Spruch:
Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 24.139,80 (darin enthalten S 4.023,30 an Ust.) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der klagende Betriebsrat hat mit seiner am 4. Jänner 1993 eingebrachten Anfechtungsklage nach § 105 ArbVG die Kündigung einer seit 1986 im Betrieb der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigten Arbeitnehmerin zum 31. März 1993 als sozialwidrig angefochten. Das Anfechtungsverfahren ruhte vom 25. Mai 1993 bis zum 8. Juli 1996, weil die Arbeitnehmerin in einem gesonderten Verfahren die Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses anstrebte, da sie schwanger gewesen sei. Nach Beendigung dieses Verfahrens wurde das gegenständliche Verfahren im Jahre 1996 fortgeführt und ein Beweisverfahren, insbesondere hinsichtlich der von der Beklagten behaupteten gehäuften Krankenstände und der Fluguntauglichkeit der gekündigten Flugbegleiterin durchgeführt.
Das die Anfechtungsklage abweisende Urteil des Erstgerichtes vom 25. April 1997 wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Dezember 1997 zu 10 Ra 303/97w-35 im Wesentlichen zur genaueren Klärung des Krankheitsverlaufes und der Krankenstandsprognose aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen. Nach weiterem umfangreichen Vorbringen und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten wies das Erstgericht mit seinem Urteil vom 11. Februar 1999 (ON 65) erneut die Kündigungsanfechtung ab. Jedoch auch dieses Urteil wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. November 1999 zu 10 Ra 191/99b-72 aufgehoben. Zusätzliche Feststellungen wurden aufgetragen. Nach Erörterungen und Durchführung eines weiteren Beweisverfahrens kam es dann schließlich in der mündlichen Streitverhandlung vom 21. Juni 2000 zu Vergleichsgesprächen, bei denen der Beklagtenvertreter die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung eines Betrages von S 200.000,-- brutto anbot. Die daraufhin befragte Arbeitnehmerin erstattete einen Gegenvorschlag, wonach sie - vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrates und der Arbeiterkammer - bereit wäre, das Dienstverhältnis einvernehmlich zum 31. März 1993 aufzulösen, wenn ihr die Beklagte einen Nettoabfindungsbetrag von S 200.000,-- zahlt und auf die Kosten des Vorverfahrens verzichtet. Ferner begehrte sie eine Generalklausel. Dieses dem Klagevertreter zur Kenntnis gebrachte Anbot unterfertigte sie auch, woraufhin dieser es dem Beklagtenvertreter mitteilte. Da beide Parteienvertreter zuversichtlich waren, dass die Beklagte das Vergleichsanbot annimmt, vereinbarten sie Ruhen des Verfahrens. Der Beklagtenvertreter teilte dann dem Klagevertreter am 6. Juli 2000 die Annahme dieses Anbotes mit. Am 6. Oktober 2000 übermittelte der klagende Betriebsrat dem Klagevertreter eine Mitteilung, wonach die Arbeitnehmerin den ausverhandelten Vergleich nun doch nicht in Betracht ziehen wolle, weshalb der Betriebsrat den Vergleich nicht schließen wolle, obgleich der Betriebsrat gehofft habe, in der nahezu siebenjährig anhängigen Angelegenheit zu einem absehbaren Ende zu kommen. Daraufhin beantragte der Klagevertreter am 13. Oktober 2001 die Fortsetzung des ruhenden Verfahrens. Die Beklagte wendete in der folgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ein, dass diese Vorgangsweise Treu und Glauben widerspreche und der Vergleich zustande gekommen sei. Auch stimme der Betriebsrat nicht aus eigenem Entschluss, sondern nur wegen des Ersuchens der Arbeitnehmerin bzw. ihres Vaters dem Anbot nicht zu.
Das Erstgericht wies daraufhin das Klagebegehren ab. Es ging rechtlich davon aus, dass die Arbeitnehmerin den Eintritt der Bedingung, der Zustimmung des Betriebsrates gegen Treu und Glaube verhindert habe, weshalb die Bedingung als eingetreten gelte. Der Betriebsrat habe nunmehr kein rechtliches Interesse mehr an der Anfechtung der Kündigung, weshalb die Klage abzuweisen sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des klagenden Betriebsrates Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache erneut an das Erstgericht zurück. Es ging dabei im Wesentlichen davon aus, dass die Arbeitnehmerin ja nicht Partei des Kündigungsanfechtungsverfahrens sei und daher auch nicht über das Anfechtungsrecht durch Vergleich disponieren könne. Die allfällige Bereinigung mit der Arbeitnehmerin durch einvernehmliche Auflösung und Zahlung einer Abfindung stelle nur den wirtschaftlichen Hintergrund für die Entscheidung des klagenden Betriebsrates dar. Das Vorgehen der Arbeitnehmerin sei nicht sittenwidrig, da eine genauere Belehrung nicht ersichtlich sei. Auch sei darauf zu verweisen, dass § 104a ArbVG dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Möglichkeit zugestehe, sich mit dem Betriebsrat vor der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beraten.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da zur Frage, inwieweit ein betroffener Arbeitnehmer durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über das dem Betriebsrat zustehende Anfechtungsrecht disponieren könne, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der beklagten Partei ist schon gemäß § 46 Abs 3 Z 2 ASGG zulässig und auch berechtigt.
Nach Abs 4 des im dritten Abschnitt des Betriebsverfassungsrechts über die Mitwirkung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten gelegenen § 105 des ArbVG kommt dem Betriebsrat, wenn er der Kündigungsabsicht widersprochen hat, über "Verlangen" des gekündigten Arbeitnehmers das primäre Anfechtungsrecht zu. Überwiegend wird auch die Belegschaft als Träger dieses Anfechtungsrechtes gesehen (vgl etwa Floretta in Floretta/Strasser Kommentar zum ArbVG § 105 bis 107, 619, allerdings noch vor der Änderung des "Sperrrechts" durch die Novelle BGBl. 411/1990; ebenfalls eher für die kollektivrechtliche Einordnung Schrammel in Tomandl/Schrammel Arbeitsrecht 24 221; ähnlich unter Hinweis auf den Zusammenhang mit dem Individualarbeitsrecht Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I4, 377f ua, vgl insbesondere aber VfSlg. 10.297 und 10.344 = DRdA 1985/14 mit Besprechung von Floretta).
Entgegen den Ausführungen der Beklagten ist es aber nicht erforderlich, auf die teilweise kritisch gegen diese Einordnung des Anfechtungsrechtes abgegebenen Stellungnahmen einzugehen (vgl. dazu etwa Gerlach, Zum Selbstanfechtungsrecht des Arbeitnehmers ZAS 1999, 75 ua). Geht es doch hier im Ergebnis gar nicht um die Frage der Disposition über das Anfechtungsrecht, sondern setzt vielmehr das Anfechtungsrecht als solches nach völlig einheitlicher Rechtsprechung und Lehre eine individualrechtlich rechtswirksame Kündigung voraus (vgl. etwa RIS Justiz RS0052018; Schwarz in Czerny/Haas-Lassnig/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht 3, 194; Strasser-Jabornegg, Arbeitsverfassungsrecht3, 415 uva). Ist aber davon auszugehen, dass die vergleichsweise Regelung wirksam wurde, es also zu einer einvernehmlichen Auflösung zum 31. März 1993 gekommen ist, so ist darin auch eine mit Einverständnis der Arbeitnehmerin vorgenommene Zurückziehung der Kündigung durch die Beklagte zu sehen. Die Arbeitnehmerin hat damit nicht über die "kollektivrechtliche" Anfechtungsbefugnis des klagenden Betriebsrates, sondern über die individualrechtliche Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses disponiert. Soweit sie aber die vergleichsweise Einigung über ihre individualrechtlichen Ansprüche von der Bedingung der Zustimmung Dritter, hier des klagenden Betriebsrates und der Arbeiterkammer - offensichtlich aus Kostentragungsgründen - abhängig macht, entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass der Eintritt einer Bedingung dann angenommen wird, wenn die Partei, zu deren Nachteil dies gereichen würde, ein Eintritt wider Treu und Glaube verhindert (vgl. RIS Justiz RS0012728 mzwN; Rummel in Rummel ABGB3 § 897 Rz 7; Apathy in Schwimann ABGB2 § 897 Rz 18f). Hier hat die klagende Partei selbst im Berufungsverfahren noch zugestanden, dass die Arbeitnehmerin auf die mangelnde Zustimmung eingewirkt hat, so dass im Sinne dieser Rechtsprechung diese Bedingung als eingetreten anzusehen ist.
Damit kam es aber zu einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1993 und dem Anspruch der Arbeitnehmerin auf eine Zusatzabfertigung in Höhe von S 200.000,-- netto. Damit ist auch die angefochtene Kündigung der Beklagten als im Einvernehmen mit der Arbeitnehmerin zurückgezogen zu betrachten. Eine Anfechtung dieser Kündigung kommt daher nicht in Betracht, weshalb das Erstgericht im Ergebnis zutreffend die Anfechtung abgewiesen hat.
Da daher die Rechtssache entscheidungsreif ist, konnte der Oberste Gerichtshof in Stattgebung des Rekurses gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO in der Sache selbst erkennen (vgl. 9 ObA 294/98w mwN).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 sowie 58 ASGG und 50 sowie 41 ZPO.
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