OGH 8ObA12/22f

OGH8ObA12/22f30.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* G*, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, LL.M. und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei D* GmbH, *, vertreten durch die Gillhofer & Plank Rechtsanwälte GesBR in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2021, GZ 13 Ra 34/21d‑34, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. März 2021, GZ 44 Cga 50/19t‑27, die Klage zurückgewiesen und das hierüber geführte Verfahren als nichtig erklärt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00012.22F.0330.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.206 EUR (darin enthalten 205 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt mit seiner Klage, die mit Schreiben der Beklagten vom 6. 8. 2019 ausgesprochene Kündigung ihm gegenüber für rechtsunwirksam zu erklären. Er brachte – soweit für das Rekursverfahren von Relevanz – im Wesentlichen wörtlich wie folgt vor:

„Im März 2019 wurden die Mitarbeiter der beklagten Partei per Newsletter darüber informiert, dass eine strategische Neuausrichtung erfolge und die deutsche Post D*‑Group und die Österreichische Post AG einen Vertrag zur weiteren Zusammenarbeit im und für den österreichischen Paketmarkt abschließen würden. Demzufolge wird die Österreichische Post AG Zustellpartner der Deutschen Post D*‑Group in Österreich und übernimmt damit die Zustellung sämtlicher Import- und Domestik-Pakete. Im Zuge dieser Vereinbarung wurde auch der Großteil der logistischen Infrastruktur der beklagten Partei auf die Österreichische Post übertragen.

In diesem Newsletter und einer weiteren E-Mail der beklagten Partei vom 19.03.2019 an die Mitarbeiter der beklagten Partei wurde darauf verwiesen, dass für alle Mitarbeiter, welche in den operativen Einheiten dieser von der Österreichischen Post AG übernommenen Infrastruktur arbeiten mit Wirkung des Stichtages des Überganges ein Teilbetriebsübergang gemäß § 3 AVRAG gelten würde.

Die beklagte Partei stellt sich auf den Standpunkt, dass in Ansehung des Klägers kein Betriebsübergang vorliege und hat daher gegenüber dem Kläger die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in einem Schreiben vom 06.08.2019 ausgesprochen, welches der Kläger am 07.08.2019 erhalten hat. Darin wird das Arbeitsverhältnis zum 15.10.2019 aufgekündigt. Festgehalten wird, dass der Kläger auf den Standpunkt steht, dass er vom Betriebsübergang betroffen ist und daher in einem aufrechten Arbeitsverhältnis zur Österreichischen Post AG steht. Diesbezüglich wird mit gesonderter Klage ein Feststellungsbegehren auf Bestand eines Arbeitsverhältnisses zur Österreichischen Post AG eingebracht. Eine von der Österreichische Post AG ausgesprochene Eventualentlassung wird in diesem parallelen Verfahren ebenso angefochten bzw. deren Rechtsunwirksamkeit unter Beweis gestellt.

Die gegenständliche Kündigungsanfechtung im Sinne des § 105 ArbVG erfolgt daher für den Fall, dass ein Betriebsübergang auf die ÖPAG nicht anzunehmen ist und im Verfahren gegen die ÖPAG auf das Feststellungsbegehren auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bzw. Eventualanfechtung der dort ausgesprochenen Entlassung abgewiesen werden sollte.

Die gegenständliche Kündigungsanfechtung wird begründet wie folgt:

[...]“

[2] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Sie bestritt eine Sozialwidrigkeit der Kündigung des Klägers.

[3] Das Erstgericht führte das Erkenntnisverfahren durch und gab ausgehend von dem von ihm festgestellten Sachverhalt der Klage statt.

[4] Das Berufungsgericht wies mit der angefochtenen Entscheidung aus Anlass der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung von der Beklagten erhobenen Berufung die Klage zurück und erklärte das hierüber geführte Verfahren für nichtig. Aus den Worten „für den Fall … abgewiesen werden sollte“ in der Klage ergebe sich, dass die Klage eine bedingte Prozesshandlung darstelle, die hier aber, weil die Bedingung in keinem innerprozessualen Umstand oder Vorgang bestehe, unzulässig sei. Weil das in der Klage angesprochene Verfahren gegen die ÖPAG noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, könne auch keine Rede davon sein, dass die in der Klage genannte Bedingung zwischenzeitlich erfüllt sei. Damit mangle es an einer wirksamen Klage.

[5] Gegen diesen Beschluss richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Rekurs des Klägers. Es wird beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung über die Berufung aufzutragen.

[6] Die Beklagte beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat. In einem solchen Fall ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig (RIS‑Justiz RS0043893; RS0098745 [T16]; Musger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 519 ZPO Rz 31, 33). Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist zweiseitig (RS0128487).

[8] Der Rekurs ist auch berechtigt.

[9] Die Auslegung einer Prozesshandlung erfolgt nach ihrem objektiven Erklärungswert. Es kommt darauf an, wie sie unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der Prozess- und Aktenlage im Prozesshandlungszeitpunkt objektiv verstanden werden muss (vgl RS0037416; RS0097531; RS0017881). Bei der Auslegung von Parteiprozesshandlungen nach deren objektivem Erklärungsgehalt ist jener Variante der Vorzug zu geben, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen (RS0106326).

[10] Auszulegende Parteiprozesshandlung ist hier die Klage.

[11] Weder an deren Beginn noch an deren Ende, wo der Kläger die Fällung eines Urteils bestimmten Inhalts beantragt, wird vom Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er seine Klage nur unter einer bestimmten Bedingung erhebt. Die Passage, auf die sich das Berufungsgericht beruft, findet sich inmitten des Vorbringens des Klägers. Ihre Situierung spricht gegen eine Deutung, dass die Klage prozessual unter der Bedingung stehen soll, dass die Klage des Klägers in seinem Verfahren gegen die ÖPAG ohne Erfolg bleibt.

[12] Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich die Darstellung einer gewissen Zwangslage. Der Kläger gibt bekannt, dass sein Standpunkt eigentlich jener ist, dass der Betriebsübergang auch ihn erfasst und er somit bereits in einem Arbeitsverhältnis zur ÖPAG steht. Er teilt mit, dass die Beklagte hingegen den Standpunkt vertritt, in Bezug auf ihn liege kein Betriebsübergang vor.

[13] Bei Gesamtbetrachtung der Klageschrift (vgl 3 Ob 24/15y [Pkt 2.1. f]; Konecny in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/1 Einleitung Rz 94/2) ist der Vortrag des Klägers, die gegenständliche Kündigungsanfechtung erfolge„für den Fall, dass ein Betriebsübergang … nicht anzunehmen ist und im Verfahren gegen die ÖPAG … abgewiesen werden sollte“, angesichts der drohenden Verfristung der Anfechtung der Kündigung, der bereits erläuterten Situierung des Satzes inmitten des Vorbringens und aufgrund der dargestellten Auslegungsregel dahin auszulegen, dass der Kläger bloß zu erklären versucht, warum er aus einem einzigen Arbeitsverhältnis zwei potentielle Arbeitgeber als beklagte Parteien unter Zugrundelegung eines jeweils unterschiedlichen eigenen Prozessstandpunkts zur gleichen Zeit gerichtlich belangt. Das Vorbringen ist nicht dahin zu verstehen, dass die vorliegende Klage gegenüber jener im Verfahren gegen die ÖPAG subsidiär sei. Der Kläger führt erkennbar – wohl aus advokatorischer Vorsicht – zwei Prozesse parallel. Die in Rede stehende Passage stellt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Bedingung dar.

[14] In Stattgebung des die unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zutreffend aufzeigenden Rekurses ist der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen (RS0065254).

[15] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

[16] Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Weil die Beklagte in ihrer Rekursbeantwortung dem Rekurs entgegengetreten ist, lag ein Zwischenstreit über die vom Berufungsgericht beschlossene Zurückweisung der Klage vor (2 Ob 16/17t; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/1 § 48 ZPO Rz 12 f; Musger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 § 519 ZPO Rz 36 mwN).

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