European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00011.16Z.0329.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der Kläger war bei der Beklagten vom 12. August 2013 bis 29. November 2013 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst. Nachdem dem Kläger am 28. November 2013 mitgeteilt worden war, dass sein Dienstverhältnis mit dem darauf folgenden Tag beendet sei und er nach Hause fahren könne, wurde ihm angekündigt, dass ihm seine Papiere zugeschickt werden, er diese unterschreiben und zurückschicken soll und er noch das restliche Geld bekommen werde. Daraufhin wurde dem Kläger von der Beklagten folgende E‑Mail vom 28. November 2013 übersandt:
„ Einvernehmliche Lösung des bestehenden Dienstverhältnisses. Das bestehende Dienstverhältnis wird im beiderseitigen Einvernehmen per 29. 11. 2013 gelöst. Die Lohnabrechnung (bis Mitte des Folgemonats), sowie alle Unterlagen (Arbeitspapiere, etc) werden Ihnen wie üblich per Post zugesandt. Mit der folgenden Lohnabrechnung sind alle meine Forderungen gegenüber der Firma T***** GmbH beglichen bzw abgegolten und ich verzichte auf die Geltendmachung darüber hinausgehender Ansprüche. “
Der Kläger unterfertigte die E‑Mail und sandte sie spätestens ein bis zwei Tage später an die Beklagte zurück. Kurz darauf erhielt der Kläger die Lohnabrechnungen per Post und den ausgewiesenen Geldbetrag überwiesen.
Der Kläger begehrte den Zuspruch von 2.286,02 EUR sA. Die von ihm unterfertigte Lohnbefriedigungserklärung sei im Sinne der Drucktheorie ungültig und unwirksam; der Kläger habe sie unterfertigt, als die Endabrechnung noch nicht ausgestellt, wesentliche Entgeltbestandteile noch offen und das Dienstzeugnis noch nicht ausgestellt gewesen sei.
Die Beklagte wendete ein, anlässlich der einvernehmlichen Beendigung des Dienstverhältnisses sei vereinbart worden, dass mit der zugestellten Lohnabrechnung alle Forderungen abgegolten und verglichen seien; der Kläger habe auf die Geltendmachung anderer Ansprüche verzichtet. Nach dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung sei dem Kläger eine Frist zum Widerruf seiner Verzichtserklärung zur Verfügung gestanden, die er jedoch nicht genutzt habe, weshalb keine Drucksituation vorgelegen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe zwar vor Erhalt der Endabrechnung die Erklärung unterschrieben und übersandt, er habe diese Verzichtserklärung aber nie widerrufen, weshalb sie rechtswirksam sei.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Ein Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare Ansprüche sei auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses so lange unwirksam, als sich der Arbeitnehmer in der für ihn typischen Unterlegenheitsposition befinde; dies sei jedenfalls vor der endgültigen Abrechnung der Fall. Hier habe der Kläger die Verzichtserklärung noch vor der endgültigen Lohnabrechnung abgegeben, weshalb sie unwirksam sei. Die Bestimmung des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (Punkt XIX Z 3), nach der ein Arbeitnehmer innerhalb von fünf Tagen nach Aushändigung der Endabrechnung eine abgegebene Verzichtserklärung rechtswirksam widerrufen könne, sei ihrem Zweck nach zum Schutz der Arbeitnehmer gedacht und daher so auszulegen, dass sie eine bereits ursprünglich unzulässige und damit unwirksame Verzichtserklärung nicht erfasse. Die Beklagte könne daher die Verzichtserklärung des Klägers dem Klagebegehren nicht entgegen halten. Das Erstgericht habe daher zu den vom Kläger eingeklagten Beträgen Feststellungen zu treffen.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob wegen der Bestimmung XIX Z 3 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung auch eine unwirksame Verzichtserklärung vom überlassenen Arbeiter widerrufen werden müsse, um deren Verbindlichkeit zu verhindern.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein Verzicht auf unabdingbare Ansprüche eines Arbeitnehmers nicht nur während des aufrechten Arbeitsverhältnisses (RIS‑Justiz RS0029958), sondern solange unwirksam ist, als sich dieser in der typischen Unterlegenheitsposition eines Arbeitnehmers befindet („Drucktheorie“; 8 ObA 10/13y; 9 ObA 10/05v uva). Entscheidend ist, ob von einer vollständigen wirtschaftlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesprochen werden kann und die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht mehr ins Gewicht fällt. Dies ist vor der endgültigen Abrechnung der Ansprüche des Arbeitnehmers bzw vor deren Fälligkeit nicht der Fall. Ein dessen ungeachtet abgegebener Verzicht ist unwirksam (8 ObA 10/13y mwN).
Hier hat der Kläger die ‑ vom Arbeitgeber formulierte, die Erklärung der Vollständigkeit der Lohnabrechnung und sämtliche Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis umfassende ‑ Verzichtserklärung unstrittig vor Erhalt seiner Endabrechnung sowie seiner noch ausstehenden Entgeltansprüche unterschrieben und abgesendet. An der Unwirksamkeit dieser Erklärung im Sinne der genannten Rechtsprechung kann daher kein Zweifel bestehen (weitere Überlegungen über die Rechtsfolgen einer Erklärung, der das Zugeständnis der Vollständigkeit einer noch gar nicht erfolgten Lohnabrechnung zugrunde liegt, sind daher entbehrlich).
2. Punkt XIX Z 3 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (in der für das Jahr 2013 geltenden ebenso wie in der am 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Fassung) lautet: „ 3. Eine Verzichtserklärung des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Ansprüche kann von diesem innerhalb von 5 Arbeitstagen nach Aushändigung und Auszahlung der Endabrechnung rechtswirksam widerrufen werden. “
Das Berufungsgericht ist mit ausführlicher Begründung davon ausgegangen, dass diese Bestimmung nur wirksame Verzichtserklärungen umfassen kann. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf ihre Richtigkeit und auf die dazu angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Entgegen der Meinung der Revisionswerberin handelt es sich bei Punkt XIX Z 3 des Kollektivvertrags ‑ wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat ‑ um eine Schutzbestimmung zugunsten des Arbeitnehmers. Den Kollektivvertragsparteien kann daher nicht ernsthaft zugesonnen werden, sie hätten damit auch das ‑ andere Grundsätze zum Schutz des Arbeitnehmers unterlaufende ‑ Ziel verfolgt, der Arbeitnehmer müsse einer unwirksamen Verzichtserklärung widersprechen, um deren Wirksamwerden zu verhindern.
3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0035976).
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