OGH 8ObA40/02v

OGH8ObA40/02v18.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Herbert Bernold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Norbert R*****, vertreten durch Dr. Heinz-Wilhelm Stenzel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T*****, vertreten durch Weiss-Tessbach, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 28.350,51 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2001, GZ 9 Ra 337/01x-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. Juni 2001, GZ 15 Cga 89/00t-31, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.440,72 (darin enthalten 240,12 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger war ab 1. September 1999 bei der Beklagten als Betriebsleiter und Leiter der Geschäftsstelle in Österreich beschäftigt. In seinem Dienstvertrag war die Anwendung deutschen Rechts vereinbart. Ferner war festgelegt, dass die Beklagte dem Kläger zum Entgelt auch noch die Dienstgeberanteile zur Sozialversicherung überweist und der Kläger für die Abfuhr der sein Dienstverhältnis betreffenden Steuern, Abgaben und Beiträge in Österreich zu sorgen hat. Konkret wurde vereinbart, dass die Beklagte dem Kläger monatlich EUR 5.199,50 inklusive einer Provision von umgerechnet DM 1.500 jeweils zum Monatsende bezahlt und darüber hinaus noch in den Monaten Juni und November ein zusätzliches Monats-Fixgehalt.

Entsprechend Punkt 10 des Anstellungsvertrages sollten die ersten sechs Monate des Angestelltenverhältnisses als Probezeit gelten und während dieser Zeit die Kündigung des Anstellungsverhältnis mit einer Frist von einem Monat möglich sein. Für die Zeit danach wurde eine Kündigungsfrist von drei Monaten vereinbart.

Der Kläger wurde schließlich am 29. 2. 2000 unter sofortiger Dienstfreistellung zum 31. 3. 2000 gekündigt. Er hatte noch 25 Arbeitstage an Urlaub offen.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger zuletzt insgesamt S 390.111,49 an Kündigungsentschädigung für die Monate April bis Juni einschließlich aliquoter Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung für 25 Arbeitstage. Er stützte sich zusammengefasst darauf, dass nicht nur die Vereinbarung der Anwendung deutschen Rechts unzulässigerweise erfolgt sei, sondern jedenfalls die vereinbarte Probezeit gegen zwingende Bestimmungen des österreichischen Rechts, und zwar die §§ 19 und 20 AngG verstoße. Mangels Vorliegens einer Vereinbarung iSd § 20 Abs 3 AngG hätte sein Dienstverhältnis frühestens zum 30. 6. 2000 aufgekündigt werden dürfen, weshalb er Anspruch auf das ihm bis dahin zustehende Entgelt habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass der Kläger nicht die "Bruttobeträge" geltend machen könne. Auch seien die Kündigungstermine nach dem AngG nicht zwingend, sodass insoweit durchaus das Recht der BRD zur Anwendung kommen könne, das keine Kündigungstermine kenne. Anzugehen sei von der Vereinbarung der Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist zu jedem Termin. Die Sechsmonatsfrist der Probezeit ab der Vereinbarung sei eingehalten worden, da dafür nur auf den "Ausspruch" abzustellen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - vom Kläger unbekämpt - nur mit dem sich daraus ergebenden Nettobetrag statt. Es folgerte rechtlich zu den hier maßgeblichen Fragen, dass entsprechend Art 6 Abs 1 EVÜ durch eine Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz entzogen werden dürfe, der ihm durch zwingende Bestimmungen des sonst anzuwendenden Rechts gewährt werde. Zur Feststellung der Günstigkeit sei nicht punktuell auf die Regelungen abzustellen. Die Bestimmung des § 20 Abs 2 des AngG sei aber günstiger als jene des § 622 BGB, weshalb die Rechtswahl unbeachtlich sei. Für die vertragliche Regelung eines Kündigungstermins iSd § 20 Abs 3 AngG liege kein Anhaltspunkt vor. Daher stehe dem Kläger gemäß § 29 AngG Kündigungsentschädigung zu bzw sei entsprechend der deutschen Regelung von einer Kündigung zum 30. 6. 2000 auszugehen. Nach ständiger Rechtsprechung sei der Arbeitnehmer auch berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge. Es hielt den Berufungsausführungen der Beklagten, dass nach deutschem Recht Kündigungstermine nicht vorgesehen seien und jedenfalls mit der Vereinbarung der Anwendung deutschen Rechtes eine Vereinbarung iSd § 20 Abs 3 AngG zustandegekommen sei, entgegen, dass dem Vertrag selbst eine Vereinbarung über Kündigungstermine nicht zu entnehmen sei. Nach dem Günstigkeitsprinzip des Art 6 Abs 2 EVÜ sei im Rahmen eines eingeengten Gruppenvergleichs die österreichische Regelung als günstiger zu beurteilen. Diese sei dann zur Ergänzung der vertraglichen Regelung heranzuziehen.

Die Berechtigung des Arbeitnehmers, das Bruttoentgelt einzuklagen ergebe sich aus der ständigen Rechtsprechung, auch wenn sämtliche Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber geschuldet würden. Auf Grundlage der Vereinbarung, dass der Kläger die Beiträge abzuführen habe, sei die Beklagte auch verpflichtet, diese dem Kläger zu bezahlen. Im Ergebnis stehe der Beklagten auch das Recht der Einbehaltung der Dienstgeberanteile und der Dienstnehmeranteile zu. Im Übrigen befassten sich die Vorinstanzen mit der im Revisionsverfahren nicht mehr relevierten Frage der Berechnung der Urlaubsentschädigung.

Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision im Hinblick auf das Fehlen einer einschlägigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung als zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision zeigt im vorliegenden Fall, in dem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als solche nicht strittig ist (vgl RIS-Justiz RS0085924 insbes OGH 9 Ob 201/97b und 9 ObA 146/97d), jedoch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG auf.

Mit 1. 12. 1998 ist in Österreich das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, das sogenannte Europäische Vertragsstatut - Übereinkommen (EVÜ) in Kraft getreten (vgl BGBl III 1998/208, BGBl III 166/1998). Art 6 dieses Übereinkommens bestimmt in seinem Absatz 1, dass ungeachtet den Bestimmungen des Art 3 über die freie Rechtswahl in Arbeitsverträgen diese nicht dazu führen darf, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das mangels Rechtswahl anzuwenden wäre. Dazu trifft dann der Abs 2 des Art 6 EVÜ nähere Regelungen, die im gegenständlichen Zusammenhang jedenfalls darauf hinaus laufen, dass das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, hier also Österreich (vgl Art 6 Abs 2 lit a EVÜ). Zum Umfang des im Rahmen des Art 6 Art 1 anzustellenden Günstigkeitsvergleichs vertritt Egger (Rechtsprobleme bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen DRdA 1999, 153) die Ansicht, dass dem Vergleich ein Mittelweg zwischen pauschalen Gesamtvergleich einerseits und zu engen Einzelvergleich zugrunde zu legen sei (vgl idS auch Schlachter in Erfurter Kommentar2, 1881). Andere Autoren stellen mehr auf die konkrete zu beurteilende Frage ab (idS etwa Czernich/Heiss EVÜ, 166; eher neutral Schwimann Internationales Privatrecht3, 113).

In ihrer Revision releviert die Beklagte zur Frage des Kündigungstermins im Wesentlichen ausschließlich, dass durch die Vereinbarung des deutschen Rechtes auch eine Vereinbarung iSd § 20 Abs 3 AngG, also die Möglichkeit, zum 15. oder Letzten als Kündigungstermine zu kündigen, zustande gekommen sei. Ob nun ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde. Steht aber die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (vgl allgemein RIS-Justiz RS0042276 und RIS-Justiz RS0042936 jeweils mwN ähnlich aus RIS-Justiz RS0112106).

Dass nun eine Rechtswahl iS des Art 6 oder auch des Art 3 EVÜ nicht nur bedeuten würde, dass die Parteien ein konkretes Recht wählen, dem der Vertrag "unterliegt", sondern dass damit auch alle materiellen Bestimmungen dieses Rechts gleichzeitig Inhalt des Vertrages würden und nicht nur zu dessen Beurteilung - allenfalls als Ergänzung - dienten (regelmäßig mit all den durch Novellen gegebenen Änderungsmöglichkeiten), behauptet auch die Beklagte nicht. Gegen welche Auslegungsgrundsätze die Vorinstanzen sonst verstoßen hätten releviert die Beklagte nicht. Dementsprechend kann sich aber nur aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, dass die Parteien mit der Vereinbarung des anzuwendenden Rechtes auch eine konkrete vertragliche Vereinbarung treffen wollten. Eine ergänzende Vertragsauslegung hinsichtlich der Kündigungstermine ist schon deshalb nicht geboten, da ja ausgehend von der Rechtsansicht der Beklagten mit der Anwendung des § 20 Abs 2 und 3 AngG ohnehin eine Regelung über die Kündigungstermine vorhanden ist.

Im Übrigen releviert die Beklagte nur noch, dass nicht die Bruttobeträge zuzusprechen gewesen wären. Die Vorinstanzen haben dem Kläger aber ohnehin nur den Nettobetrag zugesprochen. Insgesamt führt die Revision der Beklagten jedenfalls keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG aus, weshalb sie ungeachtet der Zulassung durch die Vorinstanzen zurückzuweisen war (vgl etwa zuletzt OGH 24. 1. 2002, 8 Ob 284/01z).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG sowie 50 und 41 ZPO.

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