European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00026.16F.0628.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das stattgebende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist binnen 14 Tagen schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark 465 EUR an Aufwandersatz für das Berufungsverfahren zu bezahlen. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 758,78 EUR (darin 69,80 EUR USt und 340 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war von 7. 8. 2014 bis zu seiner Entlassung am 4. 5. 2015 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Arbeiter und Angestellte im Güterbeförderungsgewerbe. In seinem Dienstvertrag hatte sich der Kläger verpflichtet, angeordnete Überstunden „im Rahmen der Bestimmungen des AZG“ zu leisten (Beilage ./B).
Aufgabe des Klägers war es, mit einem Lkw im Nahverkehr Materialtransporte durchzuführen. Am 4. 5. 2015 begann seine Tagesarbeitszeit um 5:03 Uhr mit der Abfahrt vom Lieferanten und endete um 16:14 Uhr mit der Rückkehr an den Ausgangsort. Während dieses gesamten Zeitraums hatte der Kläger keine Ruhepause, in der er sich vom Fahrzeug entfernen hätte können.
Nach seiner Rückkehr wurde dem Kläger aufgetragen, ein anderes Lastfahrzeug zur Waschstraße zu fahren und zu reinigen, wofür er ungefähr eine Stunde benötigt hätte. Als sich der Kläger weigerte, erklärte der Geschäftsführer, dass er dann entlassen sei. Der Kläger ging dennoch nach Hause, worauf der Geschäftsführer ihm am selben Tag telefonisch bestätigte, dass die Entlassung „aufrecht sei“.
In der Klage werden entlassungsabhängige Beendigungsansprüche in rechnerisch unstrittiger Höhe geltend gemacht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Entlassung bereits eine Einsatzzeit von 11 Stunden hinter sich gebracht, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten zu können. Er sei berechtigt gewesen, eine weitere Arbeitsleistung zu verweigern.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.
Der anzuwendende Kollektivvertrag gestatte dem Arbeitgeber die Anordnung von Überstunden im gesetzlich zulässigen Ausmaß. Der Kläger habe am Entlassungstag die danach äußerstmögliche Tagesarbeitszeit von 15 Stunden noch nicht erreicht und hätte sie auch bei Erledigung des zusätzlichen Auftrags nicht überschritten. Der Umstand, dass er in den ersten elf Stunden noch keine Ruhepause konsumieren habe können, hätte ihn lediglich berechtigt, eine Pause einzufordern und seine Arbeit danach fortzusetzen. Durch sein beharrliches Verweigern der Weiterarbeit habe er einen Entlassungsgrund verwirklicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt, ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine iSd § 502 Abs 1 ZPO korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Die Beklagte hat die ihr gemäß § 508a Abs 2 ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist berechtigt.
1. Gemäß § 82 lit f GewO 1859 kann ein Arbeiter sofort entlassen werden, wenn er die Arbeit unbefugt verlassen hat oder beharrlich seine Pflichten vernachlässigt.
Unstrittig ist, dass mit der Einsatzzeit des Klägers am Entlassungstag die tägliche Normalarbeitszeit bereits überschritten war und der weitere Auftrag zur Fahrzeugreinigung die Anordnung einer (zusätzlichen) Überstunde bedeutete. In seinem Dienstvertrag hatte sich der Kläger verpflichtet, angeordnete Überstunden im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes zu leisten.
Auch nach Art VI Z 2 des Kollektivvertrags für das Güterbeförderungsgewerbe dürfen Arbeitnehmer zur Überstundenarbeit nur dann herangezogen werden, wenn diese nach den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zugelassen ist und berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit nicht entgegenstehen.
Gemäß § 11 Abs 1 AZG ist die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt.
Die zeitliche Lage der Ruhepause bestimmt das Gesetz nicht näher, doch ist aus Wortlaut und Zweck der Ruhepause abzuleiten, dass sie nicht am Beginn oder Ende der Arbeitszeit liegen darf, sondern dem Erholungsbedarf gerecht werden muss. Sie ist jedenfalls spätestens nach einer sechsstündigen Arbeitszeit zu gewähren (9 ObA 102/03w). Damit eine „Pause“ als Ruhepause iSd § 11 Abs 1 AZG anerkannt werden kann, muss sie ihrer Lage nach für den Arbeitnehmer vorhersehbar sein, sich also an einer im Vorhinein definierten zeitlichen Position im Rahmen der Arbeitszeiteinteilung befinden, oder vom Arbeitnehmer innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums frei gewählt werden können (RIS‑Justiz RS0102995 [T1] = RS0051919 [T3]).
Im vorliegenden Fall bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass eine durchgehende Arbeitszeit von mehr als elf Stunden ohne Ruhepause einen eklatanten Verstoß gegen § 11 Abs 1 AZG darstellt. Die Kriterien für die Anerkennung einer Arbeitsunterbrechung als Ruhepause iSd § 11 Abs 1 AZG, insbesondere Vorhersehbarkeit und Erholungsfunktion, waren zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr erfüllbar.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass in dieser Situation die Anordnung einer weiteren Überstunde zulässig war, ist daher abzulehnen. Neben dem Verstoß gegen § 11 Abs 1 AZG ist auch das Entgegenstehen wichtiger Interessen des Arbeitnehmers iSd Art VI Z 2 des Kollektivvertrags für das Güterbeförderungsgewerbe offenkundig.
Die Festlegung der Ruhepausen ist grundsätzlich vom Arbeitgeber zu gewährleisten. Der Arbeitnehmer ist weder verpflichtet, den Arbeitgeber zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes eigens aufzufordern, noch müsste er eine entgegen § 11 Abs 1 AZG zur Unzeit angebotene Pause akzeptieren, nur um dem gesetzwidrig handelnden Arbeitgeber die Anordnung von weiteren Überstunden zu ermöglichen.
Da der Kläger seine Arbeit nicht unbefugt iSd § 82 lit f GewO 1859 verlassen hat, war die Entlassung nicht berechtigt und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO und § 58a ASGG.
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