Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 299,57 EUR (darin 49,93 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 1. 4. 2008 bis 31. 7. 2008 bei der beklagten Partei als Pharmareferentin beschäftigt. Ihre Aufgabe bestand darin, von ihrem Wohnort R***** (Steiermark) aus Tierärzte mit Hausapotheken zu besuchen. Das ihr zugeteilte Reisegebiet bestand aus der Steiermark, dem östlichen Niederösterreich, dem 23. Bezirk in Wien und dem Burgenland. Es war vereinbart, dass Taggeld und Kilometergeld nach dem auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für Handelsangestellte Österreichs bezahlt werden sollten. Die Klägerin erhielt von der Beklagten ein Reisekostenabrechnungsformular, in das sie ihre Touren einzutragen hatte. Kilometergeld bekam sie vom Ausgangsort der Tour, weil sie auch im Reisegebiet übernachtete. Wenn sie die Tour von zu Hause an antrat, bekam sie das Kilometergeld ab zu Hause.
Die Betriebsstätte der beklagten Partei liegt in dem 9 km von W***** entfernten B*****. Dort fanden in der Zeit von April bis Mai 2008 an sieben Tagen Schulungen statt, an denen die Klägerin im dienstlichen Auftrag teilnahm. Ebenso nahm sie an einer am 16. 6. in W***** durchgeführten Produktinformation teil. Für diese Fahrten erhielt die Klägerin keinen Auslagenersatz.
Die Klägerin begehrte mit ihrer beim Erstgericht eingelangten Klage von der beklagten Partei den Betrag von 1.834,22 EUR netto, bestehend aus
1. Taggeld für den Zeitraum 31. 3. bis 30. 4. 2008 von (restlich) 180,40 EUR netto, und
2. Differenz an Kilometergeld aus unrichtiger Berechnung und unvollständiger Abrechnung in Höhe von 1.653,82 EUR netto.
Sie habe über Aufforderung der Beklagten an Schulungen mit ihrem eigenen Fahrzeug teilgenommen; dabei habe es sich um Dienstfahrten gehandelt, wofür Kilometergeld zustehe. Wenn auch die beklagte Partei ihren Sitz in B***** habe und dies nach dem Kollektivvertrag der Dienstort sei, habe die Klägerin ihre Fahrten von der Wohnung in der Steiermark aus angetreten, weil eine Anreise zum Dienstort vor Durchführung der Kundenbesuche unzumutbar gewesen wäre. Überdies sei das Kilometergeld nur mit 0,28 EUR abgerechnet worden, obwohl es nach dem Kollektivvertrag 0,376 EUR betrage.
Die beklagte Partei bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete ein, dass nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag W***** jedenfalls als Dienstort anzusehen sei. Die Fahrten zur Einschulung in W***** seien nicht als Dienstreise anzusehen, weshalb der Klägerin weder Diäten noch Kilometergeld zustehe. Die beklagte Partei erhob überdies einen Verfallseinwand.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Rechtlich ging es davon aus, dass die Klägerin für die beklagte Partei im dienstlichen Auftrag 8.421 km zurückgelegt habe, die ihr nur mit einem Kilometergeld von 0,28 EUR statt 0,376 EUR abgegolten worden seien. Aufgrund des Kollektivvertrags ergebe sich daher insoweit ein Differenzanspruch von 808,42 EUR. Der Klägerin stehe aber auch Reisekostenersatz für die Fahrten von ihrem Wohnort zu den Schulungen in W***** zu. Diese seien dienstlich angeordnet gewesen. Unter Dienstort sei jener Bereich zu verstehen, wo der Angestellte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit entfalte. Dienstort der Klägerin sei das ihr zugeteilte Reisegebiet und nicht Oberösterreich, wo sich die Betriebsstätte der Beklagten befinde. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Reisekosten laut Kollektivvertrag. Der (restliche) Taggeldanspruch errechne sich insgesamt mit 211,20 EUR, wovon die Klägerin nur 180,40 EUR geltend gemacht habe. Das Kilometergeld errechne sich insgesamt mit 889,62 EUR. Das Klagebegehren sei daher im vollen Umfang berechtigt.
Der Zuspruch der Differenz an Kilometergeld für 8.421 km dienstlich gefahrene Kilometer im Betrag von 808,42 EUR erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Gegen den Zuspruch eines Betrags von 1.025,80 EUR erhob die beklagte Partei Berufung.
Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Nach dem unstrittig anzuwendenden Kollektivvertrag für Handelsangestellte in der ab 1. 2. 2008 geltenden Fassung sei den Angestellten bei Dienstreisen der durch die Dienstreise verursachte Aufwand zu entschädigen (Artikel XVI Z 2.). Der Begriff der Dienstreise sei in Art XVI Z 1 geregelt und laute:
„1. Begriff der Dienstreise:
a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrages den Dienstort gemäß lit b verlässt. Eine Dienstreise liegt auch vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrages die Betriebsstätte des Arbeitgebers verlässt, dabei jedoch am Dienstort (lit b) bleibt. In diesem Falle erhält er nur dann ein Taggeld, wenn eine Betriebsvereinbarung dies vorsieht.
b) Als Dienstort im Sinne dieser Bestimmung gilt außerhalb von Wien ein Tätigkeitsgebiet im Umkreis von 12 Straßenkilometern von der Betriebsstätte, aber jedenfalls das Gemeindegebiet. Als Gemeindegebiet von Wien gelten die Bezirke 1 bis 23.
c) Die Dienstreise beginnt, wenn sie von der Arbeitsstätte aus angetreten wird, mit dem Verlassen der Arbeitsstätte. In allen anderen Fällen beginnt die Dienstreise mit dem reisenotwendigen Verlassen der Wohnung. Die Dienstreise endet mit der Rückkehr zur Arbeitsstätte bzw mit der reisenotwendigen Rückkehr in die Wohnung ..."
Mit der kollektivvertraglichen Regelung (allerdings in der für das Jahr 2000 geltenden Fassung) habe sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen eines § 54 Abs 2 ASGG-Antrags bereits zu befassen gehabt (9 ObA 310/00d). Dabei sei es im Wesentlichen um die Frage gegangen, ob Reisende, deren regelmäßiger Arbeitsort überwiegend nicht an der Betriebsstätte, sondern im jeweiligen Betreuungsgebiet liege, Anspruch auf Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung haben.
Nach der zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Fassung habe die Bestimmung allerdings wie folgt gelautet:
„1.a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn der Angestellte zur Durchführung eines ihm erteilten Auftrags seinen Dienstort vorübergehend verlässt. ..."
Der Oberste Gerichtshof sei zusammengefasst zur Auffassung gelangt, dass schon nach den allgemeinen Auslegungsregeln für Kollektivverträge die Bestimmung des Punktes XVI Z 2 lit b des Kollektivvertrags für Angestellte auf Reisende, die die Tätigkeit üblicherweise außerhalb des Dienstorts entfalten, nicht anzuwenden sei, weil diese den Dienstort nicht nur „vorübergehend" verlassen. In der Folge sei die Bestimmung mit dem Ziel, den kollektivvertraglichen Dienstreisebegriff auch auf Reisende auszudehnen, rückwirkend per 1. 7. 2007 in die auch heute noch geltende Fassung geändert worden. Maßgeblich sei daher, dass der Begriff „vorübergehend" aus dem Gesetzestext eliminiert worden sei.
Eine abschließende Klärung des Dienstortbegriffs im Sinn des Kollektivvertrags, der insbesondere auch auf die Neufassung bezogen werden könne, sei durch die zitierte Entscheidung nicht erfolgt. Vielmehr verweise der Dienstortbegriff nunmehr in Artikel XVI Z 1 lit a betreffend sämtliche Varianten auf Artikel XVI Z 1 lit b, der eine genaue Definition enthalte. Der ursprüngliche Ausdruck „seinen Dienstort" in Artikel XVI Z 1 lit a erster Satz sei somit entfallen und durch die Formulierung „Dienstort gemäß lit b" ersetzt worden.
Kollektivverträge seien nach den Grundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB wie Gesetze auszulegen. Es sei daher nur maßgebend, welchen Sinn des Normgebers der Leser dem Vertragstext entnehmen könne. Auch Erwägungen über allfällige Motive der Änderung des Kollektivvertrags seien daher unerheblich. Weiters dürfe bei Auslegung einer kollektivvertraglichen Norm den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten. Bei Betrachtung dieser Grundsätze ergebe sich aus dem Wortlaut des kollektivvertraglich festgelegten Begriffs einer Dienstreise, dass es erforderlich sei, dass der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrags den Dienstort gemäß lit b verlasse. Damit werde ausdrücklich auf die lit b verwiesen, die als Dienstort im Sinn dieser Bestimmung außerhalb von Wien ein Tätigkeitsgebiet im Umkreis von 12 Straßenkilometern von der Betriebsstätte, aber jedenfalls das Gemeindegebiet definiere. Diese Definition lasse keinen Spielraum dahin zu, dass das Reisegebiet im Sinn von ständig wechselnden Arbeitsorten für den eine Dienstreise begründenden Dienstortbegriff herangezogen werden könne. Wenn daher die Klägerin von ihrem Wohnort zur Betriebsstätte der Beklagten anreise, stellte dies bereits nach dem Wortlaut des Kollektivvertrags keine Dienstreise dar, weil sie den kollektivvertraglichen Dienstort (lit b) nicht verlasse, um einen Auftrag des Dienstgebers auszuführen. Die Änderung der kollektivvertraglichen Formulierung „seinen Dienstort" in „Dienstort gemäß lit b" zeige, dass für den Dienstreisebegriff ausschließlich der in lit b beschriebene Dienstort zugrunde zu legen sei.
Ergänzend sei noch anzumerken, dass sich die Klägerin auf Artikel XVI lit C (Teilnahme an Seminaren, Kursen, Informationsveranstaltungen) nicht stütze, eine darin enthaltene Entsendung auch gar nicht vorliege, sodass auch eine Prüfung unter diesem Gesichtspunkt nicht erforderlich sei.
Das Berufungsgericht vertrete daher zusammenfassend die Auffassung, dass die für die Schulung bei der beklagten Partei begehrten Reisekosten und Reiseaufwandsentschädigungen nicht aus dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte abgeleitet werden könnten, weshalb dieser Anspruch nicht zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass zur Auslegung des im Kollektivvertrag für Handelsangestellte (in der hier anzuwendenden Fassung) enthaltenen Dienstortbegriffs keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im gänzlich klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin releviert in ihrem Rechtsmittel als erhebliche Rechtsfrage ausschließlich den Umstand, dass bei Abwägung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen des Dienstnehmers und des Dienstgebers ein Reisender gröblich benachteiligt würde, wenn er auf eigene Kosten über jeweilige Anordnung des Dienstgebers zur Betriebsstätte anzureisen habe und für ihn keine Möglichkeit bestehe, diesen Anordnungen entgegen zu treten. Wenn ein Dienstgeber für solche angeordneten Fahrten keine Entschädigungen zu leisten habe, liege eine Bereicherung seinerseits vor. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die vom Obersten Gerichtshof gebilligte Rechtsansicht des Berufungsgerichts, auf die verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO), umzustoßen. Ergänzend ist den Revisionsausführungen Folgendes entgegenzuhalten:
Hier geht es nicht um sozialpolitische Erwägungen, sondern darum, den konkreten Kollektivvertragstext auszulegen, mit dem die Kollektivvertragsparteien die Voraussetzungen für eine Dienstreise und die damit im Zusammenhang stehenden Ansprüche auf Kosten- und Aufwandersatz regeln wollten. Unter Anlehnung an den arbeitszeitrechtlichen Begriff der „Reisezeit" in § 20b AZG werden „Dienstreisen" im Allgemeinen als Zeiten definiert, in denen der „Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen Dienstort (seine Arbeitsstätte) verlässt, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern der Arbeitnehmer während der Reisebewegung keine Arbeitsleistung zu erbringen hat" (9 ObA 109/03z; 8 ObA 36/04h; 9 ObA 119/08b mwN). Den Kollektivvertragsparteien steht es naturgemäß frei, eine von diesem Verständnis des Begriffs der Dienstreise abweichende Definition zu vereinbaren. Die Kollektivvertragsparteien haben hier als Reaktion auf die (bereits vom Berufungsgericht zitierte) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 310/00g Abschnitt XVI Punkt 1 des Handelsangestelltenkollektivvertrags durch Streichung des Wortes „vorübergehend" in lit a geändert. Eine Dienstreise liegt nunmehr vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrags den Dienstort verlässt. Es ist nicht wie früher notwendig, dass der Arbeitnehmer den Dienstort „bloß vorübergehend" verlässt. Auch Arbeitnehmer, „die ständig unterwegs sind" sind, somit von der Dienstreisedefinition des neuen Kollektivvertrags erfasst (Heinlein/Justich, Reisekostenersatzanspruch von „Reisenden" - Änderung des KollV-Angestellte und Bedeutung für andere Kollektivverträge, in SWK 2001, 645). Die für die Handelsangestellten geltende Regelung baut daher auf einem eigenständigen Begriff des „Dienstorts", definiert als örtlich abgegrenzter Bereich, auf (9 ObA 119/08b).
Danach mögen hier die Voraussetzungen einer Dienstreise zwar dann erfüllt sein, wenn die Klägerin ihrer Reisetätigkeit nachkommt, weil sie dabei zwangsläufig immer den in Abschnitt XVI Z 1 lit b definierten Dienstort verlässt. Für die am Dienstort selbst abgehaltenen Schulungen gilt dies aber gerade nicht. Die Fahrt von ihrer Wohnung zum eindeutig definierten „Dienstort", an dem sie im dienstlichen Auftrag Schulungen absolvierte, ist daher als „Wegzeit" im Sinn der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu beurteilen (Arb 12.438; 9 ObA 109/03z ua) und begründet mangels abweichender Regelung im Kollektivvertrag keinen Anspruch auf Aufwandersatz.
Ein für die Rechtsmittelwerberin günstigeres Ergebnis lässt sich auch nicht aus der Bestimmung des Punktes XVI C des Handelsangestellten-Kollektivvertrags ableiten, wonach eine Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung bei Entsendung des Angestellten zu Veranstaltungen (Seminaren, Kursen, Informationsveranstaltungen) entfällt, soferne die mit der Teilnahme verbundenen Kosten in erforderlichem Ausmaß vom Arbeitgeber getragen werden. Abgesehen davon, dass sich die Rechtsmittelwerberin auf diese kollektivvertragliche Bestimmung gar nicht berufen hat, schafft die Regelung der lit C keinen eigenständigen Anspruch, der unabhängig von einer „Dienstreise" gebühren soll, sondern schließt einen Anspruch auf Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung vielmehr unter gewissen Voraussetzungen aus.
Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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