nichtigkeit begründe.

Mit ihrer am 3. 9. 1999 beim Erstgericht überreichten Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld im Betrag von S 114.197 sA. Sie sei Arbeitnehmerin im Sinn des Arbeitsrechts gewesen, weshalb sie Anspruch auf Leistungen der Beklagten habe. Auch die anderen Mitarbeiter hätten im Vertrauen auf die Gesundung des Unternehmens ihre Löhne nicht eingefordert, weshalb keine sittenwidrige Überwälzung des Unternehmerrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vorliege. Auf Grund der Zusicherungen des Geschäftsführers habe die Klägerin bis Mitte Dezember 1998 darauf vertrauen können, dass die Löhne nachgezahlt würden. Sodann sei sie als einzige Angestellte, die sich mit der Buchhaltung befasst habe, für die Vorbereitung des Konkursantrags benötigt worden.

Die Beklagte wendete dagegen ein, dass die Klägerin als Gesellschafterin die Möglichkeit gehabt habe, firmenpolitische Entscheidungen mitzutragen und zu verhindern. Auf Grund ihrer Stellung als Lohnbuchhalterin, Buchhalterin und Beauftragte für das Mahnwesen sei ihr die schlechte finanzielle Situation der Gesellschaft bereits im September 1998 bekannt gewesen. Es hätte sie daher die Verpflichtung getroffen, entweder wegen Lohnvorenthaltens sofort auszutreten oder als Gesellschafterin eine Kapitalaufstockung insbesondere hinsichtlich des nicht eingezahlten Stammkapitals vorzunehmen. Das Stehenlassen der ausstehenden Gehälter für einen so langen Zeitraum müsse als sittenwidrige Überwälzung des Unternehmerrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds betrachtet werden.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte zur Zahlung von S 78.702,80 sA an Insolvenz-Ausfallgeld schuldig. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass beim Verbleib des Arbeitnehmers im Unternehmen trotz Nichtzahlung des Lohnes ohne ernstlichen Versuch, die Beträge einbringlich zu machen, indiziert sei, dass der Arbeitnehmer beabsichtige, seine offenen Ansprüche gegenüber dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen. Eine derartige Verhaltensweise sei sittenwidrig. Die Klägerin, die trotz Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig geblieben sei und volle Kenntnis über die schlechte finanzielle Situation der Arbeitgeberin gehabt habe, hätte spätestens am 31. Oktober 1998 ihren vorzeitigen Austritt erklären müssen, weil sie zu diesem Zeitpunkt hätte erkennen können, dass weder der September- noch der Oktoberlohn zur Auszahlung gelange. Es stehe ihr daher ab diesem Zeitpunkt kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu. Der Klägerin gebühren daher nur jene Entgelt- und Schadenersatzansprüche, die sie bei rechtzeitigem Austritt zum 31. Oktober 1998 hätte begehren können. Das seien im Einzelnen:

Entgelt, Spesen und Kilometergeld für

September und Oktober 1998 S 29.493,--

Weihnachtsremuneration vom 1. 1.

bis 31. 10. 1998 S 8.413,30

Urlaubsentschädigung für 30 Arbeitstage

S 15.470,--

Kündigungsentschädigung vom 1. 11. bis

31. 12. 1998 S 23.233,--

8 % Zinsen aus S 12.200,-- vom 1. 10.

bis 31. 10. 1998 S 81,--

8 % Zinsen aus S 76.576,63 vom 1. 11. 1998

bis 10. 2. 1999 S 1.697,17

Gerichtskosten S 350,--

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge und änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Stehenlassen von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer einer Gesellschaft mbH, der zugleich deren Gesellschafter sei, sei bei einer Beteiligung von - wie hier - 25 % als Eigenkapitalersatz zu qualifizieren, wenn der Gesellschafter die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft erkennen konnte. Dazu bedürfe es keiner Stundungsvereinbarung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft; es genüge als subjektives Erfordernis, dass für den Gesellschafter die fehlende Kreditwürdigkeit erkennbar sei. Der Klägerin habe auf Grund ihrer Tätigkeit die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft mbH ab Herbst 1998 bekannt sein müssen, zumal im Frühjahr 1998 der Kreditrahmen schon voll ausgeschöpft gewesen sei und ein neuer Kredit nur mehr unter ihrer Mithaftung und Belehnung ihrer Haushälfte erlangt habe werden können. Das Stehenlassen ihrer Entgeltansprüche ab September 1998 sei daher als Eigenkapitalersatz zu werten.

Eine Trennung der Ansprüche aus einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis in einen Anteil, in dem sie als Gesellschafterin durch Stehenlassen ihrer Entgeltforderungen ein Eigenkapital ersetzendes Gesellschafterdarlehen gewährte und in einem Teil, in dem sie als Arbeitnehmerin nach einem dem "Fremdvergleich" standhaltendem Verhalten ihren fingierten Austritt erklärt hätte, sei nicht möglich. Würden einerseits gesellschaftsrechtliche Erwägungen über den Eigenkapitalersatz zum Ausschluss der Sicherung nach dem IESG führen, so könne vom einheitlichen Rechtsverhältnis nicht andererseits ein typisches Arbeitsverhältnis, das einen vom Sicherungszweck des IESG erfassten Austritt rechtfertigen könnte, getrennt werden. Insofern wirke die gesellschaftsrechtliche Betrachtungsweise fort und verdränge allfällige Arbeitnehmeransprüche.

Auch ein sogenannter "Fremdvergleich" führe zu keinem anderen Ergebnis. Danach hätten nämlich normalerweise Arbeitnehmer unter den gegebenen Prämissen das Arbeitsverhältnis nicht aufrecht erhalten. Bleibe ein Arbeitnehmer dennoch, etwa weil er sich aus familiären Gründen dazu veranlasst gesehen habe, im Unternehmen, stehe ihm kein Insolvenz-Ausfallgeld zu, weil er wissen musste, dass rückständige Lohnansprüche grundsätzlich vom Fonds abgegolten werden. Aus der zwischenzeitlich erfolgten zeitlichen Limitierung der Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld für laufendes Entgelt für Zeiten vor der Konkurseröffnung nach § 3a IESG folge nicht, dass die Geltendmachung von Insolvenz-Ausfallgeld für einen Lohnrückstand von sechs Monaten vor Konkurseröffnung nie sittenwidrig sein könnte. Sittenwidrigkeit liege vielmehr bei Hinzutreten besonderer Umstände wie etwa genaue Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Unternehmens, Nahebeziehung zum Unternehmer verbunden mit der Absicht, die Weiterführung des Unternehmens zu ermöglichen, auch bei einer kürzeren Zeitspanne vor.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Revision der Klägerin kommt teilweise Berechtigung zu.

Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Beschluss vom 26. April 2001, 8 ObS 249/00a, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Widerspricht es den Zielen der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, wenn ein Gesellschafter ohne beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft unter Berücksichtigung der auch von der österreichischen Rechtsprechung angewandten Grundsätze über das Eigenkapital ersetzende Darlehen seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld dann verliert, wenn er als Arbeitnehmer der Gesellschaft nach Eintritt deren ihm erkennbarer Kreditunwürdigkeit nicht mehr bezahltes laufendes Arbeitsentgelt durch mehr als 60 Tage nicht ernsthaft einfordert und/oder wegen Vorenthaltens des Entgelts nicht vorzeitig austritt?

2. Umfasst dieser Anspruchsverlust alle unberichtigten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder nur solche, die nach jenem fiktiven Zeitpunkt entstanden sind, zu welchem ein unbeteiligter Arbeitnehmer wegen Vorenthaltens des Lohnes den Austritt aus dem Arbeitsverhältnis erklärt hätte?"

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mit seinem Urteil vom 11. September 2003 diese Fragen wie folgt beantwortet:

"1. Es verstößt gegen die Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassung der die Europäische Union begründenden Verträge geänderten Fassung, dass ein Arbeitnehmer, der an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der er angestellt ist, eine erhebliche Beteiligung hält, ohne jedoch über einen beherrschenden Einfluss auf diese Gesellschaft zu verfügen, aufgrund der österreichischen Rechtsprechung zu Eigenkapital ersetzenden Gesellschafterdarlehen seinen Garantieanspruch für unter Art 4 Abs 2 der Richtlinie fallende wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erfüllte Ansprüche auf Arbeitsentgelt verliert, wenn er nach Eintritt der ihm erkennbaren Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft das ihm zustehende laufende Arbeitsentgelt während mehr als 60 Tagen nicht ernsthaft einfordert.

2. Ein Mitgliedstaat darf grundsätzlich zur Vermeidung von Missbräuchen Maßnahmen ergreifen, durch die einem solchen Arbeitnehmer ein Garantieanspruch für Entgeltforderungen versagt wird, die nach dem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, wegen Vorenthaltens des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, sofern nicht nachgewiesen ist, dass kein missbräuchliches Verhalten vorliegt. Im Rahmen der Garantie für unter Art 4 Abs 2 der geänderten Richtlinie 80/987 fallende Ansprüche darf ein Mitgliedstaat nicht unterstellen, dass ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, in der Regel aus diesem Grund aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, bevor die nicht erfüllten Entgeltsansprüche einen Zeitraum von drei Monaten betreffen."

Begründend führte der Gerichtshof unter anderem aus, die Richtlinie 80/987 stehe nach ihrem Art 10 Buchstabe a nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die zur Vermeidung von Missbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Diese Bestimmung gestatte auch Maßnahmen, die von dem in Art 4 der Richtlinie vorgesehenen Mindestschutz abweichen (Rz 36). Nach Wiedergabe der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Eigenkapital ersetzenden Gesellschafterdarlehen, welche bezogen auf den hier zu beurteilenden Fall dahin zusammengefasst wurde, dass es danach dem Gesellschafter-Arbeitnehmer zum Vorwurf gereiche, wenn er nicht innerhalb von 60 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem er die Kreditunwürdigkeit der ihn beschäftigenden Gesellschaft erkennen konnte, ernsthaft die Erfüllung der bereits entstandenen Entgeltansprüche einfordere (Rz 43), stellte der Gerichtshof fest: Das Verhalten eines Gesellschafter-Arbeitnehmers, der unter solchen Umständen Insolvenz-Ausfallgeld für seine Forderungen beantragt, könne nicht als missbräuchliche Verhaltensweise zu Lasten einer Garantieeinrichtung angesehen werden. Der Betroffene habe nämlich die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld nicht ohne sachlichen Grund herbeigeführt. Er habe lediglich wie ein gewöhnlicher Arbeitnehmer gehandelt, der mangels Aussicht auf Erfolg davon absieht, eine Forderung gegen einen offenbar zahlungsunfähigen Arbeitgeber geltend zu machen (Rz 44). Allerdings könne die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Zeitpunkt hinaus, zu dem der Arbeitnehmer die finanzielle Krise der Gesellschaft erkennen konnte, eine missbräuchliche Verhaltensweise zu Lasten von Garantieeinrichtungen darstellen, wenn ohne sachlichen Grund die Voraussetzungen für die Gewährung des Schutzes herbeigeführt werden, den die Richtlinie 80/987 für die Opfer der Zahlungsunfähigkeit eines Arbeitgebers vorsehe (Rz 46). Die bloße Tatsache, dass ein Gesellschafter-Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt hinaus fortsetze, zu dem ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, in derselben Lage wegen Vorenthaltens des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, sei ein Indiz für missbräuchliche Absichten (Rz 47). Deshalb seien Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die die Vermeidung von Missbräuchen bezwecken und darin bestehen, dem Gesellschafter-Arbeitnehmer ein Recht auf Garantie für nach diesem Zeitpunkt entstandene nicht erfüllte Entgeltsansprüche zu versagen, als Maßnahme zur Vermeidung von Missbräuchen im Sinne von Art 10 Buchstabe a der Richtlinie 80/987 anzusehen (Rz 48). Es lasse jedoch der Umstand, dass ein Gesellschafter-Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt hinaus fortgesetzt habe, zu dem ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, wegen Vorenthaltens des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, nicht zwangsläufig auf einen Missbrauch schließen (Rz 49). Außerdem ergebe sich aus Art 4 Abs 2 erster und zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 80/987 , dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer nicht als ungewöhnlich angesehen hat, wenn das unbezahlte Arbeitsentgelt einen Zeitraum von weniger als drei Monaten betreffe. Es wäre daher mit dem Zweck der Richtlinie 80/987 nicht zu vereinbaren, zu unterstellen, dass ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, in der Regel vor Ablauf dieser Frist wegen Vorenthaltung des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre (Rz 50).

Nach diesem Erkenntnis können somit die im Vorlagebeschluss 8 ObS 249/00a im Einzelnen dargestellten Überlegungen zur Qualifikation nicht eingeforderter Entgeltansprüche des Gesellschafter-Arbeitnehmers als Eigenkapital ersetzende Darlehen für den Bereich des IESG nicht aufrecht erhalten werden. Während die Klägerin nach der österreichischen Rechtslage ihre durch längere Zeit unberichtigten Gehaltsansprüche wegen der Qualifikation als Eigenkapitalersatz etwa im Konkurs ihres Arbeitgebers nicht durchsetzen könnte (vgl 9 ObA 53/00k = ZIK 2000, 138 = RdW 2000, 537 = DRdA 2000, 423) und auch ein Rückgriffsanspruch des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gemäß § 11 IESG gegen die Konkursmasse des ehemaligen Arbeitgebers in diesem Umfang nicht gegeben wäre (8 ObS 249/00a), sind aus europarechtlicher Sicht ihre Ansprüche im vom EuGH beschriebenen Umfang gesichert, während ein sonst nach nationalem Recht gegebener Anspruch nicht besteht.

Gemäß Art 3 Abs 1 der Richtlinie 80/987/EWG haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit vorbehaltlich des Art 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen, sicherstellen. Dieser Zeitpunkt kann unter anderem gemäß Abs 2 erster Gedankenstrich des genannten Artikels jener des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sein. Art 4 Abs 1 der Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die in Art 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen zu begrenzen. Machen die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch, so müssen sie gemäß Abs 2 erster Gedankenstrich des genannten Artikels sicherstellen, dass im Fall des Art 3 Abs 2 erster Gedankenstrich die Befriedigung der das Arbeitsentgelt betreffenden nicht erfüllten Ansprüche für die drei letzten Monate des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses, die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers liegen, erfolgt.

Gemäß § 3a Abs 1 IESG in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl 107/1997 (§ 17a Abs 11 IESG) gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für das dem Arbeitnehmer für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das vor mehr als sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1) fällig geworden ist, nur dann, wenn dieses bis zum Stichtag im Verfahren in Arbeitsrechtssachen nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz zulässigerweise geltend gemacht wurde und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird. Aus § 3 Abs 1 IESG ergibt sich als Stichtag der Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses oder eines anderen Insolvenzverfahrens bzw eines Beschlusses nach § 1 Abs 1 Z 3 bis 6 IESG.

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass in Anbetracht der am 10. 2. 1999 erfolgten Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Arbeitgeberin der Klägerin sämtliche von ihr ab einschließlich September 1998 geltend gemachten Ansprüche innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 3a Abs 1 IESG liegen, sodass hier eine allfällige Divergenz zum Stichtag nach Art 4 Abs 2 erster Gedankenstrich der Insolvenzrichtlinie (vgl RIS-Justiz RS0113479; RS0113354) keine Rolle spielt.

Zu § 3a Abs 1 IESG judiziert der erkennende Senat, dass bei "durchschnittlichen" Arbeitnehmern, die in keiner besonderen Nahebeziehung zum Arbeitgeber stehen, der Schluss, der Arbeitnehmer habe durch "Stehenlassen" des Entgelts eine unzulässige Verlagerung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds zumindest in Kauf genommen, üblicherweise nur aus deutlich über sechs Monaten liegenden Entgeltrückständen gezogen werden könne (8 ObS 206/00b; 8 ObS 39/01w). Es muss hier nicht weiter untersucht werden, ob durch das Urteil des EuGH der Gesellschafter-Arbeitnehmer tatsächlich in allen Belangen einem "durchschnittlichen" Arbeitnehmer gleichgesetzt wurde, weil - wie bereits dargestellt - der Anspruch der Klägerin ausschließlich im Europarecht gründet, sodass es bei der durch die Richtlinie vorgegebenen Mindestsicherung zu bleiben hat.

Während sowohl Art 4 Abs 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie als auch § 3a Abs 1 IESG den Sicherungszeitraum vom Stichtag zurückrechnen, ist nach dem Urteil des EuGH die Sicherung bis zu jenem Zeitpunkt zu gewähren, bis zu welchem ein Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, welcher zumindest drei Monate nach dem Zeitpunkt der letzten Entgeltgewährung anzunehmen ist. Daraus ergibt sich, dass auch die Mindestsicherung nur dann zusteht, wenn dieser Zeitraum von drei Monaten innerhalb sechs Monaten rückgerechnet vom Stichtag liegt. Dass dies hier der Fall ist, wurde bereits dargestellt.

Zu dem gemäß § 3a Abs 1 IESG gesicherten Entgelt zählt neben den im Gesetz genannten aliquoten Sonderzahlungen auch der durch die Arbeitsleistung laufend entstehende Anspruch auf Aufwandsersatz wie etwa jener aus dem Titel der Reisekosten (8 ObS 75/02s; 8 ObS 208/02z). Völlig unberührt von der hier relevant gewesenen Problematik des Eigenkapital ersetzenden Darlehens ist der von der Klägerin ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 25 KO. Hiebei handelt es sich um einen eigenständigen, auf § 3a Abs 2 Z 4 IESG gegründeten Anspruch, der weder als "Stehenlassen" von Entgelt verstanden noch mit einem Missbrauch der Garantieeinrichtung in Zusammenhang gebracht werden kann.

Von den der Höhe nach außer Streit stehenden (AS 14 = S 2 des Protokolls vom 8. 11. 1999) Positionen stehen der Klägerin zu:

Entgelt September 1998 ATS 9.892,--

Spesen, Aufwandsentschädigung,

Km-Geld 9/98 ATS 2.308,--

Entgelt Oktober 1998 ATS 9.943,--

Spesen, Aufwandsentschädigung,

Km-Geld 10/98 ATS 7.350,--

Entgelt November 1998 ATS 9.943,--

¼ Weihnachtsremuneration 1.1.1998 bis

31.12.1998 ATS 2.516,--

¼ Urlaubsentschädigung ATS 3.867,50

Schadenersatz gemäß § 25 KO 6.5.1999

bis 30.6.1999 ATS 21.861,--

ATS 67.680,50

= EUR 4.918,53

Zinsen (in der Berufung hinsichtlich Zins-

fuß und Art der Berechnung nicht bekämpft)

8 % aus ATS 12.200,-- vom 1. 10. 1998 bis

31.10.1998 ATS 81,--

8 % aus ATS 67.680,5 vom 1.11.1998 bis

10.2.1999 ATS 1.498,23

Gerichtsgebühren ATS 350,--

ATS 69.609,73

= EUR 5.058,74.

Punkt 2. der Anfragebeantwortung räumt den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit ein, dem Gesellschafter-Arbeitnehmer den Garantieanspruch zu versagen, wenn er es länger als drei Monate hinnimmt, dass seine Entgeltansprüche nicht erfüllt werden, fügt jedoch an, "sofern nicht nachgewiesen ist, dass kein missbräuchliches Verhalten vorliegt." Die Besonderheit des hier zu beurteilenden Falles besteht allerdings darin, dass - wie bereits dargestellt - Ansprüche des Gesellschafter-Arbeitnehmers gegen seinen in Konkurs verfallenen Arbeitgeber nach nationalem Recht gar nicht bestehen, sodass auch ein im Allgemeinen wegen der Besonderheit des Verfahrens gar nicht zu erbringender (vgl 8 ObS 206/00b) Nachweis, dass missbräuchliches Verhalten nicht vorliege, nach nationalem Recht zu keinem weitergehenden Anspruch führen könnte. Es hat daher bei der sich aus der Richtlinie ergebenden Mindestsicherung zu verbleiben.

Der Revision ist teilweise Folge zu geben. Dem Klagebegehren, soweit es nicht infolge rügeloser Nichterledigung in erster Instanz aus dem Verfahren ausgeschieden ist (RIS-Justiz RS0042365), ist im dargestellten Umfang stattzugeben und das Mehrbegehren abzuweisen. An die Stelle des ursprünglich beklagten Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Steiermark trat gemäß § 17a Abs 29 IESG mit 1. 8. 2001 ex lege die Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds GmbH, welcher Umstand im Kopf dieser Entscheidung entsprechend zu berücksichtigen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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