Spruch:
Der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der Kläger ist seit 1988 bei den ÖBB als Buslenker im Personenverkehr beschäftigt und war unter anderem im Linien-Werksverkehr auf der Flughafenschnelllinie eingesetzt. Auf sein Dienstverhältnis kommen die sogenannten Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den österreichischen Bundesbahnen (AVB) zur Anwendung. Wegen eines Verhaltens des Klägers am 19. 3. 2001 kam es zu einer schriftlichen Beschwerde mehrerer Kunden, zu der der Kläger am 29. 3. 2001 einvernommen wurde. Am 4. 4. sprach der Leiter der Organisationseinheit bei der Beklagten gestützt auf die §§ 6 Abs 1 und 9 Abs 1 und 2 der AVB ohne Befassung der Personalvertretung eine förmliche Verwarnung aus. Der Kläger wurde auch einer Lenkertätigkeit außerhalb des Werksverkehrs zugewiesen. Nach § 7 der Disziplinarordnung kann ein Dienstnehmer vorübergehend, und zwar höchstens für 6 Monate auch ohne Einleitung eines Disziplinarverfahrens einer anderen Verwendung zugeführt werden. Die Disziplinarordnung sieht vor, dass eine Verwarnung dann auszusprechen ist, wenn der Dienstnehmer innerhalb von sechs Monaten mindestens zweimal eine gleichartige Dienstpflichtverletzung begeht. Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die Verwarnung und die "Abordnung" von seiner bisherigen Linie rechtsunwirksam seien; hilfsweise, dass die Verwarnung und die Versetzung rechtsunwirksam seien. Er stützt dies darauf, dass die Maßnahmen Sanktionscharakter hätten. Die Beschwerden seien aber unberechtigt. Durch die Verwarnung und den Abzug vom Flughafenschnellverkehr sei sein Ansehen geschädigt.
Die Beklagte habe das Mitwirkungsrecht des Vertrauens-Personen-Ausschusses verletzt.
Die Beklagte wendetet ein, dass der Kläger bereits am 24. 7. 2000 wegen seines unfreundlichen Verhaltens gegenüber Fahrgästen verletzt worden sei. Dies könne gravierende Folgen haben und zum Verlust des Auftrages führen. Die Verwarnung sei gemäß § 2 der Disziplinarordnung 1996 geeignet gewesen, den Kläger von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten und die ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung zu gewährleisten. Die Verhängung der disziplinären Maßnahme sei von der in der Disziplinarordnung mit Zustimmung des Zentralausschusses vorgesehenen Stelle, und zwar des fachlich zuständigen Leiters der Organisationseinheit erfolgt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte dabei rechtlich, dass der Abzug vom Dienst durch den zuständigen Leiter der Organisationseinheit nur innerhalb der Grenzen des § 7 Abs 2 der Disziplinarordnung zulässig sei und diese Grenzen hier überschritten worden seien. Auch hätten schon die Voraussetzungen für eine Verwarnung nach § 6 der Disziplinarordnung nicht vorgelegen, da diese Bestimmung eine gleichartige Dienstpflichtverletzung innerhalb der letzten 6 Monate voraussetze. Weiters sei aber gemäß § 60 der Bahn-Betriebsverfassungs-Geschäftsordnung (BBVGO) vor Verhängung einer Disziplinarmaßnahme die Einholung der Zustimmung des Vertrauenspersonenausschusses erforderlich. Gleiches gelte nach § 101 ArbVG für die Versetzung. Dies könne auch durch die Disziplinarordnung nicht geändert werden.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es ging schon aufgrund des Umstandes, dass die Abordnung gemeinsam mit der Verwarnung ausgesprochen wurde, vom Vorliegen einer Disziplinarmaßnahme aus. Disziplinarmaßnahmen und Versetzungen könnten nur mit Zustimmung des Zentralausschusses oder der Disziplinarkommission bzw des Vertrauenspersonenausschusses vorgenommen werden.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht ohne jede Begründung als nicht zulässig. Andererseits hob es aber die Kostenentscheidung mit der Begründung auf, dass es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit handle.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Vorweg festzuhalten ist, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes der Oberste Gerichtshof bereits ausdrücklich dargelegt hat, dass die Streitigkeiten, die daraus resultieren, dass der Arbeitgeber eine Disziplinarmaßnahme verhängt hat, keine betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 50 Abs 2 ASGG darstellen (vgl MGA Arbeitsrecht § 50 ASGG E 169 = DRdA 1993, 310). Daher kommt auch § 58 Abs 1 ASGG, der einen Kostenersatz in erster und zweiter Instanz ausschließt, nicht zur Anwendung. Weiters ist einleitend klarzustellen, dass auf die Versetzungsproblematik nicht weiter einzugehen ist, weil eine Verschlechterung iSd § 101 ArbVG iVm § 69 Abs 1 Bahn-Betriebsverfassungsgesetz (BBVG) durch die "Abordnung" selbst im Verfahren 1. Instanz - anders als in der Revisionsbeantwortung - gar nicht behauptet, sondern dargestellt wurde, dass im neuen Arbeitsgebiet mehr Zulagen zustehen würden (siehe AS 21). Dass diese von der Beklagten nach Ansicht des Klägers unberechtigt unter Bezug auf die Disziplinarmaßnahme nicht ausbezahlt werden, war weder Gegenstand der bekämpften Verwarnung und Abordnung noch des Feststellungsbegehrens.
Der Oberste Gerichtshof hat zwar in seiner Entscheidung vom 28. 3. 2002 zu 8 ObA 110/01m (DRdA 2002/43 mit zust Glosse von Obereder) ausgeführt, dass durch die Ausgliederung durch das Bundesbahngesetz 1992 und die Neuregelung der AVB der öffentlich-rechtliche Einschlag der Dienstverhältnisse weggefallen ist und nunmehr die Dienstverträge rein privatrechtlich zu beurteilen sind und der Versetzungsschutz des § 101 ArbVG iVm § 69 Abs 1 BBVG anzuwenden ist, jedoch war damals über die Frage der Mitwirkungsrechte im Zuge von Disziplinarmaßnahmen nach § 69 BBVG iVm § 102 ArbVG nicht zu entscheiden und wurde letztlich im Hinblick auf das inhaltsgleiche Ergebnis auch die Wirkung des § 69 Abs 2 BBVG keiner abschließenden Beurteilung unterzogen.
Entscheidend ist damit die von der außerordentlichen Revision in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellte Frage, inwieweit die Disziplinarordnung als bestehende Regelung im Sinne des § 69 Abs 2 BBVG anzusehen ist und § 102 ArbVG sowie § 60 BBVGO über die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen verdrängt. Dazu liegt keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vor.
Die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch berechtigt. Bis zur Erlassung des Bahn-Betriebsverfassungsgesetzes BGBl I 66/1997 bestand keine gesetzlich geregelte Belegschaftsvertretung im Rahmen der ÖBB. Diese ist vom Anwendungsbereich des ArbVG ausgenommen (vgl § 33 Abs 2 Z 3 ArbVG; vgl zur historischen Entwicklung und den gewerkschaftlichen Interessen an dem gesetzlich nicht geregelten Zustand etwa Grailer, Zehn Jahre Betriebsrätegesetz, 30 ff). Grundsätzlich gilt nun nach § 69 Abs 1 BBVG ua die Bestimmung des § 102 im 3. Hauptstück des II. Teiles des ArbVG auch für den Bereich des BBVG. Allerdings bestimmt § 69 Abs 2 des BBVG, dass bestehende Regelungen zwischen Unternehmensleitung und Personalvertretung über Mitwirkungsrechte der Personalvertretung bis zu einer allfälligen Abänderung durch eine erzwingbare Betriebsvereinbarung weitergelten.
§ 69 Abs 2 BBVG verleiht diesen "alten" Vereinbarungen nicht Gesetzesrang - enthält er doch auch inhaltlich keine näheren Regelungen (vgl zu deren Erforderlichkeit etwa Walter/Mayer Bundesverfassungsrecht9 Rz 569 ff) - sondern will offensichtlich nur deren Beseitigung durch dieses Gesetz verhindern (vgl zuletzt etwa OGH 27. 2. 2003, 8 ObA 140/02z ua) und Modalitäten für die Abänderung - eben durch erzwingbare Betriebsvereinbarung - bieten. Das Gesetz stellt die Abänderung dieser Mitwirkungsrechte auf die Stufe einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung. Dies spricht nun dafür, dass jedenfalls die bisher bestehenden Regelungen aufrechterhalten werden sollen, die nach dem ArbVG durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sind ja - soweit keine Abänderung zugelassen wird - die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates im ArbVG zwingend geregelt und können weder durch eine Betriebsvereinbarung noch Kollektivvertrag geändert werden (vgl etwa OGH 8 ObA 269/95 = DRdA 1996/37 [zust Jabornegg] mwN; Jabornegg, Absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht in FS Strasser 367). Der Gesetzgeber wollte also mit § 69 Abs 2 BBVG jedenfalls jene Mitwirkungsbefugnisse erfassen, die auch nach dem ArbVG durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können und insoweit die bisherige Regelung von ihrem Charakter her im System des ArbVG als eine Betriebsvereinbarung einstufen.
Nach § 102 ArbVG setzt die Verhängung von Disziplinarstrafen inhaltlich das Bestehen eines Kollektivvertrages oder einer Betriebsvereinbarung voraus. Bei der Verhängung im Einzelfall bedarf es nach § 102 ArbVG zwar grundsätzlich der Zustimmung des Betriebsrates, jedoch ermöglicht er diese Bestimmung auch, dass über diese Disziplinarmaßnahme eine mit Zustimmung des Betriebsrates eingerichtete Stelle entscheidet.
In der mit Zustimmung der Belegschaftsvertretung erlassenen alten Disziplinarordnung ist im Sinne der Übergangsbestimmungen des § 69 Abs 2 BBVG nun eine Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG zu sehen, aber auch in der darin für die Verhängung geringerer Sanktionen vorgesehenen Kompetenz des Leiters der Organisationseinheit (vgl § 2 Abs 2 der Disziplinarordnung 1996) eine mit Zustimmung des Betriebsrates bzw der Personalvertretung eingerichtete Stelle iSd § 102 ArbVG iVm § 69 Abs 1 und 2. In weiterer Folge werden daher die inhaltlichen Voraussetzungen für die Verhängung dieser Maßnahmen zu prüfen sein.
Insbesondere wird zu erörtern sein, dass offensichtlich nach der Disziplinarordnung dem Leiter der Organisationseinheit die "Abordnung" ohne Einleitung eines Disziplinarverfahrens nur vorübergehend bis höchstens 6 Monate zusteht (vgl § 7 der Disziplinarordnung 1996). Die Verwarnung kann nach dieser nicht weiter erörterten und festgestellten Disziplinarordnung allerdings offensichtlich nicht nur nach einer gleichartigen Dienstpflichtverletzung innerhalb der letzten 6 Monate davor verhängt werden, sondern auch dann, wenn die Dienstpflichtverletzung mehr als nur unbedeutende Folgen hatte.
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