OGH 8ObA33/09z

OGH8ObA33/09z27.8.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling, die Hofrätin Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Marion S*****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei R***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Walter Ratt, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen 8.148,80 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. März 2009, GZ 11 Ra 10/08h-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 2008, GZ 20 Cga 116/08y-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:008OBA00033.09Z.0827.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 742,27 EUR (darin 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Im Betrieb der Beklagten waren im Sommer 2007 durchschnittlich 29 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Angestelltendienstverhältnis der Klägerin am 27. 8. 2007 - spätestens um 9:30 Uhr - zum 31. 12. 2007 auf. Am selben Tag übergab die Beklagte gegen 11:55 Uhr der regionalen Geschäftsstelle des AMS Salzburg eine „Anzeige über die beabsichtigte Kündigung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG“. Nach dem Inhalt dieser Anzeige beabsichtigte die Beklagte die Kündigung von 20 Arbeitnehmern in der Zeit vom 27. 9. 2007 bis 28. 10. 2007. Als Grund für die Kündigungen wurde unter anderem die Schließung zweier Standorte angeführt.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 26. 6. 2008 beim Erstgericht eingelangten Klage von der Beklagten 8.148,80 EUR brutto sA an Kündigungsentschädigung, aliquoten Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung für den Kündigungsentschädigungszeitraum. Ihre Kündigung sei gemäß § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klageabweisung und wendete ein, dass § 45a AMFG nicht anwendbar sei, weil die Klägerin zeitlich gesehen noch vor Abgabe der Erklärung an das AMS gekündigt worden sei. Die Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen betreffe nicht die Klägerin. Jedenfalls könne die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nicht geltend machen, weil sie schlüssig sowohl auf den Fortsetzungsanspruch als auch auf die Geltendmachung sämtlicher Folgen nach § 45a AMFG verzichtet habe, indem sie ab Jänner 2008 eine neue Beschäftigung angenommen und die Klage erst insgesamt zehneinhalb Monate nach der Kündigung eingebracht habe. Die Klagsführung verstoße auch gegen Treu und Glauben, weil die Beklagte bei rechtzeitiger Geltendmachung der Ansprüche den in der Klage geltend gemachten Aufwand für die Klägerin hätte vermeiden oder jedenfalls verringern können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der (unangefochten gebliebenen) Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - statt. Da die Beklagte die Kündigung schon vor der Anzeige an das AMS ausgesprochen habe, sei sie nach § 45a Abs 5 Z 1 AMFG rechtsunwirksam. Die Klägerin habe ihre Aufgriffsobliegenheit nicht verletzt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Schwellenwert, der die Frühwarnverpflichtung des § 45a AMFG bei „Massenkündigungen" auslöse, liege bei Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern bei mindestens fünf Arbeitnehmern, bezogen auf 30 Tage. Maßgebend sei die Zahl der den Betrieb betreffenden Kündigungsaussprüche (bzw der vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Auflösungen), nicht hingegen die Abläufe der Kündigungsfristen. Die Frist von 30 Kalendertagen sei kein starrer, sondern ein kontinuierlich wandernder Zeitraum (ein Tag fällt weg, einer kommt dazu). Für die Feststellung, ob eine anzeigepflichtige Auflösung „innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen" vorliege, sei der Zeitpunkt des beabsichtigten Ausspruchs der Kündigung (bzw der Zeitpunkt der einvernehmlichen Lösung) heranzuziehen.

Nach § 45a Abs 5 AMFG seien frühwarnpflichtige Kündigungen rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlangen der vorgeschriebenen Anzeige oder innerhalb der Frist von 30 Kalendertagen ausgesprochen werden. Damit eine frühwarnpflichtige Kündigung rechtswirksam ausgesprochen werden könne, müsse also ein Zeitraum von 30 Tagen nach Einlangen der die Absicht dieser Kündigungen beinhaltenden Anzeige beim AMS verstrichen sein. Der 30‑Tage‑Zeitraum wandere kontinuierlich. Wolle der Arbeitgeber nicht verständigungspflichtig werden, dürften die Auflösungsaussprüche nicht den Schwellenwert erreichen, indem die Kündigungsaussprüche zeitlich ausreichend gestreut werden. Da die Kündigung der Klägerin am 27. 8. 2007 nicht in den von der Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG ab 27. 9. 2007 beginnenden 30-tägigen Zeitraum für die Auflösung von mehr als fünf Arbeitsverhältnissen falle, sei sie, auch wenn sie vor Einlangen dieser Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS ausgesprochen worden sei, nicht rechtsunwirksam. Von § 45a Abs 5 Z 1 AMFG seien nach dem Wortlaut nur Kündigungen umfasst, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Sinn des Abs 1 bezwecken, also Arbeitsverhältnisse, die von der Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG umfasst seien.

Der von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 146/98f, in der der Oberste Gerichtshof ausgeführt habe, dass es bei Verwirklichung des Tatbestands nach § 45a Abs 1 AMFG keine AMFG-freie Kündigung mehr geben könne, liege ein anderer Sachverhalt zugrunde. Damals habe ein Arbeitgeber, der alle Arbeitsverhältnisse habe beenden wollen, nach der Anzeige beim AMS innerhalb der temporären Sperrfrist vorweg zunächst vier Arbeitnehmer gekündigt und dann nach 30 Tagen die übrigen Arbeitnehmer. Die Unwirksamkeit der Kündigungen dieser vier Arbeitnehmer habe der Oberste Gerichtshof damit begründet, dass nach Bekanntgabe der Absicht nach § 45a Abs 1 AMFG der Kündigungsvorgang im Hinblick auf die in Abs 5 normierte Folge der Unwirksamkeit als Einheit anzusehen sei. Der Standpunkt, diese Begründung gelte auch für § 45a Abs 5 Z 1 AMFG, weil verhindert werden solle, dass die Arbeitgeber durch Stückelung der Anzahl der Kündigungen jeweils unter dem Schwellenwert bleiben und dadurch die §§ 45a ff AMFG unterlaufen, werde vom Berufungsgericht nicht geteilt. In der zitierten Entscheidung habe der Oberste Gerichtshof ausdrücklich darauf verwiesen, dass die in der Lehre vertretene Rechtsauffassung vom „stetig wandernden" 30-Tage-Zeitraum, innerhalb dessen der Arbeitgeber mit der Anzahl der Kündigungen unter dem Schwellenwert bleiben müsse, diesem Ergebnis nicht entgegenstehe, weil in diesen Fällen keine Anzeige gemäß § 45a Abs 1 AMFG erfolge.

Dass - wie die Klägerin überdies meine - der Beginn der 30-Tage-Sperrfrist analog zur Rechtsprechung zu § 5 EFZG auf 00:00 Uhr des Überreichungstags zurückwirke, weshalb die Kündigung der Klägerin auch gemäß § 45a Abs 5 Z 2 AMFG rechtsunwirksam sei, sei ebenfalls unzutreffend. Die Sperrfrist von 30 Tagen beginne erst nach Einlangen der Anzeige beim AMS zu laufen. Für die von der Klägerin begehrte Analogie bestehe kein Anlass.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt habe, ab welchem Zeitpunkt die 30‑tägige Sperrfrist des § 45a Abs 1 AMFG zu laufen beginne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

 

Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in seiner Entscheidung vom 4. August 2009, 9 ObA 76/09f, im Verfahren einer zum selben Zeitpunkt gekündigten Angestellten der Beklagten, dem ein praktisch identer Sachverhalt zugrunde liegt, deren Revision als unzulässig zurückgewiesen. Er hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass die dort wie hier überaus knapp gehaltene und vom selben Rechtsvertreter verfasste Revision zu den vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfragen keinerlei substanzielle Ausführungen enthalte und sich in keiner Weise mit der ausführlichen Begründung des Berufungsgerichts auseinandersetze, und im Übrigen folgende Rechtsauffassung vertreten:

„Die der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung, dass die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG ‘kontinuierlich wandere’ und dass der Arbeitgeber durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern könne, entspricht den vom Berufungsgericht zitierten Lehrmeinungen (s die bereits von der zweiten Instanz zitierten Belegstellen; ferner Mazal/Risak , Arbeitsrecht XVIII Rz 84) und wird in der von der Klägerin im Verfahren vor den Vorinstanzen ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 146/98f ausdrücklich nicht in Frage gestellt. In der Revision wird diese Rechtsauffassung nicht einmal erwähnt, geschweige denn bestritten. Sie kommt aber hier zum Tragen: Wann die von der Beklagten am 27. 8. 2007 beim AMS angemeldeten Kündigungen ausgesprochen wurden, steht nicht fest. Dass der Ausspruch dieser Kündigungen vor dem in der Meldung angeführten Zeitraum (27. 9. 2007 bis 28. 10. 2007) erfolgte, wurde von der Klägerin nicht einmal behauptet und kann daher nicht unterstellt werden (vgl dazu das unwidersprochene Vorbringen in der Berufung der Beklagten, nach dem die Kündigungen im Zeitraum 27. bis 29. 9. 2007 ausgesprochen wurden). Damit hat die Beklagte die Kündigung der Klägerin (wenn auch möglicherweise knapp) mehr als 30 Tage vor den weiteren, beim AMS rechtzeitig gemeldeten Kündigungen ausgesprochen. Dass der hier zu beurteilende Fall mit der in 9 ObA 146/98f beurteilten Konstellation nicht vergleichbar ist, hat schon das Berufungsgericht überzeugend ausgeführt. Auch die dazu von der zweiten Instanz angestellten Überlegungen werden in der Revision nicht bestritten.

Auf ihr vom Berufungsgericht verneintes Argument, die Anzeige des Arbeitgebers wirke auf 00:00 Uhr des Anzeigetags zurück, kommt die Revisionswerberin ebenfalls nicht mehr zurück.“

Sämtliche in der zitierten Entscheidung enthaltenen Ausführungen - auch zum Inhalt der Revision - treffen auch auf den hier zu beurteilenden Fall zu. Auch hier hat die Revisionswerberin in keiner Weise eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt, weshalb ihre Revision ebenfalls als unzulässig zurückzuweisen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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