OGH 8ObA8/16h

OGH8ObA8/16h26.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* M*, vertreten durch Dr. Guido Bach, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2015, GZ 7 Ra 75/15y‑13, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 26. Februar 2015, GZ 7 Cga 108/14y‑9, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114061

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten, über die das Berufungsgericht zu entscheiden hat.

 

Begründung:

Die Klägerin hat am 24. 1. 2013 Zwillinge geboren. Aus diesem Grund nahm sie ein Jahr, also bis einschließlich 23. 1. 2014, Karenz in Anspruch. Mit Schreiben vom 8. 1. 2014 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie (bis zum Ablauf des 7. Lebensjahres der Kinder am 23. 1. 2020) Elternteilzeit in Anspruch nehmen wolle. Dies wurde von der Beklagten abgelehnt. Am 20 1. 2014 fand in den Kanzleiräumlichkeiten des Beklagtenvertreters ein Gespräch (nach dem Inhalt des § 15k Abs 1 MSchG) statt. Eine Einigung über die Elternteilzeit wurde bei dieser Besprechung nicht erzielt. Der Beklagtenvertreter wies die Klägerin darauf hin, dass sie innerhalb einer Woche bekanntgeben könne, dass sie anstelle der Teilzeitbeschäftigung bis zur Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichts, längstens bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres der Kinder, Karenz in Anspruch nehme. Die Beklagte beabsichtigte, ein entsprechendes arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren (§ 15k Abs 2 und 3 MSchG) einzuleiten. Am 23. 1. 2014 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie von einer Karenzverlängerung bis zum Ablauf des 23. 1. 2015 Gebrauch machen möchte. Der Beklagtenvertreter erwiderte, dass die Karenz mit der Entscheidung der von der Beklagten zu führenden arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung begrenzt sei. Mit E‑Mail vom 26. 1. 2014 teilte die Klägerin mit, dass sie anstelle einer Teilzeitbeschäftigung die Karenz bis zum zweiten Geburtstag der Kinder in Anspruch nehme (§ 15m Abs 1 Z 1 MSchG). Mit Schreiben vom 28. 1. 2014 nahm der Beklagtenvertreter dieses Begehren zur Kenntnis. Ab diesem Zeitpunkt ging er davon aus, dass der Klägerin kein Anspruch auf Elternteilzeit mehr zustehe. Mit Schreiben vom 30. 8. 2014 machte die Klägerin den Anspruch auf Elternteilzeit (vom 24. 1. 2015 bis 23. 1. 2020) geltend. Dies wurde von der Beklagten abgelehnt.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass sie berechtigt sei, mit Wirkung ab 24. 2. 2015 Elternteilzeit zu bestimmten, konkret formulierten Bedingungen bei der Beklagten anzutreten. Eine Einigung über Beginn, Dauer, Ausmaß oder Lage der Teilzeitbeschäftigung sei nicht zustande gekommen. Vielmehr habe die Beklagte den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Elternteilzeit dem Grunde nach abgelehnt. Die Beklagte habe es unterlassen, rechtzeitig beim Arbeits- und Sozialgericht einen Antrag gemäß § 433 Abs 1 ZPO (§ 15k Abs 2 MSchG) zu stellen. Aus diesem Grund sei die Klägerin berechtigt, die Teilzeitbeschäftigung zu den von ihr mit Schreiben vom 30. 8. 2014 bekanntgegebenen Bedingungen anzutreten. Die Ansicht der Beklagten, dass im Fall einer Karenzverlängerung nach § 15m Abs 1 Z 1 MSchG auf eine Teilzeitbeschäftigung dauerhaft verzichtet werde, sei unrichtig. Außerdem sei offenkundig, dass beide Parteien den Fall des § 15m Abs 1 Z 2 MSchG vor Augen gehabt hätten.

Die Beklagte entgegnete, dass sich die Klägerin in ihrer E‑Mail vom 26. 1. 2014 ausdrücklich auf § 15m Abs 1 Z 1 MSchG bezogen habe. Aus dieser Bestimmung ergebe sich, dass ein Ersatz als Alternative zur Teilzeitbeschäftigung ermöglicht werde. Daher habe die Klägerin keinen weiteren Anspruch, nach Ende der Ersatzkarenz eine Elternteilzeit zu fordern. Aus diesem Grund habe sich für die Beklagte auch die Notwendigkeit erübrigt, einen Antrag zur gütlichen Einigung gemäß § 433 Abs 1 ZPO zu stellen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Bezugnahme der Klägerin in der E‑Mail vom 26. 1. 2014 auf § 15m Abs 1 Z 1 MSchG sei nicht irrtümlich erfolgt. Aus diesem Grund sei die Frage zu klären, wie § 15m Abs 1 Z 1 MSchG zu verstehen sei. Wortlaut und systematische Auslegung würden durchaus für den Standpunkt der Beklagten sprechen, wonach die Karenzverlängerung endgültig an die Stelle der Elternteilzeit trete. Das Mutterschutzgesetz verfolge aber das Ziel eines starken und gut abgesicherten Anspruchs auf Elternteilzeit. Ein endgültiger und dauerhafter Verzicht auf den Anspruch auf Elternteilzeit bis zum Ablauf des 7. Lebensjahres des Kindes widerspreche daher dem Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Konzeption. Außerdem sei zwischen einer begehrten Teilzeitbeschäftigung einerseits und einer tatsächlich in Anspruch genommenen Teilzeitbeschäftigung andererseits zu unterscheiden. § 15m Abs 1 Z 1 MSchG sei daher dahin zu verstehen, dass die Dienstnehmerin ihr Begehren auf Teilzeitbeschäftigung zurückziehen und nach Inanspruchnahme der Ersatzkarenz einen neuerlichen Versuch unternehmen könne, eine Regelung über die Inanspruchnahme der Elternteilzeit zu finden. Der Anspruch der Klägerin auf Elternteilzeit nach Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes sei daher nicht untergegangen.

Das Berufungsgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Klägerin habe ihr Begehren auf § 15k MSchG gestützt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie gemäß § 15k Abs 2 und 4 MSchG berechtigt sei, die Teilzeitbeschäftigung zu den von ihr bekannt gegebenen Bedingungen anzutreten. In Rechtsstreitigkeiten nach § 15k Abs 3 bis 5 MSchG stehe aber keiner Partei ein Kostenersatzanspruch an die andere zu und sei gegen ein Urteil des Gerichts erster Instanz eine Berufung nicht zulässig. Die von der Beklagten dennoch erhobene Berufung sei daher zurückzuweisen. Ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof sei entbehrlich.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten, der primär darauf abzielt, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, dem Rekurs der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

1. Ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem dieses die Berufung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ist mit (Voll-)Rekurs anfechtbar (RIS‑Justiz RS0098745). Der Rekurs ist auch berechtigt.

2.1 Nach der vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmung des § 15k Abs 6 MSchG ist in Rechtsstreitigkeiten nach Abs 3 bis 5 leg cit gegen ein Urteil des Gerichts erster Instanz eine Berufung nicht zulässig. Für den Anlassfall sind die Abs 4 und 5 der in Rede stehenden Bestimmung nicht maßgebend. In Betracht kommt nur die Bestimmung des Abs 3 leg cit.

Eine Rechtsstreitigkeit nach § 15k Abs 3 MSchG setzt eine Bekanntgabe der Dienstnehmerin über Beginn, Dauer, Ausmaß und Lage der von ihr beanspruchten Teilzeitbeschäftigung, das Nichtzustandekommen einer Einigung zwischen der Dienstnehmerin und dem Dienstgeber, weiters einen Antrag des Dienstgebers nach § 433 ZPO und ein Scheitern einer gütlichen Einigung vor Gericht voraus. Will der Dienstgeber in einem solchen Fall verhindern, dass die Dienstnehmerin die Teilzeitbeschäftigung zu den von ihr bekanntgegebenen Bedingungen antreten darf, so muss er eine Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht nach § 15k Abs 3 MSchG einbringen. Diese Klage ist auf die Einwilligung der Dienstnehmerin in die vom Dienstgeber vorgeschlagenen Bedingungen der Teilzeitbeschäftigung gerichtet.

Die Verpflichtung zur Klage nach § 15k MSchG obliegt somit immer dem Dienstgeber (vgl Schrittwieser in Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger, MSchG und VKG2 440, 445 und 447).

2.2 Eine solche Klage des Dienstgebers gegen die Dienstnehmerin auf Einwilligung in die vom Dienstgeber vorgeschlagenen Alternativbedingungen liegt hier nicht vor. Dementsprechend weist auch die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung darauf hin, dass das gegenständliche Verfahren kein Elternteilzeitverfahren gemäß § 15k MSchG sei, in dem das Gericht nach Interessenabwägung zu entscheiden habe, ob die Elternteilzeit nach den Bedingungen der Dienstnehmerin oder des Dienstgebers berechtigt sei. Die Beklagte habe weder einen Antrag iSd § 433 ZPO gestellt [s dazu § 15k Abs 2 MSchG] noch eine Klage gemäß § 15k [Abs 3] MSchG erhoben, sondern die jeweiligen gesetzlichen Fristen des § 15 k MSchG verstreichen lassen. Verfahrensgegenständlich sei hier die Feststellung, dass die Klägerin berechtigt sei, die Elternteilzeit zu den von ihr vorgeschlagenen Bedingungen (ohne Interessenabwägung mit einem Gegenvorschlag der Beklagten, die dieses Recht verwirkt habe) anzutreten, weshalb die Beklagte auch kostenersatzpflichtig sei (s dazu § 15k Abs 6 MSchG).

3. Es ergibt sich somit, dass das Berufungsgericht den Rechtsmittelausschluss des § 15k Abs 6 MSchG zu Unrecht in Anspruch genommen hat. Die Berufung der Beklagten hätte daher nicht zurückgewiesen werden dürfen, sondern hätte vom Berufungsgericht (auch spruchmäßig) inhaltlich behandelt werden müssen. Da das Berufungsgericht demgegenüber einen Zurückweisungsbeschluss gefasst hat, war dieser aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über die Berufung der Beklagten inhaltlich zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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